Da saß ich dann, mitten im Rathenauviertel auf einer Geburtstagsfeier vor den letzten Zuckungen des SkyGo-Streams und wusste nicht, was ich sagen sollte. Schalke in der 2. Halbzeit eiskalt in die Einzelteile zerlegt, den Saisonstart mit zehn Punkten nach vier Spielen vergoldet, Platz zwei hinter den großen Bayern eingefahren. Was zur Hölle ist da geschehen? Ist das wirklich passiert? Am Morgen danach immer noch das eingemeißelte Grinsen im Gesicht beim Blick auf die Tabelle. Der 1. FC Köln hat tatsächlich schon wieder auf Schalke gewonnen – und grüßt nach vier Spieltagen als Bayern-Jäger von Tabellenplatz zwei.
Adieu Aufbaugegner, hallo Angstgegner!
Dabei war doch alles exakt so angerichtet, was den effzeh bei kriselnden Gegnern jahrelang enorm beliebt gemacht hat. Schalke war vor dem Westschlager in der Bundesliga noch sieglos, hatte sogar noch keinen einzigen Treffer erzielen können. „Hallo, 1. FC Köln“ – so hätten sich in der Vergangenheit unsere großartigen Halbgötter in rot-weiß vorgestellt, um dann bei Kaffee und Kuchen den kriselnden Gastgeber das Händchen zu halten und voller Gnade den Aufbaugegner zu geben. So ein bisschen kölsch-katholische Seelenrettung eben. Und zunächst wirkte es auch gestern Abend so: Zwei äußerst disziplinierte Teams gaben einander kaum Entfaltungsmöglichkeiten – bis zu dem Zeitpunkt, als der effzeh auf die Dreierkette wechselte, um das Schalker Zentrum um den starken Bentaleb in den Griff zu bekommen. Ein schwacher Aufbaupass von Dominique Heintz, eine erste Chance durch Choupo-Moting, der erneute Ballverlust – und dann stand Huntelaar nach Weltklasse-Zuspiel von Bentaleb frei vor Horn und ließ dem kölschen Olympia-Helden keine Abwehrchance (36.). Das erste Gegentor der Saison – und der erste Bundesliga-Treffer der „Königsblauen“ in dieser Spielzeit.
» Fotogalerie: Auswärtssieg auf Schalke
Wäre der effzeh noch der effzeh, wie wir ihn aus den letzten 20 Jahren gekannt haben, hätte der Spielfilm der Partie wie folgt ausgesehen: Das 2:0 noch kurz vor der Pause, dann leichtes Aufbäumen nach dem Seitenwechsel, dritter Gegentreffer mitten in diese Phase hinein, dann möglicherweise der Komplett-Zusammenbruch. Doch bei diesem feinen Verein aus der wundervollen Stadt am Rhein ist nichts wie bisher: Direkt nach dem Gegentor fällt kein weiteres, die Stöger-Schützlinge schlagen einfach zurück. Jojic flankt auf Modeste, der legt zurück auf Osako: Bumm, 1:1! (38.) Selbst die japanische Freundlichkeit, den Gegner möglichst nicht mit Negativerlebnissen zu belasten, hat einfach irgendwann ein Ende. Was danach auf Schalke folgte, war das neue Gesicht des 1. FC Köln: Sich den Gegner zurechtlegen, die Schwächen auskundschaften und dann eiskalt zuschlagen: Der eingewechselte Rausch sieht Modeste, der die Flanke des Neuzugangs aus zehn Metern ins Tor bugsierte (77.). Zwar mühte sich S04 und kam zu einer Großchance durch Huntelaar, aber abermals schlugen die Stöger-Schützlinge eiskalt zu: Özcan (18 Jahre alt!) tankte sich bei seinem Bundesliga-Debüt gegen den Abwehr-Haudegen Naldo durch und bediente den ebenfalls eingewechselten Zoller – die Entscheidung gegen letztlich blutleere und zu harmlose „Knappen“.
Starke Bank, starkes Team
Es ist eine der weiteren Geschichten dieser Partie: Dieser eiskalte effzeh, der vermutlich aktuell auch die Klimaerwärmung stoppen könnte, hat endlich eine Bank. Ließ man in früheren Zeiten sogar Plätze im Kader frei oder wechselte mangels Alternativen lieber gar nicht, bringt Peter Stöger nun drei Spieler in die Partie, die allesamt nochmals Impulse geben. Die Reize, die der als starker „In-Game-Coach“ geschätzte Österreicher setzt, funktionierten wie häufig brillant. Gerade Rauschs Hereinnahme für den eher schwachen Jojic, der seine Chance nicht nutzen konnte, sowie die Umstellung nach der Auswechslung des angeschlagenen Högers gingen auf wie ein Hefeteig unter einem feucht-warmen Handtuch. Was die Stärke der Mannschaft ausmacht, zeigte unter anderem auch eine Meldung aus der kölschen Heimat: Die verletzt fehlenden Leonardo Bittencourt, Thomas Kessler, Dominic Maroh und Artjoms Rudnevs schauten gemeinsam mit Reha-Coach Marcel Abanoz die Partie auf der Couch in der „Casa de Bittencourt“. Was für ein Teamgeist!
Qualitäten, die die Stöger-Schützlinge nach vier Spieltagen zu einem ernsthaften Anwärter für den Titel „Überraschungsmannschaft der Saison“ machen. Stritten sich die effzeh-Fans nach dem Saisonstart, warum es immer die anderen Vereine sind, die zur Verblüffung aller oben in der Tabelle stehen, ist es nun unser glorreicher 1. FC Köln, der in die Phalanx der Großen einbricht. Taktisch flexibel, unbequem zu bespielen und vor allem klar im Kopf: Schöpfen die Stöger-Schützlinge ihre Möglichkeiten weiterhin derart umfassend aus, müssen wir uns ernsthafter mit den Flugplänen nach Budapest, Kopenhagen und Rom beschäftigen. Das Zeug dazu, das zeigte die Partie auf Schalke, hat dieser unfassbar geile Haufen, der derzeit den Geißbock auf der Brust tragen darf!
[symple_accordion][symple_accordion_section title=”Keiner wird es wagen…”] Der 1. FC Köln ist saisonübergreifend seit neun Bundesliga-Spielen ungeschlagen, so lange wie zuletzt im Herbst 1991. Trainer war damals Jörg Berger, am Saisonende stand der 4. Platz und die letzte Europapokal-Teilnahme zu Buche. Zuletzt derart gut gestartet wie in dieser Spielzeit ist der effzeh 1989 unter Christoph Daum, der die “Geißböcke” zur letzten Vizemeisterschaft führte. Es scheint also alles angerichtet zu sein für ein großes Jahr! [/symple_accordion_section][symple_accordion_section title=”Was für Debüts!”] Erstmals trugen Konstantin Rausch und Salih Özcan in der Bundesliga das Trikot mit dem Geißbock auf der Brust. Weshalb Peter Stöger sie aufs Feld schickte, machten sie schnell deutlich: Rausch bereitete das 2:1 durch Anthony Modeste vor, Özcan legte den dritten Kölner Treffer für Simon Zoller auf. Ein gelungener Abend für den 18-jährigen Mittelfeldspieler, der sich bei seiner Bundesliga-Premiere gleich in die Scorerliste eintragen konnte.[/symple_accordion_section] [symple_accordion_section title=”Bärenstark zum Jubiläum”] In welch herausragender Verfassung Anthony Modeste derzeit ist, bekamen auch die Schalker Abwehrspieler zu spüren: In satte 27 Zweikämpfe warf sich der Franzose, der davon bärenstarke 67 Prozent für sich entscheiden konnte. Dass er dadurch nicht an Torgefährlichkeit einbüßt, zeigte er in der 77. Minute. Sein Treffer zum 2:1 brachte nicht nur den effzeh in Führung, sondern machte auch ein Jubiläum perfekt: Modestes eiskalter Abschluss war das 1000. Auswärtstor in der Bundesliga-Geschichte des 1. FC Köln! [/symple_accordion_section][/symple_accordion][do_widget id=text-28]