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Lebenswege beim 1. FC Köln: Gregor Kapitza – Vom Aschenplatz zur Nationalelf

Im Wembley-Stadion, Gregor Kapitza in der hinteren Reihe 6. von rechts Foto: privat

Die ersten Klänge der deutschen Nationalhymne hallten durch das weite Stadionrund, als der mittelgroße, dunkelhaarige Spieler für einige Augenblicke seine Augen schloss. Er dachte an den Aschenplatz im heimischen Erbach, wo er in den Heimspielen des örtlichen FC dem Leder hinterherjagte und drei Monate zuvor im Leben nicht daran gedacht hatte, einmal das Trikot mit dem Bundesadler auf der Brust tragen zu dürfen. Fast unmerklich schüttelte er den Kopf, als er sich an das Stützpunkttraining für die Auswahl des Odenwaldkreises erinnerte, von dem er vor nicht einmal einem Jahr mit der Aussage nach Hause geschickt worden war, sein Talent reiche einfach nicht aus.

Er öffnete die Augen, musste etwas blinzeln, bemerkte aber dann die vollbesetzte Tribüne, auf der sich weit über tausend Zuschauer eingefunden hatten und nicht nur siebzig oder achtzig, wie bei den Heimspielen seiner B-Jugend in Erbach. Aus den Augenwinkeln sah er, dass seine Mannschaftskameraden die Hymne, die langsam sich ihrem Ende entgegenneigte, mit genau derselben respektvollen Haltung verfolgten, wie er dies tat. Auch für sie war das gleich beginnende Spiel der erste Einsatz in der deutschen U15-Nationalelf, und alle schienen sich mit ihren eigenen Gedanken, Sorgen und Wünschen zu beschäftigen.

Kaum zwei Stunden später saßen sie in der Kabine und versuchten, die 3:4-Niederlage, die sie gerade gegen die U15-Nationalelf Frankreichs erlitten hatten, zu verarbeiten. Der dunkelhaarige Spieler aus dem Odenwald war Innenverteidiger und zweifelte angesichts der vier Gegentore, die er mit seinen Abwehrkollegen hinnehmen musste, daran, dass er noch einmal zum Nationalteam eingeladen würde. Gregor Kapitza hätte sich nicht sorgen müssen, er sollte noch 24 weitere Einsätze für deutsche Jugendnationalmannschaften bestreiten.

Wie alles begann: Die Flucht aus Polen

24 Jahre später treffe ich den vielfachen Jugendauswahlspieler in einem kleinen Café in Hürth. Er ist ein drahtiger, jugendlich wirkender Baldvierziger, der, wie er mir später bestätigt, kein Gramm mehr auf die Waage bringt als zu seiner aktiven Zeit. Gebürtig stammt er aus dem oberschlesischen Cosel, einer unweit von Gleiwitz gelegenen Kleinstadt mit 15.000 Einwohnern. 1988 entschließen sich seine Eltern, mit ihrem Sohn und seiner vier Jahre jüngeren Schwester aus Polen zu fliehen.

„Einer meiner Onkel war in den siebziger Jahren nach Deutschland ausgereist und schickte uns eine Einladung, damit wir ein Besuchervisum beantragen konnten“, erzählt Kapitza. „Niemand durfte von unserem Vorhaben wissen, nur meine Großmutter wusste Bescheid. Wir haben dann unser Hab und Gut in zwei Koffer gepackt und sind nach Düsseldorf gereist, wo mein Onkel wohnte. Nach Erledigung der Formalitäten sind wir dann in Hessen gelandet, weil meine Mutter dort Verwandte hatte. Schlussendlich sind wir nach Gammelsbach in den tiefsten Odenwald gezogen.“

Wir sind eine richtige Fußballerfamilie.

In dieser 900-Seelen-Gemeinde findet Kapitzas Vater, der gelernter Industrieelektroniker ist, Arbeit als Elektriker und schnürt genau wie sein neunjähriger Sohn Gregor, der sich dem örtlichen Fußballverein SV Gammelsbach anschließt, in seiner Freizeit die Fußballschuhe. Durch diese Kontakte bekommen die Kapitzas schließlich den Hinweis auf ein leerstehendes Haus, das sie renovieren und mieten und so in der unterhalb der Burg Freienstein gelegenen Ortschaft ansässig werden. „Wir sind eine richtige Fußballerfamilie“, berichtet der frühere Gammelsbacher. „Mein Vater hat Fußball gespielt, mein Onkel, Hubert Kapitza, war Erstligatorwart bei Odra Opole, und einer meiner Cousins ist Thomas Sobotzik, früher Profi unter anderem bei Eintracht Frankfurt, St. Pauli, dem 1. FC Kaiserslautern und bei Rapid Wien.“

Kapitzas Cousin Thomas Sobotzik | Foto: Ruediger Fessel/Bongarts/Getty Images

1993 wird Kapitza von Georg Ludwig Siegmund, einem sehr ambitionierten Jugendtrainer, zum FC Erbach gelotst und spielt dort zunächst in der C1-Jugend, dann in der B2. In der Saison 1994/95 erhält er nach einem erfolglosen Stützpunkttraining des 79er-Jahrgangs einige Zeit später sehr zu seiner Überraschung eine erneute Einladung, diesmal allerdings zu einem Lehrgang des 78er-Jahrgangs, überzeugt dabei und wird in die Kreisauswahl berufen.

Länderpokalsieg und erstes Länderspiel

In dieser Mannschaft spielt er so gut, dass er in die Bezirksauswahl geholt wird, die einen Lehrgang in der Sportschule Grünberg absolviert, wo sich zur gleichen Zeit die Hessenauswahl des 79er-Jahrgangs auf den Länderpokal vorbereitet. Der Trainer der Bezirksauswahl teilt einem Mitspieler Kapitzas, der wie er dem 79er-Jahrgang angehört, mit, er könne „mal“ mit der Hessenauswahl trainieren. „Daraufhin habe ich mich gemeldet und dem Trainer gesagt, ich sei auch 79er-Jahrgang“,  erzählt Kapitza. „Der Trainer wollte dies zunächst nicht glauben, da mein Geburtsjahr in meinem Spielerpass fälschlicherweise mit 1978 angegeben war. Ich klärte den Fehler auf,  konnte mit der Hessenauswahl trainieren und rutschte in den Kader für den Länderpokal.“

Auf der nächsten Seite: Wembley und Wechsel nach Waldhof

Wenig später fährt Gregor Kapitza mit der Hessenauswahl nach Duisburg und gewinnt dort als Innenverteidiger mit dem Team den Länderpokal. Er spielt so gut, dass er zum Sichtungslehrgang für die Bildung der U15-Nationalmannschaft in die Sportschule Wedau eingeladen wird, bei dem aus den 40 besten Spieler des Turniers um den Länderpokal der 22er-Kader ausgewählt wird, der anschließend zwei Länderspiele gegen Frankreich bestreitet.

„Am Ende des Lehrgangs versammelten wir uns im Besprechungsraum in der obersten Etage der Sportschule, wo Nationaltrainer Erich Rutemöller die Namen der 22 Auserwählten bekanntgab. Ich war dabei!“, erinnert sich der frühere Innenverteidiger. „Ich habe meinen Vater angerufen und ihm gesagt, dass ich etwas länger bleibe, da ich noch zwei Länderspiele gegen Frankreich bestreiten müsste.“

Hessenauswahl 1995 – stehend 5. v. links Gregor Kapitza Foto: privat

Nach seiner Rückkehr kehrt recht bald wieder Normalität in das Leben des jungen Gregor ein, auch wenn seine Berufung in die U15-Nationalelf eine ganze Weile Gesprächsthema im heimischen Gammelsbach ist. Er gerät aber auch in den Fokus größerer Vereine als des FC Erbach und gibt schließlich dem Werben des SV Waldhof Mannheim nach, dem Heimatclub des früheren Bundestrainers Sepp Herberger.

4:2-Sieg gegen Englands Jugendauswahl

Als Teil der B1-Jugend des Vereins erlebt er in der Saison 1995/96 einen weiteren Höhepunkt seiner noch jungen Karriere: Er spielt mit der deutschen Jugendauswahl im legendären Wembley-Stadion gegen die Jugendnationalmannschaft Englands. „Am Tag vor dem Spiel besuchten wir das Stadion. Wir waren an Umkleidekabinen gewöhnt, die kaum größer als ein normales Zimmer waren“, erinnert sich Kapitza. „Hier aber stand den Spielern eine große Halle zur Verfügung mit einem riesigen Ermüdungsbecken und einem Whirlpool.“

Noch mehr beeindruckt sind die deutschen Nachwuchsspieler vom Rasen des Wembley-Stadions. „Wir standen auf dem Rasen, der aussah wie ein Wohnzimmerteppich und genauso eben war. Ich fragte mich, wie dort die Stollen meiner Fußballschuhe hineingehen sollten“, berichtet er. Interessantes und Wissenswertes über die gegnerische Mannschaft erfahren Erich Rutemöllers Schützlinge durch ein Programmheft des englischen Fußballverbands. Gregor Kapitzas Gegenspieler heißt Michael Owen.

Kapitzas Gegenspieler Michael Owen | Foto: Ben Radford /Allsport

„Er hatte zu dem Zeitpunkt schon 18 Länderspiele absolviert, in denen er 21 Tore erzielte“, erinnert er sich. „Da war jedem klar, dass er eine Rakete war.“ Ganz ausschalten kann Kapitza den späteren Spieler vom FC Liverpool, Real Madrid und Manchester United nicht, aber mehr als ein Tor gelingt Owen nicht. Die jungen Deutschen machen ein gutes Spiel und gewinnen vor 30.000 Zuschauern 4:2.

Deutscher A-Junioren-Vizemeister mit Waldhof

Wenig später erleidet der junge Waldhöfer einen Ermüdungsbruch im Wadenbein, der erst festgestellt wird, nachdem er bei einem Vorbereitungsspiel für die U16-Europameisterschaft gegen Griechenland mit starken Schmerzen ausgewechselt werden muss. Er wird gerade noch rechtzeitig fit, um als B-Jugendlicher mit der U19 von Waldhof Mannheim den süddeutschen Meistertitel zu erringen, der zur Teilnahme an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft berechtigt. „Roland Dickgießer war der Trainer der U19, die große Verletzungsprobleme hatte“, erzählt Kapitza. „Deswegen holte er mich dazu, und ich habe dann alle Spiele mitgemacht bis zum Finale.“

Dort trifft die Dickgießer-Elf im heimischen Stadion am Alsenweg auf die U19 von Borussia Dortmund. „Wir hatten keine Chance und verloren 0:2. Der BVB war damals gespickt mit tollen Spielern wie Christian Timm, Vladimir But, Klaus Voike und Dennis Vogt“, erläutert der ehemalige Waldhöfer. „Aber das Endspiel war natürlich eine tolle Erfahrung für uns. Überhaupt denke ich an die Zeit in Mannheim sehr gerne zurück, weil wir Erfolg hatten, aber gleichzeitig das Klima im Verein ungemein familiär war und ich mit Jürgen Heck, Peter Placzek und vor allem Roland Dickgießer ausgezeichnete Trainer hatte“.

Man merkte, dass er ein Fußballbesessener war, der ein besonderes Geschick hatte, junge Spieler zu begeistern.

Nur wenig später nimmt Kapitza mit der deutschen Jugendauswahl an der U16-Europameisterschaft in Österreich teil, wo das DFB-Team das Viertelfinale erreicht, dort aber nach einer 2:0-Führung noch mit 2:3 gegen Israel verliert und ausscheidet. Die guten Leistungen des schnellen und zweikampfstarken Innenverteidigers haben inzwischen auch das Interesse größerer Clubs geweckt. Frank Schaefer meldet sich bei ihm und versucht vergebens,  ihn zu einem Wechsel zur A-Jugend des 1. FC Köln zu bewegen. „Ich ging damals in die 9. Klasse einer Gesamtschule und spürte, dass ich noch nicht bereit war, mein gewohntes Umfeld zu verlassen“,  erinnert sich Kapitza.

Wechsel zum 1.FC Köln

Am Ende der Saison 1996/97 ist es dann aber soweit, Frank Schaefer gelingt es, dem jungen Waldhöfer die grundsätzliche Bereitschaft zu einem Wechsel in die Domstadt abzuringen. „Frank Schaefer besaß einen Optimismus und einen Enthusiasmus, der es mir unmöglich machte, Nein zu sagen“, erklärt Kapitza. „Man merkte, dass er ein Fußballbesessener war, der ein besonderes Geschick hatte, junge Spieler zu begeistern.“

Auf der nächsten Seite: Aller Anfang ist schwer …

Zunächst aber stehen Vertragsverhandlungen an. Da Gregor Kapitza wie auch seine Eltern in diesen Dingen unerfahren sind, fragen sie Thomas Sobotzik, den Cousin des zukünftigen Kölners, um Rat. Dessen Berater, Dirk Schmitt, übernimmt die Gespräche mit dem FC und handelt einen Dreijahresvertrag aus, an dessen Ende der Verein eine einseitige Option auf einen einjährigen Profivertrag hat.

Kapitzas Eltern entschließen sich, mit ihren Kindern nach Köln zu ziehen, um ihrem Sohn den großen Schritt vom Odenwald in die Rheinmetropole zu erleichtern. Da genau zu dieser Zeit im Geißbockheim größere Umbauarbeiten anstehen, und der Verein zu diesem Zweck einen Hausmeister mit gutem technischen Verständnis sucht, wird auch Kapitzas Vater Angestellter des 1. FC Köln – und ist es bis zum heutigen Tag geblieben. „Im Gegensatz zu mir hat mein Vater einen unbefristeten Vertrag erhalten“, sagt der ehemalige Innenverteidiger lachend. „Nächstes Jahr hört er auf, weil er das Rentenalter erreicht hat.“

Kölns ehemaliger Nachwuchstrainer Frank Schaefer | Foto: Dennis Grombkowski/Bongarts/Getty Images

Kurz vor seinem Wechsel nach Köln wird Kapitza von der Nachricht überrascht, dass Frank Schaefer zu Bayer Leverkusen gewechselt ist und nicht mehr die A-Jugend des 1. FC Köln trainiert. „Das war natürlich ein Schock für mich, denn derjenige, der mich geholt hatte, war nun nicht mehr da“, erläutert Kapitza. Christoph John ist nun Trainer der U19, in der er unter anderem mit Markus Pröll, Dominique Ndjeng und Nermin Celikovic zusammenspielt.

Die Kölner Presse interessiert sich für ihn und vergleicht ihn mit den ebenfalls aus der Waldhof-Jugend stammenden Innenverteidigern Paul Steiner und Jürgen Kohler. „Irgendeine Zeitung brachte einen Artikel über mich mit der Schlagzeile: ‘Der neue Kohle’“, seufzt er. „Das war nicht hilfreich damals, zumal ich in keiner guten Phase des Clubs zum 1. FC Köln gekommen war.“

Aller Anfang ist schwer …

Das Bosman-Urteil von 1995 hat Ende der neunziger Jahre erhebliche Auswirkungen auf die Kadergestaltung der Profivereine, die nun ablösefreie ausländische Profis in nahezu unbegrenzter Zahl einsetzen dürfen und dabei in Gefahr geraten, den eigenen Nachwuchs zu vernachlässigen. Spieler wie Dorinel Munteanu, Toni Polster, Ion Vladoiu, Khodadad Azizi, Alexander Rychkov oder Goran Vucevic können jedoch nicht verhindern, dass es sportlich beim FC nicht läuft, zudem herrscht einige Unruhe im Verein.

Peter Neururer, der die Profis trainiert, wird Anfang Oktober 1997 durch Lorenz-Günther Kostner ersetzt. „Mit ihm schien es besser zu werden, denn er interessierte sich für talentierte Spieler in der A-Jugend und hatte dabei Nermin Celikovic, Jens Baumann und mich im Blick“,  sagt der frühere Waldhöfer. Die drei Jugendspieler nehmen ab dann auch einmal pro Woche am Training der zweiten Mannschaft teil. Im Februar signalisiert Köstner, dass er das Trio auch zum Training der Profis dazu holen wolle.

„Wir hatten Karnevalssamstag noch ein Testspiel, bei dem ich mit dem gegnerischen Torwart zusammenprallte und mir das Schlüsselbein brach“, erinnert sich Kapitza. „Köstner tröstete mich und sagte mir, dass ich beim Profitraining dabei sein würde, wenn ich wieder gesund wäre.“ Als die Verletzung auskuriert ist, ist der FC zum ersten Male in seiner Vereinsgeschichte abgestiegen und Köstner nicht mehr da.

Vize-Europameister mit der U18

Während seiner Rekonvaleszenz kommen dem Innenverteidiger erste Zweifel, ob der Schritt zum FC richtig war. „Ich habe mit Reinhold Fanz, der mein Trainer in der Hessenauswahl war, telefoniert“, sagt er.“Fanz war inzwischen Trainer bei Hannover 96, damals in der Regionalliga Nord beheimatet. Er war dafür bekannt, junge Spieler zu fördern, und hatte Sebastian Kehl, Fabian Ernst und Gerald Asamoah zu den Leinestädtern geholt. Vielleicht wäre ein Wechsel dorthin für mich die Möglichkeit gewesen, schon als A-Jugendlicher auf Einsätze im Seniorenbereich zu kommen.“

Trotzdem war das ein großer Erfolg, immerhin waren wir Vize-Europameister geworden!

Kurz vor Ende der Saison ist Kapitza wieder fit und wird zum Nachsichtungslehrgang für die U18-Europamesterschaft in Zypern eingeladen. Tatsächlich ist er einer von zwei Spielern, die noch im letzten Moment den Sprung in den EM-Kader schaffen. „Unser Trainer war Rainer Bonhof, der durch seine sehr menschliche, ruhige und einfach entspannte Art einen sehr guten Draht zu uns Spielern hatte“, erinnert sich der Ex-FCler. „Wir hatten eine starke Mannschaft mit Spielern wie zum Beispiel Timo Hildebrand, Fabian Ernst, Sebastian Deisler, Christian Timm oder Sebastian Kehl und qualifizierten uns für das Finale gegen Irland, das wir im Elfmeterschießen 3:4 verloren. Trotzdem war das ein großer Erfolg, immerhin waren wir Vize-Europameister geworden!“

DFB-U18, Gregor Kapitza 7. v. links | Foto: privat

In der Saison 1998/99 rückt Kapitza zur zweiten Mannschaft des 1. FC Köln auf, die von Stephan Engels trainiert wird. Zu seinen Mannschaftskameraden zählen Alexander Voigt, Stephan Glaser und Markus Dworrak. Der ehemalige Waldhöfer kommt auf viele Einsätze und will den nächsten Schritt in seiner Laufbahn machen. „In der darauffolgenden Saison 1999/2000 lief mein Vertrag aus. Ich wollte mich noch mehr zeigen und beweisen, dass die hohen Erwartungen, die der Verein an meine Verpflichtung geknüpft hatte, vollauf berechtigt waren“, erinnert er sich. Trainiert wird die Mannschaft nun von Christoph John, seinem ehemaligen U19-Trainer.

Auf der nächsten Seite: Schwere Verletzung im letzten Vorbereitungsspiel

Die Vorbereitung läuft gut, Kapitza, der auch eine Einladung zu einem U21-Länderspiel erhält, fühlt sich fit wie lange nicht und kann sich berechtigte Hoffnungen auf einen Stammplatz machen. „An einem heißen Sommertag spielten wir unser letztes Vorbereitungsspiel bei der Zwoten von Borussia Mönchengladbach“, erzählt er. „Ich lief mit einem Gegenspieler einem langen Ball hinterher; ich grätschte, der Gladbacher fiel hin,  genau auf mein Knie – Kreuzbandriss!“

Operation, Krankenhausaufenthalt, Reha – die nächsten Monate verbringt der junge Innenverteidiger weitab des Fußballplatzes. „Ich habe sehr viel nachgedacht in dieser Zeit“, sagt er. „War es das mit meinem Traum vom Profifußball? Sollte ich mich auf meine berufliche Karriere konzentrieren und nebenbei noch irgendwo Fußball spielen? Diese Gedanken beschäftigten mich tagein, tagaus.“

Er nutzt die Zeit, um das Abitur am Wirtschaftsgymnasium in Brühl abzulegen. Gleichzeitig arbeitet er eisern in der Reha, er will so schnell es geht auf den Platz zurück. Nach der Winterpause ist es soweit, er kann wieder an den ersten Trainingseinheiten teilnehmen. Im Frühjahr stehen Vertragsgespräche mit dem 1. FC Köln an. Der Verein verzichtet darauf, die Option auf den einjährigen Profivertrag zu ziehen, und bietet Gregor Kapitza einen erheblich reduzierten Einjahresvertrag als Vertragsamateur an. „Ich war enttäuscht, weil ich mir ein wenig mehr Vertrauen gewünscht hätte“, gibt er zu. „Ich habe dann nach einigem Zögern das Angebot angenommen, weil ich es noch ein Jahr probieren wollte.“

Letzte Saison in Köln und Wechsel nach Essen

Die Saison 2000/2001 nimmt er mit Dominique Ndjeng, Giovanni Federico und Massimo Cannizzaro in Angriff, bestreitet aber nur knapp die Hälfte der Pflichtspiele der zweiten Mannschaft und weiß, er muss wechseln. „Ich wollte unbedingt in der Oberliga Nordrhein bleiben, die damals die dritthöchste Liga war“, erläutert er. „Ich habe eine Zeitlang bei Fortuna Köln unter Uwe Fuchs mittrainiert. Zur gleichen Zeit war auch Gledson, ein brasilianischer Testspieler, dort zu Gast, der wie ich Innenverteidiger war, und für den Uwe Fuchs sich dann entschied.“ Schließlich zieht es Kapitza nach Essen zum Uhlenkrug, wo der ETB Schwarz-Weiß beheimatet ist.

Weggefährten Kapitzas: Deisler und Federico | Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Gleichzeitig beginnt er bei der Raiffeisenbank Frechen-Hürth eine Ausbildung zum Bankkaufmann. Dienstschluss dort ist um 16.45 Uhr, um 18.15 beginnt das Training in Essen. „Ich kenne jeden Schleichweg von Köln nach Essen und zurück“, erzählt er. „Trotz des vielen Verkehrs auf dieser Strecke bin ich nie zu spät zum Training gekommen. Ich hatte allerdings Materialien mit Lerninhalten, die ich mir einprägen musste, auf dem Beifahrersitz liegen, und jedes Mal, wenn es einen Stau gab, habe ich zu den Unterlagen gegriffen und gelernt.“ Er lacht. „Deswegen sage ich heute noch oft, dass ich meine Ausbildung auf der Autobahn absolviert habe.“

Trainer der Essener ist Frank Benatelli, der zwischen 1983 und 1992 fast 200 Bundesligaspiele für den VFL Bochum bestritt. „Er war ein fantastischer Trainer“,  schwärmt Kapitza noch heute. „Er hatte einen unnachahmlichen Blick für Situationen im Spiel. So machte er bei einem Gegentor nicht von vornherein die Abwehr verantwortlich, sondern erkannte genau, wo die Fehlerkette angefangen hatte und wies uns in der Nachbesprechung auch darauf hin. Von ihm habe ich sehr viel gelernt.“

Beim ETB spielt Gregor Kapitza in einem starken Team mit Spielern wie dem viel zu früh verstorbenen Torjäger Mike Möllensiep, Michael Klauß, Daniel Kuhn und Werner Kempkens. „Ich hatte eine gute Zeit bei Schwarz-Weiß, war Stammspieler, im Team stimmte es, der Trainer war prima, nur die verkehrsreiche Strecke von Köln nach Essen störte“, erinnert sich der ehemalige Kölner.

Zurück nach Köln: Wechsel zum FC Junkersdorf

2004 schließt er seine Ausbildung zum Bankkaufmann ab und geht zurück nach Köln. Die berufliche Belastung erlaubt die langen Fahrten zum Training nicht mehr. Er wechselt zum FC Junkersdorf, der gerade in die Oberliga Nordrhein aufgestiegen ist und von Jörg Merfeld trainiert wird. Hier trifft Kapitza auf viele ehemalige FC-Spieler wie Marcus Voike, Stephan Glaser, Stefan Kuchem, Robert Ciolek und auch Torjäger Jonas Wendt, mit dem er sich im Training verbissene Duelle liefert.

Das erste Oberligator in der Geschichte des Vereins schießt aber kein Torjäger, sondern der Innenverteidiger Gregor Kapitza. Nicht nur mit seinen weiteren drei Toren trägt er zum Klassenerhalt in der Saison 2004/2005 bei. Vor der nächsten Saison verlassen einige Stützen des Teams den Verein; der FC Junkersdorf stemmt sich verzweifelt gegen den Abstieg in die Verbandsliga Mittelrhein – vergebens. Wolfgang Jerat übernimmt das Traineramt und beeindruckt den ehemaligen Essener. „Er ist sicherlich einˈTypˈ, aber er ist auch ein Klassetrainer! Von ihm habe ich taktisch ungemein viel gelernt“, stellt Kapitza fest.

Auf der nächsten Seite:  Freude am Fußball beim SC Brühl

Nach der Saison 2006/2007 bleibt er in der Verbandsliga, wechselt aber zum SF Troisdorf. Der Verein hat nur sehr beschränkte finanzielle Mittel zur Verfügung und befindet sich den größten Teil der Saison 2007/2008 im Kampf um den Klassenerhalt, den er aber schlussendlich mit viel Kampf sichern kann.

In diesen Jahren treibt der frühere Erbacher auch seine berufliche Weiterbildung voran und nimmt beim Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverband ein bankinternes Studium auf, das er als Bankfachwirt abschließt.

Freude am Fußball beim SC Brühl

2008 geht er zum Verbandsligaaufsteiger SC Brühl und bleibt dort bis 2014. „Es war eine schöne Zeit; wir hatten eine prima Truppe, die mit viel Begeisterung, Freude und Spaß Fußball spielte“, erinnert sich Kapitza. In Brühl trifft er zudem mit Stefan Oventrop, Nicola Kaiser, Thomas Frohn und Marcel von Hees auf junge Spieler, die wie er die Fußballschuhe für den 1.FC Köln geschnürt hatten. Er ist einer der wenigen älteren Spieler und wird Kapitän der Mannschaft, die sich ohne große finanzielle Unterstützung sehr beachtlich in der Verbandsliga schlägt und in der Saison 2011/12 sogar den 3. Platz in der Abschlusstabelle belegt.

Zur Saison 2014/15 wechselt der ehemalige Jugendnationalspieler zum Verbandsligisten FC Hürth, wird aber von Verletzungen geplagt und kann nur in wenigen Spielen eingesetzt werden. Zur Winterpause der Saison 2015/16 nimmt er das Angebot des Vereins an, als zusätzlicher Trainer die zweite Mannschaft zu betreuen, die zu der Zeit einen Spitzenplatz in der Kreisliga A belegt. Tatsächlich gelingt dann auch der Aufstieg in die Bezirksliga, wo er zusammen mit Trainer Markus Sabel, den er aus seiner Zeit beim SC Brühl sehr gut kennt, dafür sorgt, dass viele junge Spieler aus der A-Jugend integriert und weiterentwickelt werden, die sie zusammen mit den älteren Akteuren zu einer starken Bezirksligamannschaft formen.

So ganz ohne Fußball werde ich wohl nie auskommen.

Auch hier trifft Kapitza wieder auf ehemalige FCler wie Torwart Daniel Feuerbach, Thomas Frohn und Sebastian Zinke. „Die Arbeit mit diesen Jungs hat großen Spaß gemacht, aber im Sommer ist Schluss“, sagt er. Ist dann auch endgültig Schluss mit Fußball? Er lächelt. „Die Prioritäten in meinem Leben haben sich geändert. Meine Frau Irina, die ich bei der Raiffeisenbank kennengelernt habe, und ich sind vor knapp acht Monaten Eltern von Zwillingen, Romy und Lenny, geworden.“ Er überlegt einen Augenblick. „So ganz ohne Fußball werde ich wohl nie auskommen. Vielleicht fahre ich dann donnerstags wieder öfter mal zum Geißbockheim, um dort am Hallenkick der ehemaligen FC-Spieler um Wolfgang Overath teilzunehmen. Mal sehen!“

Freude am Beruf und die Beziehung zum FC

Er arbeitet immer noch bei der Raiffeisenbank Frechen-Hürth, hat sich nach seinem Studium zum Bankfachwirt intensiv im Immobilienbereich weitergebildet. „In unserer Bank bin ich zuständig für den Vertrieb von Neubaumaßnahmen“, erläutert er. „Das umfasst vor allem den Bereich der Projektentwicklung und basiert auf den vier Säulen Ankauf von Grundstücken, Entwickeln, Bauen und Verkaufen.“

Gregor Kapitza heute Foto: privat

Gregor Kapitza ist seit siebzehn Jahren bei dieser Bank, in der er auch schon seine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert hat. „Das ist ein Job, der mich erfüllt, ich gehe gerne zur Arbeit. Ich glaube in den siebzehn Jahren hat es noch keinen Tag gegeben, an dem ich nicht mit Freude meinem Beruf nachgegangen bin.“

Die Verbindung zum 1.FC Köln besteht natürlich weiterhin durch seinen Vater, aber auch durch gelegentliche Begegnungen mit alten Weggefährten. Über die Zukunft „seines“ Vereins macht er sich seine eigenen Gedanken. „Ich glaube, es wäre hilfreich wenn der FC eine Philosophie entwickeln würde, eine Idee, wie gespielt werden soll“, sagt er. „All die erfolgreichen Vereine wie Dortmund, Bayern oder Schalke haben ein solches Konzept. Der Vorteil wäre, dass man auf der Grundlage einer Spielidee Trainer und Spieler verpflichten könnte, die zu dieser Philosophie passen, und nicht umgekehrt, und so verhindern könnte, dass mit jedem neuen Trainer wieder alles, was vorher gemacht wurde, umgeschmissen werden muss.“

Die Bilanz nicht nur einer Fußballkarriere

Wie sieht die Bilanz seiner Fußballkarriere aus? Ohne Zögern sagt er: „Überwiegend positiv! Der Fußball hat nicht nur mir, sondern meiner ganzen Familie geholfen. Ich habe mit den Jugendnationalmannschaften Reisen zum Beispiel in die USA, nach Zypern oder Griechenland gemacht, die meine Eltern mir damals nie hätten ermöglichen können. Mein Vater hat seit mehr als zwanzig Jahren einen interessanten und abwechslungsreichen Arbeitsplatz beim FC. Wir alle führen ein gutes Leben, der Fußball hat seinen Beitrag dazu geleistet.“

Und die Profikarriere, die ihm vorenthalten blieb? Er hält einen Moment inne. „Mir hat einmal ein Profifußballer gesagt, dass man 80 Prozent Glück und 20 Prozent Talent benötigt, um eine erfolgreiche Profikarriere einschlagen zu können. Die 80 Prozent Glück setzen sich aus drei Dingen zusammen: Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, man muss möglichst verletzungsfrei bleiben, und man muss die richtige Förderung genießen.“

Gregor Kapitza hat vor vielen Jahren sein Geburtsland Polen gemeinsam mit seiner Familie verlassen. Es ging für ihn in die Abgeschiedenheit des Odenwalds, später dann in die Millionenstadt Köln. In Hürth hat er ein Zuhause gefunden, beruflich in der Raiffeisenbank und privat bei seiner Frau Irina und seinen acht Monate alten Zwillingen.

Kurz nach dem wir uns verabschiedet haben, fällt mir etwas ein, was er mir gegen Ende des Interviews gesagt hat: „Ich trauere keiner der damaligen Gelegenheiten, Profi zu werden, nach, im Gegenteil: Ich bin glücklich in meinem Leben!“ Es gibt wohl mehrere Wege zum Glück; es scheint, Gregor Kapitza hat den seinen gefunden.

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