Nach fast sieben Jahren gab es den Abschied mit einem großen Knall. Im zähen Ringen um die Macht und um die Deutungshoheit steckte Werner Spinner zurück und erklärte seinen vorzeitigen Rücktritt als Präsident des 1. FC Köln. 2012 als Nachfolger des gescheiterten Weltmeisters Wolfgang Overath mit der Mission, den Verein sportlich und wirtschaftlich zu konsolidieren sowie die Mitgliedschaft wieder zu vereinen, angetreten, erklärte der Ober-Geißbock am Aschermittwoch 2019 das Ende seiner Ära an der Spitze des Traditionsclubs.
Es war sicher nicht das Ende, das Werner Spinner im Sinn gehabt hat. Bis zum Herbst wollte der gesundheitlich angeschlagene Ex-Wirtschaftskapitän noch durchhalten und den FC nach der Rückkehr in die Bundesliga seinen Nachfolgern zu Händen geben. Aus diesem Plan wurde nun nicht ausschließlich aus eigenem Antrieb nichts – und für viele bleibt der Eindruck seiner dritten Amtszeit hängen, in der Spinner vieles von dem, was er zuvor mühevoll aufgebaut hatte, mit dem Hintern wieder einriss. Dabei hat der einstige Bayer-Manager große Verdienste um den Club, die durch sein Verhalten in den zurückliegenden Jahren nicht geschmälert werden.
Wirtschaftsboss mit FC-Herz: Perfekt ins Profil gepasst
Als er 2012 übernahm, lag der 1. FC Köln am Boden. Finanziell standen die „Geißböcke“ vor dem Kollaps, jahrelang hatte der Club über seine Verhältnisse gelebt. Sportlich stand ein Trümmerhaufen auf dem Platz, der trotz großer Namen und teurer Transfers kampflos dem fünften Abstieg entgegentaumelte. Nach zahlreichen Grabenkämpfen im Verein und einer beispiellosen Kampagne gegen die Opposition war der effzeh in- wie extern gespalten, die Schwarze Wand beim letzten Bundesliga-Spiel gegen Bayern München stand symbolisch für die Implosion dieses einst stolzen Gebildes. Inmitten all dieses Trubels war Werner Spinner, gebürtiger Kölner und FC-Fan durch und durch, aber zuvor komplett unbeleckt im Fußballgeschäft.
Die Granden der „Geißböcke“ hatten nach Wolfgang Overaths überraschenden Rücktritt im November 2011 viele Gespräche geführt, mit vielen Kandidaten gesprochen. Lange galt der “Jack Wolfskin”-Unternehmer Manfred Hell als Wunschlösung für den vakanten Posten, der dann allerdings nach einiger Bedenkzeit absagte. Der Verein suchte weiter – und fand Werner Spinner, der als ehemaliger Marketingvorstand des Bayer-Konzerns mit kölschem Herzen perfekt ins Anforderungsprofil passte. „Man hatte ein Profil erstellt, lange Zeit niemanden gefunden, und dann war ich zu spät auf dem Baum“, sagte er einst der „Kölnischen Rundschau“ auf diese Phase angesprochen.
Es gab nie auch nur den Anflug einer Begehrlichkeit meinerseits für dieses Amt. Zunächst habe ich abgelehnt, wurde dann aber überzeugt.
„Ich habe als FC-Fan in den Zeitungen verfolgt, wer als Kandidat gehandelt wurde. Es gab nie auch nur den Anflug einer Begehrlichkeit meinerseits für dieses Amt. Zunächst habe ich abgelehnt, wurde dann aber überzeugt“, so Spinner. Zusammen mit Markus Ritterbach, der seine Kontakte aus dem Kölner Karneval miteinbringen sollte, und FC-Legende Toni Schumacher sollte er fortan die Geschicke des Clubs leiten. Kein einfaches Unterfangen, denn zugleich stellte sich Karl-Heinz Thielen mit dem finanzstarken Franz-Josef Wernze im Schlepptau zur Wahl.
Menschen ernstnehmen, Menschen mitnehmen
Doch die Ausgangslage war eindeutig: Wo Spinner auftauchte, wusste er zu überzeugen. Bei Gesprächen mit den Sponsoren, bei Diskussionen mit der aktiven Fanszene, beim Auftritt auf der Mitgliederversammlung. Spinner nahm die Menschen ernst und mit. Mit dem Rückenwind eines deutlichen Mitgliedervotums machte sich der neunte Präsident der FC-Geschichte ans Werk – und entrümpelte den Verein auf allen Ebenen. Eine neue Satzung, neue Verantwortliche, viele Gespräche mit Förderern und Sponsoren. „Ich glaube fest an das Kehren der Treppe von oben. Also haben wir damit angefangen“, erklärte Spinner. Das war auch dringend nötig, drückten die „Geißböcke“ doch enorme finanzielle Probleme.
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Personal und ein Erfolgsrausch sondergleichen
Da half neben allem wirtschaftlichem Geschick der Vereinsverantwortlichen auch der Schulterschluss mit den eigenen Anhängern. Eine Fan-Anleihe über 12,5 Millionen Euro retteten den dreimaligen Deutschen Meister vor dem Bankrott. „Das war für mich schon sehr bewegend, dass die Liebe der Fans zum FC so groß ist, um kurzfristig so viel Geld zusammenzubekommen. Die 5.500 Menschen, die Anleihen zeichneten, haben den FC gerettet“, betonte Spinner. Auch die Stadt half im Laufe der Zeit mit, unterschrieb nach einigen Verhandlungsrunden einen neuen Pachtvertrag für das Müngersdorfer Stadion, der den Verein zunächst in der 2. Bundesliga finanziell deutlich entlastete.
Spinner mit glücklichem Händchen in Personalfragen
Die wirtschaftliche Konsolidierung gelang zunehmend, doch sportlich hatten die „Geißböcke“ zunächst große Sorgen. Der Neustart nach dem Abstieg schien zunächst mit einer jungen Mannschaft unter Trainer Holger Stanislawski fehlzuschlagen, doch das Vertrauen in den Club war bei den Fans zurück – auch dank Spinners unermüdlichem Dialogbestreben. „Wenn wir als Repräsentanten des Vereins das Vertrauen der Fans und Mitglieder gewinnen und rechtfertigen, dann verzeihen sie auch Fehler“, erklärte er einst. Und diese Ruhe im Umfeld nutzte der FC unter der Führung des einstigen Wirtschaftsbosses, der mit seinem mangelnden Fachwissen („Ich habe keine Ahnung von Fußball“) stets kokettierte, zur sichtlichen Erholung.
Das lag auch am glücklichen Händchen, was Personalentscheidungen anbetraf. Spinner eiste den neuen Finanzchef Alexander Wehrle vom VfB Stuttgart los, holte nach Schmadtkes rechter Hand Jörg Jakobs sogar den umworbenen Sportchef aus Hannover ans Geißbockheim. Auf Empfehlung von Uli Hoeneß übrigens, den der FC-Präsident unverblümt auf das Thema angesprochen hatte. „Ich nutzte beim letzten Saisonspiel 2011/12 gegen den FC Bayern München die Gelegenheit und sagte beim Essen zu Uli Hoeneß: ‘Ich bin ein Grundschüler in Sachen Fußball. Geben Sie mir einen Rat, wen soll ich als Geschäftsführer Sport einstellen?’“, schilderte Spinner dem „11Freunde“-Magazin. Die Antwort des Bayern-Machers: Es gebe nur drei oder vier gute Manager – einer davon hieße Jörg Schmadtke.
Spinner macht den 1. FC Köln zum Vorzeigeverein
“Erstklassigkeit zieht Erstklassigkeit nach sich, Zweitklassigkeit zieht dagegen Drittklassigkeit nach sich“, säuselte der FC-Präsident bei der Schmadtke-Verpflichtung. Kurz zuvor holte der Club auf dringende Empfehlung von Sportdirektor Jakobs noch Peter Stöger als neuen Trainer. Es war der Auftakt einer rasanten Erfolgsphase, die erst den Aufstieg, dann die Etablierung in der Bundesliga und schlussendlich das Erreichen des Europapokals nach 25 Jahre langem Warten brachte. Der FC war wieder wer – und galt deutschlandweit als Musterbeispiel für einen seriösen Traditionsclub, der als „schlafender Riese“ zum Leben erwacht wer. Finanziell brachen die „Geißböcke“ einen Rekord nach dem anderen, sportlich waren sie endlich dort angekommen, wo sich die Fans immer hingeträumt hatten. „Den Verantwortlichen sollten sie ein Denkmal bauen“, hörte man des öfteren.
Erstklassigkeit zieht Erstklassigkeit nach sich, Zweitklassigkeit zieht dagegen Drittklassigkeit nach sich!
Doch schon während dieses Erfolgsrauschs knirschte es am Geißbockheim mitunter gewaltig im Gebälk. Jürgen Sieger, der zunächst in der Satzungskommission auf Vermittlung von Werner Spinner aktiv war und später im Aufsichtsrat über die Tätigkeiten der KGaA des 1. FC Köln wachte, wurde im Frühjahr 2016 quasi über Nacht abgelöst. Intern hatte der international renommierte Unternehmensanwalt mehrfach Alleingänge des Präsidiums angemahnt. Insgesamt kühlte sich das Verhältnis zu den Vereinsgremien merklich ab, die Beziehung zur aktiven Fanszene war nach beidseitigen Fehlverhalten ebenso nicht mehr ungetrübt. Die zur Schau gestellte Einigkeit des Vorstands bestand mittlerweile auch nur noch als Fassade.
Toni Schumacher und Werner Spinner | Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images
Und wenn sich im Nachgang gefragt wird, wann Werner Spinners Präsidentschaft, die einst so hervorragend begann und zwischenzeitlich nahe am Optimum verlief, zu kippen begann, dann wird es keinen konkreten Moment geben. Es waren vielmehr eine Vielzahl an Faktoren: Zunehmend beratungsresistent verschanzte sich der Vorstand in seiner eigenen Wagenburg. Mitgliederinitiativen wie 100% FC wurden öffentlich abgekanzelt und als Nestbeschmutzer empfunden, auf in- wie externe Kritik reagierte besonders Werner Spinner immer wieder allergisch. Besonders einigen Verantwortlichen der Stadt Köln missfielen seine ständigen Attacken in der Presse – nur wenige Jahre, nachdem die Kommune dem Verein bei der Stadionmiete stark entgegenkam. Der einstige Vereinsvereiner, der Menschenfänger, der Überzeuger Werner Spinner: Er eckte im Verlauf der Zeit mehr und mehr an.
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der Präsidentschaft und ein unwürdiger Abschied
So war es dann auch kaum verwunderlich, dass die Schlussphase seiner Präsidentschaft keine Erfolgsgeschichte mehr wurde. Das Zerwürfnis zwischen den leitenden Angestellten Peter Stöger und Jörg Schmadtke entging dem Vorstand oder er ignorierte alle Anzeichen dafür sträflich, stattdessen standen zunehmend Luftschlösser wie ein Stadionaus- oder neubau sowie die, von Relativierungen zu Menschenrechtsverbrechen begleitete, Expansion nach China im Mittelpunkt. Der bittere Absturz vom Europapokal-Teilnehmer zur schlechtesten Bundesliga-Mannschaft der FC-Geschichte war trotz aller böser Mächte vor allem hausgemacht. Und lag damit auch in der Verantwortung des Präsidenten, der zuvor auch die Lobeshymnen genießen durfte.
Selbstkritik nach dem unnötigen Abstieg? Fehlanzeige!
Allzu sehr in die Schusslinie begab sich Spinner dabei zunächst nicht, tauchte auch aus gesundheitlichen Gründen in der kritischen Phase ab und überließ seinem Vorstandskollegen Toni Schumacher die Öffentlichkeitsarbeit. Das Zerwürfnis mit der aktiven Fanszene und dem Mitgliederrat, aber auch vielen anderen Anhängern war längst nicht mehr zu kitten, eine schwere Herzoperation setzte ihn zusätzlich außer Gefecht. Doch auch nach der Rückkehr auf die große Bühne war wenig Selbstkritik zu spüren: Die Schuld lag beim Duo Stöger/Schmadtke, letzterer dank eines Gentlemens Agreement mit Spinner mit über drei Millionen Euro abgefunden, außer den wenigen Ultras stünde der Verein noch geschlossen hinter dem Vorstand.
Dass dem bei weitem nicht mehr so ist, musste er spätestens bei der Mitgliederversammlung 2018 erfahren. Viel Kritik schlug nach dem Abstieg und der eher suboptimalen Aufarbeitung nicht nur ihm entgegen, schon im Jahr zuvor wurde er trotz Europapokal-Qualifikation von Teilen der Kölnarena ausgepfiffen. Der Abend in Deutz war der Höhepunkt einer Schlammschlacht, die sich durch den ganzen Verein gezogen hatte und dem einer Schmutzkampagne gegen Stefan Müller-Römer vorausging. Das einstige Credo „Verein vereinen“ verkümmerte zu einer Phrase. Am Ende obsiegten die Vorstandskritiker nahezu auf ganzer Linie – die Zeit des Präsidenten Werner Spinner schien spätestens im September abzulaufen. Ob er erst danach seinen Rückzug nach der Amtszeit beschlossen hatte, scheint fraglich: Im Sommer 2018 war das Abschiedsschreiben bereits verfasst. Spinner ließ sich von den Vizepräsidenten im letzten Moment zum Weitermachen überreden, weil beide nicht mit einem Nachrücker aus dem Mitgliederrat arbeiten wollten.
Vorzeitiger Rücktritt nach Machtkampf mit Veh
Nun ist allerdings doch vorzeitig Schluss: Nach einem abermaligen Zerwürfnis, diesmal mit Sportgeschäftsführer Armin Veh, warf Werner Spinner hin. Die öffentliche Kritik an seiner Person, die Veh lanciert hatte, gab letztlich ebenso den Ausschlag wie die Weigerung der kompletten Geschäftsführung, weiterhin mit dem Präsidenten zusammenarbeiten zu wollen. Dass ein Angestellter den obersten Vertreter des Clubs in den Medien derart ins Achtung stellt und die Gremien daraus keine entsprechenden Konsequenzen ziehen wollten, spricht dafür, wie sehr sich Spinner in der Schlussphase seiner Amtszeit isoliert hatte. Es spricht aber auch dafür, wie tief gespalten der Verein nach sieben Jahre unter dem nun Ex-Präsidenten daher kommt.
Foto: Christian Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images
Dennoch: Werner Spinner gebührt großer Respekt für seine ersten Jahre als Clubchef der „Geißböcke“. Er hat, nicht im Alleingang, den Club saniert und aufs richtige Gleis gesetzt. Die Früchte dieser Entscheidungen durfte er genießen, obwohl er in eben jenem Erfolg die größten Fehler machte. Im Gegensatz zu seinen Vizepräsidenten war Spinner zudem stets jemand, der in der Sache Positionen bezog und für sie stritt. Ihm gebührt allerdings ebenso Kritik für den beispiellosen Absturz des Vereins, an dem er einen gehörigen Anteil hat. Der 1. FC Köln steht zwar finanziell deutlich besser da als vor seinem Amtsantritt, doch sportlich ist er abermals um Lichtjahre hinter die Konkurrenz zurückgefallen.
Am Ende war der vorzeitige Abschied wohl eine Erlösung für alle Beteiligten – eine Schlammschlacht zum Schluss hätte den Eindruck der Präsidentschaft wohl endgültig getrübt. Trotz aller Kritik, die auch hier immer wieder lautstark geäußert wurde, hätte er einen anderen Abgang verdient gehabt. Thank you, Mister President!