Bis zum 10. Oktober diesen Jahres wird es zwar noch ein bisschen dauern, doch bereits jetzt wirft die jährliche Mitgliederversammlung des 1. FC Köln ihre Schatten voraus. In diesem Jahr wird der Mitgliederrat des Vereins neu gewählt, der für die Vorstandswahlen im kommenden Jahr eine entscheidende Rolle spielt – schließlich darf der Mitgliederrat alleine Vorschläge dafür machen, wer sich im Jahr 2019 als Vorstand des Vereins wählen lassen darf. Es ist davon auszugehen, dass diese Thematik Fans, Mitglieder und Verantwortliche des effzeh in den kommenden Wochen und Monaten stark beschäftigen wird.
In jedem Fall ist es ein Indiz dafür, wie im deutschen Profifußball Mitglieder tatsächlich Einfluss auf Prozesse und Entscheidungen in ihrem Verein nehmen können. Dass dies nicht überall selbstverständlich ist, verdeutlicht sich beim Blick auf die Zustände bei Red Bull Leipzig, wo man seinen Mitgliedern offen und ehrlich überhaupt gar keine Rechte einräumt und dies damit begründet, dass Großkonzerne vor Entscheidungen ja auch nicht alle Anteilseigner befragen würden.
Diffuse Krisenstimmung rund um den Fußball: Was kann man machen?
In einen etwas größeren Kontext eingebettet bietet es sich also an, die Wahlen zum Mitgliederrat beim 1. FC Köln unter der Frage zu beleuchten, wem der Fußball überhaupt gehört. In der jüngeren Vergangenheit war vielfach davon die Rede, dass sich viele Fans aufgrund der immer intensiveren Kommerzialisierung ihres Lieblingssports davon abwenden würden – gänzlich unkommerziell war der Fußball zwar nie, aber die Zeichen standen tatsächlich auf Entfremdung. Bestes Beispiel dafür waren die Proteste in der vergangenen Bundesligasaison, die sich wahlweise gegen die Zerstückelung des Spieltags (ein Resultat der größeren Macht der Fernsehsender) oder auch die Abschaffung der 50+1-Regelung richteten. Astronomische Transfersummen und Gehälter der Spitzenspieler tragen mittlerweile auch einen großen Teil dazu bei, dass viele Fußballfans verächtlich auf die jüngsten Entwicklungen der “schönsten Nebensache der Welt” blicken.
In dieser diffusen Krisenstimmung, die der Verein “FC PlayFair!” im vergangenen Jahr zu einer groß angelegten Studie zur Situationsanalyse im deutschen Profifußball genutzt hat, wird wahrscheinlich auch Alina Schwermer die Recherchen zu ihrem Buch “Wir sind der Verein” begonnen haben. Darin setzt sie sich damit auseinander, wie von Fans geführte Fußballvereine den Fußball verändern wollen. Auf der Suche nach Alternativen zum kommerzialisierten und von der Basis entfremdeten Fußball gründen Fans immer mehr neue Vereine oder übernehmen ihren alten Verein – etwa nach einer Insolvenz. In ihrem Buch, das Anfang des Jahres im Verlag “Die Werkstatt” erschienen ist, erzählt Schwermer neun unterschiedliche Geschichten über Fanvereine in Europa.
Alina Schwermer: Recherchereisen durch ganz Europa
Ihre Recherche-Reisen führten sie nach England, Österreich, Spanien, Kroatien und Israel. In Deutschland machte sie Ortsbesuche bei Fortuna Köln, beim HFC Falke in Hamburg und beim FC Schalke 04 in Gelsenkirchen. Die Einleitung beschreibt, aus welcher Stimmung heraus Fanvereine gegründet oder Initiativen gestartet werden, um einen Altverein zu übernehmen. In ihrer Analyse sind Fanvereine in erster Linie als Krisenprodukt zu verstehen, die sich in unmittelbarer Reaktion zu Faktoren wie Gehaltsinflation, Investitionsboom und vermehrter Ungleichheit entwickeln konnten.
FC United of Manchester: Das idealistische Vorbild der Fanvereine
Teilweise entstanden Fanvereine sogar als direkte Reaktion und demzufolge einer Abwendung vom Investor im Hauptverein – so geschehen beim FC United of Manchester, der gemeinhin als das politisch engagierte und idealistische Aushängeschild der Fanvereine in Europa gilt. Einige Fans waren mit der Entwicklung bei Manchester United nicht zufrieden, sodass sie sich für diesen Schritt entschieden. Dass sich dieser Verein in England gründete, ist laut Schwermer keine Überraschung – schließlich gab es dort zuletzt die meisten Insolvenzen.
Auf der nächsten Seite: Fanaktivismus und unsere Meinung zum Buch
Fanaktivismus äußert sich aber auch dann, wenn man sich den Mutterverein zurückholen und die Geschicke des Vereins selbst in die Hand nehmen möchte – das Credo “Wir holen uns unseren Verein zurück” gilt bisweilen als entscheidende Motivationsgrundlage. In Zeiten, in denen gerade beim 1. FC Köln über das Verhältnis zwischen Vorstand und Fans mehr als sonst auf dem Prüfstand steht, kann es also sicherlich nicht schaden, sich mit den Vereinen auseinanderzusetzen, die komplett von ihren Fans kontrolliert werden. Alina Schwermer berichtet in ihrem Buch von Erfolgsmodellen und Vereinen, die gescheitert sind, was jeweils an unterschiedlichen Faktoren liegt. In jedem Fall eignet sich das Buch sehr gut dazu, nachzuvollziehen, wie Fans Einfluss nehmen können auf die Politik ihres Vereins.
Demokratie und Mitbestimmung: Vorbildhafte Werte für jeden Verein
Eine totale Demokratie wie vor einigen Jahren bei Fortuna Köln, als sich Fans im Internet an der Entscheidungsfindung im operativen Bereich beteiligen konnten, ist dabei ebenso wenig zielführend wie die totale Abschottung nach außen und die Auflösung der 50+1-Regelung. Deren Bestand ist unumstritten etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt, wenn man alleine auf die Bedingungen in England schaut. Denn dort ist die Mitbestimmung vieler Fans gerade im absoluten Premiumbereich zum Erliegen gekommen. Extrem hohe Preise für Dauerkarten und die totale Abschottung der Vereine in ihren lokalen Communities sind das Schreckensbild, auf das die Bundesliga mit ihren Vereinen momentan zielstrebig hinsteuert. Werte wie demokratische Organisation, Mitbestimmung und die Wahrnehmung des Stimmrechts sollten für jeden Fan unumstößlich von Bedeutung sein, auch wenn vielen der sportliche Erfolg wichtiger ist als nachhaltiges und demokratisches Arbeiten.
Aber ein wenig Idealismus kann sicherlich nicht schaden, auch beim 1. FC Köln. Der Umgang mit der Initiative “100 % FC – Dein Verein” zeigte im letzten Jahr bereits auf, dass der Vorstand keineswegs gewillt ist, Fans stärker an den Entscheidungsfindungsprozessen zu beteiligen. Und auch im Vorfeld der Wahlen zum Mitgliederrat sollte eine Auseinandersetzung mit den Rechten und Pflichten eines zahlenden Mitglieds ihren Stellenwert haben. Der Bezug zu den Leuten vor Ort sollte für auch für Vereine, die zum Premiumprodukt Bundesliga gehören, ein wichtiger Aspekt sein.
Fazit: Das Buch von Alina Schwermer ist sehr lesenswert!
Um sich das Ganze noch einmal verdeutlicht vor Augen zu führen, eignet sich die Lektüre des Buchs von Alina Schwermer allemal. Auf 215 Seiten werden vielfältige Denkanstöße geliefert, die man als Fußballfan in die Kommunikation mit seinem eigenen Verein übertragen kann. Und wer sich für Fanvereine jenseits des FC United of Manchester interessiert, bekommt mit diesem Buch auch genügend Anregungen geboten. Der Schreibstil ist flüssig und unkompliziert, durch viele direkte Zitate der beteiligten Personen bekommt man den Eindruck, direkt beim Recherchegespräch dabei zu sein. Schwermer vergisst weiterhin nicht, ihre erarbeiteten Inhalte sorgfältig in den Gesamtkontext einzuordnen. Vor dem Hintergrund der immer größer werdenden Fußball-Verdrossenheit ist es vielleicht nicht schlecht, sich mit den verschiedenen Formen der Einflussnahme auseinanderzusetzen, die einem trotz allem noch zur Verfügung stehen.