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EM-Momente des 1. FC Köln: Triumph in Rom mit vier Kölnern

Foto: imago images / Laci Perenyi

Die EM 1980 ist, was die Teilnahme von Spielern des 1. FC Köln angeht, das erfolgreichste Turnier für den Verein gewesen. Gleich vier Akteure der Geißbock-Elf dürfen sich seit dem Endspielsieg der DFB-Elf in der ewigen Stadt Rom Europameister nennen – davon spielten drei im Finale, nur einer blieb ohne Einsatz. Die Beschreibung klingt übrigens nur zufällig nach der WM 1990, als ebenfalls drei FC-Spieler in Rom im Finale obsiegten und einer ohne Einsatz den Titel holte. Eine Duplizität der Ereignisse, sollte aber Italien noch einmal das Austragungsland einer WM oder EM werden und Rom das Endspiel bekommen, dann darf man das am Geißbockheim und in der DFB-Zentrale sicher als gutes Omen werten.

Doch zurück zur Europameisterschaft im Jahr 1980. Vier Jahre nach dem nur durch Elfmeterschießen verlorenen Finale gegen die Tschechoslowakei in einem aufregenden und extrem spannenden Mini-Turnier sollte diese EM endlich die erste werden, die dem Begriff „Turnier“ mehr entsprach. Bis dato bestanden die jeweiligen Endrunden lediglich aus vier Spielen: zwei Halbfinals, Spiel um Platz drei sowie das Finale. Im Jahr 1976 gingen alle diese vier Spiele in die Verlängerung und allen Partien war ein hochdramatischer Spielverlauf gegeben. 1980 sollte dies anders werden. Acht Mannschaften aus acht Ländern nahmen diesmal teil. Es wurden zwei Gruppen gebildet und der jeweilige Gruppensieger qualifizierte sich ohne Umwege direkt für das Finale. Ein Halbfinale gab es so nicht mehr.

Nach der “Schmach von Cordoba”: Neuer Trainer, neue Chancen, neue Namen

Als Gastgeberland wurde frühzeitig Italien bestimmt. Eine Wahl, die im Nachhinein Kopfzerbrechen bereitete, erlebt das Land doch im Vorfeld der EM einen Fußball-Wettskandal erster Güte. Im Verlauf der Ermittlungen wurden gleich sechs Nationalspieler verhaftet. Das alles führte dazu, dass die Nationalmannschaft Italiens kaum noch Rückhalt im Land hatte und allgemein das Interesse an der EM gering war. Dies, obwohl erstmals der Gastgeber direkt für die Endrunde qualifiziert war. Doch zunächst mussten 31 Verbände in die Qualifikation zur Endrunde. Darunter auch die Nationalmannschaft Deutschlands, die bei der WM 1978 durch die 2:3-Niederlage in Cordoba ausgerechnet gegen Österreich eine ziemlich deftige Ohrfeige erhielt. Zwar wird der Ausgang der WM sportlich bis heute stark überdramatisiert – die DFB-Auswahl war schließlich nur knapp vom Spiel um Platz drei entfernt, selbst das WM-Finale war theoretisch noch möglich –, aber Fußball-Deutschland war dennoch tief getroffen und verlangte nach Wiedergutmachung mit einem neuen Team.

Foto: imago images / Horstmüller

Diese neue Mannschaft sollte Helmut Schöns Nachfolger Jupp Derwall aufbauen. Der joviale Rheinländer war lange Jahre Schöns Assistent und brachte gleich frischen Wind in das in Routine erstarrte Fußballland. Im ersten Spiel nach der WM siegte die Nationalmannschaft im Rahmen eines Freundschaftsspiels mit 4:3 beim noch amtierenden Europameister Tschechoslowakei. Es war ein begeisterndes Spiel und es schien, als wäre eine komplett neue Ausrichtung unter dem neuen Übungsleiter zu erkennen gewesen. Die letzten Jahre unter Schön waren letztlich quälend und bei der WM 78 war dem langjährigen Bundetrainer sein Team nahezu entglitten, die Tendenz dazu hatte sich bereits bei der EM 76 angedeutet. Der frische Wind auf der Bank war also überfällig – und er wurde liebend gerne entgegengenommen. Schließlich versprachen sich nun viele Spieler, die unter Schön kaum eine Rolle spielten, wieder eine Zukunft im DFB-Team.

Status der FC-Kandidaten

Ein Umstand, den FC-Star Heinz Flohe – ungekrönter Star der EM 76 – hätte bedenken sollen, als er nach der WM 78 etwas vorschnell aus der Nationalelf zurücktrat. Trotz seiner 30 Jahre spielte Flohe in Derwalls Planspielen eine ernsthafte Rolle und im Gegensatz zu Helmut Schön schätzte Derwall die enormen Fähigkeiten Flohes sehr. Auch nach dem unerfreulichen und aus FC-Sicht überflüssigen Wechsel des Regisseurs nach München (zu 1860) war Flohe für die EM wieder ein Thema beim Bundestrainer. Doch dann wurde Flohes Karriere durch den brutalen Tritt Paul Steiners beendet und die Sache hatte sich logischerweise erledigt.

Der andere strahlende Turnier-Held der 76er EM war Dieter Müller, der rätselhafterweise nicht mehr berufen wurde. Obwohl Müller im Verein beständig das Tor traf und auch im Nationalteam eine gute Quote vorweisen konnte (zwölf Spiele, neun Tore), blieb dem FC-Goalgetter die Anerkennung beim DFB verwehrt. Klaus Fischer, Karl-Heinz Rummenigge oder Klaus Allofs, später Horst Hrubesch bildeten eine starke Konkurrenz und Müller kam schlicht nicht dauerhaft an ihnen vorbei. Dies, obwohl er in zwei großen Turnieren bewiesen hatte, das er in wichtigen Spielen das Tor traf. Dennoch endete seine Nationalmannschaftskarriere mit der sogenannten „Schmach von Cordoba“ bei der WM im Jahr 1978.

Doch es spielten sich neue FC-Akteure in den Fokus der Nationalelf. Schon 1978 hatte sich Harald „Toni“ Schumacher immer mal wieder selbst bereits für die WM in Argentinien ins Gespräch gebracht. „Als Torwart des Deutschen Meisters sei man doch schließlich automatisch bei einer WM dabei“, hatte er einem Boulevardblatt in die Blöcke diktiert. Obwohl der DFB mitbekommen hatte, das sich aus dem einstigen Zappelphilipp, den Trainer Weisweiler zwischenzeitlich gar verschenken wollte, längst ein Top-Torwart entwickelt hatte, wurde er aufgrund dieser „großen Klappe“ zunächst ignoriert. Seine Zeit sollte aber noch kommen.

Der unverwüstliche Culli und die Torwartfrage

Ein anderer FC-Akteur wurde während der kompletten Qualifikation zur echten Säule des DFB-Teams. Bernd Cullmann, der unverwüstliche Weltmeister von 1974, der die EM 76 trotz vieler Qualifikationsspiele knapp verpasste und 1978 bei der WM ohne Einsatz blieb, wurde unter Derwall nun zum Stammspieler. In allen sechs Qualifikationsspielen war „Culli“ mit seiner unaufgeregten Art dabei und stabilisierte als Libero die Abwehr. Dass er dabei aber auch von den oftmaligen Nichtfreigaben seitens Real Madrid für Uli Stielike profierte, soll nicht unerwähnt bleiben. Auch Herbert „Zimbo“ Zimmermann, offensiver Außenverteidiger, wurde von Derwall geschätzt und absolvierte vier Qualifikationsspiele, in welchen er zweimal ins Netz traf. Einmal wurde auch das junge FC-Talent Bernd Schuster in der Qualifikation eingesetzt.

“Toni ist in Ordnung, er ist kein Linkmichel.”

Die Gegner in der Qualifikation hießen Türkei, Wales und Malta. Eine Todesgruppe klingt anders, das galt als problemlos machbar, aber ganz so locker lief es dann nicht. Die ersten beiden Begegnungen in der Türkei und sogar auf Malta endeten 0:0 und so war die Enttäuschung nach dem guten Beginn unter Derwall riesig. Anfang Mai 1979 aber gewann Deutschland in Wales mit 2:0, das erste EM-Tor in der Qualifikation war einem Kölner vorbehalten, Herbert Zimmermann zeichnete sich dafür verantwortlich. In der laufenden Qualifikation war es ausgerechnet auf der Torwartposition unruhig geworden. Der Platz im deutschen Tor war eigentlich weiter für Urgestein Sepp Maier vorgesehen, der auch in den Pflichtspielen noch zweimal zum Einsatz kam. Sein schwerer Autounfall im Juli 1979 beendete die Fußball-Karriere des 35-jährigen jedoch abrupt.

Foto: imago images / WEREK

Um die Nachfolge der nun vakanten Nummer 1 im deutschen Tor kämpften zunächst Dieter Burdenski und Norbert Nigbur. Beide wechselten sich in der Qualifikation ab, vorerst war immer noch kein Platz für Toni Schumacher, dem Jupp Derwall trotz immer besserer Leistungen weiter kritisch gegenüberstand. „Der bringt zu viel Unruhe in den Laden“, hieß es DFB-intern. Immerhin gestatte man dem Kölner sein Debüt bei einem Freundschaftsspiel auf Island, als er in der zweiten Hälfte für Sepp Maier eingewechselt wurde. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen konnte, es war auch die Wachablösung zwischen zwei Weltklassetorhütern, die je eine Ära im deutschen Tor prägten. Die symbolische Staffelübergabe fand also an jenem 26. Mai 1979 im Stadion Laugardalsvöllur in Reykjavik vor gerade mal 9.000 Zuschauern statt. Nach dieser Wachablösung sah es im Sommer 1979 aber noch lange nicht aus. Derwall änderte vorerst zwar nun seine Meinung über den Menschen Schumacher („Toni ist in Ordnung, er ist kein Linkmichel“), bezüglich der Position um die Nummer 1 wollte man zunächst dennoch den Zweikampf Burdenski/Nigbur abwarten.

Weiterer Verlauf der Qualifikation

In der laufenden Qualifikation standen nun die Rückspiele an, die allesamt aus Heimspielen bestanden. Am 17.10.1979 ließ die DFB-Elf Wales beim 5:1 in Köln keine Chance. Klaus Fischer traf zweimal und schien mehr und mehr in der Rolle des Mittelstürmers gesetzt zu sein. Auch Hansi Müller, Kalle Rummenigge, Karl-Heinz Förster, Kapitän Dietz oder Manni Kaltz schienen ihre Plätze sicher zu haben. Ein Hans-Peter Briegel rückte nach, Klaus Allofs schien nach großen Leistungen im Verein auch in der Nationalelf angekommen. Das verjüngte Team wuchs mehr und mehr zusammen und mit einem in Köln erstmals in der Quali eingesetzten Bernd Schuster hatte Derwall noch ein großes Mittelfeld-Talent in der Hinterhand.  Zwei Tage vor Heiligabend 1979 wurde auch die Türkei im Gelsenkirchener Parkstadion durch Tore von Klaus Fischer und „Zimbo“ Zimmermann mit 2:0 besiegt. Der Kölner war somit der letzte Torschütze der glorreichen Siebziger Jahre für die deutsche Nationalmannschaft.

Damit war auch quasi eine Vorentscheidung gefallen, denn das letzte Heimspiel gegen Malta galt als sicherer Siegtipp. Doch beim spielerisch eher dürftigen Auftritt gegen die Türken gab es auch Pfiffe aus dem Publikum zu hören und in den Medien wurden wieder Zweifel laut, ob dieses Team bei der EM 1980 eine gute Rolle spielen könnte. Mit dem klaren 8:0 über Malta am 27. Februar 1980 war die Qualifikation endgültig geschafft. Trotz einiger schwächerer Auftritte war das Erreichen der Endrunde letztlich eine Formsache gewesen. Noch besser: Die Stimmung im Team galt als herausragend gut. Die vielen jungen Spieler waren titelhungrig und das Verständnis untereinander wuchs, auf und neben dem Platz.

Auf der nächsten Seite: Wenn zwei sich streiten, freut sich der “Tünn”

Auch die noch offene Torwartfrage stand kurz vor der Beantwortung. Lange Zeit hatte es nach dem Duo Burdenski und Nigbur ausgesehen, doch der Bremer geriet mit Werder in den Abstiegsstrudel und kassierte in der Bundesliga Tor um Tor. Am Ende stiegen die Hanseaten erstmalig ab und Toni Schumachers FC finalisierte dies sogar durch einen 5:0-Auswärtssieg an der Weser. Burdenski war damit aus dem Rennen, denn schon rein mental konnte Derwall auf ihn nicht mehr setzen. So wurde der Schalker Norbert Nigbur als klare Nummer 1 gesehen, der “Tünn” als die Nummer zwei und als dritten Torwart hatte man die Wahl zwischen den jungen Talenten Eike Immel und Walter Junghans.

Doch Nigbur spielte ein zweites Mal Schicksal für Toni Schumacher. Erstmalig war das bereits 1977 der Fall, denn der damalige Herthaner war bereits fest als die neue Nummer 1 des 1. FC Köln verpflichtet worden. Mit der Hertha verlor der Weltmeister von 1974 (ohne Einsatz) jedoch das DFB-Pokalfinale gegen den FC in zwei dramatischen Endspielen. Noch beim Festbankett teilte der enttäuschte und zornige Nigbur verbal gegen die „Geißböcke“ vom Leder und wurde gegenüber FC-Präsident Peter Weiand sogar ausfällig. Nach den üblen Beleidigungen ließ Weiand den Vertrag durch Manager Karl-Heinz Thielen auflösen. Folge: Toni Schumacher wurde Weisweilers feste Nummer 1 und schaffte prompt in der Folgesaison den Doubletriumph mit dem 1. FC Köln.

Im Sommer 1980 erfolgte der zweite Teil in der Beziehung Schumacher-Nigbur. Was war passiert? Ganz einfach, Pechvogel Norbert Nigbur erlitt diesmal eine schwere Verletzung und fiel für lange Wochen aus. Damit stand fest, Toni Schumacher sollte für die Europameisterschaft mit der Erfahrung drei Länderspielen die feste Nummer 1 im deutschen Tor werden. Dabei hatte der „Tünn“ nicht einmal in der Qualifikation gespielt. Den Zweikampf zwischen Dieter Burdenski und Norbert Nigbur gewann umständehalber also Toni Schumacher. Dass er die Chance nutzte und seinen Stammplatz im deutschen Tor auf Jahre zementierte, ist natürlich längst ein Stück deutsche und kölsche Fußballgeschichte.

Das Turnier beginnt … und enttäuscht

Endlich konnte die Endrunde beginnen. In der deutschen Gruppe hießen die Gegner Tschechoslowakei, Niederlande und Griechenland. Die Gruppe B bestand aus heute sehr großen Namen: England, Spanien, Belgien und Italien. Favorit waren hier aber die Engländer, die nach 10 Jahren endlich bei einem Großturnier wieder dabei waren und auch die Vereinswettbewerbe der vorherigen Jahre dominierten. Mit Schumacher, Zimmermann, Schuster und Cullmann standen vier FC-Spieler im DFB-Kader. Von den 1974er Weltmeistern war neben „Culli“ nur noch Rainer Bonhof mit dabei. Doch der einstige Mönchengladbacher, der nach der EM zum FC wechseln sollte, verletzte sich kurz vor der Abreise und stand somit zwar im Kader, fuhr aber schon gar nicht mehr mit. Klaus Fischer war zuvor ebenso kurzfristig mit einem Beinbruch ausgefallen und so war es Horst Hrubesch, der – nicht ganz unumstritten – nachnominiert wurde. Der Hamburger hatte wie Dieter Müller in der Bundesliga 21 Tore erzielt, aber aufgrund der Form zum Saisonende fiel die Wahl auf das Kopfballungeheuer vom HSV.

“Dieses Eröffnungsspiel war eines der unerträglichsten und zähesten aller Spiele dieser Art, von denen man seit fast zwanzig Jahren weiß, dass sie todlangweilig sind.”

Am Tag des Eröffnungsspiels am 11. Juni gegen die Tschechoslowakei klemmte sich schließlich auch noch Herbert Zimmermann den Ischiasnerv ein. Der eigentlich gesetzte Kölner Außenverteidiger konnte zur Enttäuschung der FC-Anhänger während des Turniers nicht mehr eingesetzt werden. Das Spiel selbst wurde im Nachhinein als große Enttäuschung gewertet. Viele hatten noch das großartige und hochdramatische Finale von 1976 im Kopf und die Erwartungshaltung ging natürlich in die Richtung, dass beide Nationen hier wieder ansetzen könnten. Doch das Match litt unter der Sorge, das erste Spiel zu verlieren und so hieß das Motto eher safety first. Glücklicherweise gelang dem Stuttgarter Hansi Müller in der 55. Minute dennoch eine genaue Vorlage auf den Kopf von Karl-Heinz Rummenigge, der vor nur rund 10.500 Zuschauern das Tor zum 1:0-Sieg erzielen konnte. Das Spiel war zwar gewonnen, aber keinem konnte das gefallen, was man gesehen hatte. Frankreichs Sportblatt L’Equipe brachte es auf den Punkt: “Dieses Eröffnungsspiel war eines der unerträglichsten und zähesten aller Spiele dieser Art, von denen man seit fast zwanzig Jahren weiß, dass sie todlangweilig sind.”

Eine vermeintliche Revanche als Stimmungsaufheller

Dass das Abendspiel zwischen der Niederlande und den Griechen fast noch ein wenig langweiliger war und nur durch einen geschenkten Elfmeter für Oranje entschieden wurde, machte die Anti-Stimmung im vom Wettskandal frustrierten Fußballland Italien nicht besser. Sogar das Italien-Spiel gegen Spanien am Folgetag, ein todlangweiliges 0:0, war bei weitem nicht ausverkauft. Das andere Spiel zwischen Favorit England und Außenseiter Belgien endete ebenfalls remis. Auch hier waren die Leistungen dürftig. Hoffnung auf bessere Leistungen machte das bevorstehende Duell des DFB-Teams gegen die Niederlande. Endlich bot sich für die Holländer in einem Pflichtspiel die Chance zur lange erwarteten Revanche. Das WM-Endspiel von 1974 war schließlich noch in allen Köpfen und einige wenige Spieler waren gar noch dabei. Vor allem bei den Holländern, die 1976 das EM-Endspiel gegen die Deutschen noch dramatisch verpasst hatten. Jetzt hatten sie die Gelegenheit, einiges geradezurücken.

Foto: imago images / Sven Simon

Beim deutschen Team war allerdings nach Bonhofs Rückzug nur noch Bernd Cullmann aus dem WM-Kader von 1974 einsatzfähig, dieser war jedoch nach schwachem Start in den Fokus des Boulevards geraten und bekam neben anderen ordentlich Kritik ab. Tatsächlich war der Culli ausgerechnet zum Turnierstart gegen die Tschechoslowakei in ein kleines Leistungsloch gefallen, folgerichtig wurde der Routinier geopfert. Stattdessen lief das von vielen geforderte FC-Talent Bernd Schuster gegen den Rivalen aus dem Nachbarland auf. Das Spiel konnte den Erwartungen standhalten, die DFB-Elf spielte von Beginn an gut und zeigte sich offensiv in guter Verfassung. Belohnt wurde die deutsche Überlegenheit nach 20 Minuten: Der beeindruckend aufspielende Bernd Schuster traf den Pfosten, Allofs verwertete den Abpraller und es stand 1:0. Danach waren die Niederländer präsenter, hatten eine zehnminütige starke Phase, die aber ohne Torerfolg für den Nachbarn blieb.

Bernd Schuster dreht groß auf

Aus dem 74er Finale waren übrigens auf niederländischer Seite noch Ruud Krol, Arie Haan, Johnny Rep und René van de Kerkhof dabei. FC-Fans wissen sicher, das auch Michel van de Korput mit von der Partie war und sich sogar zwischenzeitlich mit Toni Schumacher anlegte. Ein Griff unterhalb der Gürtellinie hatte den Tünn so erzürnt, dass er dem späteren FC-Mitspieler fast an die Gurgel ging. Noch ein heute alter Bekannter war mit an Bord: Huub Stevens, der einmal FC-Aufstiegstrainer werden sollte, stand im Juni 1980 ebenfalls im holländischen Team und spielte eine überzeugende Partie.  Zurück zum Spiel, denn das war hochklassig, vor allen Dingen von deutscher Seite.

Die Derwall-Elf suchte nach dem 1:0 zur Halbzeit nach dem Wiederanpfiff die Vorentscheidung. Nach gut einer Stunde Spielzeit schien diese gefallen zu sein, denn nach einem Rückpass von Hansi Müller schlug der Düsseldorfer Klaus Allofs ein zweites Mal zu. Und nur sechs Minuten später schien das Match endgültig entschieden, nach meisterlicher Vorbereitung des Spielgestalters Bernd Schuster war erneut Allofs erfolgreich. Für die Niederlande zeichnete sich ein Debakel ab.  Dass es dazu nicht kam, es im Gegenteil noch einmal spannend wurde, lag an einem jungen Debütanten. Im Hochgefühl des sich abzeichnenden Sieges wechselte Derwall den 19-jährigen Lothar Matthäus für Kapitän Bernard Dietz ein und verhalf dem Mönchengladbacher so zu seinem Länderspiel-Debüt. Doch zehn Minuten vor dem Abpfiff zog Johnny Rep unwiderstehlich Richtung Strafraum, Matthäus folgte ihm, grätschte und traf den Angreifer der Niederlande am Fuß.

Klares Foul, allerdings außerhalb des Strafraums – ein Umstand, den Schiedsrichter Robert Wurtz übersah und auf Elfmeter entschied. Der Gefoulte trat selbst an und obwohl Schumacher die Ecke ahnte, konnte er den Anschlusstreffer nicht verhindern. Nun machte sich Nervosität in der unerfahrenen Derwall-Elf breit. Kein Wunder, gleich sieben Akteure auf dem Platz spielten schließlich ihr erstes Turnier. Als dann Willy van de Kerkhof in der 86. Minute gar noch das 3:2 gelang, musste man sich erst recht Sorgen machen. Doch der niederländische Endspurt kam zu spät und somit war der zweite Sieg im zweiten Spiel im Sack.

Das Tor zum Finale steht sperrangelweit offen

Die Experten waren sich einig: Das war das bisher beste Spiel des Turniers – und es hatte einen großen Gewinner namens Bernd Schuster. Der junge FC-Star galt als wohl größtes Mittelfeld-Talent Europas und eigentlich gab es Grund genug für die FC-Fans stolz zu sein. Doch der bereits als eigenwillig aufgefallene Schuster trug sich mit bereits öffentlich geäußerten Wechselgedanken und seine Zeit beim 1. FC Köln schien bald zu enden. Für den Moment war dies jedoch hintangestellt, nicht nur in der Domstadt genossen die Fans die Leistung des Jungstars, aber auch die des Torwarts Toni Schumacher, der eine gewisse Selbstverständlichkeit im Kasten ausstrahlte. Der „Tünn“ hatte bis dato gut gehalten und wirkte erfreulich souverän. Das Tor zum Finale stand nun für alle deutschen Spieler sperrangelweit offen, denn der letzte Gegner hieß Griechenland, die beide Spiele verloren hatten und dabei auch nicht sonderlich gefährlich wirkten.

Auf der nächsten Seite: Ein würdiger Sieger in einem würdigen Endspiel

Doch was nun folgte, zeigte die Schwächen des neuen Modus. Vor dem Abendspiel gegen die Griechen spielten am Nachmittag noch die Tschechoslowakei und die Niederlande um ihre letzte Chance. Es kam, wie es kommen musste, das Spiel ging unentschieden aus (1:1). Die deutsche Elf war damit bereits für das Endspiel um die Europameisterschaft 1980 qualifiziert, egal wie das Spiel gegen die Griechen ausgehen würde. So positiv das für die Nationalmannschaft und ihren Trainer in diesem Moment war, aber sämtliche Spannung war nun komplett raus. Das Spiel gegen Griechenland wurde so zum Freundschaftsspiel und natürlich verzichtete Derwall verständlicherweise auf gleich drei gelb vorbelastete Spieler (Dietz, Schuster, Allofs).

Fast schon logisch, dass das Spiel unter diesen Voraussetzungen zu einem Langweiler wurde. Fast hätte man sich gar bis auf die Knochen gegen den schwachen Gegner richtig blamiert, denn in der zweiten Halbzeit hatten die Hellenen die größeren Chancen und trafen auch den Pfosten. Es war auch für Bernd Cullmann schwer zu glänzen, der in diesem Spiel – immerhin ein kleines Highlight für FC-Fans – sogar als Kapitän auflief. Im Laufe der Begegnung wurden noch weitere bisherige Bankspieler wie Mirko Votava und Calle Del’Haye eingewechselt. Einerseits eine noble Geste des Bundestrainers, andererseits fehlte die wohl notwendige Anspannung und von Eingespieltheit konnte erst Recht keine Rede sein.

Am Ende blieb es beim 0:0 und so kam es zu der skurrilen Situation, das die Gazetten am Folgetag nicht den Einzug ins Finale bejubelten, sondern die deutsche Elf in Grund und Boden schrieben. Die Fußball-Woche ließ sogar die Fläche für den Spielbericht komplett frei. Die Begründung: “Auch wir haben uns die Einstellung der Nationalmannschaft zu eigen gemacht und uns für die Endspiel-Ausgabe geschont“, hieß es dort. Bundestrainer Jupp Derwall sah sich schuldlos, konnte er doch nichts für den Turniermodus und sicher wäre er auch massiv kritisiert worden, hätte sich ein zentraler Stammspieler im unwichtig gewordenen Spiel verletzt. Die Stimmung vor dem Finale war also nicht die allerbeste und passte allgemein in dieses in weiten Teilen enttäuschende Turnier, was die Spannung und die Spielqualität angeht.

Unerwarteter Endspielgegner für die DFB-Elf

Das Niveau der Gruppe 2 mit England, Spanien, Belgien und Italien war von vielen Experten sogar als noch schwächer bezeichnet worden als das der deutschen Gruppe 1. Es herrschte trotz der heute toll klingenden Namen Minimalismus pur vor. Die Engländer enttäuschten komplett, auch Spanien brachte nicht viel zustande. Die Belgier hingegen hatten alles Recht, ihre Spiele als Außenseiter defensiv anzugehen, noch dazu bissen sich alle Gegner unseres Nachbarlandes an der nahezu perfekt einstudierten belgischen Abseitsfalle die Zähne aus. Dies reichte, um gegen England 1:1 zu spielen und gegen Spanien knapp mit 2:1 zu gewinnen. Im letzten Spiel kam es dann immerhin zu einem verkappten Halbfinale, welches Gastgeber Italien aber hätte gewinnen müssen, denn sie hatten – ganz Italien like – gerade mal ein Tor geschossen, damit aber die gleiche Punktzahl wie die Belgier erreicht. Doch das nun folgende 0:0 reichte den Südeuropäern nicht.

Foto: imago images / Sportfoto Rudel

Das Endspiel von Rom hieß also nun Deutschland gegen Belgien. In diesem Spiel waren die FC-Stars Toni Schumacher und Bernd Schuster gesetzt, für Bernd Cullmann war wie bei der WM 1974 der Platz auf der Bank vorgesehen. Doch dann der Schock für Schumacher, ein unabsichtlicher Tritt im Abschlusstraining und der Kölner erlitt einen Mittelhandbruch. Dem DFB-Tross verschwieg Schumacher jedoch die Schwere der Verletzung und ließ sich Diagnose und Betäubungsspritze vom eingeweihten und eingeflogenen FC-Vereinsarzt geben. Das Spiel lief gut für die deutsche Elf, der bis dato in der Nationalelf torlose Horst Hrubesch traf nach Schuster-Vorlage bereits früh im Spiel aus etwa 17 Metern per Flachschuss zum wichtigen 1:0. In der Folge verlief das Spiel abwechslungsreich und beide Torhüter, Jean Marie Pfaff und eben Toni Schumacher, bekamen ordentlich zu tun. So viel, das Schumacher dringend eine „Nachladung“ benötigte. Sofort nach dem Pausenpfiff rannte er Richtung Kabine, um sich eine weitere Betäubung geben zu lassen.

Cullmann wird eingewechselt

Die zweite Halbzeit war nur wenige Minuten alt, als Hans-Peter Briegel, der bis dahin ein sehr gutes Spiel machte, nach einem Foul nicht mehr weiterspielen konnte. Ersetzt wurde die „Walz von der Pfalz“ in der 55. Minute durch Bernd Cullmann, der mit seinem ersten Finaleinsatz den verdienten Lohn für viele Jahre treuen Dienst für die Nationalmannschaft erhielt. Er bekam wie alle anderen reichlich Arbeit, denn eine gute Viertelstunde lang hatte Belgien das Spiel im Griff und kam zu guten Möglichkeiten. Doch Toni Schumacher zeigte einige gute Paraden und war nicht zu überwinden. Bis zu dem Moment, als der rumänische Schiedsrichter Nicolae Rainea nach einem klaren Foul an Van der Elst auf den ominösen Punkt zeigte.

“Stellt eure Linsen scharf, gleich kracht’s.”

Eine heftige Fehlentscheidung, denn Ulli Stielike hatte den belgischen Stürmer ganz klar außerhalb des Strafraums von den Beinen geholt. Nach heutigem Standpunkt jedoch wäre Stielike damit vom Platz geflogen, er war der letzte Mann und hatte keine Chance mehr auf den Ball. Jedenfalls ließ René Vandereycken Toni Schumacher keine Chance und erzielte den Ausgleich. Es drohte also wie 1976 eine Verlängerung, denn es waren nach dem Strafstoß nur noch zwölf Minuten zu spielen. Das Spiel wog nun hin und her, auch wenn beide Teams nun etwas vorsichtiger agierten, wollte sich niemand auf eine Verlängerung oder gar auf ein Elfmeterschießen verlassen. In der 88. Minute gab es Ecke für Deutschland, der Legende nach sprach Eckballschütze Karl-Heinz Rummenigge zuvor den Satz zu den Fotografen: „Stellt eure Linsen scharf, gleich kracht’s.“

Und so kam es auch: Das so genannte „Kopfballungeheuer“ Horst Hrubesch, bekannt dafür in alles mit dem Kopf voran reinzufliegen, was rund ist, wuchtete das Leder mit der vollen Power seines massigen Körpers in den Winkel. Der überzeugende belgische Torwart Jean Marie Pfaff war ohne Chance. Die restlichen Minuten überstand die DFB-Elf schließlich schadlos, mit dem Abpfiff war Deutschland zum zweiten Mal vielumjubelter Europameister. Ein verdienter Sieg in einem würdigen Finale, da waren sich die Beobachter im Nachhinein einig. Das Endspiel sollte, vielleicht neben dem 3:2 über Holland, das beste Match dieser an guten Spielen armen Europameisterschaft werden. Da das deutsche Team in beiden besten Spielen am Ende verdient siegreich war, galt es auch als verdienter Europameister. Die nicht ganz so überzeugenden Spiele gegen die Tschechoslowakei und Griechenland waren erklärbar. Schließlich riskiert man in einem Eröffnungsspiel selten viel und das Match gegen die Griechen war durch den Modus zum Testspiel degradiert.

Anteile der FC-Spieler im Turnier

Toni Schumacher agierte als neue Nummer 1 praktisch fehlerfrei und zeigte gute Paraden sowie eine beeindruckende Präsenz. Bei ihm hatten alle Beteiligten schlicht ein gutes Gefühl und in der Gesamtsumme blieb er in der Folge die logische Nummer 1 im deutschen Tor. Die Frage nach dem Nachfolger für den großen Sepp Maier war eindeutig beantwortet. Der Kölner entwickelte sich in den Folgejahren weiter, wurde eine internationale Größe und galt und gilt bei vielen Experten als einer der weltbesten Torhüter der 80er Jahre. In der Nacht von Rom, am 22. Juni 1980, legte die unerschrockene FC-Legende endgültig den Grundstein für seine internationale Karriere und seinen Weltruf.

Bernd Schuster gilt auch heute noch als DER Spieler des Turniers, trotz des zweifachen Endspieltorschützen Hrubesch. Der zeitweise an Netzer und Overath erinnernde Spielmacher absolvierte zwar nur zwei der vier Partien, es waren aber die herausragendsten des Turniers und beide Spiele wurden entscheidend von ihm gestaltet. Das der FC ihn nicht würde halten können, war aber frühzeitig absehbar. Der eigenwillige gebürtige Augsburger flirtete damals bereits mit Bayern München und als er sich endgültig mit FC-Trainer Heddergott überwarf, wechselte er zum Weltclub FC Barcelona und begann seine große Karriere in Spanien. Doch in diesem EM-Turnier im Jahr 1980 vertrat er noch die Farben des 1. FC Köln.

Foto: imago images / Sportfoto Rudel

Für den deutschen Fußball fatal, Schuster überwarf sich schließlich auch noch mit dem DFB. Somit spielte er 1980 sein einziges Turnier für Deutschland. Mit ihm hätte man 1982 und 1986 eventuell noch mehr erreichen können als zwei Vize-Weltmeisterschaften. Während für die beruflichen Fast-Namensvettern Schumacher und Schuster die internationale Karriere begann, beendete Bernd Cullmann seine DFB-Tätigkeit mit seinem 40. und zugleich letzten Länderspiel in der Nacht von Rom. Obwohl der „Culli“ immer ein klein wenig im Schatten von Overath, Flohe, Dieter Müller, Toni Schumacher und Bernd Schuster statt, er ist bis zum heutigen Tage der einzige FC-Spieler, der die Welt- UND Europameisterschaft holte. Zwar hatte der Kölner seine besseren Momente in der Qualifikation, aber als es darauf ankam, war auf ihn Verlass. Solide spielte er im Endspiel seinen Part und fand ein mehr als würdiges Ende seiner Nationalmannschaftskarriere.

Der größte FC-Erfolg bei Europameisterschaften

Der vierte Kölner im Bunde war Herbert Zimmermann, der aufgrund seiner Verletzung keine Chance hatte, aktiv etwas zum Titelgewinn beizutragen. Europameister darf er sich dennoch nennen und durch zwei Tore in der Qualifikation ist dies auch verdient. Die Europameisterschaft an sich war als Veranstaltung kein großer Erfolg: Merkwürdiger Modus mit Verzicht auf K.o.-Spiele, spannungsarme Begegnungen, wenig Zuschauer. Immerhin sollte die UEFA zur nächsten Europameisterschaft wieder das Halbfinale einführen, aber dies ist dann wieder eine andere Geschichte. Insgesamt war die EM 1980 aus FC-Sicht der größte Erfolg. Sicher, die Beiträge von Müller und Flohe im Endturnier von 1976 waren aufgrund der von ihnen erzielten fünf Tore und den maßgeblich herbeigeführten Spielwendungen noch ein wenig prägender gewesen sein. Aber den Titel holten sie leider nicht. 1980 konnte man nun gleich vier Europameister am Geißbockheim zum Saisonbeginn zu begrüßen. Das wird sicher noch sehr lange dauern, bis das einmal getoppt wird. Wenn überhaupt …

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