Auch auf der Lieblingsreise zum VfB Stuttgart kann der 1. FC Köln nicht punkten – ein Tiefschlag der härtesten Sorte. Was bleibt, sind Durchhalteparolen.
Es kündigte sich an. Nicht weil der 1. FC Köln wieder einmal um einen Treffer bettelte. Es kündigte sich an, weil der Eurosport-Player, der seit dieser Saison die Freitagsspiele der Bundesliga überträgt, der Realität etwas hinterher hinkt. Irgendwo blinkte ein Smartphone auf, der Blick des Besitzers verriet Schlimmstes. Man konnte sich denken, was gerade in Stuttgart passiert war. Und darauf einstellen. Und sah Chadrac Akolo in den Strafraum ziehen. Der Ball verließ seinen Fuß, kein guter Abschluss. Durch die Beine von effzeh-Verteidiger Handwerker. An die Hacke. Abgefälscht. Ins Netz. Gebrochene Herzen in Zeitlupe. Freitag, der 13. in Stuttgart!
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Es war der nächste Tiefschlag in einer an Volltreffern nicht gerade armen Kölner Saison. In der Nachspielzeit drückte der VfB, seit 1996 in der Bundesliga zuhause ohne Sieg gegen den effzeh, die „Geißböcke“ noch tiefer in den Abstiegssumpf. Die Zahlen nach diesem Freitag, den 13. sind verheerend: Der 1. FC Köln liegt mit einem Punkt nach acht Spielen abgeschlagen am Tabellenende, schlechter stand es zu dieser Zeit noch um keinen Verein in der Bundesliga. Bislang hielt der 1. FC Saarbrücken in der Premierensaison 1963/64 den Negativrekord, hatte aber eine um einen Treffer bessere Tordifferenz. Schon jetzt hat der effzeh zwei Gegentore mehr gefangen als in der gesamten Hinrunde 16/17, vorne zeichnen für zwei der drei Treffer Innenverteidiger verantwortlich.
Starker Start in Stuttgart mit schwachem Abschluss
Dabei fing an diesem Freitagabend alles so gut an: Die Stöger-Schützlinge begannen stark, setzten die Gastgeber früh unter Druck und waren auch spielerisch die klar bessere Mannschaft. Das alt-bekannte Manko: Die Belohnung erfolgte wieder einmal nicht. Osako und Zoller vergaben größte Möglichkeiten, den effzeh in Führung zu schießen. Es begann das Nachdenken, es begann das große Schwimmen: Innerhalb kürzester Zeit kippte das Momentum auf die Seite des VfB, der seinerseits beste Chancen ausließ. Donis, Badstuber, Brekalo, Donis – im Zeitraum von fünf Minuten taumelte der effzeh knapp am Rückstand vorbei, der dennoch kam: Groteske Fehler von Özcan und Sörensen bestrafte Donis mit dem 1:0 für die Schwaben. Wer vorne die Dinger nicht macht, der wird eben auf der anderen Seite abgewatscht. Eine klassische Abstiegssaison eben.
Die Dominanz zu Spielbeginn war verschwunden, der effzeh rannte in der zweiten Halbzeit gegen klug organisierte Stuttgarter an. Durchschlagskraft? Fehlanzeige – auch die Einwechslung von Claudio Pizarro verpuffte ungenutzt. Als der Glaube an offensive Eingebungen zunehmend schwand, fasste sich Dominique Heintz ein Herz. Ein traumhafter Schlenzer ins linke Eck weckte nicht nur die Lebensgeister der mitgereisten Kölner Anhänger. Dass das Spiel in der Nachspielzeit auf einen absurden Höhepunkt zusteuert, konnte zu dieser Zeit noch keiner wissen. Guirassy rasselte im Stuttgarter Strafraum mit Aogo aneinander, Schiedsrichter Cortus zeigte zur Überraschung aller Beteiligten auf den Punkt.
Vier Minuten quälend langes Warten auf die Entscheidung
Was folgte, spottet jeder Beschreibung: Nach minutenlanger Rücksprache mit dem Videoassistenten schritt der Unparteiische in die Review Zone, um sich die Situation selber nochmals zu Gemüte zu führen. Nach abermalig intensivem Studium der Fernsehbilder dann die Entscheidung: Kein Strafstoß. Das mag grundsätzlich in dieser Szene sogar eine vertretbare Interpretation sein, wirft aber viele Fragen bezüglich des Einsatzes der Videounterstützung auf: Wie kann ein Pfiff, dessen Überprüfung knapp vier Minuten dauert, eine „klare Fehlentscheidung“ (und die muss es sein für ein Umschwenken) sein? Müsste eine solche Szene nicht sofort und problemlos erkannt werden?
Wie kann beispielsweise die Entscheidung beim Frankfurt-Heimspiel gegen den effzeh stehen bleiben (da ja schließlich ein Kontakt vorlag), aber diese Szene wird revidiert? Es ist diese Art der Willkür, die den Videobeweis nach acht Spieltagen bereits massiv infrage stellt. Die Kommunikation, in welchen Situationen eingegriffen wird und wann eine Entscheidung „klar falsch“ ist, sorgt für noch mehr Ungerechtigkeit. Könnte man noch verargumentieren, dass sich der Schiedsrichter am gestrigen Abend eben besonders sicher sein wollte, da es sich um einen spielentscheidenden Elfmeter in der Nachspielzeit handelte, fragt sich, wie es um die Sorgfalt bei anderen Szenen steht. Besonders bitter für den effzeh: In allen umstrittenen Situationen beim Videoassistent wurde gegen die „Geißböcke“ entschieden.
Wenn es einmal läuft, dann läuft es
Das Versprechen, solche Angelegenheiten möglichst schnell und ohne großes Aufsehen zu lösen, hat sich jedenfalls an diesem Abend in Luft aufgelöst: Fast vier Minuten ließ Schiedsrichter Cortus Spieler und Zuschauer warten, bis endgültig eine Entscheidung getroffen wurde. Quälend lange Sekunden für alle Beteiligten, eine Horrorshow in Zeitlupe. Dass die Partie danach mit einem geschenkten Schiedsrichterball in die Arme von VfB-Keeper Ron-Robert Zieler fortgesetzt wurde, setzte dem ganzen Tohuwabohu die Krone auf. In einer spielentscheidenden Phase, wo gerade die eine Mannschaft etwas Oberwasser zu gewinnen scheint, eine derart lange Pause einzulegen, kommt einer Auszeit gleich – und verändert ein Spiel somit komplett.
Um das Drama endgültig perfekt zu machen, musste allerdings noch ein Kacktor allererster Güte her: Außen verteidigte der effzeh bei einem Einwurf unendlich schlampig, Akolo hatte freie Bahn in den Strafraum und traf unter gütiger Mithilfe von Handwerkers Hacke die Kölner mitten ins Herz. Dass Guirassy danach noch eine hundertprozentige Chance zum Ausgleich liegen ließ, als er per Direktabnahme am glänzend reagierenden Zieler scheiterte, fiel vielen gar nicht mehr auf. Lähmendes Entsetzen machte sich breit, Wut und Ärger über diesen vermaledeiten Videobeweis, der offensichtlich nur in eine Richtung wirklich funktioniert. Derzeit kommt für den effzeh offenbar alles zusammen. Motto: Wenn es einmal läuft, dann läuft es.
Letzter Hoffnungsschimmer heißt Hamburger SV
Und aller Ungerechtigkeiten dieser Welt zum Trotz: Der effzeh steht zurecht dort, wo er aktuell steht. Defensiv zu oft orientierungslos, der Sturm bleibt auch nach der Nachverpflichtung von Claudio Pizarro nur ein laues Lüftchen. Weiterhin weigert sich das Team seit Jahren bei Standardsituationen auf Profiniveau mitzuspielen – wer andere Bundesligaspiele schaut, wundert sich häufig, dass tatsächlich nach Ecken und Freistößen Tore erzielt werden dürfen. Kaschierten in den Vorjahren ein Abwehrbollwerk und/oder ein Torjäger in außerirdischer Form die Harmlosigkeit der Mannschaft, fallen den „Geißböcken“ diese Schwächen aktuell bleischwer auf die Hufe. In dieser Verfassung reicht, so muss leider konstatiert werden, auch ein vernünftiger Auftritt nicht, um in der Bundesliga ordentlich zu punkten.
Es verbleiben als letzter Hoffnungsschimmer nur Durchhalteparolen: Der effzeh hat abermals Moral gezeigt und bewiesen, auf Bundesliga-Niveau mehr als mithalten zu können. So viel Pech, beteuern alle Beteiligten unisono, könne auf Dauer gar nicht möglich sein. Dabei wird eines vergessen: Der Spruch „Immer Glück ist Können“ funktioniert auch im Negativen – wer immer Pech hat, könnte vielleicht zu wenig Qualität auf den Platz bringen. Dennoch ist noch nicht aller Tage Abend: Der Hamburger SV hatte in der vergangenen Spielzeit nach zehn Spielen zwei Punkte auf dem Konto und blieb trotzdem erstklassig. Wenn allerdings jetzt schon der HSV als Mutmacher daherkommen muss, dann ist die Horrorshow rund um den 1. FC Köln perfekt.