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Werder-Fan André Anchuelo: “In Bremen sagen wir: Montags is Quatsch!”

Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images

Am Montagabend treffen die Europapokal-Helden von Werder Bremen und dem 1. FC Köln zum Abschluss des Bundesliga-Spieltags aufeinander. Mit Werder-Fan André Anchuelo sprechen wir über die Partie.

Der Bundesliga-Spieltag hätte bis jetzt nicht besser für den 1. FC Köln und Werder Bremen laufen können: Die Konkurrenz aus Mainz, Wolfsburg und ganz besonders Hamburg ließ ordentlich Federn, so dass ein Sieg am Montagabend für beide Teams enorm wichtig wäre. Der SVW könnte sich damit ordentlich Luft verschaffen, der effzeh letztmals Hoffnung im Abstiegskampf schöpfen. Mit Werder-Fan und Journalist André Anchuelo, der seit 2015 beim Werder-Podcast Weserfunk auf MeinSportradio.de podcastet, sprechen wir über den Fanboykott bei dem Kracher im Abstiegskampf, den Bremer Aufschwung unter Jungtrainer Florian Kohfeldt und den tragischen Absturz in Köln.

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Werder Bremen gegen den 1. FC Köln an einem Montagabend – eine Ansetzung, die angesichts der Begründung für die Spiele außerhalb des Wochenendes wenigen einleuchten. Hast du bereits einen Grund gefunden, weshalb dieser Kracher den Spieltag mit Verspätung abschließt?

Ich finde es gut, so konnten sich beide Teams von ihren schweren Aufgabe im Europapokal ausreichend erholen, und die Fans können auf eine ansprechende Partie hoffen. Nein, Sarkasmus mal beiseite – besonders die Anhänger von Werder und des FC leiden unter der Zerfaserung des Spieltages. Am Ende dieser Saison werden die Werder-Fans nur sieben der 17 Heimspiele zur klassischen Anstoßzeit am Samstag um 15.30 Uhr gesehen haben, die Effzeh-Fans sogar nur fünf. Die Ursachen sind natürlich kommerzieller Art. Ich glaube aber, dass es mittelfristig auch nicht im Interesse der Fernsehrechteinhaber ist, wenn das Publikum von solchen Sachen genug hat und sich abwendet. Oder wie wir Bremer sagen: Montags is Quatsch!

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Viele Fans auf beiden Seiten haben angekündigt, sich das ganze Schauspiel zu schenken und die Partie zu boykottieren. Wie stehst du zu solcher Art von Protest?

Prinzipiell halte ich das für richtig und sinnvoll, zu protestieren. Wer sich nicht dagegen wehrt, wird die Konsequenzen tragen müssen. Welche Art des Protests die sinnvollste ist, darüber lässt sich natürlich streiten. Wichtig scheint mir, dass man von dem Protest etwas mitbekommen muss, am besten auch vor dem Fernseher. Das war sowohl bei Dortmund gegen Augsburg der Fall, als ungewöhnlicherweise über 25.000 Plätze frei blieben, als auch bei Frankfurt gegen Leipzig, als kreative Proteste für Verzögerungen beim Anpfiff sorgten.

In den Bremer Medien und unter den Werder-Fans wird das Thema teils hochemotional diskutiert. Wäre der SVW schon gerettet und ginge auch nach oben nichts mehr, wären Boykottaufrufe sicherlich wesentlich aussichtsreicher.

Unter den Kölner Anhängern wird der Boykott vor allem wegen der sportlichen Situation heiß diskutiert. Ist das in Bremen ähnlich, zumal es auch für Werder ein enorm wichtiges Heimspiel ist?

Definitiv. In den Bremer Medien und unter den Werder-Fans wird das Thema teils hochemotional diskutiert. Wäre der SVW schon gerettet und ginge auch nach oben nichts mehr, wären Boykottaufrufe sicherlich wesentlich aussichtsreicher. Wenn nun vermutlich nur ein paar Hundert bis Tausend Ultras auf beiden Seiten fehlen, besteht die Gefahr, dass die Diskussion wieder in die Richtung geht, ob die Stimmung nicht ohne Ultras doch eigentlich viel besser wäre. Als ob Ultras durch ihre Anwesenheit sonst andere Fans davon abhalten würden, ihr Team anzufeuern.

Was sagt euer Verein dazu? Gibt es bereits Reaktionen seitens der Verantwortlichen zu der recht komischen Ansetzung?

Sowohl die sportliche Leitung als auch die Vereinsführung haben Verständnis für die Proteste geäußert, aber die Fans gebeten, das Team trotzdem des Spieltermins zu unterstützen. Ich habe aber bislang nicht den Eindruck, dass es einen großen Drang gibt, sich für eine Abschaffung der Montagsspiele einzusetzen. Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass die Entscheidung für Montagsspiele nicht allein von irgendwelchen DFL-Funktionären getroffen wurde. Die Bundesligaklubs haben das ja unterstützt.

Auf der nächsten Seite: Bremen im Abstiegskampf, Werder unter Kohfeldt

Kommen wir zum sportlichen Aspekt dieses wunderbaren Duells: Unter Florian Kohfeldt hat sich Werder berappelt, konnte sich aber noch nicht gänzlich aus den gefährdeten Regionen verabschieden. Zehrt sowas an der Weser zumindest ein bisschen am Nervenkostüm?

Klar zehrt das an den Nerven, zumal sich Werder ja schon seit Jahren mit nur ganz kurzen Unterbrechungen im Abstiegskampf befindet. Immerhin sind derzeit sowohl die Leistungen als auch die Ergebnisse so, dass man sich als Grün-Weißer durchaus zuversichtlich sein darf, was den Klassenerhalt angeht. In der „Kohfeldt-Tabelle“ steht Werder auf Platz sechs, und da sind die drei Punkte vom Sieg gegen den FC am Montag noch gar nicht mit drin ;)

Die Leistungen als auch die Ergebnisse sind derzeit so, dass man sich als Grün-Weißer durchaus zuversichtlich sein darf, was den Klassenerhalt angeht. In der „Kohfeldt-Tabelle“ steht Werder auf Platz sechs, und da sind die drei Punkte vom Sieg gegen den FC am Montag noch gar nicht mit drin

Was hat Kohfeldt denn überhaupt verändert, um Werder wieder flott zu kriegen?

Ich würde sagen, es war nicht eine einzelne bestimmte Maßnahme, sondern ein Gesamtpaket aus Taktik, Fitness und Psychologie. Kohfeldt arbeitet unheimlich intensiv und akribisch mit dem Team, gibt den Spielern Selbstvertrauen, spricht viel mit ihnen und bereitet sie sehr präzise auf den jeweiligen Gegner vor. Mehrere Spieler, die praktisch schon als abgeschrieben galten, hat er wieder integriert, so dass sie mindestens wieder eine Alternative sind, wenn nicht sogar gelegentlich zum Matchwinner werden. Damit hat sich automatisch auch der Konkurrenzkampf wieder erhöht. Dass ein fitter Kapitän Zlatko Junuzovic zuletzt 90 Minuten auf der Bank saß, ist ein Ausdruck davon. Trotzdem schafft Kohfeldt es, dass alle an einem Strang ziehen. Spielerisch hat er es zudem hinbekommen, dass das Team auch mit eigenem Ballbesitz wieder deutlich mehr anzufangen weiß als noch vor einigen Monaten. Was natürlich, wie zuletzt gegen Freiburg und Hamburg, dazu führen kann, dass sich Gegner noch massierter hinten reinstellen. In beiden Spielen hatte Werder deutlich über 60 Prozent Ballbesitz, machte daraus aber zu wenig. Am Ende standen ein glücklicher Sieg und eine unglückliche Niederlage. Aber das ist jetzt einfach der nächste Schritt, den die Mannschaft machen muss. Sie befindet sich damit schon auf einem ganz anderen Niveau als in der Endphase des Nouri-Engagements, als die Spieler weder mit noch ohne Ball etwas zustande brachten.

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Mit einem solch jungen und auf dem Niveau unerfahrenen Coach den Abstiegskampf zu bestreiten ist immer eine mutige Entscheidung. Hättest du erwartet, dass sich das so auszahlt?

Kohfeldt galt ja tatsächlich vorher als großes Trainertalent, da wünscht man sich natürlich, dass sich dieser Mut auch auszahlt. Es war sicherlich ein Risiko, aber hätte man etwa einen Labbadia geholt, wäre das auch keine Garantie für gar nichts gewesen. Letztlich hat Kohfeldt mit seiner bisherigen Arbeit sogar noch die Erwartungen seiner größten Fans übertroffen. Trotzdem sind es vor dem Spiel gegen Köln nur zwei Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz.

Ins neue Jahr ist Werder ganz ordentlich gestartet, konnte bereits zwölf Zähler holen – einen mehr als der effzeh. Bist du zufrieden mit der Ausbeute oder war gar mehr drin für Euch?

Man kann natürlich immer jammern über Spiele, die Werder nicht gewonnen hat. Aber nüchtern betrachtet sind im Schnitt anderthalb Punkte pro Spiel und damit Platz acht in der Rückrundentabelle oder eben sogar Platz sechs in der „Kohfeldt-Tabelle“ sicherlich schon nahe am Optimum dessen, was mit diesem Kader herauszuholen ist. Werder würde sich damit auf einem Level mit Teams wie Hoffenheim, Augsburg, Gladbach, Stuttgart, Hertha oder Hannover bewegen, die zum Teil mit höheren Personaletats unterwegs sind. Was Werder und natürlich mehr noch dem 1. FC Köln anhängt, ist der schwache Saisonstart bzw. ein schwaches erstes Drittel.

Auf der nächsten Seite: Max Kruse als Werder-Taktgeber, die
Ausgangslage in dem Duell zwischen Bremen und Köln

Max Kruse gilt als der Dreh- und Angelpunkt der starken Werder-Offensive. Müssen wir nur ihn ausschalten und haben das Ding im Sack?

Das war in den jüngsten Spielen oft der Plan der Gegner. Zum Teil funktioniert das tatsächlich, weil Werder außer Kruse keinen echten Knipser hat, Zum Teil sorgt es aber dafür, dass das Werder-Spiel noch variabler wird, weil natürlich das Trainerteam des SVW das Problem erkannt hat und versucht, dem mit verschiedenen taktischen und personellen Änderungen zu begegnen. Immerhin wurden die letzten sieben Werder-Tore in der Bundesliga nicht von Kruse erzielt.

>>> 100 Tage Stefan Ruthenbeck: Stabil im fast aussichtslosen Kampf

Wir müssen gewinnen, um nicht auch die letzte Hoffnung auf den Klassenerhalt fahren zu lassen. Ist das eine Ausgangslage, die Euch im Weserstadion entgegenkommen könnte?

Wie schon beschrieben, tut sich Werder immer noch leichter gegen Teams, die selbst den Weg nach vorne suchen. Insofern, falls der FC das versucht, würde es Werder vermutlich tatsächlich entgegenkommen. Der HSV allerdings hat ja kürzlich im Nordderby, obwohl er ebenfalls dringend einen Sieg gebraucht hätte, jeglichen Siegeswillen vermissen lassen…

Es wäre natürlich schade, wenn der FC nicht mehr erstklassig spielen würde – es gäbe da aus meiner Sicht eine ganze handvoll Klubs, die ich für deutlich verzichtbarer hielte. Insbesondere einem Claudio Pizarro würde wahrscheinlich kein Werder-Fan zum Karriereende einen Abstieg wünschen.

Unser spektakulärer Absturz vom Europapokal ans Tabellenende ist wohl eine der Geschichte dieser Saison. Hattest du erwartet, dass diese Spielzeit für uns dermaßen bitter wird?

In dem Ausmaß habe ich das nicht erwartet. Aber die Ausgangslage für viele, sagen wir mal Mittelklasseteams, die es plötzlich knapp in den Europapokal schaffen, ist in den vergangenen Jahren angesichts der Leistungsdichte in diesen Tabellenregionen bekanntermaßen schwierig. Das musste Hertha erfahren, das musste Freiburg erfahren, dass muss jetzt der FC erfahren. Sicherlich saß auch der eine oder andere Transfer nicht, insbesondere der Abgang von Modeste war wohl nur schwer zu kompensieren. Der Weg nach ganz unten kann dann leider sehr kurz sein. Es wäre natürlich schade, wenn der FC nicht mehr erstklassig spielen würde – es gäbe da aus meiner Sicht eine ganze handvoll Klubs, die ich für deutlich verzichtbarer hielte. Insbesondere einem Claudio Pizarro würde wahrscheinlich kein Werder-Fan zum Karriereende einen Abstieg wünschen. Und mit Hennes hat der FC definitiv auch ein erstklassiges Maskottchen.

Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images

Wenn man dann Spiele sieht wie vergangene Woche gegen Stuttgart: Bekommt man als Auswärtiger etwas Mitleid mit dem effzeh?

Wenn Ihr Mitleid haben wollt, könnt Ihr es kriegen. Ich fürchte nur, es nützt nichts.

Zum Abschluss: Dein Tipp, bitte!

Weil Werder selber noch lange nicht gerettet ist, wird es ein offenes Spiel, das die Gastgeber am Ende knapp mit 2:1 für sich entscheiden. Tore: Johannsson, Pizarro, Eggestein.

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