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Ehrentribüne

“Der liebe Gott war nicht auf unserer Seite”

Heute ist es Frechen-Habbelrath, vor 32 Jahren war es Köln Müngersdorf. Erinnerungen an ein kölsch-kölsches Finale, in dem der Geißbock seinen letzten Triumph nie wirklich feiern konnte.

Foto: Youtube.com / Zarastro1040

Die Mutter aller Derbys! Oder so ähnlich. Wenn heute im beschaulichen Frechen-Habbelrath der glorreiche 1. FC Köln die kleine Fortuna zum Stadtderby am äußersten Stadtrand empfängt, dann trifft ein ambitionierter Erstligist auf einen Verein, der sich nach etlichen Scheißjahren wieder in der dritten Liga etablieren will. Auch wenn der Verein aus der Südstadt schon immer die Underdogrolle im stadtinternen Duell einnahm, war der Klassenunterschied nicht immer so groß wie im Jahre 2015. So zum Beispiel am 13. Juni 1983, dem Tag eines historischen DFB-Pokalfinals.

In der 40. Auflage des deutschen Fußballpokals kam es zu einem Novum. Noch nie zuvor trafen zwei Teams aus einer Stadt aufeinander. Doch ausgerechnet im Müngersdorfer Stadion, das bereits zuvor als Endspielstadion feststand, sollte es zum ersten stadtinternen Finalgipfel kommen. Eine Metropole stand Kopf. Auf der einen Seite dieser sympathische, herzensgute Verein aus der Domstadt, der es als Außenseiter ins Finale geschaffte hatte, auf der anderen Seite der 1.FC Köln, der große 1. FC Köln. Beim Überraschungsteam war die Rede natürlich von der Fortuna, dem Verein aus der Südstadt, dem ewigen Zweitligisten. Bereits seit 1974 wurde im Süden Kölns zweitklassig gespielt. Einen Triumph wie diesen hatte man aber noch nie gefeiert. Im Viertelfinale besiegte man im Wiederholungsspiel die große Borussia aus Mönchengladbach um Lothar Matthäus, Armin Veh und Winnie Schäfer. Im Halbfinale setzten sich die Fortunen mit einem fulminanten 5:0 gegen die nicht weniger prominent besetzte Borussia aus Dortmund durch. Als Lohn winkte das wohl größte Spiel der Vereinsgeschichte. Das Pokalfinale gegen den stets übergroßen Stadtrivalen mit dem Geißbock auf der Brust.

Foto: Youtube.com / Zarastro1040

Foto: Youtube.com / Zarastro1040

Beim Lokalrivalen war die Lage eine ganz andere. Nach einer durchwachsenen Saison mit Rang fünf in der Bundesliga und dem trostlosen Aus in der dritten Runde des UEFA-Pokals gegen den AS Rom (jaja, junges Volk, so etwas war früher tatsächlich durchwachsen…) freute man sich eher weniger über das Finale gegen den fröhlichen Außenseiter aus Zollstock. Der damalige Kapitän Gerd Strack sah wenig positive Aspekte und meinte in der Buchdokumentation So ein Tag… rückblickend: „Für uns ging es buchstäblich um alles oder nichts und um unsere Situation wollte uns niemand beneiden. Unsere Möglichkeiten vorher: Entweder wir gewinnen souverän mit drei oder vier Toren Unterschied. Das wäre als absolut normal empfunden worden oder wir gewinnen knapp. Darüber hätte man schon gelacht. Schadenfreude wäre uns überall entgegengeschlagen. Oder noch schlimmer, wir verlieren. In diesem Fall hätte man den 1. FC Köln gleich auflösen können.“

Sowieso war die Stimmung im Kader nicht die beste. Im Mittelfeld krankte es an einem Gestalter, der erst im Winter verpflichtete Herbert Neumann war schon wieder auf dem Absprung, weil er keinen neuen Vertrag angeboten bekam. Torhüter Toni Schumacher ging unter größten Schmerzen ins Finale und sollte sich unmittelbar im Anschluss einer Meniskus-OP unterziehen. Jungnationalspieler Stephan Engels feilschte um einen neuen Vertrag und setzte dem Verein bereits die Pistole auf die Brust, indem er wenige Tage vor dem Finale offenbarte: „Ich habe drei interessierte Vereine, und auch im Ausland kann ich spielen.“ Zudem wurde am Finaltag selbst offengelegt, dass sich die effzeh-Verantwortlichen in Gesprächen mit Frankfurts Bruno Pezzey befanden. Das kam im Team nicht gut an. Und so ging es mit mächtig Druck ins kölsch-kölsche Finale.

Das weiße Ballett mit dem Geißbock auf der Brust und Doppeldusch auf dem Bauch tat sich schwer. Es tat sich nicht nur schwer, es enttäuschte von der ersten Minute an auf ganzer Linie. Die Fortuna war nicht einfach nur die leidenschaftlichere und kämpferisch stärkere Mannschaft, sie stellte den Klassenunterschied sogar auf den Kopf. Roland Hinterberger, der von Fortuna-Trainer Luppen den Auftrag bekam effzeh-Star Klaus Allofs in Manndeckung zu nehmen, schaltete den Stürmer des Bundesligisten komplett ab. Jürgen Gede wirbelte im Mittelfeld der Südstädter und offenbarte die effzeh-Probleme in eben jenem Mannschaftsteil. Ex-Profi Jupp Röhrig fluchte nach dem 0:0 nach 45 Minuten in der Pause Richtung effzeh: „Die machen sich doch die Hose voll!“

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Das Publikum vertrat Röhrigs Meinung. Und so hatten sich die größtenteils mit effzeh-Outfits erschienenen Zuschauer relativ schnell entschieden, dass sie das, was ihr vermeintlich favorisiertes Team da tat, doch scheiße ist. In einer Zeit, in der man das Wort „ultra“ höchstens zur Beschreibung des Coolness-Faktors von Nenas in diesem Jahr veröffentlichten „99 Luftballons“ benutzte, wechselten die Sympathien eben schnell. Und der effzeh wurde schließlich nicht umsonst als Real Madrid des Westens bezeichnet. Wie es bei schwachen Leistungen der königlichen Spanier auch üblich ist, fingen die Fans in Köln nach einer halben Stunde an die effzeh-Profis bei jedem Ballkontakt gnadenlos auszupfeifen, während die Fortuna begeistert gefeiert wurde.

„Der liebe Gott war nicht auf unserer Seite.“ – Fortuna-Präsident Jean Löring

Die Fortunen dominierten auch nach der Pause, brachten aber den Ball nicht ins Tor. Das erledigte schließlich auf der anderen Seite ein Mann, in dessen Beinen mehr O’s steckten als im Orinoco. In der 68. Minute bedrängten sich Fortuna-Keeper Helmschrot und Verteidiger Finkler gegenseitig. Das Leder kam frei im Fünfmeterraum auf, wo kein Geringerer als Pierre Littbarski stand und aus fünf Metern abstaubte. 1:0. im Stile einer Spitzenmannschaft. Oder so. Die Freude im Stadion kannte bekanntlich Grenzen.

Immerhin die knappe Führung schaffte es der hoch gehandelte Bundesligist und Europapokalteilnehmer dann relativ beschwerdefrei über die Zeit zu schaukeln. Es sollte zu dieser Zeit niemand für möglich halten, doch so gelang der Mannschaft von Rinus Michels der letzte große Triumph einer Kölner Mannschaft bis sich eine legendäre Truppe 32 Jahre später in überragender Manier den Florida Cup 2015 holen sollte. Hätte man vor Ort von der historischen Bedeutung dieses Pokaltriumphs gewusst, man hätte vielleicht etwas ausgiebiger gefeiert. So verkam die Ehrenrunde mit dem DFB-Pokal eher zu einem Spießrutenlauf. Der DFB-Pokalsieger erntete Pfiffe von allen Seiten. Die Rundschau titelte tags darauf „Weitere Sympathien leichtfertig verspielt!“

Sympathien gewonnen hatte dagegen der Underdog aus der Südstadt. Sofort nach dem Abpfiff meinte DFB-Präsident Hermann Neuberger zu Fortuna-Boss Jean Löring: „Herr Löring, ich geniere mich nicht, Ihnen zu sagen, dass die bessere Mannschaft heute verloren hat.“ Nationaltrainer Jupp Derwall, der mit Littbarski, Schumacher, Strack und Co etliche seiner Schützlinge unten auf dem Feld hatte stochern sehen, war bedient. „Der 1. FC Köln hat wenig geboten, sehr gehemmt gespielt und glücklich gewonnen“, so die Meinung des Bundestrainers.

“Herr Löring, ich geniere mich nicht, Ihnen zu sagen, dass die bessere Mannschaft heute verloren hat.” – DFB-Präsident Hermann Neuberger

Es war, wie Strack befürchtet hatte. Durch den knappen Sieg herrschte höchstens Schadenfreude. Fortuna-Präsident Löring fluchte: „Der liebe Gott war nicht auf unserer Seite.“ Am Abend bei der relativ intimen Siegesfeier musste Torhüter Toni Schumacher mit lädiertem Meniskus sogar noch einen Streit schlichten. Rocker hatten sich aus Wut am Geißbockheim mit Ordnungskräften am Geißbockheim eine Schlägerei geliefert. Der Keeper eilte herbei und gab den Streitlustigen eine Runde Bier aus. Auf den glücklichen Pokalsieg. Es sollte der vorerst letzte bleiben für eine lange, lange Zeit.

Eines bleibt jedenfalls rückblickend zu sagen: Heutzutage würde man sich über einen Pokalsieg in Müngersdorf wohl ein kleines Stückchen mehr freuen, auch wenn der Gegner im Finale aus der zehnten Liga käme. Im heutigen Testspiel müssen die effzeh-Profis sich wohl auch nicht vor Pfiffen fürchten, auch wenn die Fortuna gewinnt.

 

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