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Falsche Weichenstellungen und das Nottingham-Syndrom: Das Erbe des Doubles beim 1. FC Köln

Mit dem Double im April 1978 war der 1. FC Köln auf dem Gipfel des deutschen Fußballs. Wie er dort hingekommen war und warum die “Geißböcke” dort nicht blieben, schildert Frank Steffan im Auszug aus seinem Buch.

Köln Rathaus, Double-Feier (Foto ist von Carol Serbu).
Foto: Edition Steffan

Derjenige, der die Vorstellungen auf dem Platz umsetzen sollte, war fraglos Heinz Flohe. Ihm zur Seite stand mit Herbert Neumann ein intelligenter Spieler, der diese Intelligenz auch jenseits des Fußballplatzes an den Tag legte. Die Wandlung des Heinz Flohe vom überbordenden Solisten hin zum verantwortungsvollen Spiellenker war in erster Linie Weisweiler zu verdanken. Diese neue Rolle führte auch dazu, dass Flohe genau die selbe Rolle in der deutschen Nationalmannschaft zu spielen begann. Er war der Kopf der Mannschaft, die nach Argentinien zur WM aufbrach.

Neumann wäre ebenfalls mitgefahren, wenn es sein Gesundheitszustand damals zugelassen hätte. Es kamen trotzdem noch vier andere Kölner mit: Herbert Zimmermann, Harald Konopka, Bernd Cullmann und Dieter Müller. Es hätte die Durchschlagskraft des WM-Titelverteidigers sicherlich erhöht, wenn auch diese FC-Spieler ihren festen Platz in der Mannschaft gehabt hätten. Dem war aber nicht so, entsprechend holprig nahmen sich die WM-Auftritte der Deutschen aus. Für Flohe endete die WM tragisch, weil er sich im Italien-Spiel schwer verletzte und vorzeitig wieder in die Heimat zurückflog.

Die falschen Weichenstellungen nach dem Double

Es ist interessant zu beleuchten, warum es dem 1. FC Köln nach der Double-Saison nicht gelang, seine Dominanz zu verteidigen bzw. auszubauen. Auch nach dem Double-Gewinn verzichtete man darauf hochkarätige, sprich teure Spieler zu kaufen. Zwei blutjunge, völlig unbekannte Spieler kamen mit Bernd Schuster und Pierre Littbarski in den Kader, die sich zu Weltstars mausern sollten, aber zunächst noch Zeit brauchten. Sie waren eine vorzügliche Investition in die Zukunft, aber zum Zeitpunkt des Beginns der Saison 1978/79 waren sie noch längst nicht so weit, um dem FC ihren Stempel aufzudrücken.

Foto: imago images/Horstmüller

Tatsächlich hätten nur zwei oder drei gestandene Topstars die Entwicklung weitergebracht. Dass sie nicht kamen, lag nicht an mangelnden Geldmitteln. Die waren vorhanden und auch die Leuchtkraft des FC mit Weisweiler als Trainer sowie dem Status als amtierender Meister und Pokalsieger, machte die “Geißböcke” zu einer absoluten Top-Adresse in ganz Europa. Es lag vielmehr daran, dass man es nicht wollte beziehungsweise derartige Investitionen nicht als notwendig betrachtete.

Eins wurde jedoch in der folgenden Saison übersehen: der überragende Stellenwert von Flohe innerhalb der Mannschaft als deren integrative Kraft, als deren Leader und seine Wichtigkeit auf dem Spielfeld. Er war die Seele, nicht mehr und nicht weniger. Seine WM-Verletzung erwies sich als so schwerwiegend, dass er 78/79 nur noch 13 Bundesligaspiele absolvieren konnte, entsprechend desolat waren die Leistungen der Mannschaft. Es gab keinen gleichwertigen Ersatz, Neumann konnte die Mannschaft nicht in dieser Weise führen, er hätte noch mindestens ein, wenn nicht zwei Jahre gebraucht, um in diese Schuhe zu passen.

Der Sündenfall nach dem Hamburg-Debakel

Diesen Umstand nicht erkannt zu haben ist die eine Sache, ihn am Ende der Saison 1978/78 obendrein als den Sündenbock der unerfreulichen Entwicklung zu brandmarken und an 1860 München zu verscherbeln, ist die eigentliche Ungeheuerlichkeit. Natürlich lagen im Laufe der unerquicklichen Entwicklung die Nerven blank. Man war nicht in der Lage den Meistertitel zu verteidigen beziehungswiese musste spätestens im Frühjahr 1979 erkennen, dass der Meistertitel futsch sein würde.

Aber man besaß die unglaubliche Chance, den Europapokal der Landesmeister in den Vitrinenschrank im Geißbockheim stellen zu können. Dem FC war es gelungen, im internationalen Wettbewerb eine Hürde nach der anderen zu nehmen und stand im Halbfinale. Dort trafen die “Geißböcke” auf den englischen Vertreter Nottingham Forest. Im Hinspiel erreichte man auf der Insel ein sensationelles 3:3, musste zuhause nur noch 0:0 spielen, um ins Finale einzuziehen. Im Endspiel wartete kein Kaliber a la Real Madrid als Endspielgegner, sondern Malmö FF.

Bildnummer: 11975600 Datum: 25.04.1979 Copyright: imago/Sven Simon Ian Bowyer (Nottingham Forest) erzielt gegen Torwart Harald -Toni- Schumacher und Bernd Schuster (beide 1. FC Köln) das Tor zum 0:1; 7936 sw vneg yoh quer Fussball 1978/1979 Europapokal der Landesmeister Image number 11975600 date 25 04 1979 Copyright imago Sven Simon Ian Bowyer Nottingham Forest reached against Goalkeeper Harald Toni Schumacher and Bernd Schuster both 1 FC Cologne the goal to 0 1 SW Vneg yoh horizontal Football 1978 1979 European Cup the National champion

Foto: imago images / Sven Simon

Austragungsort wäre obendrein München gewesen, also gut erreichbar für die Kölner Anhängerschaft. Es kam aber anders als erhofft. Die von niemandem erwartete 0:1-Heimniederlage gegen Nottingham war ein gigantischer Schock für alle Beteiligten. Man wähnte sich schon in der Beletage des europäischen Fußballs angekommen. In diesem Kontext hätte eine verpatzte, nationale Titelverteidigung locker verschmerzt werden können. Dann das! Der absolute Super-GAU! Nix Meisterschaft, nix Europacup.

Das Nottingham-Syndrom

Man sprach ganz zu recht vom Nottingham-Syndrom, das den 1. FC Köln befallen hatte. Aber es ging noch weiter. Kurz nach dem bitteren Europapokal-Aus flogen die “Geißböcke” auch aus dem DFB-Pokal raus, verlor in Berlin bei der Hertha und nun stand man gänzlich mit leeren Händen da. Als obendrein auch noch beim neuen Deutschen Meister Hamburger SV mit 0:6 verloren wurde, brachen alle Dämme. Flohe war bei diesem Spiel zusammen mit Herbert Neumann vom Platz geflogen.

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In ihrer Wut suspendieren Präsident Weiand und Trainer Weisweiler beide Spieler vom Training. Dies alles gipfelte schließlich in Flohes Wechsel nach München. Auf ihn entlud sich der ganze Frust. Thielen versuchte die Eskalation zu verhindern, konnte es aber nicht mehr, da fortan Flohe auf stur schaltete und Weisweiler die Brisanz der Sache nicht mal ansatzweise erkannte. Der Kapitän des Doublesiegers war im Sommer 1979 unweigerlich weg und der FC fortan ohne Spielgestalter, ohne Kopf auf dem Spielfeld.

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