Zum sechsten Mal in 20 Jahren tritt der 1. FC Köln den bitteren Gang in die 2. Bundesliga an. Wie es sich anfühlt, Fan eines Vereins zu sein, der ständig im Fahrstuhl hängt? Unser Autor, Jahrgang 1986, nähert sich dem an.
Manche Fragen in seinem Leben erwischen einen unvorbereitet, geradezu auf falschem Fuß. Auf manche Fragen in seinem Leben allerdings wusste ich die Antwort sofort. „Würdest du die Europapokal-Teilnahme eintauschen, wenn der 1. FC Köln dafür die Klasse gehalten hätte?“, schaute mich eine Kollegin neugierig an. Und mit dem Satz „Auf gar keinen Fall, verdammt nochmal! Diese Erlebnisse, die nimmt mir niemand mehr!“ kam meine Antwort mit dem vollsten Brustton der Überzeugung. Niemals würde ich tauschen wollen, niemals würde ich das herschenken. Denn: Meinen effzeh auf der internationalen Bühne sehen? Das war in meinem Fandasein ein absolutes Highlight. Den effzeh als Absteiger, den kenne ich dagegen zur Genüge.
Quasi als „Lost Generation“ dieses Vereins mitten in den achtziger Jahren geboren stand der 1. FC Köln für mich immer für eine Leidenschaft, die Leiden schafft. Seit ich denken kann, ist Fußball mein Leben gewesen. Seit ich denken kann, gehört dem effzeh mein Herz. Obwohl öfter im Südstadion bei der Fortuna am Start, bleibt dieser seltsame Club aus dem Grüngürtel meine Nummer Eins. Mein erstes Spiel mit meinem Vater bleibt unvergessen: Es ist elend kalt auf dem Stehplatz, ein eisiger Wind pfeift durch das alte Müngersdorfer Stadion. Das Spiel ist furchtbar, mein Vater holte sich eine Lungenentzündung.
Erstmals abgestiegen – ausgerechnet im Jubiläumsjahr
Erfolge waren rar gesät – die ersten klaren Erinnerungen, die sich deutlich in meine Seele eingebrannt haben, sind das Halbfinal-Aus im DFB-Pokal gegen den Zweitligisten aus Wolfsburg und der Last-Minute-Abschied von Bodo Illgner zu Real Madrid. Kaum verwunderlich, dass meine erste Saison als regelmäßiger Stadiongänger im GAU endete. Der effzeh – erstmals abgestiegen, ausgerechnet im Jahr des 50-jährigen Vereinsjubiläums.
Im Leben gibt’s für jedermann
zwei Dinge, die man sich nicht aussuchen kann:
Die Familie, denn die ist schon vorher da,
und seinen Fußballclub – traurig, aber wahr.
(Wise Guys – Deutscher Meister)
Und ausgerechnet, als ich Seuchenvogel das Müngersdorfer Stadion für mich entdeckte. Das sportliche Abschneiden begriff ich als noch nicht allzu wichtig, das Erlebnis Fußball war für mich viel größer. Mit meinem älteren Bruder und einem guten Freund der Familie ging es in die Südkurve – es roch nach Reibekuchen, es roch nach Bier und es roch nach Action. Viel Action auf den Platz konnte der effzeh nicht zaubern – Rolf-Christel Guié-Mien (ja, genau der!) läutete den Absturz des einst großen 1. FC Köln mit seinem Siegtreffer für den KSC, garniert durch einen Flick-Flack, im nicht allzu gut gefüllten Rund im Kölner Westen ein.
Foto: Bongarts/Getty Images
Am letzten Spieltag fuhr ich nachmittags mit dem Fahrrad durch den Kölner Süden, überfuhr im Vorgebirgspark fast einen Hund, der meinen Weg kreuzte, und kam erschöpft und traurig nach Hause, weil ich auf dem Rückweg Menschen traf, die das Ergebnis kannten. Das Schlimme war, dass der Misserfolg mich nicht abschreckte. Ganz im Gegenteil: Je mehr der effzeh an sich und den widrigen Umständen scheiterte, desto heißer brannte das Feuer in mir. Vielleicht war es die Ähnlichkeit mit mir, dieses aus verschiedensten Gründen vergeudete Potenzial. Vielleicht war es auch einfach die kölsche Seele, die aus mir im Vringsveedel geborenen Jung sprach. Vielleicht ist es auch einfach Schicksal, Zufall und göttliche Fügung.
>>>Trügerische Stimmung beim 1. FC Köln: Kölscher Feenstaub
Wenn der Eismann zum Publikumsliebling wird…
Licht und Schatten folgten in den kommenden Jahren: Peinliche Pleiten unter Schuster, begeisternde Begegnungen unter Lienen. Ein Aufstieg, damals dachten viele, es sei der letzte, den der effzeh benötigen wird. Endlich wieder da, wo dieser stolze Verein hingehört. Doch es war, wie wir heute alle wissen, nur der Auftakt zu einer Achterbahnfahrt der emotionalen Art. Brillanter Konterfußball, dann nach dem Sommer eine Ewigkeit ohne Tore. Ein Eismann als Volksheld (“Außer Jochen könnt ihr alle geh’n!”), die Erlösung durch Thomas Cichon, der jubelte, als hätte er uns gerade den Champions-League-Sieg gebracht.
Auf der nächsten Seite: Eine bizarre Art von Stolz
trotz Zypern-Deals und Katastrophenkicks
Den abermaligen Abstieg verhinderte es nicht. Eigentlich war da schon vielen klar: Das wird nicht der letzte gewesen sein. Aus dem einstigen Spitzenclub vom Rhein, dem Real Madrid des Westens, war eine sportliche Lachnummer geworden. Schlechte Manager stellten schlechte Trainer ein, die dann schlechte Spieler trainierten. Es glich einem Albtraum – und doch fühlte ich mich nicht nur wegen Lukas Podolski wohl in dem ganzen Brimborium. Der effzeh nahm einen immer größeren Platz in meinem Leben ein, seit 2002 fuhr ich zu möglichst vielen Auswärtsspielen, wurde Teil einer einzigartigen Fanszene.
Aus all den Rückschlägen, aus all den Niederlagen, aus all den Peinlichkeiten zog ich eine bizarre Art von Stolz: Wir sind scheiße, na und? Wir verlieren am laufenden Band und wollen trotzdem nicht mit Euch tauschen. Tim Parks’ Leitsatz aus seinem wundervollen Buch „Eine Saison mit Verona“ wurde mein effzeh-Motto: „Manche Menschen müssen Anhänger einer ‘Siegermannschaft’ sein. Sie sind psychisch einfach nicht gefestigt genug, um Verlierer zu unterstützen.“
Zypern-Deals & Katastrophen-Kicks
Es ging hoch. Es ging wieder herunter. Und nicht immer fanden wir das lustig, weil wir bescheuert sind. Aber wie mir Kölsche halt so sind: Man versucht das Beste aus der Situation zu machen. Also feierten wir, was das Zeug hielt. Teilweise stundenlang, obwohl (oder gerade weil?) unser Team so schlecht war und reihenweise verlor. Obwohl (oder gerade weil?) die Vereinsführung sich spätestens seit der Amtsübernahme von Wolfgang Overath eine peinliche Posse nach der anderen leistete. Der völlig vermurkste Zypern-Deal, als der einst glorreiche 1. FC Köln auf einen Hochstapler hereinfiel oder die großartig-groteske Phase rund um die Verpflichtung von Christoph Daum seien nur als zwei herausstechende Beispiele genannt.
Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images
„Mein Sohn kennt den 1. FC Köln nur als eine einzige Enttäuschung“, sagte ein Kölner Journalist nach dem Europapokal-Einzug im vergangenen Mai einem englischen Kollegen. Verdammt, ja, das trifft den Nagel auf den Kopf. Bittere Blamagen in Koblenz oder Paderborn, lustlose Leistungen in Jena oder Burghausen, katastrophale Kicks in Essen oder Saarbrücken. Was haben wir in all den Jahren nur mitmachen müssen? Für mich war es irgendwie Teil des Deals gewesen. Ich kannte den 1. FC Köln nur so – ganz anders als mein Vater, der sich in grauer Vorzeit bei meinen Großeltern in einem Brief beschwerte, man müsse sich als effzeh-Fan schämen, weil der Club so schlecht sei. Er war damals Siebter in der Bundesliga – eine Platzierung, für die ich den Großteil meines Fandaseins meinen Erstgeborenen dem Teufel anvertraut hätte.
“Jungs, ich habe einen riesigen Respekt vor Euch”
Als ich davon erfuhr, musste ich an ein Gespräch aus dem Jahr 2010 denken: Vor einem Auswärtsspiel in Stuttgart traf in einer Kneipe in der Nähe der Schwabenmetropole auf einen älteren FC-Fan. Unser glorreicher Verein stand nach einer demütigenden Derbypleite gegen Mönchengladbach auf dem letzten Tabellenplatz, es folgte eine chaotische Mitgliederversammlung unter der Woche. Der nächste Absturz war zum Greifen nah – und dieser betuliche Schwabe, den das Schicksal – ähnlich wie mich – mit dem FC gestraft hatte, klopfte mir auf die Schulter und sagte: „Jungs, ich habe einen riesigen Respekt vor Euch. Ihr habt nur Scheiße erlebt mit diesem Verein – und ihr kommt trotzdem immer wieder“, sagte er mit voller Überzeugung.
Foto: effzeh.com
Ich konnte das in diesem Moment nicht verstehen, denn eigentlich war er doch viel ärmer. Dieser Bär von einem Mann, groß gewachsen und ziemlich urig daherkommend, kannte noch die erfolgreichen Zeiten, als es um Meisterschaften statt gegen den Abstieg ging. Ich? Ich kannte den FC doch gar nicht anders als als ewigen Krisenklub. Und so diskutierten wir, als wären wir alte Leute mit schweren Krankheiten, wen es denn von uns beiden nun schlimmer erwischt hatte.
Auf der nächsten Seite: Die “Lost Generation” des 1. FC Köln
und das vierjährige Schauspiel eines scheinbar seriösen Fußballvereins
Es traf uns beide bis ins Mark, dass wir offensichtlich nie wieder an die großen Zeiten des Vereins anknüpfen konnten. Mittendrin viele Jungs in meinem Alter, die „Lost Generation“ rund um den 1. FC Köln. Kein Titel, kein Europapokal, nur Abstiege und Aufstiege, Spott und Häme aus der ganzen Republik. Doch irgendwie wussten wir: Eines Tages, da wird’s gescheh’n. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber definitiv eines Tages. Wie so ein trotziges Kind, das weiß, dass ihm nach dem Verzehr von zu viel Süßigkeiten schlecht wird – und es dennoch tut. Und schlecht war einem oft beim effzeh in den letzten 25 Jahren.
Davor lag allerdings noch ein grandioser Absturz: 2012 zerbrach der Club in alle Einzelteile – Overath machte als Präsident kurz vor dem Abstieg den Schettino, das Portemonnaie war leerer als morgens um acht Uhr im Venusceller und eine „Schwarze Wand“ symbolisierte am letzten Spieltag das komplette Desaster einer Mannschaft, die diesen Namen nicht verdient hatte. Je näher ich dem FC kam, je mehr dieser wahnsinnige Klub ein Teil von mir wurde, desto desillusionierter war ich. Wie soll denn hier irgendwann wieder einmal Erfolg einkehren? Und warum zur Hölle tue ich mir das eigentlich noch an?
Der 1. FC Köln – ein feiner Verein?
Den Trümmerhaufen beiseite zu schaffen sollte kein Spaziergang werden, zwischenzeitlich schwankte der effzeh zwischen Insolvenz und Abstiegsangst in der 2. Bundesliga. Es gibt Schöneres im Leben eines Fans – und doch bissen viele auf die Zähne. Jetzt erst Recht! Und zwar ohne all den Größenwahn, ohne diese falsch verstandene elitäre Arroganz, ohne all die Traumtänzerei, ohne all den fehlgeleiteten Messias-Glauben. Kurzum: Ohne all den Ballast, der den 1. FC Köln in der jüngeren Vergangenheit zum fast unmanövrierbaren Tanker auf hoher See gemacht hatte. Ein richtiger Neuanfang eben, nach Jahren des mühsam antrainierten Lerneffekts.
And the pounding in the street
Was your heart in four-four time
And the taste of defeat
Was never too far from your mind
(The Gaslight Anthem – High Lonesome)
Nach vier seriösen Jahren, getoppt durch die Teilnahme am Europapokal, war dann auch endlich Schluss mit diesem Schauspiel. Gerade in dem Moment, als alle Beteiligten davon überzeugt zu sein schienen, dass der 1. FC Köln doch ein normaler Fußballclub sein könnte, krachte das Kartenhaus in sich zusammen. Aus einer Saison mit vielen unvergesslichen Momenten, so formulierte es die effzeh-Geschäftsführung in einem Vorwort des GeißbockEchos, wurde eine Spielzeit, die viele am liebsten vergessen würden.
Foto: Rote Böcke
Das halbe Dutzend Abstiege ist voll – und das in einer abermals historischen Art und Weise. Bis zum letzten Hinrundenspieltag rüttelte der effzeh am ewigen Negativrekord Tasmania Berlins, um dann nach Jahreswechsel wieder einmal einen grundsätzlichen Charakterzug zu offenbaren: Selbst wenn man nichts von diesem 1. FC Köln erwartet, schafft es dieser Verein irgendwie doch einen Weg zu finden, einem mit ordentlich Anlauf in die Nüsse zu treten. Ergo: Immer wieder Hoffnung verbreiten und dann krachend einzubrechen. DER FC KÖLN IST WIEDER DA!
Eine wetterfühlige Narbe namens Abstieg
Es schmerzt zwar immer noch sehr, wie es der effzeh geschafft hat, aus dieser exzellenten Ausgangssituation einen völlig verdienten Gang in die 2. Bundesliga zu zaubern. Aber irgendwie ist der Schmerz ein anderer als noch früher. Es ist ein bekannter Schmerz – eine wetterfühlige Narbe quasi, die sich in besonderen Situationen meldet. Doch die großen Emotionen, sie sind nicht mehr vorhanden. Ich leide nicht an diesem Abstieg, ich habe mich daran gewöhnt. Gewöhnt daran, dass der 1. FC Köln eben ein Club ist, der solche Ausschläge nach oben und unten produziert.
Jo jo jo, mer sin immer noch do do do
weil mer su schnell nit kapodd jeiht
un weil de Sonn immer widder opjeiht, singe mer
jo jo jo, mer sin immer noch do do do
drink met mir op dich un mich un e neu Johr
op dat, wat es, op dat, wat kütt,
un op dat, wat wor
(Kasalla – Immer noch do)
Wir werden auch das überstehen, wir werden auch durch dieses Tal gehen. Es hätte schlimmer sein können, wir hätten zum Beispiel nichts mit Fußball zu tun haben können. Oder gar Anhänger von Borussia Mönchengladbach werden können. Wir hätten auch beispielsweise keinen Europapokal haben, dafür aber in der Liga bleiben können. Wie langweilig wäre das denn? Ein wenig ist es wie die letzten Szenen in „Football Factory“: War es all das denn wert? Verdammt, natürlich war es das wert!
>>>Die Kind-Methode: Wie die Führung des 1.FC Köln seine Anhänger spaltet