Markus Gisdol machte sich unmittelbar nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Stieler auf den Weg in die Kabine. Möglicherweise war es ein “call of nature”, vielleicht wollte er sich nach der 0:4-Niederlage gegen Bayer Leverkusen einige Momente lang sammeln. Er hatte wohl selten ein Spiel einer von ihm trainierten Mannschaft gesehen, in dem das Team so eklatant unterlegen war wie an diesem Mittwochabend in Müngersdorf.
Haushoch überlegene Leverkusener
Gewiss, seine Mannschaft war gelaufen – wenn auch zumeist hinterher. Bei der “Werkself” hatte man dagegen den Eindruck gehabt, sie absolvierten die gesamten 90 Minuten im Vollsprint. Wenn man nicht gerade FC-Fan war, konnte man nicht umhin, bei der Darbietung der Bosz-Elf nichts als puren Genuss zu empfinden. So schön kann Fußball sein! Ein Rädchen fügte sich ins andere, jeder Spieler im schwarzen Dress schien zu wissen, wohin sich seine Mitspieler in den nächsten Augenblicken bewegen würden, traumwandlerisch sicher reihte sich Kombination an Kombination.
Markus Gisdol hatte dem entgegenwirken wollen durch die Formation, die aus den letzten drei Spielen sieben Punkte geholt hatte. Lediglich der gesperrte Ondrej Duda wurde durch Sebastian Andersson ersetzt. Von Beginn an kannte die Partie nur eine Richtung – auf das von Timo Horn gehütete Kölner Tor zu. Es waren gerade acht Minuten absolviert, als der Ball zum ersten Mal im Tor der “Geißböcke” lag. Sebastiaan Bornauws zu kurze Kopfballabwehr nutzte ausgerechnet Mitchell Weiser, langjähriger Nachwuchsspieler des FC, mit einem fulminanten Volley in den rechten Torwinkel zur Leverkusener Führung.
Schneller Rückstand in einem einseitigen Spiel
Nur zwei Minuten später lief Moussa Diaby ungehindert auf Horns Tor zu und vollendete mit einem präzisen Flachschuss ins linke Eck zum 2:0 für Bayer. Die Überlegenheit der “Werkself” hielt unvermindert an, es entwickelte sich ein Katz und Maus in Müngersdorf. Die Farbenstädter spielten mit ihrem Gegner, ohne bereits jetzt den Sack zuzumachen. In der 35. Spielminute hatten die Kölner Glück, als der VAR Schiedsrichter Stieler anwies, einen Zweikampf zwischen Jannes Horn und Leon Bailey zu überprüfen, Stieler es aber bei der Gelben Karte für den FC-Verteidiger beließ.
Nach der Halbzeit brachte Gisdol Kingsley Ehizibue für Jan Thielmann ins Spiel, schon vor der Pause war Dimitrios Limnios für Jannes Horn eingewechselt worden. Am Spielverlauf änderte sich nichts. Gar nichts. Torchancen für den FC? Null. Anders die Leverkusener: Patrik Schick erzielte das 3:0 für Bayer nach Flanke von Diaby (55.), nur drei Minuten später traf Florian Wirtz zum 4:0. Ein Treffer, der im Torhüterteam des FC thematisiert werden sollte, zeigte Timo Horn hier im 1-gegen-1 doch erneut seine Angewohnheit, nach hinten abzukippen und dadurch die Körperfläche zu verkleinern statt sie zu vergrößern.
Torerfolg für das Kölner Eigengewächs Florian Wirtz
Florian Wirtz feierte seinen Treffer ausgiebig mit einem speziellen “Grinse-Jubel”, der verdeutlichte, dass seine Verbundenheit mit dem Verein recht überschaubar ist, dem er als Achtjähriger 2011 beitrat, der ihn bis Ende 2019 ausbildete, bevor er ihn im Januar 2020 gen Bayerkreuz verließ. Möglicherweise ist die ausgelassene Freude seinem jugendlichen Alter zuzuschreiben. Vielleicht.
Sieht man allerdings, wie leichtfüßig, technisch perfekt und ausgestattet mit einem ausgezeichneten Blick für gefährliche Offensivaktionen Wirtz agiert, muss man sich schon fragen, wieso die damaligen sportlich Verantwortlichen des FC um Sportgeschäftsführer Armin Veh ein solches Talent leichtfertig ziehen lassen konnten. Wie zu hören war, hatte man die sicherlich sehr verdienstvollen Leiter des NLZ seitens der Kölner die Verhandlungen mit dem gebürtigen Brauweiler führen lassen, wohingegen Bayer die volle Kapelle auffuhr: Rudi Völler, Simon Rolfes und Peter Bosz. Es hat den Anschein, dass auch ein erklärter Vollprofi vor fatalen Fehleinschätzungen nicht gefeit ist.
Erkenntnisse des Spiels
Das Spiel plätscherte fortan vor sich hin, Bayer hatte nach wie vor alles im Griff. Patrik Schick traf noch den Pfosten, Timo Horn parierte einige Bälle, zu Chancen kam ausschließlich die “Werkself”. Anthony Modeste wurde noch eingewechselt, auch Jonas Hector stand zum ersten Mal seit September 2020 wieder auf dem Rasen des Kölner Stadions.
Was bleibt nach diesem Spiel? Die Erinnerung an den kämpferischen Einsatz von Salih Öczan, der sich mit Vehemenz den Leverkusenern entgegenstemmte. Die Schnelligkeit von Iso Jakobs, der als einziger den Farbenstädtern auf diesem Gebiet einigermaßen Paroli bieten konnte. Die Gewissheit, dass auf der einen Seite elf Künstler den grünen Rasen verwöhnten, die mit beneidenswertem Können und großer Freude den Ball bewegten, während ihnen elf biedere Handwerker gegenüberstanden, die ihre Grenzen schonungslos aufgezeigt bekamen.
Die Stimmen nach dem Spiel
Markus Gisdol zollte dem Gegner großen Respekt für eine perfekte Leistung: “Man hat heute schon gesehen, warum Bayer an der Tabellenspitze steht. Sie haben von Anfang an mit schnellen Passfolgen, hohem Tempo und wenigen Kontakten gespielt. Wir haben dadurch eigentlich nie richtigen Zugriff bekommen. Wir haben natürlich versucht ins Spiel zu kommen, der Gegner hat uns nur nicht den Gefallen getan. Sie waren heute einfach deutlich besser.”
Das war guter Fußball mit super Toren oder anders gesagt: super Fußball.
Peter Bosz gab seiner Zufriedenheit mit dem Spiel seiner Mannschaft Ausdruck: “Ich bin sehr zufrieden mit dem, wie wir gespielt haben. Da war sehr viel Energie drin. Natürlich geht das alles viel einfacher, wenn man da steht, wo wir gerade stehen. Das war guter Fußball mit super Toren oder anders gesagt: super Fußball.”
Iso Jakobs sprach den schnellen Rückstand an: “Wir haben die ersten 15 Minuten komplett verpennt. Wenn man gegen so einen Gegner dann 0:2 hinten ist, ist es einfach schwer. In der Halbzeit hatte ich das Gefühl, dass wir alle das Spiel noch umdrehen wollen. Aber nach dem 0:3 war alles klar. Das müssen wir jetzt abhaken und am Samstag geht es weiter.”
Der Blick zum nächsten Spiel
Die “Werkself” präsentierte sich am Mittwochabend als zur Zeit beste deutsche Mannschaft. Besser als der BVB, besser als die Elf vom Niederrhein und auch besser als die Bayern. Das einzige Team, das sich mit den Leverkusenern einigermaßen auf Augenhöhe befindet, ist der Brause-Club aus Leipzig. Und ausgerechnet dorthin führt die nächste Reise des 1. FC Köln.
Gewiss, Ondrej Duda wird wieder an Bord sein, Jonas Hector aber keine wichtige Rolle spielen können, zu sehr merkt man ihm die mehrmonatige Spielpause an. Markus Gisdol wird wohl erneut die Taktik wählen, die in Dortmund und Mainz zum Erfolg geführt hatte. Inwieweit sie dem Hochgeschwindigkeitsfußball der Leipziger Stand halten kann, bleibt abzuwarten. Eine Portion Skepsis scheint dabei durchaus angebracht.