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Interviews

Bio-Banding als innovativer Trainingsansatz im NLZ des 1. FC Köln: Äpfel mit Äpfeln vergleichen

Um die Talentförderung zu verbessern, setzt der 1. FC Köln seit geraumer Zeit im Nachwuchs auf das Bio-Banding-Konzept. Was dahinter steckt, warum die “Geißböcke” das machen und welche Rolle Kevin de Bruyne dabei spielt, verrät uns FC-Jugendkoordinator Marc Dommer im ausführlichen Interview.

Im selben Jahrgang, doch unterschiedlich groß - ein Fall für den Einsatz von Bio-Banding? (Foto: Allsport UK/ALLSPORT/Getty Images)

Die Bio-Banding-Einheiten bestehen aus einem athletischen und einem fußballspezifischen Teil. Im Athletikteil geht es neben dem Kraftaufbau und der Schulung der Koordination ganz gezielt um die Prävention von Verletzungen. Warum ist das gerade in diesem Nachwuchsbereich so wichtig?

Verletzungen vorzubeugen ist grundsätzlich ein wichtiges Thema. Aber gerade im Nachwuchsbereich ist dies von Bedeutung, denn Verletzungen verhindern immer Lernzeit. Wir haben natürlich auch eine Verantwortung für die Jungs, die da viermal oder fünfmal pro Woche Leistungssport betreiben. In diesem Teil des Trainings geht es um Rumpfstabilisierung, um Bewegungskoordination und Körperbeherrschung, um Reaktionsfähigkeit, um Gleichgewichtsgefühl, und eben auch um die Fähigkeit, Kontaktverletzungen frühzeitig ausweichen zu können, weil man eine geschulte Wahrnehmung, eine gute Orientierungsfähigkeit hat und weil man seinen Körper gut beherrschen lernt und dadurch viel verhindern kann. Rumpfstabilität ist hierbei ein wichtiges Thema und ist in diesen Altersstufen auch gut trainierbar. Der koordinative Aspekt des Ansteuerns von Muskulatur muss in diesen Altersstufen besonders trainiert werden und dient unter anderem auch der Vorbeugung von Verletzungen. Durch ein entsprechend ausgerichtetes Athletiktraining die Spieler vor Blessuren zu schützen, ist eine wichtige Aufgabe dieses Teils des Bio-Banding-Ansatzes.

Auf den Athletikteil folgt ein fußballspezifischer Teil. Inwieweit unterscheiden sich die diesbezüglichen Inhalte in den drei Gruppen?

Überhaupt nicht. Wir lassen alle drei Gruppen tatsächlich frei spielen. Am Anfang wird noch eine kurze Ballaktivierung gemacht, teilweise auch Rondos und Wahrnehmungsübungen. Danach geht es direkt in die Spielformen. Je nach Gruppengröße wird dann die Gruppe noch einmal unterteilt etwa in zwei Mannschaften, die zum Beispiel darum spielen, welches Team am Ende die Tore wegtragen muss, oder in vier Mannschaften, die zum Beispiel ein Turnier ausspielen. Am Ende geht es aber darum, die Jungs frei spielen zu lassen. Das ist etwas, was vielen Trainern oder Ausbildern im Nachwuchsbereich manchmal schwerfällt, weil man irgendwie immer alles vorgeben und kontrollieren will.

Wir unterschätzen gelegentlich die Wirkung des freien Spiels und überschätzen dabei auch unsere Wirkung. Der Straßenfußball früher hatte vielleicht auch deswegen einen so großen Wert, weil man da einfach Dinge ausprobieren konnte, ohne dass jemand am Rand stand und einem Spieler bedeutete, er solle dies und das doch anders machen. Und was wir erreichen wollen im Nachwuchsbereich ist ja, dass wir Spieler dazu entwickeln, auf dem Platz Entscheidungen treffen und in Form fußballerischer Lösungen umsetzen zu können. Dabei sammeln sie Erfahrungen, die wir mit ihnen nachher gemeinsam reflektieren.

“Wir unterschätzen gelegentlich die Wirkung des freien Spiels und überschätzen dabei auch unsere Wirkung. Der Straßenfußball früher hatte vielleicht auch deswegen einen so großen Wert, weil man da einfach Dinge ausprobieren konnte.”

Wir möchten mit dem freien Spiel ein Setting schaffen, in dem Spieler selber agieren können. Wir sind keine Play-Station-Trainer, die die Spieler steuern, sondern es sind vielmehr die Spieler, die agieren sollen. Wir geben ihnen keine Muster vor, sondern vermitteln ihnen lediglich, dass es unser Prinzip ist, den Gegner zu überwinden, um in die torgefährliche Zone zu gelangen und dort zum Abschluss zu kommen. Wir wollen gerade nicht diese dressierten Jungs, die nur noch nach Mustern spielen, sondern eigenständige, kreative Spieler, die selbst entscheiden und spielerische Lösungen finden. Und deshalb ist dieser Bereich des freien Spielens für uns von großer Relevanz. Unsere Überzeugung ist, dass dies der Weg ist, wie Lernen nachhaltiger funktioniert. Dabei lernen die Spieler auch durch Fehler, denn die haben eine emotionale Relevanz für die Spieler, die sich dann Gedanken darüber machen.

Vor einigen Wochen haben Sie nun die ersten Erfahrungen mit dem Bio-Banding-Training ausgewertet. Wie sind sie dabei vorgegangen und welche Ergebnisse zeigten sich dabei?   

Wir wollten diese erste Evaluation eigentlich schon früher machen, haben es dann aber noch etwas länger laufen lassen, um noch mehr Eindrücke zu sammeln. Das hatte auch damit zu tun, dass der Bereich der spielbezogenen Datenanalyse wegen der beengten Bedingungen am Geißbockheim nur punktuell möglich war. So waren wir bei der Erfassung von Schlüsselaktionen stärker auf subjektive Eindrücke angewiesen als auf objektive Daten unserer Videoaufzeichnungssysteme und das hat mehr Zeit in Anspruch genommen.

Zu den Ergebnissen: Es haben alle Trainer gesagt, dass sie die Methode gut fänden und dass sie das weiterführen möchten. Dabei wurde der Wunsch geäußert, den Athletikteil zugunsten einer Verlängerung des fußballspezifischen Teils zu verkürzen. Dem Trainingsteil des freien Spiels solle ein weiterer Teil vorgeschaltet werden, in dem die Gruppe noch mehr kleine Spiele bestreitet, dann aber mit Anleitungen, was verhaltens- und spieltaktische Aspekte betrifft.

Mehrwertpotenzial für Spieler und Trainer

Es wurden viele neuen Eindrücke genannt, die jeder Trainer über „seine“ Spieler gewinnen konnte. Ich erwähnte vorher schon das Beispiel eines kleinen Spielers aus der U14, der in die P1 eingestuft worden war und dort regelrecht aufblühte. Es gab aber auch Spieler, die mit Jüngeren trainiert haben und immer noch Probleme hatten, sich durchzusetzen. Dadurch ist aber auf der anderen Seite auch eine differenziertere Einschätzung von Spielern möglich. Das ist ein enormer Nutzen dieses Ansatzes. Er ermöglicht nicht nur einen ganz anderen Trainingsreiz, sondern gibt uns darüber hinaus noch die Möglichkeit, einen Spieler noch besser einschätzen zu können, weil wir ihn mit Spielern vergleichbarer biologischer Reife sehen.

Es kam auch noch einmal der Hinweis, dass wir nicht nur die biologische Reife als Einteilungskriterium ansetzen sollten. Es gibt eben auch Spieler, die körperlich ihrem kalendarischen Alter entsprechend entwickelt sind, die aber fußballerisch schon so weit sind und eine so hohe Spielkompetenz haben, dass es für sie wichtig ist, auch immer wieder mit körperlich stärkeren Jungs zusammenzuspielen und Lösungen zu finden. Florian Wirtz haben wir zum Beispiel damals, obwohl er körperlich noch nicht so weit war, ab der U13 bewusst in dem jeweils älteren Jahrgang spielen lassen. Er war in seiner Altersgruppe unterfordert und hat spielerisch immer schon so gute Lösungen gefunden, dass wir beschlossen haben, die Messlatte höher zu legen, damit er sich weiter strecken musste. In solchen Fällen muss man auch so flexibel sein, den Bio-Banding-Ansatz nicht auf „Teufel komm raus“ umsetzen zu wollen.

Der ehemalige Nachwuchsspieler des 1. FC Köln, Florian Wirtz, im Einsatz für die U17 des DFB (Foto: Filipe Farinha/Getty Images for DFB)

Grundsätzlich fiel das Feedback jedoch positiv aus, weil man interessante Spielaktionen von Spielern sehen konnte, die dies vorher nicht zeigen konnten. Das trifft übrigens auch auf die Frühentwickler zu. Ein U14-Spieler, der in seinem Jahrgang einfach so durchmarschiert ist, muss dann in der P3- Gruppe ganz anders dagegenhalten und andere Lösungen finden. Uns so mancher vermeintliche „Topspieler“ musste einsehen, dass er zwar immer noch ein sehr guter Spieler ist, aber noch einmal einen ganz neuen Entwicklungsschritt machen muss. Das ist ein Riesenmehrwert aus der Sicht unserer Trainer. Es wurde aber auch das schon erwähnte Problem von U15-Spielern benannt, die der P2 zugeordnet worden waren. An dieser Problematik müssen wir dranbleiben und Lösungswege finden. Das muss sich vielleicht auch noch herauswachsen, dass das normaler wird, an Trainingssequenzen teilzunehmen, in denen man nach biologischer Reife Gruppen zugeordnet wird. Entscheidend ist, dass die Spieler verstehen, dass dies nichts mit Auf- oder Abstieg zu tun hat.

Wir werden das Bio-Banding-Training weiterführen, wahrscheinlich aber zukünftig einige Anpassungen vornehmen. Ich persönlich könnte mir etwa vorstellen, dass man es auch irgendwann auf eine Altersstufe darüber, also auf die U16 ausweitet. Ich glaube auch, dass unser U16-Trainer und unsere sportliche Leitung dafür offen sind.

Bio-Banding im NLZ des 1. FC Köln: Zukunftsperspektiven und mögliche Auswirkungen auf Spielbetrieb und Scouting

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