Dass Joachim Löw manchmal lieber Espresso trinkt, statt sich inhaltlich einzubringen, ist keine Überraschung. Nicht nur, dass der Bundestrainer sich nach dem WM-Aus bisher nicht weiter erklären oder öffentlich äußern will, auch während und vor der Weltmeisterschaft zeigte sich Löw eher schmallippig im Umgang mit dem “Skandal”, für den zwei seiner Spieler da gesorgt hatten.
Dass Oliver Bierhoff nach 14 Jahren öffentlicher Arbeit beim DFB die PR- und Marketing-DNA dermaßen verwirrt hat, dass er gar nicht mehr merkt, was er tut, auch irgendwie nicht. Anders ist es kaum zu begründen, dass der Teammanager sich erst öffentlich hinter seine Spieler stellt, dann in Gutsherrenart probiert ein Thema für “beendet” zu erklären, nur um es kurz nach dem Turnier selbst wieder auf schäbigste Art und Weise zu eröffnen – und das angeblich nicht einmal gewollt zu haben.
Und dass Reinhard Grindel die Welt schon durch AfD-Augen gesehen hat, als es die AfD noch gar nicht gab, haut auch keinen mehr vom Hocker. Schließlich ließ der jetzige Verbandsboss bereits 2004 wissen: “Multikulti ist in Wahrheit Kuddelmuddel” und warnte vor Masseneinwanderung, Überforderung des Staates und der Ausbeutung der Sozialsysteme. Ach und übrigens: Obwohl Grindel 2014 bereits die Funktion des DFB-Antikorruptionsbeauftragten inne hatte, stimmte er als einer von nur neun Bundestagsabgeordneten gegen ein Gesetz zur Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung. Aber das sei nur am Rande erwähnt.
Grindel-Taktik ist schäbig, aber nicht überraschend
Es fallen einem viele Worte für das Vorgehen der alten Herren des Deutschen Fußball-Bundes ein. Arm, schäbig, widerlich – zum Beispiel. Nur “überraschend” ist das alles eben nicht.
Während Löw zu eitel und Bierhoff zu inkompetent für eine öffentliche Debatte über das durchaus verwerfliche Treffen von Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kurz vor der Weltmeisterschaft erscheinen, kommen bei Grindel nun offenbar einfach politische Ansichten zum Vorschein, die das CDU-Mitglied schon vor seiner Ernennung zum DFB-Präsidenten hatte.
Multi-Kulti und eine offene Gesellschaft – Grindels Ding war das schon früher nicht. Bis heute hat sich daran offenbar nichts geändert. Denn die Argumentation des DFB-Präsidenten ist derzeit so simpel wie erbärmlich: „Der Türke war’s!“
Bietet sich ja auch an, bei der ohnehin schon islamfeindlichen Stimmung, die derzeit bei so manchem in Deutschland herrscht. Als Fähnchen im Wind wird der DFB-Präsident von Weggefährten ohnehin gerne beschrieben. Der ehemalige Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu erklärt dazu im “Tagesspiegel” unlängst, Grindel habe sich im Parlament nicht nur als „Rechtsaußen“, sondern auch als „gewiefter Strippenzieher und absoluter Opportunist“ hervorgetan.
DFB-Präsident macht seinem Ruf alle Ehre
Nachdem Oliver Bierhoff in der Vorwoche mit einer angeblich nicht so gewollten Interview-Passage Mesut Özil öffentlich zum Abschuss freigab, machte Grindel seinem Ruf dann auch prompt alle Ehre und legte am Wochenende nach. Kritik an Bierhoff – warum denn? Die Sache sei doch ganz einfach: Özil muss öffentlich sagen, dass er Erdogan blöd und Deutschland super findet, damit die ganzen Gesinnungssachsen unter den Fans weiterhin Bock auf „Die Mannschaft“ haben – auch wenn sie ohnehin finden, dass sie gefälligst „Nationalmannschaft“ heißen und alle Spieler, die die Hymne nicht mitsingen, sofort abzuschieben sind. So einfach ist das nämlich.
Wer die Mannschaft von 1974 wohl aufgenommen hätte? Na ja, wen interessiert das heute noch. Der Türke, er soll endlich sprechen. So wie der andere, der mit dem Döner-Verkäufer-Bart. Das ist, was jetzt wirklich wichtig ist. Also finden zumindest Bierhoff, Grindel und die “BILD”.
Auf die Idee, dass ein Foto mit Erdogan an der Niederlage gegen den Fußball-Giganten Südkorea Schuld sein soll, können auch nur DFB-Funktionäre nach 3 Wochen Nachdenken kommen. https://t.co/84l3yTaj22
— Armin Laschet (@ArminLaschet) July 9, 2018
Tatsächlich hat sich Mesut Özil nicht direkt und auch nicht umfassend zum Treffen mit Erdogan und dem entstanden Eindruck in der Öffentlichkeit geäußert. Tatsächlich ist das Foto an sich ungefähr so dumm wie der Umgang von Gündogan und Özil mit ihrer Aktion danach unzureichend war. Nach dem Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde der Nationalspieler immerhin wie folgt zitiert: „Ich bin hier aufgewachsen und stehe zu meinem Land.“ Dass Özil mehr bisher nicht verkündet hat und am Medientag des DFB-Teams demonstrativ nicht teilnahm, ist zudem maximal ungeschickt.
Dass das Larifari-Geschwätz, das Gündogan bei dieser Gelegenheit von sich gab, nun als Maßstab für Özil gelten soll, ist allerdings gleichfalls merkwürdig. Schließlich war man nach Gündogans Äußerungen nun auch nicht wirklich schlauer. Höflichkeit, kein politisches Statement, Ende. Doch um eine inhaltliche Auseinandersetzung scheint es ohnehin niemand zu gehen. Viel mehr braucht der DFB offenbar einfach einen SNDNBCK. Entschuldigung: Sündenbock.
Keine Statements von Beckenbauer und Matthäus nötig?
Schließlich wartet die Menschheit immer noch auf eine Erklärung von Franz Beckenbauer zu seiner Verwicklung in die Vergabe der WM 2006. Aber hey, don’t touch the Sommermärchen. Eine persönliche Erklärung Beckenbauers hat der DFB oder sein Präsident jedenfalls noch nie gefordert. Am Treffen von Lothar Matthäus mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin im Zuge der WM scheinen Grindel und Co. ebenfalls nichts auszusetzen haben. Dabei gab es dort neben einem Trikot auch noch sehr warme Worte vom Ehrenspielführer der Nationalmannschaft („Bin halber Russe“) für den zweifelhaften russischen Machthaber.
Warum das so ist? Wer weiß das schon. Aber während Putin und Erdogan durchaus vergleichbar sind, fällt direkt auf: „Türken“ sind Beckenbauer und Matthäus nicht. Özil, der vom DFB nun im Einklang mit verwirrten Rechten und freundlicher Unterstützung der “BILD”-Zeitung zum Hauptverantwortlichen des historischen Ausscheidens in der WM-Vorrunde erklärt wird, ist das übrigens auch nicht. Özil ist Deutscher. Geboren und aufgewachsen in Gelsenkirchen, ausgebildet bei Schalke 04 – mit türkischen Vorfahren.
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