Denn gerade im eigenen Spielaufbau war die Gisdol-Elf besonders im ersten Durchgang gegen konzentriert verteidigende und mitunter sogar hoch anlaufende Berliner komplett überfordert. Immer wieder griffen Bornauw, Czichos & Co. auf den langen Schlag zurück, der allerdings bei der robusten Union-Defensive in besten Händen war. Im Kampf um den sogenannten „zweiten Ball“, den der FC als erfolgsversprechendes Mittel in seiner besten Saisonphase etabliert und häufig für sich entschieden hatte, zeigten sich die Gäste präsenter und besser organisiert. Darüber hinaus fehlten den „Geißböcken“ die Tiefenläufe, um das Überbrücken des Mittelfelds sinnvoll zu gestalten. „Wir erspielen uns offensiv zu wenig Chancen, das fehlt uns nach der Corona-Pause“, bemängelte etwa FC-Freigeist Mark Uth.
So überließ Union den Kölnern vermehrt den Ball, weil diese damit wenig bis gar nichts anzufangen wussten. Das war schon beim Auswärtsspiel in Augsburg oder den Heimpartien gegen Mainz und Düsseldorf der Fall. Die Stärken der „Geißböcke“, unter anderem im Umschaltspiel mit Dynamik und Wucht für Gefahr zu sorgen, wurden so neutralisiert, stattdessen die Schwächen im Spielaufbau überbetont. Die bittere Erkenntnis seit der Corona-Pause: Der FC hat große Mühe, den Ball geordnet in den eigenen Reihen zu halten. Daran dürfte sich bis Saisonende nichts mehr ändern, aber darüber hinaus wird es die wichtigste Aufgabe für das Trainerteam um Markus Gisdol sein, der Mannschaft einen Plan für den eigenen Ballbesitz einzuimpfen, der über „hit and hope“ wie einst unter Christoph Daum oder in den ersten beiden Bundesliga-Jahren von Peter Stöger hinausgeht.
Die Schlüsselspieler sind im Formtief
Dass der FC derzeit vor allem mit den spielerischen Herausforderungen fremdelt, liegt allerdings nicht ausschließlich an der taktischen Ausrichtung. Die Gisdol-Elf leidet auch massiv unter der Formschwäche einiger Leistungsträger, die vor der Corona-Pause noch geglänzt hatten. Auffälligster Akteur ist hierbei wohl Mark Uth, dem offensichtlich die beiden Fehlschüsse vom Elfmeterpunkt extrem nachhängen. Das Bemühen ist der Leihgabe des FC Schalke 04 nicht abzusprechen (auch wenn dies einige tun), doch derzeit geht, was der FC-Rückkehrer auch anfasst, größtenteils einfach schief. Symbolisch dafür eine Aktion zu Beginn der zweiten Hälfte: Mit viel Platz im Mittelfeld ausgestattet konnte sich Uth nicht zwischen Modeste und Cordoba als Anspielstation entscheiden und wählte dann abermals die falsche Option.
Doch der offensive Schlüsselspieler der „Geißböcke“ ist beileibe nicht der einzige Kölner, der sich seit der Fortsetzung des Bundesliga-Spielbetriebs außer Form präsentiert. Das Mittelfeldzentrum mit Kapitän Jonas Hector und Dauerläufer Ellyes Skhiri versucht sich derzeit vergeblich daran, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken und für die nötige Ordnung vor der eigenen Abwehr zu sorgen. Gerade Hector rieb sich zuletzt zunehmend in unglücklich endendem Aktionismus und entnervten Debatten mit den Schiedsrichtern auf. In vorderster Front ist Jhon Cordoba meistens auf sich allein gestellt, doch auch der Kolumbianer, der gegen Union in der Nachspielzeit sein 13. Saisontor erzielte, konnte sich zuletzt nicht in Szene setzen wie noch zu Beginn der Rückrunde.
Ist der Zauber bereits verflogen?
Taktische Ausrichtung, körperliche und mentale Verfassung, Formschwäche wichtiger Akteure: Das alles sind Problemfelder, die vermutlich nicht mehr im Saisonendspurt gelöst werden können. Doch es wirft unangenehme Fragen auf, die sich der 1. FC Köln und seine (sportlich) Verantwortlichen gefallen lassen müssen. Und auch selbst stellen sollten. War der Zwischenspurt von Spieltag 15 bis Spieltag 25 nur ein Strohfeuer, das nicht nachhaltig am Brennen gehalten werden kann? Natürlich blicken einige mit Sorgen auf die aktuelle Entwicklung der Mannschaft. Schon in Hamburg hatte Markus Gisdol seine Spieler emotional packen und mit dem nötigen Rüstzeug ausstatten können, um den Kampf um den Klassenerhalt erfolgreich zu gestalten. Danach folgte zum Start in die folgende Saison ein Leistungsloch, das dem derzeitigen der „Geißböcke“ gleicht.
Die Chance, aus dieser Situation gelernt zu haben, hat sich der FC-Coach allerdings redlich verdient. Und auch das Vertrauen zu zeigen, dass der Zauber des Frühjahres nicht endgültig verflogen und die Spielweise der „Gisdol-Geißböcke“ noch nicht komplett dechiffriert ist. Dafür müssen die Verantwortlichen wichtige Fragen beantworten: Wie können die Schwachstellen behoben, die Stärken des Kaders wieder mehr zur Geltung gebracht werden? Welcher Ausrichtung soll die Mannschaft kurz- und mittelfristig folgen? Auf welchen Positionen sieht der FC Handlungsbedarf? Gerade nach dem Saisonendspurt sollte es klare Antworten geben, um den Vertrauensvorschuss nicht zu verspielen. Denn auf diesem Weg sind die „Geißböcke“ wieder einmal: Eine Spielzeit, die letztlich zufriedenstellend mit dem Erreichen des Saisonziels abgeschlossen werden wird, mit einem schlechten Gefühl zu beenden!