Nach der dritten Niederlage im vierten Spiel der Zweitliga-Rückrunde wird der Wind rauer am Geißbockheim. Es ist das zweite Mal in dieser Saison, dass beim Aufstiegsfavoriten keine Zufriedenheit wegen der sportlichen Leistungen der Profis herrscht – bereits im November war man nach der 0:1-Niederlage gegen den Mitbewerber aus Hamburg zusammengekommen, um über die Konsequenzen der Schwächephase zu diskutieren. Der für das Sportliche verantwortliche Geschäftsführer Armin Veh erklärte nun nach dem 2:3 in Paderborn: “Natürlich kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn man so ein Spiel verliert. Von den letzten vier Spielen haben wir drei verloren. Das ist eindeutig zu viel. Das können wir uns als FC nicht leisten.”
Danach richtete er einen Appell an das Trainerteam um Markus Anfang, das jetzt gefragt sei, “Lösungen zu finden”. Veh ergänzte: “Wenn wir Phasen haben, in denen wir keine Souveränität besitzen, brauchen wir dafür Lösungen. Wir müssen unsere Spiele gewinnen. Nach der letzten Niederlage ist das Ziel gefährdet.” Nachdem sich der 1. FC Köln früh auf Anfang als Cheftrainer für die Zweitliga-Saison festgelegt hatte, strahlte der Aufstiegsfavorit in dieser Spielzeit nur phasenweise die Dominanz aus, die sich Vorstand, Geschäftsführung, Fans und Mannschaft gewünscht hatten. Durch die klare Ansage an das Trainerteam wird der Druck nun größer für Anfang und seine Kollegen – ist der effzeh gar gezwungen, die Trainerposition neu zu besetzen? Wir setzen uns mit dieser Frage in einem “Pro und Contra” auseinander.
Warum Markus Anfang beim 1. FC Köln bleiben sollte
Es verbleiben für den Moment 13 Spiele für den 1. FC Köln, um die Rückkehr in die Bundesliga sicherzustellen. Damit das gelingt, sollte der Absteiger aus der Vorsaison über den Daumen gepeilt etwa 64 oder 65 Punkte erreichen – es fehlen derzeit also 25 oder 26 Punkte. Legt man den geforderten Zwei-Punkte-Schnitt zugrunde, landen die “Geißböcke” am Ende der Saison also höchstwahrscheinlich auf einem der beiden Aufstiegsplätze. Zwar ist alle Statistik Makulatur, wenn auf dem Feld Dinge passieren, die nicht vorhergesehen werden können. Das Portal “FiveThirtyEight” liefert mathematische Berechnungen und Vorhersagen auf Grundlage von erhobenen Daten – auch in Bezug auf die 2. Bundesliga.
Foto: Thomas F. Starke/Bongarts/Getty Images
Einen möglichen Wiederaufstieg des 1. FC Köln weist die Seite momentan mit einer Wahrscheinlichkeit von 76 Prozent aus – damit liegen die Kölner sogar noch vor dem HSV. Eine Grundlage der Berechnungen ist auch der xG-Wert (expected goals, also erwartbare Tore), der die abgegebenen Schüsse der Mannschaften in Relation zur Position auf dem Spielfeld quantifiziert und in Vergleich zu den jeweiligen Gegnern setzt. Der effzeh weist hier die besten Werte auf und liegt deswegen in der Saisonendprognose auf dem ersten Rang. Welchen Aussagewert diese Prognose dann letztendlich hat, darf jeder für sich selbst entscheiden – fest steht jedoch, dass Panik aufgrund der sportlichen Leistungen des 1. FC Köln derzeit eher unangebracht ist.
Die Entwicklung einer eigenen Identität als Vorteil
Dass Markus Anfang ein offensiv denkender Trainer ist, konnte bereits in den vergangenen beiden Spielzeiten beobachtet werden, als er mit Holstein Kiel von der 3. Liga in die 2. Bundesliga aufgestiegen war, dort für Furore sorgte und letztlich nur knapp in der Relegation am VfL Wolfsburg scheiterte. Die spielerische Identität der “Störche” setzte dabei auf viel Dominanz im eigenen Ballbesitz und den Mut, den Ball haben zu wollen und etwas zu kreieren. Der Trainer arbeitete mit Spielertypen zusammen, die dieses Credo umsetzten und auf Deutsch gesagt “Bock” dazu hatten, mit dem Ball etwas Vernünftiges anzufangen.
Dass die langfristige Etablierung einer Spielidee auch ligenübergreifend funktionieren kann, stellte nicht nur Holstein Kiel unter Markus Anfang unter Beweis, sondern auch der jüngste Gegner des 1. FC Köln: Der SC Paderborn zählte in der vergangenen Spielzeit in der 3. Liga bereits zu den offensivstärksten Mannschaften und veränderte seine Herangehensweise eine Etage weiter oben nur marginal.
Auf der nächsten Seite: Was man Anfang ankreiden kann – und was nicht.
Insgesamt ist es in der Arbeit mit einer Mannschaft bedeutend schwieriger, eine auf Prinzipien zu beruhende Spielidee zu entwickeln, die sich um das Agieren im eigenen Ballbesitz dreht. Nimmt man das Vier-Phasen-Modell aus der Ajax-Schule als Grundlage, scheint es am einfachsten, eine Mannschaft aufzubauen, die sich insbesondere im Arbeiten gegen den Ball und im Kontern nach Ballgewinn am wohlsten fühlt.
Was getan werden muss, wenn eine Mannschaft selbst den Ball hat und ihn verliert, erfordert deutlich mehr intensives Arbeiten und vor allem auch die entsprechenden Spielertypen, die die ihnen zugedachten Rollen ausfüllen können. Dass der 1. FC Köln in jedem Spiel in der 2. Bundesliga in der Lage ist, sich Torchancen herauszuarbeiten und diese auch zu nutzen, ist ein Fakt – die Qualität in der Offensive ist so groß wie bei keinem anderen Zweitligisten.
Über diesen Zusammenhang sollten auch die jüngsten Auftritte beispielsweise in Berlin oder auch phasenweise gegen Paderborn nicht hinwegtäuschen – wenn der 1. FC Köln saubere Pässe spielt, den Ball reibungslos ins Mittelfeld und zu seinen Spielentscheidern bekommt wie Dominick Drexler oder Louis Schaub, dann wird es gefährlich und die Chance auf Siege steigt.
Die Defensive muss gestärkt werden
Das Problem, und hier beginnt die eigentliche Diskussion, liegt eher in der Arbeit in der Defensive. Die Anzahl der Gegentore ist zu hoch, der effzeh muss selbst zu viel Aufwand betreiben, um mit den erzielten Toren Punkte zu holen – zum Vergleich: Der HSV holt im Durchschnitt mit jedem erzielten Tor 1,4 Punkte, während die “Geißböcke” nur 0,73 Punkte pro Tor erzielen. Hier liegt der Hase im Pfeffer, hier darf man berechtigte Kritik an Markus Anfang üben. Das Leitmotiv dieser Saison beim 1. FC Köln lautet Balance, das Gleichgewicht zwischen Offensive und Defensive.
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Bei allem Lob für die offensive Ausrichtung der Mannschaft gehen in der Defensivarbeit bisweilen die Basics verloren, woraufhin die Mannschaft einfache Gegentore (und davon zu viele nach Standardsituationen) bekommt. Auch das Coaching in den Schlussphasen der Spiele bei Rückstand oder Führung löste in einigen Partien Stirnrunzeln aus – Sörensen als Stürmer? Nur noch lange Bälle, wenn dringend ein Tor benötigt wurde? Diese Fehler dürfen sich nicht in dieser Vielzahl wiederholen, wenn der effzeh die 65-Punkte-Marke erreichen will.
Markus Anfang und seine Kollegen sind also gefordert, in der Analyse der jüngsten drei Niederlagen den Finger in die Wunde zu legen und dabei auch an Selbstkritik nicht zu sparen. Die Hände sind ihnen jedoch gebunden, wenn den Spielern (wie gegen Bochum und Berlin) Fehler bei der Ballannahme oder im Verschieben unterlaufen, die bereits in der ersten Minute zu einer Führung des Gegners führen.
Trainerwechsel nicht die richtige Lösung für die Probleme
Genauso schwierig ist es für einen Trainer, Distanzschüsse wie am vergangenen Freitag zu verhindern – da sind die Spieler durch energischeres Herausrücken gefordert. Anfang muss darauf einwirken, dass seine Akteure die Leidenschaft dafür entwickeln, das eigene Tor und damit den Sieg zu verteidigen. Das wird er seinen Spielern einschärfen müssen, damit die Kritik nicht noch weiter zunimmt. Wenn diese Basiselemente fehlen, wird es für den 1. FC Köln in der 2. Bundesliga schwer, nachhaltig zu punkten.
Und gehen wir davon aus, dass die Spieler nach wie vor von Anfangs Projekt überzeugt sind, so wird die Reaktion in erster Linie von ihnen kommen müssen – wenn im Binnenverhältnis zwischen Trainer und Mannschaft allerdings etwas im Argen liegen sollte, was wir nicht hoffen, dürfte es tatsächlich schwierig werden. Dass ein Trainerwechsel zu diesem Zeitpunkt der Saison (auch mangels passender Alternativen) nicht die richtige Lösung scheint, ist hoffentlich aus den obigen Passagen hervorgegangen. Der 1. FC Köln hat eine gute Ausgangslage – Anfang muss die richtigen Schlüsse ziehen, um diese in der Endphase der Saison nicht zu verspielen.