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Kolumnen

WM-Serie: Slapstick mit Kabänes und Streller

Zwei Jahre nach seiner Eröffnung erlebte das leidgeplagte RheinEnergie Stadion ein denkwürdig schlechtes Fußballspiel. In den Hauptrollen: Zwei Kölner Nationalspieler.

Die Fußballweltmeisterschaft ist neben den Olympischen Spielen das größte Sportereignis der Welt. Für die Vereinsmannschaften bedeutet das vor allem eines: Ruhe. Wir verweilen währenddessen aber nicht in den Liegestühlen und erinnern uns an FC-Helden oder Nicht-Helden aus den jeweiligen WM-Nationen. Heute: Ricardo Cabanas und Marco Streller als Hauptdarsteller in der Slapstick-Einlage WM-Achtelfinale.

Seit zwei Jahren stand es nun schon, das RheinEnergie Stadion, das architektonische Kunststück, was in mehreren Etappen peu a peu das Müngersdorfer Stadion am gleichen Fleck in Köln Müngersdorf abgelöst hatte. Die werten Seidentuchträger aus der Landeshauptstadt hatte man in die Schranken gewiesen und war WM-Standort dank dieser Mischung aus Schmuckkasten und Hexenkessel.

In seinem ersten Jahr der Existenz hatte der markante Pylonenbau verhältnismäßig viele freudige Ereignisse zu bieten. Eine solide Zweitligameisterschaft des ortsansässigen Klubs (1. FC Köln oder so) unter Trainer Huub Stevens und drei Confederations Cup Spiele, bei denen unter Anderem Mike Hanke (!!) für Deutschland gegen Tunesien traf und auch Ronaldinho oder Robinho für Brasilien zauberten, waren das gute Resultat des Eröffnungsjahres.

 © effzeh.com

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Bergab ging es erst ab dem 16. August 2005, als der weltoffene Kölner Kardinal Meisner den Eröffnungsgottesdienst zum Weltjugendtag in der zu diesem Zeitpunkt von vielen Nostalgikern noch „Müngersdorfer Stadion“ genannten Arena abhielt.

Als hätte der Glaubensmann einen Fluch auf das weite Rund gesetzt, sollte es in den folgenden Jahren vor allen Dingen eines ertragen müssen: Leid. Die Anhänger der hiesigen rot-weißen Heimmannschaft waren das ja schon aus den Jahren zuvor gewöhnt, dachten aber gerade nach dem erfolgreichen Eröffnungsjahr, dass das neue Stadion endlich wieder die Wende gen Europapokal herbeiführen würde. Weil Aufstiegstrainer Stevens sich verständlicherweise seiner schwer kranken Frau zuwendete, verpflichtete der Effzeh den Schweizer Hanspeter Latour (boulevardesk: Bergdoktor) für die Mission Klassenerhalt Meisterschaft. Im Stile Louis van Gaals brachte der dann in der Winterpause zwei Landsleute mit an den Rhein: Den Schweizer Fußballer des Jahres Ricardo Cabanas und Stuttgarts Erstligastürmer Marco Streller.

Und da standen sie nun. Eben jene genannten Spieler sogen die schwüle Abendluft des Sommermärchens ein und blickten durch das Stadion, in dem sie vor nicht allzu langer Zeit bitter abgestiegen waren. Sie schauten in die Ränge der Arena, in der Englands Fußballhoffnung Michael Owen sich vor sechs Tagen bitterböse das Kreuzband gerissen hatte. Cabanas und Streller, zwei der Symbolfiguren des Kölner Abstiegs in der Saison 2005/2006 hatten nicht nur eine psychisch und physisch höchst beanspruchende Bundesligasaison in den Knochen sondern auch 120 Minuten Fußballkrampf. Als Bonusmaterial, sozusagen als B-Seite einer grässlichen Saison hatte das RheinEnergie Stadion zu Köln exklusiv bei seinem letzten Weltmeisterschaftsspiel das wohl schlechteste WM-Endrundenspiel aller Zeiten erlebt. Exakt zwei Stunden lang hatten sich die Schweiz und die Ukraine in einem für ein WM-Achtelfinale unwürdigen Abnutzungskampf an Unzulänglichkeiten überboten. 0:0 nach 120 Minuten. Kaum eine Torchance hatten die Zuschauer in Köln gesehen, so dass sie sich nach einiger Zeit sogar dazu genötigt fühlten lautstarke „Lukas Podolski“ Sprechchöre anzustimmen und aus rheinischer Heiterkeit sowie Selbstironie eine Laola durch das Stadion fegen zu lassen.

Weil beide Mannschaften schlichtweg zu schlecht waren in der zuvor absolvierten Spielzeit ein Tor zu erzielen, mussten sie den unumgänglichen Weg über das Elfmeterschießen gehen. Nati-Trainer Köbi Kuhn vertraute seinen Kölner Spielern in deren „Heimstätte“, die statt deren Namen aber den eines deutschen Spielers herausspuckte. So ganz verdenken konnte man es dem Publikum nicht. Was dann folgte, lässt sich vielleicht mit dem Wort Tragikkomödie treffend beschreiben.

Elfmeter(ver-)schießen: Schweiz vs. Ukraine

Kapitel 1: Shevchenkos vs. Streller

Der Weltstar gegen den Kölner Stürmer. Schevchenko begann das Elfmeterschießen und vergab dem Spielverlauf angemessen gleich den ersten Ball vom Punkt aus. Marco Streller konnte die Schweiz also in Front bringen. Der Marco Streller, der in der abgelaufenen Bundesligasaison in nur 14 Einsätzen für den 1. FC Köln den Allzeit-Ewigrekord für „Fouls nach Abstößen“ aufgestellt hatte. Noch nie hatte man im gesamten Rheinland einen Stürmer gesehen, der so ungestüm in Kopfballduelle nach einem Abstoß ging. 195 Zentimeter maß der Schweizer und war damit eigentlich der ideale Empfänger für Abschläge des Torhüters. Das Problem war nur sein derart ungeschicktes Zweikampfverhalten, welches ihm in den 14 Spielen im rot-weißen Götterkabinett neben den gefühlt 7000 Fouls auch drei Gelbe Karten einbrachte.

 © Ebay

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Streller wirkte immer so unbeholfen, dass in diesem Moment wohl fast jeder Kölner mit Eiltempo in ein örtliches Wettbüro rannte, um sein Vermögen darauf zu setzen, dass der Schweizer Stürmer verschießt, spätestens nachdem man gesehen hatte, wie nervös dieser Mann vor der Ausführung seines Elfers mit der Zunge hin- und herwackelte. Natürlich kam es so. Streller nahm 100 Meter Anlauf, ging in irrem Tempo auf den ängstlich daliegenden Ball zu und packte dann einen unfassbar langsamen und schlechten Flachschuss aus, der in keinerlei Relation zum Anlauf stand aber sehr wohl in Relation zu seiner irgendwie verkorksten Saison. Das wirkliche Vermögen haben die Menschen gemacht, die just in diesem Moment alles darauf gesetzt hatten, dass dieser Marco Streller im Jahre 2014 ein erfolgreiches Champions League Team als Kapitän anführt.

Kapitel 2: Milevskyj vs. Barnetta

Des Dramas zweiter Akt hatte das Highlight des Abends zu bieten. Der Ukrainer Milevskyj mimte den Sarkast und stellte einen kompletten Spielerverlauf auf den Kopf als er nach diesen brutal schlechten 120 Minuten, nach dieser phänomenal schwachen ersten Runde im Elfmeterschießen den Mut aufbrachte einen völlig grotesken Heber auszupacken. Einen HEBER! Jetzt. Zu diesem Zeitpunkt. 1:0. Kein Mensch bekam den eigenen Mund auf, Milevskyj bat mit dem Zeigefinger vor seinem Mund trotzdem um Ruhe. Lustigerweise hieß ebenso der nächste Schweizer Schütze mit Vorname. Tranquilo Barnetta blieb aber ganz und gar nicht ruhig und haute seinen Schuss an die Latte. Einfach so.

Kapitel 3: Rebrov vs. Cabanas

Eigentlich war spätestens jetzt klar, dass die Schweiz auch nach hundert Elfmetern keinen mehr reinschießen würde, also war Torhüter Zuberbühler dazu gezwungen, die nächsten hundert Elfmeter zu halten.

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Machte er aber nicht. Rebrov schob den Ball kühl wie ein ukrainischer U-Boot-Kommandant rechts rein ins kölsche Netz, so dass aller Druck auf den Schulter von Ricardo Cabanas lastete, bei dem in Köln lediglich der Name Charme versprühte, weil er an einen örtlichen Kräuterlikör erinnerte (boulevardesk: Ricardo Kabänes).

Ansonsten waren die 16 Bundesliga-Auftritte des Schweizers in etwa so interessant wie die Superkombination aus Dieter Bohlen und Mark Medlock, in deren Genuss die deutschen Fernsehzuschauer ein halbes Jahr später kommen sollten. Es gab schon schlechtere Mittelfeldspieler im Kölner Trikot, es gab allerdings auch schon weitaus bessere.

Und so war es nur die logische Schlussfolgerung, dass eben jener Ricardo Cabanas seinen Elfmeter staubtrocken gegen Torwart Shovkovskyj schoss. Nicht wirklich schlecht, aber auch alles andere als gut.

Kapitel 4: Der goldene Schuss

Mit einem trockenen Schuss ins linke Eck erlöste Oleg Gusev die Schweiz dann endlich. Mit 0:3 nach Elfmeterschießen hatten in der Fußballgeschichte auch noch nicht viele Nationen verloren. Marco Streller ging danach erst einmal wieder nach Stuttgart zurück, lernte es langsam, auch ohne Fouls Kopfballduelle an der Mittellinie zu gewinnen und wurde so später Leistungsträger beim FC Basel. Ricardo Cabanas ging mit dem 1. FC Köln für ein Jahr in Liga zwei, spielte da aber genauso uninspiriert wie in der Bundesliga und wechselte danach zurück zu den Grasshoppers Zürich, wo er 2012 schließlich seine Karriere beendete. An das vielleicht schlechteste WM-Spiel aller Zeiten werden sich die beiden Hauptdarsteller des eidgenössischen Dramas aber wohl auch heute noch mit Schrecken erinnern. Das RheinEnergie Stadion erlebte in den Jahren danach dagegen noch wesentlich qualvollere Momente.

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