Friedhelm Funkel stutzte kurz, als ihn der Reporter in der Pressekonferenz nach der 0:1-Niederlage gegen Holstein Kiel fragte, ob er jemals in seiner langen Trainerkarriere in einem Spiel, einem wichtigen und vorentscheidenden zudem, eine Startformation ohne einen einzigen gelernten Stürmer auf das Spielfeld geschickt hatte. “Da muss ich lange zurückdenken, ich glaube nicht”, radebrechte er, bevor er – ganz Medienprofi, der er ist – sich schnell wieder gefangen hatte und darauf verwies, dass Hector und Duda im Sturm “das gegen Leipzig superklasse gemacht hatten”.
Geduldig beantwortete er auch die weiteren Fragen der Medienvertreter, bevor er aufstand und sich von Kiels Trainer Ole Werner verabschiedete. Seiner Miene war wenig abzulesen, sein zerfurchtes Gesicht zeugt seit langem von den vielen harten Kämpfen, die er mit den von ihm betreuten Mannschaften auf den Fußballfeldern dieser Republik geliefert hatte. Und doch, die 90 Minuten des Relegationshinspiels schienen einige Falten mehr in sein Antlitz gegraben zu haben. Eventuell beschäftigte Friedhelm Funkel die Frage des Reporters immer noch und brachte somit das ganze Dilemma des 1. FC Köln auf den Punkt.
Kiel lässt wenig zu, Köln fällt wenig ein
Dabei hatte es zu Beginn des Spiels den Anschein, als entwickelte sich die Partie in die erwartete Richtung. Jonas Hector kam nach Doppelpass mit Ondrej Duda in eine aussichtsreiche Schussposition, verfehlte das Tor jedoch knapp (2.). Beim anschließenden Eckball prallten Sebastiaan Bornauw und Marius Wolf aufeinander, der ehemalige Dortmunder musste minutenlang behandelt werden. Danach passierte lange nichts. Die Kieler standen gut, spielten sehr viel hinten herum und zwangen den Kölnern ihr Spieltempo auf.
Und so verging eine ereignisarme halbe Stunde, ehe ein Zweikampf zwischen Torhüter Ioannis Gelios und Jonas Hector so etwas wie den nächsten Höhepunkt der Partie darstellte. Der Kölner Kapitän ergatterte den Ball, der dann auf das leere Tor zu trudelte. Ein Pfiff von Schiedsrichter Felix Zwayer beendete die Aktion, er hatte ein Foulspiel des Kölners gesehen. Ein übles Einsteigen des Kielers Aleksandar Ignjovski an Ondrej Duda erregte dann kurz vor der Halbzeit die Gemüter. Zwayer beließ es bei einer Gelben Karte – eine durchaus diskutable Entscheidung.
Kiel geht in Führung, Köln stürmt erfolglos an
Dominick Drexler ersetzte nach der Pause den Gelb-Rot gefährdeten Noah Katterbach und musste mit ansehen, wie nach einer Stunde der gerade eingewechselte Simon Lorenz die Kieler 1:0 in Führung köpfte. Sebastian Andersson und Jan Thielmann sollten danach für neuen Angriffsschwung sorgen, doch bis auf zwei Chancen durch Hector (70.) und Andersson (84.) ließen die “Störche”, die durch Serra (78.) sogar die Chance auf das 2:0 hatten, nichts zu und schaukelten den Sieg nach Hause. Nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Zwayer riss sich Jonas Hector die Kapitänsbinde vom Arm und stapfte mit versteinertem Gesicht vom Spielfeld. Er hatte gekämpft, gegrätscht, hatte alles versucht – ohne Erfolg. Sein Einsatz war erneut vorbildlich gewesen. Hector war nicht nur enttäuscht, er war sauer und wütend.
Seine Mannschaft hatte gerade ein unerhört wichtiges Spiel verloren – und sich bis auf die Knochen blamiert. Sie unterlag einem Team, das heute die 10. (in Worten: zehnte) Partie innerhalb von etwas mehr als vier Wochen absolviert und mit Ausnahme der vergangenen sieben Tagen eine Englische Woche nach der anderen bestritten hatte. Eine Mannschaft, die den Schock der Heimniederlage gegen Darmstadt verdauen musste, als sie noch vom direkten Aufstiegsplatz in die Relegation abgerutscht waren. Und doch, die Kieler wirkten mental wie physisch frischer als ihre ausgeruhten Kontrahenten, verteidigten mit enormem Geschick und großer Leidenschaft und hielten die Kölner, denen nichts, aber auch gar nichts einzufallen wusste, zumeist erfolgreich von ihrem Tor weg.
Enttäuschung nach dem Spiel und ein Pfeifen im Wald
Wenig überraschend spiegelte sich in den Kommentaren der Kölner Enttäuschung über die Niederlage wider. So sagte Ondrej Duda: “Ich bin enttäuscht. Das war nicht gut. Wir haben gedrückt, aber nicht getroffen. Kiel macht aus wenig Chancen einen Treffer und führt jetzt mit einem Tor.” Ähnlich äußerte sich auch Jonas Hector: “Ich bin enttäuscht, dass wir das Spiel verloren haben”, so der FC-Kapitän. Auch Friedhelm Funkel war mit dem Spiel seiner Mannschaft nicht zufrieden: “Ich habe mir das anders vorgestellt, aber ich wusste, dass es eine schwere Aufgabe wird. Wir haben uns nicht so viele klare Möglichkeiten erarbeitet wie gegen Schalke.” Und doch sahen Spieler wie Trainer eine Chance auf Wiedergutmachung am Samstag. So formulierte Friedhelm Funkel: “Wir werden am Samstag eine bessere Leistung zeigen müssen. Es steht 0:1 zur Halbzeit. Die Entscheidung, wer nächste Saison erste Liga spielt, fällt am Samstag.”
“Ein Unentschieden wäre gerecht gewesen, es steht aber 0:1. Wir haben Samstag die Chance, das Spiel zu drehen.”
Und Jonas Hector stieß ins gleiche Horn: “Ein Unentschieden wäre gerecht gewesen, es steht aber 0:1. Wir haben Samstag die Chance, das Spiel zu drehen.” Angesichts der Leistungen am gestrigen Abend scheint dies schwer vorstellbar und wirkt ein Stück weit wie das Pfeifen im Wald. Mit einem kaum wettkampf-fitten Sebastian Andersson, mit formschwachen Spielern wie Ismail Jakobs und Noah Katterbach. Auch die Statistik macht da nicht viel Mut. So ist es seit der Wiedereinführung der Relegation 2008/09 keinem Team gelungen, das Hinspielergebnis im Rückspiel noch zu drehen. Erschwerend kommt hinzu, dass den Kielern mit Alexander Mühling und Jonas Meffert nach deren Gelbsperre wieder zwei Leistungsträger zur Verfügung stehen. Zudem können sie auf die Unterstützung von 2.350 Zuschauern rechnen, die das dortige Ordnungsamt für das Rückspiel zuließ.
Für den 1. FC Köln hingegen stehen die Zeichen auf Abschied – Abschied aus der 1. Bundesliga, Abschied von Spielern wie Sebastiaan Bornauw und Ellyes Skhiri und Abschied vom Bild eines Klubs, der einst als das Real Madrid des Westens bezeichnet wurde und in den 60ern und 70ern ein bedeutendes Stück deutsche Fußballgeschichte geschrieben hat. Hans Schäfer, Jupp Röhrig, Wolfgang Overath, “Bulle” Weber, Heinz Flohe, Hannes Löhr, Dieter Müller, Lukas Podolski, die Reihe ließe sich problemlos weiter fortsetzen. Lang, lang ist’s her, die Erinnerung verblasst – und die Zukunft? Der Samstag und die Zeit danach werden es weisen.