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Kolumnen

365 Tage ohne volles Müngersdorfer Stadion: Wie kann man sowas so krass vermissen?

Vor einem Jahr spielte der 1. FC Köln sein vorerst letztes Heimspiel im vollbesetzten Müngersdorfer Stadion. Die Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Normalität ist bei unserem Autoren spürbar riesig. Eine Ode an den Stadionbesuch.

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Foto: imago images / Uwe Kraft

Zeit ist relativ. So heißt es zumindest – denn ich bin physikalisch leider kaum bewandert. Wie schrecklich lang sich allerdings ein Jahr anfühlen kann, wenn man etwas unendlich vermisst, das kann ich nun beurteilen. Vor 365 Tagen war ich zuletzt im Müngersdorfer Stadion, um den glorreichen 1. FC Köln siegen zu sehen. Um genauer zu sein: Vor 365 Tagen war ich zuletzt in einem vollbesetzten Müngersdorfer Stadion, das vor Vorfreude flirrte, das vor Anspannung ächzte, das vor Freude bebte. Ich war beim Fußball, ich war beim FC, ich war am Leben. Dann schlug ein bis dato noch relativ unbekanntes Virus namens SARS-CoV-2 aka Corona zu – und veränderte alles.

Aber was für eine Vorstellung das war an diesem 29. Februar. Ein Spiel, das in Erinnerung bleiben wird. Schalke ’n Packung vum FC kräät. Gegen die „Knappen“ schoss sich das Gisdol-Team zu einem klaren 3:0-Heimsieg. Goldengel Sebastiaan Bornauw köpfte zu Beginn der Begegnung die „Geißböcke“ in Führung, kurz vor der Pause büffelte sich Jhon Córdoba gegen die gesamte S04-Defensive zum 2:0. Der Höhepunkt gegen schwache Schalker: Einen harmlosen Schuss von Florian Kainz bugsierte Gäste-Torwart Alexander Nübel in Slapstick-Manier selbst über die Linie. Was für ein Anblick, was für eine Szene, was für ein Erfolg. Der FC auf dem Weg aus dem Tabellenkeller Richtung Europa? In Köln schien für einen Augenblick alles möglich.

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Dem Fußball fehlt ohne Fans die Seele

Im Rückblick frage ich mich: Hätte ich, hätten wir es noch mehr genossen, wenn wir gewusst hätten, was kommen wird? Wer hätte es – außer Christian Drosten vielleicht – auch nur ahnen können, was im Anschluss an das Schalke-Heimspiel alles folgen wird? Nein, ich meine nicht den damals schon laufenden historischen Absturz der „Königsblauen“, der vermutlich neben dem Trainerentlassungsrekord mit dem Abstieg in die 2. Bundesliga enden wird. Nach dem Sieg gegen S04 folgte noch das Auswärtsspiel in Paderborn und danach war Schluss mit der großen Sause. Pandemie, Bundesliga-Pause, Spiele ohne Zuschauer – der ganze zwar verständliche, aber dennoch für einen Fußball-Fan höchst unerfreuliche Kladderadatsch.

“Nun gibt es freudlose Partien vor leeren Rängen, alles fühlt sich an wie die Kopie einer Kopie einer Kopie. Nun wird es uns jede Woche in Dauerschleife vorgeführt, was dem Fußball ohne Fans fehlt.”

Nun gibt es freudlose Partien vor leeren Rängen, alles fühlt sich an wie die Kopie einer Kopie einer Kopie. Wie sehr der Fußball als Sportart, als Veranstaltung und als Gemeinschaftserlebnis von denjenigen lebt, die den Helden in der Manege bei ihrem Treiben zuschauen, das war vielen bereits vor diesen Monaten bewusst. Nun wird es uns jede Woche in Dauerschleife vorgeführt, was dem Fußball ohne Fans fehlt. Die Seele. Und was uns Fans fehlt, wenn wir auf der Couch hockend mit Kölsch, Chips und Fernbedienung bewaffnet die Spiele unseres Lieblingsvereins verfolgen. Wenn wir nicht unseren Stammplatz im Stadion einnehmen – egal ob in der Südkurve oder auf der Westtribüne. Wenn wir nicht unser Team verfluchen und/oder nach vorne schreien können. Wenn wir nicht wir sind.

Endlich wieder Müngersdorf? Ich würde meinen Erstgeborenen geben!

Ach, 1. FC Köln. Wie kann man sowas so krass vermissen? Ich vermisse es, mich hektisch „ausgehfertig“ zu machen, weil ich vor der Abfahrt wieder zu viel Zeit vertrödelt habe. Ich vermisse es, mindestens vier Mal auf dem Weg nach Müngersdorf zu schauen, ob ich meine Dauerkarte nicht doch an der Pinnwand habe hängen lassen. Ich vermisse den Weg zum Kiosk, noch schnell zwei, drei Kölsch für die weite Reise nachzuladen. Ich vermisse die Enge der KVB, den Stau auf der Aachener und die Suche nach einem sicheren Abstellplatz für mein Rad. Ich vermisse den Geruch nach Rievkooche, nach Bier, Bratwurst und Ball. Ich vermisse es, meine Freunde an den Abelbauten im Empfang zu nehmen, mit ihnen an der Jahnwiese fachzusimpeln und mich dann endgültig bereit zu machen.

 

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Ja verdammt nochmal, ich vermisse sogar das Gedränge vor dem Eingang, die Möchtegern-Kontrollen der Ordner und den nervigen Piepton der Kartenscanner. Ich vermisse sogar in gewisser Weise all das Nervige, das mir einen Heimspielbesuch mitunter verleidet. Dieser schlimme Overkill an Werbung, die komplett überdrehte Beschallung, Cheerleader, Bierverkäufer, die den Blick aufs Spielfeld verdecken, Sektorentrennung, Überpräsenz an Polizei. Ich gebe gern zu: In der jüngeren Vergangenheit waren Heimspiele des 1. FC Köln oft Pflichtveranstaltungen für mich. Man ist halt da, weil man das schon immer so gemacht hat. Jetzt würde ich meinen Erstgeborenen dafür geben, all das endlich wieder zu erleben. Endlich wieder Müngersdorf, endlich wieder Stadion, endlich wieder FC.

Der Tag wird kommen, wo wir wieder singen und jubeln können

Die Vermissung ist riesig. Sogar so groß, dass ich ungefähr alle zwei Wochen den Weg in den Kölner Westen antrete und schaue, ob noch alles beim Alten ist. Ein Spaziergang zum Stadion nach Feierabend, eine Radtour nach Müngersdorf am Wochenende. Einfach nachsehen, ob das Schmuckstück noch steht, schließlich weiß man das in Köln nie so genau. Die Sehnsucht stillen und in Gedanken in anderen Zeiten verweilen. Die Treppen zum Jahndenkmal hoch und den Ausblick genießen. Durch die Abelbauten schlendern, den Stadionbogen an der Vorwiese betrachten. Erinnerungen an schlechte Spiele und gute Momente. Aber auch, um mich zu vergewissern, dass das alles tatsächlich passiert. Dass wir seit nun mehr einem Jahr nicht mehr in einem vollbesetzten Müngersdorfer Stadion waren.

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Foto: imago images / Uwe Kraft

Doch vorerst bleiben es nur Erinnerungen, vorerst wird es keine Rückkehr ins Stadion geben. Das ist richtig so, das ist vernünftig. Aber was ist schon vernünftig, wenn man vermisst? Ich freue mich jetzt schon auf das erste Spiel, wenn das alles vorbei ist. Wenn das Müngersdorfer Stadion wieder bis auf den letzten Platz gefüllt ist. In einem Müngersdorfer Stadion, das vor Vorfreude flirrt, das vor Anspannung ächzt, das vor Freude bebt. Es wird wie Weihnachten, Ostern und andere Feiertage zusammen auf einmal. Ich werde an die Zeit der Abwesenheit denken, an diejenigen, die das nicht mehr erleben können, ich werde weinen, singen, lachen, jubeln. Ich werde den 1. FC Köln verfluchen und/oder nach vorne schreien. Ach scheiße, wie kann man sowas so krass vermissen wie ich in diesem Moment? Ich glaub, ich fahre jetzt zum Stadion.

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