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Eine Sommerpause – Zwei Welten

© effzeh.com

Köln im Juni 2012

Er sitzt und schwitzt auf seiner Couch. Dreht nervös an seiner Marlboro Light. Seine Frau ruft aus dem Off. Ob er denn nun die Gürkchen möchte oder nicht.

Er ist fassungslos. Gürkchen??? Als sei das jetzt wichtig! Er, der als Trainer zwar nicht über Wasser, aber immerhin über Scherben laufen kann, soll sich jetzt für Gürkchen interessieren?

Er muss doch noch studieren. Das kicker-Sonderheft ist noch nicht durch. Er muss sich vorbereiten. Es kann doch sein, dass plötzlich jemand anruft. Und ihn will. Ein Club, der höhere Ziele erreichen will. Mit ihm! Um ambitioniert sein zu können. Europa, ach was, die Weltmacht ruft! Aber Hauptsache, er darf wieder an der Linie stehen. Mit flackerndem Blick. Endlich wieder im Hamsterrad des Trainers sein. Immer weiter.

Also heißt es: kicker studieren. Wo spielt denn jetzt der Voigt? Wieso denn jetzt Viktoria? Was ist das für eine Fußballwelt?

Dabei heißt es doch: Anwenden. Umschalten. 3, 2, 1. Auf den Sturm.

Er fantasiert alle möglichen Spielzüge. Und muss das auch. Barcelona. Wäre schön. Ist aber nicht. Und wird nie sein. Wobei ihm das in diesem Moment nicht klar ist.

Er wandert durch seinen Garten. Mümmelt an seinem Hanuta und wischt nasse Blätter von den Marmorlöwen, die in den prachtvollen Garten stieren, in den er sonst gerne die Presse lädt.

Auferstehung. Beschließt er. Und kratzt sich an seinem Schnurrbart.

 

Szenenwechsel, aber immer noch Köln im Juni 2012.

Ich sitze auf der Couch. Meine Frau ruft und fragt, ob wir denn nun los wollen. Ins Kino. Ich sitze da. Verharre. Starre. Weiß nicht, was ich soll. Als sei das jetzt wichtig. Ins Kino zu gehen. Dabei muss ich mir doch Gedanken machen. Ob das alles so weiter gehen soll.

Natürlich bleibt man seinem Verein treu. Klar. Wer wegrennt, der verliert. Nur: Ist er dann nicht ein glücklicher Verlierer? Denn: Macht das wirklich Spaß, sich das immer und immer wieder anzusehen?

Man erinnere sich: Jeden Samstag dasselbe: Aufstehen, sich straffen, duschen. Vor dem Spiel in den Spiegel schauen und wissen: Alter, wenn Du das nächste Mal hier stehst, haben wir wieder verloren. Und dennoch sagen: Was solls? Heute gewinnen wir halt. Bayern? Kenn ich nicht.

Fan zu sein ist wie im Hamsterrad festzustecken: Es läuft. Das Rad nimmt Dich mit. Du hast gar keine andere Wahl. Das verdammte Rad dreht sich immer weiter. Und immer weiter und immer weiter und immer weiter und immer weiter und immer weiter und immer weiter und immer weiter und immer weiter und immer weiter….

Ihr versteht, was ich meine.

Es gibt keinen Notausgang. Fansein heißt: Hamsterrad gut finden. Andere Leute, die sich das Hamsterrad von außen ansehen, bemitleiden, weil sie nicht wissen, was Leidenschaft ist.

Aber eigentlich beneidest Du sie. Du beneidest die oft gescholtenen Eventfans, weil sie Dir eines voraus haben: Sie haben ihre Emotionen einfach von vorneherein zu Hause gelassen. Sie gehen nach dem Spiel einfach nach Hause und haben längst vergessen, wie es ausgegangen ist. Wie schön das sein muss.

Und dann sitzt Du da und denkst: Gibt es nicht auch noch andere schöne Töchter? Von schönen Vätern? Ein bisschen mal gucken sollte doch erlaubt sein!

Also nimmst Du Dir das kicker-Sonderheft zur Hand und siehst nach. Wolfsburg, ok…lassen wir das. Dortmund ist jetzt auch nicht so richtig originell. Bayern: Wir erinnern uns an den oben genannten Spiegel, in den wir ja noch schauen möchten. Lever….nein, das geht nicht. Und Hoffenheim? Mal ganz von vorne beginnen? Mal ganz unbelastet? Und Tabula Rasa? Bekommst Du dann doch nicht über Dein Herz.

Und dann bleibst Du bei Freiburg hängen und denkst: Das ist irgendwie ein cooler Verein! Die stehen doch über den Dingen! Sind nicht so vermessen wie andere und dennoch mittendrin. Fan von Freiburg werden, das wäre es doch! Und Sebastian Freis könnte Dir die Akklimatisierung erleichtern.

Du lehnst Dich zurück und denkst nur noch an Freiburg. Du zwingst Dich dazu. An Freiburg denken! Du schließt Deine Augen. Zwischendurch flitzt ein Geißbock vor Deinem inneren Auge herum, aber Du scheuchst ihn weg – jetzt ist Freiburgtime! Nur noch Freiburg! Du steigerst Dich in den Gedanken hinein, dass Du es schaffen könntest, Freiburg-Fan zu werden.

Der Gedanke ist verlockend: Freiburg! Schreit Dein Herz! Endlich einmal Ruhe! Endlich einmal ehrlicher Fußball! Streich, ich heirate Dich!

Und immer noch sitze ich auf der Couch. Habe meiner Frau noch nicht geantwortet, was denn nun mit dem Kino ist. Schließlich will ich mich ja jetzt abwerben lassen – von Freiburg! Ich will nun Fan von Freiburg werden. Ich möchte mich aber auch nicht anbiedern und so hoffe ich nun, dass ich ein entsprechendes Angebot vom Verein erhalte.

Gut, ich bin abgestiegen. Das mag abschreckend sein. Was brauchen die Freiburger einen Fan, der gerade abgestiegen ist? Wo sie doch in der ersten Liga bleiben wollen?

„Oder möchtest Du lieber zu Hause bleiben?“ fragt meine Frau. Moment! Ich kann gerade nicht! Ich hänge in meinem Gedankenwirrwarr fest! Freiburg! Olé!

Doch niemand ruft an! Wieso werde ich nicht abgeworben? Wieso will mich keiner? ICH KANN AUCH BREISGAU! Schreie ich. Meine Frau steht im Wohnzimmer und ist irritiert. Was bedeutet das jetzt?

Ich bin nervös. Ich schwitze. Ich lächele sie an.

„Ok. Ab ins Kino!“ flüstere ich.

Als ich ins Bad gehe, um mich fertig zu machen, stehe ich wieder vor dem Spiegel. Ich rede mir ein, dass ich bald Samstags mit einem guten Gefühl ins Bett gehen werde. Samstags, wohlgemerkt. Nicht an verfluchten Sonntagen und auch nicht nach bepissten Spielen am Montag Abend.

Dann wandert mein Blick zum Effzeh-Kalender, der neben dem Waschbecken hängt. Fast schon melancholisch blättere ich ihn durch – das Abbild meines neuen Ex-Clubs. Im Juni war da Geromel. Im Juli Peszko. Und plötzlich fühle ich mich bestärkt, die richtige Wahl getroffen zu haben. Was brauche ich einen Kalender von einem Verein, bei dem die Spieler gar nicht mehr da sind, wenn ihr Konterfei den jeweiligen Monat schmückt? Wieso bringt REWE nicht einfach einen Saisonkalender heraus? August bis Juli. Das würde die Wahrscheinlichkeit wenigstens erhöhen, dass die Spieler im November noch aktuell sind. Und nicht längst in Freiburg spielen, zum Beispiel. Hach, Freiburg! Schießt es mir durch den Kopf. Da werde ich mich wohl fühlen.

Und dann gucke ich den Kalender noch einmal durch. War schon schön, das Kölner Wappen. Und das neue Trikot von denen ist ja auch ziemlich stark. Und überhaupt: Geißbockheim! Das ist mal ein Name für ein Vereinsgelände!

 

Köln im August 2012

Einige Monate sind seit meinen Abwanderungsplänen vergangen. Ich stehe wieder vor dem Spiegel und mache mich fertig. Meine Frau und ich gehen gleich in die Kneipe, das Spiel unseres Lieblingsvereins bewundern.

Dieser Verein trägt übrigens rot und weiß und noch einmal übrigens: Wir schreiben Montag Abend.

 

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