Throwback Thursday! Manche der jüngeren Anhänger des Ersten Fußballclubs Köln wissen es vielleicht nicht mehr, doch der effzeh besitzt eine durchaus glorreiche Vergangenheit. Jeden Monat picken wir uns eine besondere Geschichte heraus. Heute: Das späteste DFB-Pokalfinale der Geschichte am 29.8.1970 zwischen dem effzeh und den Kickers Offenbach.
Eigentlich hatte der glorreiche 1. FC Köln seinen zweiten Triumph im DFB-Pokal nach 1968 schon sicher in der Tasche, als es an einem lauen Sommertag Ende August gen Hannover ging. Bis dato war selten eine Mannschaft höher favorisiert als dieses Team aus der Domstadt um die vier deutschen Nationalspieler Kapellmann, Löhr, Overath und Weber gegen die Kickers Offenbach, die in den offiziellen Regularien noch als unterklassiges Team geführt wurden, obwohl sie das Pokalfinale bereits als Erstligist bestritten.
Weil die Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko bereits Ende Mai begann und damit weitaus früher startete als üblich, erlebte der DFB-Pokal ein Novum: Während die erste Runde noch wie vorher üblich im Januar 1970 ausgetragen wurde, war der restliche Wettbewerb auf die kommende Spielzeit terminiert. Beinahe im Stile einer Weltmeisterschaft wurde innerhalb von nur einem Monat Achtelfinale, Viertelfinale, Halbfinale und Finale ausgetragen.
Der effzeh, der in der abgelaufenen Saison als Vierter in den Messe-Pokal eingezogen war, war relativ souverän ins Finale eingezogen. Im Achtelfinale gab es ein 6:1 gegen den MSV Duisburg (Löhr und Flohe trafen jeweils doppelt), lediglich im Viertelfinale musste man lange zittern, gewann aber in der Verlängerung am Bökelberg durch ein Tor von Hemmersbach gegen Erzrivalen Borussia Mönchengladbach 3:2. Im Halbfinale gab es wiederum ein souveränes 4:0 bei Alemannia Aachen. Nach den ersten beiden Bundesliga-Spieltagen stand der effzeh zudem auf Platz zwei in der Liga.
Die Kölner Übermacht
Es war also nicht weiter verwunderlich, dass die Elf von Trainer Hans Merkle um ihre vier Nationalspieler, die kurz zuvor in Mexiko noch WM-Dritter wurden, mit einer breiten Brust ins Finale ging, wo mit den Kickers Offenbach ein Team wartete, das gerade erst den Aufstieg in die erste Liga gepackt hatte und formell im Pokal noch als Regionalligist galt, da der Wettbewerb ja noch aus der letzten Saison datierte.
Im Achtelfinale und im Halbfinale hatten sich die Offenbacher über die Verlängerung in die nächste Runde geackert. Generell wurde unter Interimstrainer Kurt Schreiner aber attraktives Kurzpassspiel gezeigt. Ganz unabhängig von der genauen Bezeichnung und Spielweise der Kickers war jedoch sowieso klar, dass Offenbach dem glorreichen Geißbockclub nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen konnte. Eigentlich.
[youtube http://www.youtube.com/watch?v=LRMtlpgS0fU]Passenderweise waren mehr als doppelt so viele Kölsche nach Hannover gereist, rein farblich war das Niedersachsenstadion komplett in rot und weiß getränkt, da ja auch der Herausforderer aus Hessen in jener Farbkombination seine eigene Identität erkannte. Und so war alles angerichtet für ein Pokalfinale mitten in der neuen Saison.
Als die beiden Teams das Feld betraten, ahnte noch niemand, dass dieses historisch so besondere Pokalfinale zu einem, wie Wolfgang Overath später offenbarte, „ganz, ganz schwarzen Tag in der Vereinsgeschichte“ werden sollte.
Eher Knabenchor als Orchester
Spätestens nach zehn gespielten Minuten war allerdings jegliches Favoritengequatsche vergessen. Offenbach war feldüberlegen, attackierte die Geißböcke erstaunlich früh und hatte nach vier Minuten bereits eine riesige Chance und neutralisierte Spielmacher Overath komplett. So wirkte der effzeh völlig gehemmt.
Die Kölnische Rundschau schrieb später nur: „Wolfgang Overath dirigierte in diesem Finale kein schwungvolles Orchester, das zum Tanz aufspielte, sondern einen zaghaften, schüchternen Knabenchor, der zum ersten Mal in der Öffentlichkeit aufzutreten schien.“ Und eben jener Knabenchor geriet in der 24. Minute völlig verdient in Rückstand.
Klaus Winkler umkurvte Karl-Heinz Thielen, als wäre dieser ein Kreisligaspieler, und knallte unhaltbar für Manglitz vorbei ins linke Eck. Eine Aktion, die das Pokalfinale für Thielen sehr schnell beendete. Nur kurze Zeit später, nach 31 Minuten musste der Verteidiger runter. Trainer Merkle brachte angefressen Stürmer Bernd Rupp.
“Overath lief hinter mir her”
Auch wenn dem effzeh weiter nicht viel gelingen wollte, rannte er immer weiter an, verlor sich aber immer wieder in der engmaschigen Kickers-Abwehr. Als der Kölner Druck in Richtung Unermesslichkeit stieg, konterten die Offenbacher. Nach einem Befreiungsschlag aus der Hintermannschaft schnappte sich Horst Gecks in der 63. Minute den Ball, rannte 60 Meter lang mutterseelenallein über das Spielfeld und schob eine Minute später zum 2:0 ein.
“Es war eine kuriose Sache. Ich war ja mit Borussia Mönchengladbach 1970 Meister geworden und wollte dann nach Köln wechseln. Die Kölner wollten mich nicht, einige Spieler hatten gemeutert. Ich habe den Vertrag zerrissen und bin nach Offenbach gegangen. Kurioserweise trafen wir im Pokal-Endspiel ausgerechnet auf den 1. FC Köln, auf jene Spieler wie Wolfgang Overath, die gegen mich gewesen waren. Das war natürlich ein Topspiel für mich. Ich erinnere mich noch heute, wie Overath hinter mir herlief und nicht mehr konnte. Die Partie wurde auch kurz unterbrochen. Köln bekam einen Elfmeter, der keiner war. Werner Biskup verschoss ihn. Es gab Tumulte auf dem Platz, aber am Ende war es ein riesiger Erfolg.” – Winfried Schäfer (via dw.de)
Erst der zweite Gegentor schien den effzeh richtig anzustacheln. Das Starensemble brauchte wohl die Herausforderung. Knappe zehn Minuten später: Flanke Flohe, Verlängerung Weber, Löhr köpft ins lange Eck. Anschluss. So klangvoll hörten sich damals noch Tore des Ersten Fußballclubs Köln an.
In der 81. Minute sollte sich dann doch alles zum Guten wenden für den großen Favoriten. Der eingewechselte Rupp tankte sich gegen drei Offenbacher durch. Dann ein Kontakt. Halb sank er, halb traf es ihn. Bis heute würde jeder Offenbacher schwören, dass nie und nimmer ein Foulspiel vorlag, doch Schiedsrichter Schulenburg zeigte auf den Punkt.
Elfmeter, Platzsturm, Heldentat
Was darauf folgte, würde heutzutage ein unfassbares mediales Echo entfachen. Da das späteste DFB Pokalfinale der Geschichte aber aus mangelndem Interesse und aufgrund des scheinbar bereits sicheren effzeh-Sieges nicht einmal live übertragen wurde, regte sich keine ganze Nation über “Hannover Gate” oder Ähnliches auf. Die Offenbacher Anhänger schienen jedenfalls so ganz und gar nicht einverstanden zu sein mit der Entscheidung. So stürmten etliche Fans das Feld. Ein ganz besonders groß gewachsener Herr kickte das bereits auf dem Elfmeterpunkt lagernde Leder mit Wut weg, und es kam zu Tumulten auf dem Spielfeld. Das Spiel stand kurz vor dem Abbruch.
Während die Spieler heutzutage bei einem Platzsturm möglichst schnell gen Kabine rennen, reagierte man vor 45 Jahren noch anders auf derartige Szenarien. Inmitten der ganzen Hektik zeichnete sich ein beinahe surreales Bild: Kicker-Keeper Karlheinz Volz saß in aller Ruhe auf der Torlinie und wartete einfach, bis sich das Chaos gelegt hatte.
“Ich hatte also ein wenig Zeit und habe mich hingesetzt, um mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Die Leute haben gesagt: »Der Volz spinnt.« Aber aus der »Sportschau« wusste ich, dass Biskup alle Elfmeter in die rechte Tormannecke schießt und ich halten werde.” – Karlheinz Volz (via 11Freunde)
Es kam so, wie Volz es vermutete: Die Ordnungskräfte bekamen das Chaos in den Griff, Biskup trat zum Elfmeter an, zielte aufs rechte Torwarteck und scheiterte. Auf der Tribüne wurden die ersten effzeh-Fahnen verbrannt. Das Spiel war durch, die Kölner am Boden. Kurze Zeit später pfiff Schiri Schulenburg ab, und der Offenbacher Jubel kannte keine Grenzen. Beinahe im September hatte das DFB Pokalfinale eine seiner größten Sensationen der Geschichte erlebt.
Während für die Offenbacher Siegesfeier sogar ein Teilabschnitt der A3 gesperrt wurde, wollte man in Köln den fest eingeplanten Autokorso auch irgendwie nicht absagen. So mussten die gescheiterten effzeh-Stars sonntags mit dem Auto durch die Innenstadt kurven, ohne irgendetwas gewonnen zu haben. Wolfgang Overath beschrieb die Fahrt durch leere Straßen als “regelrecht gespenstisch”.
Pokalfinale im August. Platzsturm. Verbrannte Fahnen. Klingt heutzutage nach Skandalspiel. Für die Kickers Offenbach, die vollkommen verdient in Hannover gewannen, ist es bis heute der größte Triumph der Vereinsgeschichte, für den glorreichen 1. FC Köln noch immer ein düsteres Kapitel der Historie. Wenn sich der effzeh dann aber dieses Jahr den Pokalsieg holt, ist das sicher alles vergessen…
Die Statistik:
effzeh: Manglitz – Thielen (31. Rupp), Hemmersbach, Simmet – Biskup, Weber, Kapellmann, Flohe, Parits, Overath – Löhr.
OFC: Volz – Reich, Weilbächer, Schmitt – Kremers, Schmidt, Weida, Bechtold (60. Nerlinger), Schäfer – Gecks, Winkler.
Tore: 0:1 Karlheinz Winkler (27.), 0:2 Horst Gecks (64.), 1:2 Hannes Löhr (73.)
Schiedsrichter: Gerhard Schulenburg
Zuschauer: 50.000 (Niedersachsenstadion, Hannover)