Dieser Text erschien zuerst zum 25. Jahrestag im Juni 2016.
Manchmal gerinnt die Erinnerung an ein Ereignis zu einem einzelnen Moment, zu einem einzelnen Wort oder zu einem einzelnen Bild. Beim letzten Finale des DFB-Pokals, das der glorreiche 1. FC Köln spielen durfte, ist es letzteres. Ich sehe immer Maurice Banach vor mir, wie er sich mit leerem Blick auf der Ersatzbank abstützt. Maßlos enttäuscht, das umkämpfte Endspiel gegen Werder Bremen im Elfmeterschießen verloren zu haben. Der emotionale Schmerz ist ihm förmlich anzusehen. Ich verbinde dieses Foto allerdings mit einem anderen Schmerz, den viele FC-Fans spüren: Weniger als ein halbes Jahr später weilte „Mucki“ nicht mehr unter uns, ein Autounfall riss den Ausnahmestürmer viel zu früh aus dem Leben.
An diesem Samstagabend in Berlin war er einer von uns – auch wenn ich noch viel zu klein war, um zu begreifen, wer da wir ist und was für ein großer Abend das für den FC ist. In meiner Erinnerung bin ich als Kindergartenkind auf dem Schulfest in der Nachbarschaft unterwegs – und es schüttete in Strömen. Das Spiel, das so unendlich wichtige Spiel habe ich nicht wahrgenommen. Dieter Eilts brachte Werder, das zuvor in den Vorjahren bereits zwei Finals hintereinander verloren hatte und nicht das Loser-Triple einfahren wollte, in der 48. Minute mit einem flachen Distanzschuss in Führung. Verdient, wie man mir erzählt – doch der FC kämpft sich zurück in die Partie.
Litti köpft, Mucki trifft
Angetrieben von Weltmeister Pierre Littbarski drängen unsere Jungs auf den Ausgleich und belohnen sich: Nach etwas mehr als einer Stunde erzielt Banach mit einem sehenswerten Seitfallzieher das 1:1, „Litti“ hatte per Kopf (!) vorgelegt. Den Kölnern fehlte im Endspiel ein wichtiger Mann: Frank Ordenewitz wurde vom DFB gesperrt, da er sich beim 3:0-Erfolg im Halbfinal-Wiederholungsspiel gegen den MSV Duisburg absichtlich einen Platzverweis einhandelte. Unter dem Stichwort „Mach et, Otze!“ wurde die Geschichte deutschlandweit-berühmt (für mehr Details).
Dass der FC überhaupt den Weg ins Endspiel gefunden hatte, war vor allem Pierre Littbarski, diesem Meisterdribbler aus Berlin, zu verdanken. In einer turbulenten Saison, die von Aufs und Abs geprägt war, fehlte der Nationalspieler lange wegen einer schweren Knieverletzung, agierte sogar zwischenzeitlich als FC-Manager. Sein Comeback im Pokal-Viertelfinale gegen den VfB Stuttgart verlief furios: Spieler und Verein ließen Fans wie auch Gegner lange im Ungewissen, erst kurz vor Spielbeginn blinkte auf der Anzeigetafel im Müngersdorfer Stadion neben der Nummer zehn der Name „Littbarski“ auf.
Un eins dat bliev beston@BaumannKarsten #KOEVfB #Banach #Daum pic.twitter.com/QebK55DmXl
— effzeh_history (@effzeh_history) February 20, 2021
Das Stadion tobte, der damals 30-Jährige führte seine “Geißböcke” zum umkämpften 1:0-Erfolg nach Verlängerung. Die Vorlage zum Siegtreffer von Maurice Banach (wer auch sonst?) gab, wie konnte es anders sein, Pierre Littbarski himself. „Das war das emotionalste Spiel meine Karriere. Schönere 120 Minuten habe ich als Fußballer nie erlebt“, betonte der offensive Mittelfeldspieler, der 1983 dem FC mit seinem Treffer im rein kölschen Endspiel gegen Fortuna Köln den letzten DFB-Pokaltriumph bescherte, nach seiner Karriere im „11 Freunde“-Interview.
Borowka sorgt für Bremer Jubel
Von einem erneuten Pokalsieg mit den “Geißböcken” war Littbarski auch am 22. Juni 1991 nicht weit entfernt: Bis in die Verlängerung schenkten sich die Kontrahenten bei strömendem Regen nichts, immer wieder standen die Torhüter im Fokus. Bodo Illgner zeigte sich abermals in Topform, auf der Gegenseite schwankte Oliver Reck zwischen Genie und Wahnsinn. In der 114. Minute hätte sich Littbarski zum Finalhelden krönen könnte, doch Reck parierte seinen Distanzschuss. Auch gegen Falko Götz war er zuvor zur Stelle gewesen.
Es musste das Elfmeterschießen entscheiden: Andrzej Rudy vergab für den FC, der Ex-Kölner Klaus Allofs scheiterte an Bodo Illgner. Auch dem sonst so sicheren Littbarski versagten die Nerven, Reck parierte seinen schwach getretenen Strafstoß locker. Als Uli Borowka beim letzten Elfmeter souverän verwandelte, jubelte Werder – und die “Geißböcke” trauerte einer verpassten Gelegenheit auf den fünften Pokaltitel nach. Dass es auf lange Zeit die letzte Möglichkeit dazu sein sollte, dass der FC es mindestens 30 Jahre nicht mehr ins Endspiel nach Berlin schaffen sollte, daran dachte an diesem Abend niemand.
Es war einfach nur eine bittere Niederlage zum Abschluss einer unbefriedigend verlaufene Saison: Durch eine Schwächephase gegen Ende der Bundesliga-Spielzeit fiel der FC vor dem Pokalfinale noch auf Rang sieben zurück, auch die Chance auf den Europapokal der Pokalsieger war dahin. Etwa fünf Monate später verunglückte Maurice Banach auf der Autobahn tödlich, der geschockte FC marschierte für „Mucki“ auf Platz vier in der Liga. Nochmals Europapokal – erst 25 Jahre später folgte dann ein erneuter Auftritt im internationale Geschäft. Im DFB-Pokal sollte das Endspiel gegen Werder Bremen allerdings für die kommenden drei Dekaden das letzte Hurra gewesen sein.