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Fankultur & Sportpolitik

Die Fußball-Bubble und #wirsindmehr: Das Schweigen der Belämmerten

Als Mesut Özil Rassismus beklagte, setzten DFB und Top-Stars auf eine Ausweichtaktik. Nun marschieren in Chemnitz Rechtsextreme – während der vernünftige Teil der Gesellschaft sich ihnen entgegen stellt, schweigt die Fußballbranche lieber.

HANOVER, GERMANY - OCTOBER 21: Fans show a red card against racism during the Bundesliga match between Hanover 96 and VfL Wolfsburg at the AWD Arena on October 21, 2007 in Hanover, Germany. (Photo by Friedemann Vogel/Bongarts/Getty Images)
Foto: Friedemann Vogel/Bongarts/Getty Images

Es ist noch gar nicht lange her, da beherrschte die Debatte um Erdogan-Fotos, den Rücktritt von Mesut Özil und das Verhalten des Deutschen Fußball-Bundes inklusive seines Führungspersonals die Titelseiten der Gazetten. Weder der Verband noch seine Mitarbeiter gaben dabei ein gutes Bild ab. Statt klaren Worten gegenüber den rassistischen Beschimpfungen, denen Özil in diesem Sommer ausgesetzt war, gab es von Grindel, Bierhoff und Co schwachsinnige Interview-Aussagen, mit denen der einstige Starspieler der Meute nur noch mehr zum Fraß vorgeworfen wurde.

Der Mittelfeldspieler hatte irgendwann die Schnauze voll, erklärte seinen Rücktritt, und begründete den unter anderem mit Rassismus und mangelnder Rückendeckung durch den DFB. Aufgerüttelt hat Özil damit aber offenbar niemanden. Statt sich ernsthaft mit dem Problem auseinanderzusetzen, verfolgte man im Umfeld der Nationalmannschaft lieber eine andere Taktik. Und man muss es wohl als genau das bezeichnen, wenn von Manuel Neuer über Oliver Bierhoff bis zu Joachim Löw alles, was Rang und Namen hat, gebetsmühlenartig versichert, dass es innerhalb der Nationalmannschaft doch keinen Rassismus gebe, obwohl Özil diesen Vorwurf nie erhoben hat. Mit keinem Wort hat der nunmehr Ex-Nationalspieler von Rassismus innerhalb der Mannschaft gesprochen. Aber hey, scheißegal.

DFB setzt in Sachen Özil auf alternative Fakten

Beim DFB bleibt man lieber beim „alternativen Fakt“ und tut seitdem geschlossen so, als sei Özil ein hypersensibles Mimöschen. Blödsinn, was dieser Türke da erzählt. Der soll sich mal nicht so anstellen. Und überhaupt: Wir sind die Guten! So lautet die Botschaft, die man aus der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise zu versenden versucht. Schließlich zeigt man “Rassismus die Rote Karte“ und macht Integration durch den Fußball und so.

Wie kann jemand angesichts der liberalen PR-Strategie, die der Verband in den letzten Jahren gefahren ist, also bloß auf die Idee kommen, man sei nicht engagiert im Kampf gegen Rassismus? Die Antwort, das wird immer klarer, lautet wohl ganz einfach: Weil es nur PR ohne Überzeugung ist. Zumindest ist das die Lehre, die jeder geneigte Beobachter aus den letzten Wochen ziehen muss.

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Als Özil seinen Rücktritt erklärte, quittierten die meisten seiner Mitspieler das mit eisernem Schweigen. Und die, die sich äußerten, beließen es bei ein paar netten Worten. „Mesut abi, danke für alles.” Kein Wort zu Rassismus. Bis heute gibt es tatsächlich keinen Nationalspieler, der sich in dieser Frage hinter Özil gestellt hätte. Jerome Boateng wollte in Özil zwar immerhin nicht den Alleinschuldigen für das WM-Aus erkennen. Bis heute gibt es aber dennoch kein überzeugendes Statement, keine Ansage, dass man sich – Erdogan-Foto hin oder her – eindeutig gegen rassistische Beleidigungen gegenüber einem verdienten Nationalspieler stellt. Dass man „Rassismus“ wirklich die „rote Karte“ zeigt.

#wirsindmehr: DFB und Top-Stars schweigen

Ganz im Gegenteil: Mit der konsequenten Antwort auf Vorwürfe, die Özil niemals erhoben hat, haben Spieler, Trainer und Funktionäre lediglich eindrucksvoll gezeigt, dass es ihnen scheißegal ist, was einer ihrer Mitspieler ertragen muss. Hauptsache der eigene Werbevertrag mit Adidas, Nike oder sonstigen globalen Playern wackelt nicht. Hauptsache auch die stumpfsinnigen, rechtsdrehenden Nationalelf-Fans kaufen weiter brav die Trikots. Es ist eine Farce.

Und als wären die letzten Wochen dahingehend nicht bereits erschütternd genug gewesen, unterstreicht die Fußballbranche in diesen Tagen noch einmal eindrucksvoll, dass sie für gar nichts zu gebrauchen ist: In Chemnitz marschierten in der letzten Woche tausende Rechtsextreme durch die Straßen, skandierten ekelhafte Parolen, zeigten den Hitlergruß und sorgten für weltweite Negativ-Berichterstattung über das ganze Land. Und die Fußball-Bubble? Sie macht, was sie am besten kann: Sie schweigt. Bis auf ein paar nicht unbedingt übermäßig prominente Ausnahmen.

Kein Statement vom DFB, kein Gruppenfoto gegen Rassismus von der Nationalmannschaft, die am Montag sogar mit Beginn der Länderspielpause physisch versammelt ist. Keine Tweets von Nationalspielern oder sonstigen Top-Spielern aus der Bundesliga zum Anti-Rechts-Konzert in Chemnitz. Überzeugungen scheint da keiner mehr zu haben. Aber das man beim DFB und der Nationalmannschaft nun sogar die perfekte PR-Möglichkeit, mit einem Statement das ramponierte Image aufzupolieren, verstreichen lässt, ist nicht nur marketingmäßig verwunderlich. Es wirft vor allem die Frage auf, ob Nationalspieler und DFB inhaltlich gar kein so großes Problem mit dem widerlichen Rechtsruck haben, der in diesen Tagen seine hässliche Fratze zeigt, und das Land beschäftigt.

DFB und Nationalmannschaft haben keine Unterstützung verdient

Denn wer ein Influencer für Kinder und Jugendliche ist, wer einen Instagram-Account mit Millionen von Followern besitzt, wer bei Interviews in Zeitungen die große Bühne bekommen könnte und schweigt, während in Chemnitz 65.000 Zuschauer und die wichtigsten Bands des Landes sich klar gegen Rechtsextremismus stellen und der Welt zeigen „#wirsindmehr“, der ist entweder erschreckend ignorant – oder gehört vielleicht einfach nicht zu diesem „Wir“ dazu. Beides ist ekelhaft. Und beides hätte noch zwanzig Vorrunden-Blamagen in den nächsten Jahrzehnten verdient.

Nachtrag: Manuel Neuer hat mittlerweile Unterstützung gegenüber #wirsindmehr zum Ausdruck gebracht: “Ich finde das Konzert in Chemnitz eine gute Sache und finde es gut, dass viele Musiker daran teilgenommen haben”, sagte der Nationalmannschaftskapitän. 

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