Mit Strafen für Schmähgesänge und Spruchbänder sorgt der DFB für ein Novum, gleichzeitig setzt der 1. FC Köln seine Regressansprüche gegen einen Böllerwerfer durch. Zwei Vorgänge, die zusammengenommen die Fankultur in deutschen Stadien in Gefahr bringen. Die Situation ändern könnten nur die Bundesliga-Clubs selbst. Eine Analyse.
In den letzten Wochen gab es zwei interessante juristische Vorgänge im deutschen Fußballkosmos: Zum einen hat der Deutsche Fußball-Bund erstmals mit dem BVB und dem 1. FC Köln zwei Vereine für Schmähgesänge ihrer Anhänger bestraft. In beiden Fällen waren die Fans dem Verband bei Gastspielen in Hoffenheim negativ aufgefallen. Die Gesänge, die dort vorgetragen wurden, unterschieden sich inhaltlich nicht von jenen, die seit Jahren durch die SAP-Arena schallen – die Hoffenheimer Hochfrequenzton-Gegenmaßen (wir erinnern uns) sind tatsächlich schon ein paar Spielzeiten her. Dennoch greift der DFB nun durch. Und auch bei Spruchbändern scheint plötzlich ein anderer Wind durch die deutsche Fußballwelt zu wehen. So wurde der Chemnitzer FC mit einer Geldstrafe belegt, weil seine Anhänger ein Banner mit der Aufschrift „Scheiss Red Bull“ präsentiert hatten.
Zum anderen ist dem 1. FC Köln juristisch kürzlich das gelungen, was sich schon vor Monaten durch ein Urteil des Bundesgerichtshof angekündigt hatte: Der Club bekam vor Gericht Schadenersatz von einem Böllerwerfer zugesprochen. Rund 20.000 Euro muss der Verurteilte nun ans Geißbockheim überweisen – diesen Betrag ermittelte das Gericht als den Anteil an einer DFB-Strafe, für die der Böllerwurf mitverantwortlich war.
DFB-Strafen: Köln will Rechtssicherheit in der Regressfrage
Nun haben diese beiden Vorgänge auf den ersten Blick vielleicht nicht allzu viel miteinander zu tun. Außerdem dürfte ohnehin außer Frage stehen, dass der gemeingefährliche Wurf eines Knallkörpers in eine Zuschauermenge bestraft gehört. Trotzdem ist dieses Urteil ein Problem – auch wenn man sich durchaus schwer damit tut, Mitleid mit dem Verurteilten zu empfinden. Denn der 1. FC Köln will – nicht aus finanziellen Gründen – in Revision gehen, um die von ihm ursprünglich geforderten 30.000 Euro Schadenersatz zu bekommen und die Regressfrage endgültig vom Bundesgerichtshof klären zu lassen. „So kann diese für die Regresspraxis bedeutende Frage höchstrichterlich entschieden und auch in diesem Bereich für uns und die anderen Klubs die erforderliche Rechtssicherheit herbeigeführt werden“, erklärte Geschäftsführer Alexander Wehrle auf der Webseite des Vereins. Gelingt dies, wäre das Vorgehen also eine etablierte Rechtspraxis. Und damit nicht nur bei Böllerwerfern, sondern im Grunde bei allen DFB-Strafen anwendbar.
Beleidigende Banner, Becherwürfe, Schmähgesänge – Regressforderungen sind dann für alles denkbar, was der DFB den Bundesligavereinen anlastet. Die Konsequenzen gibt’s dabei aber nicht auf dem konventionellen Weg, bei dem Person X Person Y beleidigt und dann von Y angezeigt wird, woraufhin X von einem ordentlichen Gericht verurteilt wird. Nein, hier verhält es sich so, dass Person X im Stadion von Verein Z eine Beleidigung gegen Person Y begeht, daraufhin aber nicht von Y angezeigt wird, sondern vielmehr Verein Z eine Strafe von Verband D bekommt, die sich Z dann wiederum vor einem ordentlichen Gericht von X zurückholt.
Keine Sorge, die aufkommende Verwirrung lässt sich noch steigern. Denn wenn Person X zum Beispiel ein Delikt wie die Beleidigung zur Last gelegt wird, für das er bei einer konventionellen Anzeige mit folgender Verurteilung vielleicht zwei, drei Hundert Euro Strafe zahlen und eventuell ein paar Sozialstunden ableisten müsste (sofern es überhaupt zum Verfahren kommt), wird er mit dieser „Stadionrechtsprechung“ nicht nur vom Verein (dessen Anhänger er vielleicht sogar ist) verklagt, sondern muss dann auch noch einen finanziellen Schaden fürchten, der deutlich höher ausfällt, als die von ordentlichen Gerichten üblicherweise verhängten Bußgelder oder Strafen bei gleicher Sachlage. Schließlich ist es dann ein Schadenersatzfall.
DFB-Gericht: Reine Ermessenssache
Die Grundlage des Ganzen nennt sich „verschuldensunabhängige Haftung“. Eine Normalität im Vereinsrecht, wie Jurist Dr. Paul Lambertz erklärt: „Der Gesetzgeber gewährt jedem Deutschen das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden. Mit diesem Recht geht auch die Freiheit einher, vereinsinterne Regeln zu treffen, die weitreichender sein können, als die außerhalb des Vereins.“ Da der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass Strafen, die diesen Regeln entspringen, an Verursacher via Regressforderung weitergegeben werden können, ist es auch theoretisch möglich, sich wegen des Hochhaltens eines „Scheiss Red Bull“-Banners plötzlich mit einer Schadenersatzforderung in vierstelliger Höhe auseinandersetzen zu müssen.
Darüber, was man nun darf, oder eben nicht, bekommt der Fan vor dem Stadionbesuch ohnehin genauso wenig Klarheit wie die Vereine, die die Vergehen bestenfalls verhindern sollen. All das ist reine Ermessenssache des DFB-Sportgerichts. Es gibt kein Regelwerk, Buch oder PDF-Dokument, in dem festgelegt wird, welche Strafen für welche Vergehen drohen.
Beim 1. FC Köln übt man an diesem Zustand durchaus Kritik. Jörg Schmadtke monierte dieser Tage, dass die Strafe für Schmähgesänge „Türen öffnet, die besser geschlossen blieben wären“. Das Problem liege darin, erklärte der Kölner Geschäftsführer im „Geißblog“ weiter, dass es eben keine einheitlichen Maßstäbe gibt. „Ich bin als Torhüter jahrelang bei jedem Abschlag in einem fremden Stadion als ‚Arschloch, Wichser, Hurensohn!‘ beleidigt worden. Das kann ich gut finden oder nicht. Aber ich habe nie darüber nachgedacht, jemanden deswegen anzuzeigen.“ Es macht also zunächst einmal nicht den Eindruck, als würde man beim 1. FC Köln auch bei Strafen wegen Schmähgesängen oder Bannern wie “Scheiss Red Bull” die „Täter“ in Regress nehmen wollen, zumal man sie dafür ohnehin erst einmal zweifelsfrei ermitteln müsste.
Wenig überraschend: DFB begrüßt Regressregelung
Gleichzeitig sind es aber auch die Kölner, die mit dem Böllerwurf-Prozess die Möglichkeit zum Regress manifestieren wollen. Auch wenn Schmadtke die kürzlichen Strafen für „grundsätzlich“ falsch hält, arbeitet der 1. FC Köln gleichzeitig mit dem neuerlichen Gang vor den Bundesgerichtshof daran, die Vorstellungen des DFB umzusetzen. Ob sie Schadenersatz einfordern, oder die DFB-Strafe lieber selbst bezahlen, würden dann die Vereine entscheiden müssen. Wenn sie das überhaupt können: Die Unterlassung einer aussichtsreichen Schadenersatzforderung, könnte möglicherweise auch als Veruntreuung von Vereinsgeldern betrachtet werden. Bei dieser Rechtsauffassung müssten die Verantwortlichen also immer vor Gericht ziehen, wenn ein Täter ermittelt werden kann – bei Böllerwürfen genauso wie bei sanktionierten Bannern. Allerspätestens dann wäre die Fankultur, so wie wir sie kennen, in ernsthafter Gefahr.
Beim DFB scheint das aber keinen zu stören. Schon als der BGH im letzten Jahr die Regresspraxis grundsätzlich für rechtmäßig erklärte, gab es vom Frankfurter Verband freudige Worte. Die Entscheidung sei von „fundamentaler Bedeutung“, erklärte Rainer Koch. „Das Urteil ist ein beachtlicher Erfolg des 1. FC Köln“, verlautbarte der DFB-Vizepräsident weiter. Koch äußerte sich übrigens auch zu den jüngsten Entwicklungen. Ebenfalls im „Geißblog“ erklärte er, die Sportgerichtsbarkeit übernehme erst, „wenn die Prävention an ihre Grenzen kommt.“ Eine dauerhafte Lösung könne daher „nur aus den Vereinen kommen.“ Soso.
Auf der nächsten Seite: Wie der Status Quo verändert werden könnte…
Eine durchaus interessante Perspektive ist das, denn wie soll ein Club denn bitteschön die Gesänge seiner Anhänger beeinflussen, zumal noch bei einem Auswärtsspiel? „In der Tat gibt es wahrscheinlich keine Möglichkeit für die Vereine zu kontrollieren, was ihre Fans singen, was es natürlich fast unmöglich macht, darauf seitens der Vereine Einfluss zu nehmen“, erklärt Lambertz. Dennoch sei genau das „das Wesen der ‚verschuldensunabhängigen Haftung‘“, führt der Sportrechtler weiter aus. Besonderes Engagement den Status Quo zu verändern, kann Lambertz bei den Clubs allerdings nicht erkennen. „Aus der Tatsache, dass die Vereine kaum gegen die Strafen vorgehen, ziehe ich den Schluss, dass diese entweder keine Notwendigkeit oder aber keine Erfolgsaussichten sehen, sich erfolgreich gegen die Strafen zu wehren.“
Auf juristischem Wege scheint ein Vorgehen gegen die nicht durch ein konkretes Regelwerk nachvollziehbaren DFB-Strafen ohnehin nicht sonderlich vielversprechend zu sein. Gerade weil der Bundesgerichtshof kürzlich die verschuldensunabhängige Haftung grundsätzlich als rechtmäßig angesehen hat, stünden die Chancen bei Justizia derzeit wohl eher schlecht, erklärt Lambertz. „Dass ein unterinstanzliches Gericht sich gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof stellt, halte ich für fast ausgeschlossen.“
Juristisches Vorgehen ist wenig aussichtsreich
Auf juristischem Wege würden sich Vereine, die mit dieser Art der Rechtssprechung nicht einverstanden sind, also nur ein blutige Nase holen. Auch diejenigen, die in Zukunft für welche Vergehen auch immer in Regress genommen werden, könnten nicht direkt gegen die Entscheidungen des DFB vorgehen – sie haben rein juristisch betrachtet ja gar nicht direkt mit dem Verband zu tun. Es bleiben die Clubs. Doch was könnten die Vereine tun, um das System zu verändern?
Zum einen haben Bundesliga-Vereine jederzeit die Möglichkeit sich auf konventionellen Pfaden für Reformen beim DFB einzusetzen. Die Clubs sind zwar nicht Mitglied im DFB, erklärt Lambertz, könnten sich aber an die DFL oder ihre Fußballlandesverbände wenden und dort um Unterstützung für ihr Anliegen werben. So könnte dann schließlich bei einer Mitgliederversammlung des DFB eine Regeländerung herbeigeführt werden. Ob und in welchen Ausmaß die Vereine an dieser Front überhaupt aktiv sind, ist aber schwer zu beurteilen. „Meine Außenbetrachtung lässt für mich die Vermutung zu, dass die Vereine weitaus weniger Probleme und Einwände gegen die Strafen haben, als manch Außenstehender“, sagt Jurist Lambertz. „Sie gehen kaum gegen die Strafen vor.“
“Team Regelwerk”: DFB-Reform mit der Brechstange?
Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images
Zum anderen bliebe natürlich noch eine etwas gröbere Methode, die an anderer Stelle unter dem Namen „Team Marktwert“ aber bereits ganz gut funktioniert hat. So könnte ein Zusammenschluss mehrerer bedeutender Vereine den DFB öffentlich unter Druck setzen und so auf eine Regelreform pochen. Es wäre eine kleine Revolution – die natürlich auch mit dem Risiko der Eskalation verbunden wäre. „Keinem dürfte daran gelegen sein“, sagt Lambertz. „Ich denke daher, dass man sich in einem solchen Fall auf einen für beide Seiten sinnvollen Kompromiss einigen würde.“
Doch schon die bloße Möglichkeit, dass ein Stadionbesucher für eine eher unter “Protestkultur” als unter “Beleidigung” zu verortende Lappalie wie ein „Scheiss Red Bull“-Banner, im schlimmsten Fall auch für Schmähgesänge, mit Schadenersatzforderungen in horrender Höhe belegt werden kann, zeigt, wie weit sich das Fußballgeschäft von denjenigen entfernt hat, die jede Woche die Kurven in den Stadien vollmachen. Ob dieses Engagement für die Möglichkeit Schadenersatz einfordern zu können also wirklich einer „dauerhaften Lösung“, wie sie Rainer Koch sich wünscht, zuträglich ist, sei also erst einmal dahin gestellt.
Ohne Regelwerk drohen düstere Zeiten für die Fankultur
Wenn man diese Regressregelung aber anstrebt, wäre es zumindest mehr als angebracht, sich gleichzeitig genauso stark dafür einzusetzen, dass die Fußballfans wenigstens ein vernünftiges Regelwerk bekommen, das ihnen ausgelebte Fankultur (inklusiver derber Proteste, Choreos und unfeiner Gesänge) mit gleichzeitiger Rechtssicherheit überhaupt noch möglich macht. Denn die Anzahl derer, die noch den Mut aufbringen werden, kontroverse, kritische, satirische Banner, Aktionen und Choreografien zu wagen, dürfte sich angesichts der Ungewissheit ob den drohenden Konsequenzen sonst schnell reduzieren. Schließlich könnte einen ja schon ein harmloses Banner eine vierstelligen Summe kosten. Und da der allmächtige Verband die Strafen sogar noch höher ansetzen könnte (Stichwort “Ermessenssache”) als in Vergangenheit, könnte es sogar noch teurer werden.
Am besten wäre es also, sich direkt dafür einzusetzen, dass Vergehen auf den Tribünen, ob lächerlich oder schwerwiegend gar nicht mehr vom Verband bestraft werden können, sondern im Zweifel Gegenstand eines ordentlichen Verfahrens werden. Gerade in jüngerer Vergangenheit ist der DFB durch Korruption und Skandale ohnehin in eine Position geraten, die die Chance auf eine Reform grundsätzlich erhöhen dürfte. Der Verband ist durchaus angreifbar. Doch bisher murren und klagen die Clubs zwar öffentlich über die Strafen aus Frankfurt, doch mit mehr als ein paar genervten Worten dagegen vor zu gehen, steht bei den Bundesligisten derzeit offenbar nicht auf der (sichtbaren) Agenda.
So hat Koch dann erst einmal recht behalten. Eine „dauerhafte Lösung“ könne nur „aus den Vereinen kommen“, sagte dieser schließlich. Das ist ja auch richtig. Und zur Not müssen die Clubs diese Lösung eben auch gemeinsam mit der Brechstange herbeiführen – auch wenn das wohl nicht das sein dürfte, was der DFB-Vize sich bei seinen Worten erhofft haben dürfte. Die Frage ist nur, ob die Vereine das überhaupt wollen.