Kölsche elf Jahre ist es her, da setzte der 1. FC Köln im Kampf um den Klassenerhalt auf einen kleinen Außenstürmer, der als Leihgabe eines Champions-League-Teilnehmers den „Geißböcken“ den Verbleib in der Bundesliga sichern sollte. Zoran Tosic, das stand nicht erst am Ende der Saison 2010/2011 fest, entpuppte sich als absoluter Glücksgriff für den abstiegsgefährdeten Traditionsverein vom Rhein. Kölsche elf Jahre später setzt der FC im Kampf um den Klassenerhalt abermals auf eine kurzfristige Lösung, um die lahmende Offensive in Schwung zu bringen. Für sechs Monate soll Emmanuel Dennis Bonaventure, bis Saisonende vom Club Brügge in die Domstadt verliehen, die Mannschaft von Trainer Markus Gisdol verstärken.
„Das letzte halbe Jahr war nicht einfach für mich. Da ich spielen und Tore schießen möchte, wollte ich in der aktuellen Transferphase unbedingt eine Veränderung. Ich bin froh, dass ich jetzt beim FC bin. Über die sportliche Situation des FC bin ich mir bewusst – deshalb möchte ich mit möglichst vielen Einsätzen und Toren in einer Top-Liga meinen Beitrag dazu leisten, dass wir die Klasse halten“, sagt der nigerianische Angreifer, dessen sechsmonatige Leihe den Verein laut Medienberichten mehr als eine Million Euro kosten wird. „Emmanuel ist ein schneller Spieler, der im Sturmzentrum und auf den Außenbahnen zum Einsatz kommen kann. Mit seiner Abschlussqualität hat er sich in der letzten Saison in die Bücher zahlreicher Top-Clubs gespielt“, sagt FC-Geschäftsführer Horst Heldt.
Doppeltorschütze im Bernabeu, Busskandal in Brügge
Und wie er sich zu Beginn der Saison 2019/20 in die Notizbücher zahlreicher Top-Clubs wie Borussia Dortmund oder Manchester United geschossen hatte: Mit einem grandiosen Auftritt avancierte Dennis zum Schreck der Hintermannschaft von Real Madrid, schoss im legendären Santiago Bernabeu beim sensationellen 2:2 des Club Brügge beide Tore. „Wenn ich treffe, werde ich mir dafür ein Tattoo stechen lassen”, kündigte der junge Nigerianer vor der Partie an und musste seine Ansage nach seinem Sahnetag in der Champions League im Nachhinein noch etwas anpassen: „Ich denke, dass ich mir nun sogar zwei Tattoos stechen werde“, betonte Dennis mit einem großen Lachen im Gesicht im Anschluss an seinen großen Abend in der „Königsklasse“ des europäischen Fußballs.
“Mit seiner Abschlussqualität hat er sich in der letzten Saison in die Bücher zahlreicher Top-Clubs gespielt.”
Doch war dieses Highlight (wer schießt schon oft zwei Tore gegen Real Madrid in deren Stadion?) auch der Anfang eines Abstiegs, der den pfeilschnellen Angreifer nicht nach Manchester, Paris oder Dortmund, sondern zum 1. FC Köln bringt. Inkonstante Leistungen, einige Blessuren und ein handfester Skandal – der Höhenflug des Nigerianers nahm ein abruptes Ende. Tiefpunkt: Seine Weigerung vor dem Champions-League-Spiel bei Borussia Dortmund, einen anderen Platz im Bus einzunehmen als den angestammten. Die Vorsichtsmaßnahmen aufgrund der Coronavirus-Pandemie? Dem Stürmer genauso egal wie seine Mannschaft, die beim BVB noch um das überraschende Weiterkommen in der Gruppenphase kämpfte. Die Folge: Kurzzeitige Suspendierung, das Verhältnis zu allen Beteiligten rund um den Club Brügge nachhaltig beschädigt.
Wechsel zu West Bromwich Albion zerschlägt sich
Das Halbjahr vor seinem Leihwechsel zum 1. FC Köln: Kein leichtes für Emmanuel Dennis, der bei den „Geißböcken“ den persönlichen Neustart wagt. Schon im Sommer hatte er quasi seinen Abschied bei den „Blau-Schwarzen“ aus der belgischen Handelsmetropole angekündigt, seinen Worten aber keine Taten folgen lassen können: Ein Leihgeschäft mit West Bromwich Albion zerschlug sich in letzter Sekunde, weil Dennis auf der Insel keine Arbeitserlaubnis erhalten hätte. „Trotz des Coronavirus hätte ich wechseln können. Ich wollte auf jeden Fall gehen“, verkündet er offenherzig in „Het Laatste Nieuws“. Eigentlich wollte Brügge mit ihrem neuen Star über 25 Millionen Euro erlösen, doch neben der vermaledeiten Virus-Pandemie machte auch die Formkrise des nigerianischen Stürmer zu schaffen. Überdies verunglückte Dennis’ älterer Bruder Ende November bei einem Bootsrennen in der Heimat tödlich.
Nicht der erste Schicksalsschlag für den ambitionierten Angreifer, der am 15. November 1997 in Yola nahe der nigerianisch-kamerunischen Grenze geboren wurde: Sein Vater, ein Soldat, verstirbt ebenso früh wie seine Mutter. Doch auf dem Fußballplatz findet Emmanuel Dennis eine neue Familie, wenngleich ihm der Einstieg in den Sport nicht leicht fiel. Aufgewachsen in einer Kaserne ist er zunächst kein Fan, spielt aufgrund vermeintlich fehlender Fähigkeit nur ungern. „Ich wurde in der Grundschule mitunter nicht gewählt worden beim Fußball, weil ich einfach zu schlecht war“, bekennt er freimütig in einem Interview. Sein Berufswunsch in jungen Jahren: Priester. Doch als er begreift, dass er dafür auf das andere Geschlecht verzichten muss, orientiert sich Dennis um – und wird zunehmend besser beim Fußball.
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