Lieber Cello!
Seit Donnerstag hast Du keinen gültigen Vertrag mehr beim 1. FC Köln. Das war zuletzt am 30. Juni 2013 der Fall. Kinder, die heute in die dritte Klasse gehen, kennen gar keinen anderen Zustand, als dass Du Spieler des glorreichen FC bist – daran konnte auch eine zwischenzeitliche Leihe zur Viktoria nichts ändern. Aber ich glaube, es ist nicht zu verwegen, wenn ich sage, dass Du den FC auch auf der anderen Rheinseite weiterhin im Herzen tragen wirst. So wie du dir die Tinte unter die Armhaut hast stechen lassen, ist der FC in dein Herz tätowiert. Sonst hättest du wohl nicht acht Jahre für uns die Knochen hingehalten und sprichwörtlich alles auf dem Platz gelassen. Leider viel zu oft auch deine Gesundheit. Bedauerlicherweise plagt dich der Fluch, der vielen filigranen Fußballern anhaftet: die Knochen, Muskeln und Bänder sind zu zart, zu schnell gehen sie kaputt.
Jeder, der deine technischen Fähigkeiten auf dem Rasen bewundern durfte, weiß aber, dass nur diese Knochen, nur diese Muskeln und nur diese Bänder dich zu dieser Art Fußball befähigt haben. Vielleicht hättest du also robuster Verteidiger mehr Spiele in deiner Kariere absolvieren können – aber Du hättest nicht so spielen können, wie nur Du es kannst. Deshalb hoffe ich, dass Du Dich nicht grämst ob der Frage, was hätte sein können, sondern freue Dich an dem, was Du bei uns erreicht hast. Auch uns Fans werden viele Momente aus Deinen acht Jahren bleiben. Nicht nur Deine offensiven Läufe, meist von butterweichen, aber zielgenauen Flanken gekrönt, sondern auch, dass Du dich sogar als Aushilfs-Rechtsverteidiger in jeden Zweikampf geworfen hast und manchen Linksaußen des Gegners zum verwunderten Kopfkratzen bewogen hast: „Der Risse, ist das nicht eigentlich ein Offensiver? Warum macht der mir hier hinten das Leben so schwer?“.
https://twitter.com/fckoeln/status/1413105589211836416
Logenplatz für den ersten Geniestreich
Vielleicht erlaubst Du mir, an dieser Stelle zwei Anekdoten aus deiner langen Vereinsgeschichte zum Besten zu geben, die illustrieren sollen, was Du uns hier gegeben hast: Ich saß an einem nassgrauen Oktoberabend im Jahre des Herren 2016 ganz weit unten auf der West. So ungefähr auf Höhe der 35-Meter-Marke. Was ich beim Betreten des ehrwürdigen Müngersdorfer Stadions noch nicht wissen konnte: Dieser Platz war ein Logenplatz für ganz großes Theater. Es begab sich in der 35. Minute, dass der Hoffenheimer Lukas Rupp deinen Mannschaftskollegen Simon Zoller rüde umstieß. Freistoß. Aber aus 35 Metern. Was soll da schon anbrennen?
Ich sehe es noch vor mir, als wäre es erst fünf Minuten und nicht fünf Jahre her: Matze Lehmann tickt den Ball an, fast schon etwas zu weit, man dachte, der Ball ginge zu weit nach außen, aber, ich Ungläubiger!, das war alles Teil des genialen Masterplans, denn der Ball lag so perfekt für Deinen rechten Huf, dass Du ihn in einem unwiderstehlichen Strahl in den Winkel des Hoffenheimer Tors gezimmert hast, dass selbst ein Baumann im Tor dieses nicht vernageln konnte. 1:1, Ausgleich, wieder Hoffnung. Am Ende sollte der FC in die nächste Runde vordringen.
“So einem Tor gehört die ganz große Bühne. Die Mona Lisa hängt man ja auch nicht in einen dunklen Kohlenkeller, sondern in den Louvre.”
Wo andere sich nun aber auf diesem wunderbaren Tor ausgeruht hätten, vielleicht sogar eine ganze Legende darauf aufgebaut hätten, hast du beschlossen, dass diese Pokaltor nur ein Training für den ganz großen Moment war. So ein wunderbares Tor verdient es gar nicht, in der 36. Minute einer zweiten Pokalrunde gegen einen egalen Gegner geschossen zu werden: So einem Tor gehört die ganz große Bühne. Die Mona Lisa hängt man ja auch nicht in einen dunklen Kohlenkeller, sondern in den Louvre. Und ganz wie Da Vinci sich auch nicht damit zufrieden gegeben hat, bereits „Das Letzte Abendmahl“ gemalt zu haben und sich eben mir der Mona Lisa auch im weltlichen Bereich unsterblich gemacht hat, so hast auch Du dein Hoffenheim noch gekrönt.
In der Nachspielzeit zum Derbyhelden
Cut zu drei Wochen später: 91. Minute. Derby. Der Ort: Eine undefinierbare Wellblechhütte irgendwo am Niederrhein. Der Autor dieser Zeilen dieses Mal vor dem heimischen TV. Es steht 1:1 im Derby, die Elf vom Niederrhein bis dahin, so ehrlich muss man sein, überlegen, der Ausgleich höchst glücklich und nicht wirklich verdient, aber Fußball ist manchmal nicht gerecht. Aber vielleicht gibt es ja irgendwo doch einen Fußballgott, der gar kein Gerechtigkeitsfanatiker ist, sondern eher ein Ästhet? Der die Bühne bereitet hat, für jene 91. Minute. Die Ausgangslage ganz ähnlich: gute 30 Meter, indirekt, diesmal mit Salih Özcan an Stelle von Matze Lehmann, aber was soll schon anbrennen? Aus 30 Metern? Sogar noch etwas weiter außen als gegen Hoffenheim. Letzte Aktion des Spiels, dann geht die Heimmannschaft zwar unzufrieden, aber wenigstens mit einem Punkt in die Kabine.
Aber nicht mit Dir! Ob Yann Sommer wohl das Hoffenheim-Spiel gesehen hat? Ob er wohl wusste, was ihm blüht? Vielleicht ist Yann Sommer ja tief in seinem Herzen auch Fußballästhet und wird irgendwann mal auf seine Karriere zurückblicken und sich freuen, in erster Reihe dabei gewesen zu sein, als große Kunst direkt vor seinen Augen kreiert wurde? Halten hätte er den Ball ohnehin nicht können. Der Rest war Ekstase. Der Rest wurde Geschichte. Manch einer hat diese Geschichte sicherlich als Tinte unter der Haut, aber so, wie Du den FC immer im Herzen hast, haben wir auch Dich – nicht nur wegen dieses Tores – immer im Herzen. Es wird mehr bleiben als dieses eine Tor. Was bleiben wird, ist nämlich: Wo in Jahren der Finsternis und Tristesse der Fußball beim FC mehr gearbeitet oder gar geackert wurde, warst du ein spielerischer Lichtblick. Wo Villabajo noch arbeitete, spieltest du, Cello. Und wir alle fanden dich so erregend.
Mach et jot, Jung. Bliev jesund. Und spiel noch lange weiter, Cello.