Winston Churchill erklärte einst, die Demokratie sei die schlechteste Staatsform – abgesehen von allen anderen. Vermutlich hatte er recht. Doch die Herrschaft des Volkes über das Volk kann viele Antlitze haben: Präsidentiell, parlamentarisch, liberal, direkt, repräsentativ – es gibt durchaus ein paar legitime Variationen dieser Staatsform. Und ein paar, auf denen zwar außen Demokratie drauf steht, innen aber keine drinsteckt.
Wahlen, Kontrolle über die Machthaber und eine freie Presse sind die zentralen Aspekte jeder ernst gemeinten Demokratie. Erst über diese Instrumente wird die Funktion des Systems sichergestellt. Das Volk bestimmt nicht nur seine Regierung, sondern es kontrolliert sie auch. Doch was hat das alles mit dem 1. FC Köln zu tun?
Spätestens seit dem Rücktritt von Präsident Werner Spinner ist beim Traditionsclub vom Rhein der Wahlkampf, ebenfalls ein durchaus prägendes Merkmal der Demokratie, ausgebrochen. Und prompt ist eine Diskussion darüber entbrannt, wie demokratisch die Suche nach einer neuen Clubführung denn abzulaufen habe.
Die Ausgangslage: Mitgliederrat sucht neues Vorstandstrio
Die Situation: Während die amtierenden Vizepräsidenten eventuell erneut antreten und wiedergewählt werden wollen, scheint das beim 1. FC Köln für die Suche nach einem geeigneten Vorstand vorgesehene Gremium offensichtlich nicht mehr mit Toni Schumacher und Markus Ritterbach zu planen. Für so manchen Beobachter ist damit die Sache auch schon klar: Die beiden Vizes sollen „vom Hof gejagt“ werden, das sei furchtbar respektlos und ein Unding, so hört man es von ihren Unterstützern.
Für noch mehr Zorn scheint bei einigen aber die Ansicht Stefan Müller-Römers gesorgt zu haben. Im Gespräch mit effzeh.com hatte das neue Vorstandsmitglied sich auch zur Suche nach einem neuen Vorstand geäußert. Ein Wahlkampf sei von der Satzung überhaupt nicht gewünscht, erklärte der ehemalige Vorsitzende des Mitgliederrats, also des Gremiums, dem satzungsgemäß die Suche nach einem neuen Vorstandsteam obliegt.
Stefan Müller-Römer | Foto: Sebastian Bahr
„Der Mitgliederrat ist auch gerade erst von den Mitgliedern neu gewählt worden – mit dem klaren Auftrag für die Wahl 2019 ein Vorstandsteam vorzuschlagen. Insofern erwarte ich, dass es bei dem einen Team bleibt und sich alle hinter diesem Team versammeln, das der Mitgliederrat sorgfältig auswählen wird.“ Schumacher und Ritterbach sollten daher, wenn sie nicht nominiert würden, auf eine Kampfkandidatur verzichten. Ein Wahlkampf berge schließlich auch immer das Risiko, zur Schlammschlacht zu verkommen. Das sei nicht im Sinne des Vereins, erklärte Müller-Römer.
Sorge um den demokratischen Wettbewerb beim 1. FC Köln
Den Beleg für die Wahrhaftigkeit zumindest der letzteren Aussage lieferten die Vizepräsidenten und ihr Umfeld dann zuverlässig. Die „Bild“ monierte, niemand habe bisher mit dem Vorstandsduo gesprochen. Dass der Mitgliederrat offenbar auf Dr. Werner Wolf als nächsten Präsidenten setzen möchte, habe man aus der Presse erfahren, erklärte Ritterbach. Wenig später nahm sich dann auch der „kicker“ dem Thema an. Dass Müller-Römer mit seinen Worten darum bitte, einen „demokratischen Wettbewerb“ außer Kraft zu setzen, würde so manchen Beobachter „nachdenklich stimmen“.
Ex-FC-Spieler Stephan Engels legte im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ nach: “Vorstand raus”-Banner wie sie im Kölner Stadion seit Monaten hängen, seien in der Vergangenheit mit Franz Kremer und Peter Weiand an der Vereinsspitze nicht denkbar gewesen. „So basisdemokratisch, wie der FC mit seiner Satzung ist, war der Verein noch nie und so viele Mitglieder gab es es auch früher nicht“, erklärt Engels. „Die hätten eigenhändig die Schmäh-Transparente abgehängt.“
Während sich die einen also um den demokratischen Wettbewerb beim 1. FC Köln sorgen, wünschen sich andere offenbar wieder einen „Boss“ mit harter Hand herbei, der Kritikern den Mund verbietet. Wäre es kein popeliger Fußballclub, könnte man fast meinen, es gehe hier um den finalen Kampf zwischen liberaler Demokratie und strenger Autokratie. Aber so dramatisch ist es nicht.
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Denn die Demokratie-Debatte bei den „Geißböcken“ hat genauso viel Substanz wie das Gerücht, dass bisher niemand mit den Vizepräsidenten habe sprechen wollen. Letzteres hatte der neue Vorsitzende des Mitgliederrats, Dr. Carsten Wettich, am Montag bereits vom Tisch gewischt. Sowohl Ritterbach als auch Schumacher seien vom Mitgliederrat zum Gespräch gebeten worden, beide hätten die Anfrage jedoch abgelehnt.
Für beide stehe die Tür aber nach wie vor offen, wenngleich ihr Verzicht natürlich Einfluss auf die Vorstandssuche des Gremiums gehabt habe. Undemokratisch ist daran nichts, außer dass die Vizepräsidenten einerseits unbedingt weitermachen, andererseits sich bisher aber nicht dem demokratisch gewählten Mitgliederrat stellen wollten.
Müller-Römers Argumentation ist nachvollziehbar
Und die Worte Müller-Römers? Fordert der Interimsvorstand mit dem Verzicht auf eine Kampfkandidatur auch den Verzicht auf demokratische Wahlen beim 1. FC Köln? Wohl kaum. Die Argumentation des Juristen zielt nicht darauf ab, freie Wahlen zu verhindern, sondern ergibt sich aus der Struktur des Clubs, der wohl gemerkt kein Staat, sondern eben nur ein Fußballverein ist.
Wenn man den Vergleich aber anstellen möchte, sollte man sich die Bundesliga als Parlament vorstellen. Der 1. FC Köln wiederum wäre dabei eine der Parteien, die in diesem Parlament sitzen. Damit die Kölner Fraktion im Bundesliga-Bundestag Gehör findet, braucht sie Repräsentanten – den Vorstand. Bei den „Geißböcken“ hat man sich satzungsgemäß darauf geeinigt, dass der Mitgliederrat im Auftrag der Mitglieder dafür zuständig ist, geeignete Personen zu finden, und dann einen Wahlvorschlag zu unterbreiten. Dieses Gremium wurde noch im letzten Herbst demokratisch gewählt. Übrigens: Für eine Partei ist Geschlossenheit nach außen immer wünschenswerter als möglicherweise dreckig geführte Machtkämpfe. Fragen Sie doch mal die SPD.
Mitgliederrat hat demokratisches Mandat
Die Mitgliederräte wurden von den Wählern als ihre Repräsentanten bestimmt, sie handeln demnach im Auftrag der gesamten Mitgliedschaft – mit einem klaren demokratischen Mandat. Sollte dieses Gremium – und es gibt durchaus einige Gründe dafür – zu dem Schluss kommen, dass Schumacher und Ritterbach nicht die richtigen Kandidaten im Sinne einer guten Zukunft des Clubs sind, dann ist das einerseits eine zutiefst demokratische Entscheidung. Und sendet andererseits auch ein klares Signal an die beiden Vizepräsidenten: Danke für euren Einsatz, aber jetzt ist es Zeit für einen Umbruch.
Foto: Juergen Schwarz/Bongarts/Getty Images
Das mag Schumacher und Ritterbach persönlich zwar nicht gefallen, es belegt gleichzeitig aber, dass die Kölner Satzung ihren Zweck erfüllt und die demokratisch gewählten Mitgliedervertreter ihre Aufgabe ernst nehmen. Denn in einer Demokratie geht es grundsätzlich nicht um persönliche Befindlichkeiten. Dass Stefan Müller-Römer aus der drohenden Nicht-Nominierung der beiden Vize-Präsidenten also den Schluss zieht, es sei im Sinne des Clubs, wenn sie – sollte dieser Fall eintreten – auf eine Kampfkandidatur verzichten, ist daher folgerichtig.
Kampfkandidatur möglich – auch das ist gut so
Zwar bietet das Kölner Regelwerk die Möglichkeit mit Hilfe von drei Prozent der Mitgliederunterschriften gegen das Team des Mitgliederrats zu kandidieren, was auch gut so ist. Gleichzeitig würde es aber wohl kaum ein Parteivorstand wagen, gegen den klar artikulierten Willen der Mitgliedervertreter einen monatelangen Wahlkampf anzuzetteln, der konstruktives Arbeiten in dieser Phase deutlich verkomplizieren würde.
Es spielt also eine Rolle, von wem die Möglichkeit via Unterschriften zu kandidieren, wahrgenommen wird: Bildet sich ein Kandidatentrio heraus, das vom Mitgliederrat nicht vorgeschlagen wird, aber dennoch der Meinung ist, die bessere Alternative für den Verein zu sein, ist das grundsätzlich erst einmal völlig legitim und ein demokratischer Prozess. Das muss und kann ein Club aushalten.
Der 1. FC Köln hat das in jüngerer Vergangenheit auch hinbekommen: Bei den vorletzten Wahlen nominierte der Mitgliederrat Werner Spinner, Toni Schumacher und Markus Ritterbach. Und das Trio setzte sich an der Urne gegen ein externes Team um Karl-Heinz Thielen und Franz-Josef Wernze durch. Der Unterschied: Thielen und Wernze bekleideten zu diesem Zeitpunkt kein Amt im Verein – und kein demokratisch gewähltes Gremium hatte ihnen zuvor signalisiert, dass die Mitglieder nicht mehr mit ihnen planen.
Auf der nächsten Seite: Wahlen alleine machen noch keine Demokratie
Sich als amtierender Vorstand über die Nominierung des Mitgliederrats hinwegzusetzen, wäre daher von anderer Qualität. Und würde nicht allzu gut zur Profilierung als großer Vereinsdemokrat taugen. Denn ja: Eine mögliche Kandidatur von Schumacher und Ritterbach mag auf den ersten Blick dazu führen, dass die Mitglieder im September eine Wahl haben werden. Andererseits wäre sie jedoch auch die grobe Missachtung des Mitgliederrats seitens der Vizepräsidenten, die bereits in der Vergangenheit intern immer wieder Meinungsverschiedenheiten mit dem Gremium gehabt haben.
Doch dieses Gremium hat das Mandat, für die Mitgliedschaft zu sprechen. Das muss einem – wie Stephan Engels – natürlich nicht passen, aber es ist so. Als Demokrat muss man sich auch fügen, wenn es nicht die Repräsentanten ins Gremium geschafft haben, die man selbst sich gewünscht hätte. Die Entscheidung der Mitgliederräte zu ignorieren, würde daher maximal als Beweis für überbordende Egomanie, nicht aber als Beleg für eine demokratische Haltung dienen.
Geht es wirklich um mehr Vereinsdemokratie?
„Wahlen allein machen noch keine Demokratie“, erklärte der ehemalige amerikanische Präsident Barack Obama einst. Recht hatte er: Denn wer Wahl sagt, muss auch Kontrolle sagen. Genau dort hapert es bei den Vizepräsidenten und ihren Unterstützern offenbar: Der Rest des alten Vorstandstrios sei „wild entschlossen“ zur Kampfkandidatur, weiß der „Express“ zu berichten. Der drohenden Ablehnung der Mitglieder-Repräsentanten zum Trotz – das sei jawohl nur demokratisch.
Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images
Toni Schumacher und Markus Ritterbach wären damit – nicht zum ersten Mal in den letzten Monaten – schlecht beraten. Die Demokratie-Karte sollte man schließlich nur spielen, wenn man sich das auch leisten kann. Die Entscheidung des Mitgliederrats quasi für nichtig zu erklären, ließe sich allerdings nicht zu einer demokratischen Tat umdeuten. Es ist schlichtweg keine.
Vielmehr sind das Vorgehen der beiden Vizepräsidenten und die Angriffe auf den Mitgliederrat in der Vergangenheit der unbeabsichtigte Beweis dafür, dass es ihnen keinesfalls um mehr Demokratie beim 1. FC Köln geht, sondern ganz im Gegenteil um weniger. Vor allem aber scheint es derzeit um den eigenen Machterhalt in der Vorstandsposition zu gehen, die übrigens finanziell mittlerweile auf Wunsch des amtierenden Vorstands ordentlich vergütet wird.
Eine Kampfkandidatur ist nicht im Sinne des Vereins
Das passt ins Bild der Vergangenheit: Das Kontrollgremium wurde nach guten Anfangsjahren von Spinner, Schumacher und Ritterbach immer mehr missachtet – das ist schon lange kein Geheimnis mehr. Einwände wurden nicht gehört, Entscheidungen nicht vernünftig kommuniziert und im Vorfeld der letzten Mitgliederversammlung folgte schließlich eine regelrechte Kampagne gegen den Mitgliederrat im Allgemeinen und seinen prominentesten Vertreter, Stefan Müller-Römer, im Speziellen. Und so belegen die beiden Vizepräsidenten mit ihrem vermeintlichen Willen zur Kampfkandidatur und ihr Umfeld mit seinen Aussagen nun eindrucksvoll, dass nicht überall wo „demokratischer“ drauf steht, auch tatsächlich mehr Demokratie drin steckt.
Es mag rein formal betrachtet legitim sein, die Kandidatur anzustreben und das Mandat des Mitgliederrats, dessen Kontrolle man sich zuvor so gut es ging entzogen hat, damit für mehr oder weniger wertlos zu erklären. Im Sinne des Clubs kann dieses Verhalten allerdings nicht sein – und so demokratisch, wie es verkauft wird, ist es ebenfalls nicht. Vor allem nicht, wenn man inhaltlich offenbar so wenig Argumente auf seiner Seite hat, dass man zuvor mit dem ohnehin schon weitgehend missachteten Gremium nicht einmal sprechen wollte.
So scheint die Vereinsdemokratie für Markus Ritterbach, Toni Schumacher und ihre Unterstützer lediglich aus Wahlen, nicht aber aus Kontrolle und der Achtung demokratischer Entscheidungen zu bestehen. Das wurde in den letzten Tagen bereits sichtbar – eine Kampfkandidatur würde diesen Eindruck untermauern. Für den viertgrößten Fußballverein Deutschlands kann diese Attitüde jedoch nicht genug sein. Und so möchte man den beiden Vizepräsidenten die Weisheit des wohl berühmtesten Philosophen eines Landes, mit dem der 1. FC Köln in der Amtszeit von Schumacher und Ritterbach begonnen hat, Geschäfte zu machen, ans Herz legen. Denn Konfuzius sagt: „Wird man gebraucht, erfüllt man seine Pflicht. Wird man nicht mehr gebraucht, so zieht man sich zurück.“ Recht hatte er.