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Pyrotechnik-Diskussion: Die Innenminister Beuth & Reul drehen am Rad

Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

Weinende Kleinkinder, erschütterte Frauen und blutüberströmte Männer – wer kennt sie nicht, die schrecklichen Bilder, die uns jedes Wochenende aufs Neue aus den Bundesligastadien der Republik übermittelt werden? Es wird ja tatsächlich in letzter Zeit der Eindruck vermittelt, dass der Besuch eines Fußballspiels lebensgefährlich sei – (wenig) überraschenderweise rückt das Thema dann eben auch auf die politische Agenda. Von daher können alle zurecht besorgten Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland aufatmen: Ab Mittwoch berät die Innenministerkonferenz darüber, ob für das Abbrennen von Pyrotechnik in Deutschlands Fußballstadien künftig härtere Strafen gelten sollen. Aktuell stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar, eine Verschärfung des Sprengstoffgesetzes soll diskutiert werden, unter das dann auch Pyrotechnik fallen würde.

Verantwortlich dafür, dass dieses Thema nun endlich auch in der Politik der Innenministerien der Länder angekommen ist, sind die beiden Innenminister der Bundesländer Hessen und Nordrhein-Westfalen. Es ist Peter Beuth und Herbert Reul, zwei besonders alten und weißen Männern, hoch anzurechnen, dass sie sich so sorgsam um die Sicherheit der Millionen StadionbesucherInnen kümmern möchten. Das konnte man in Köln vor nicht allzu langer Zeit auch daran feststellen, dass beim Spiel gegen Dresden der halbe Polizeiapparat des Bundeslandes mobilisiert wurde, um die marodierenden Massen aus dem Osten der Republik einigermaßen in Schach zu halten. Passiert ist – natürlich – nichts.

In den Knast für Pyro: Geht’s eigentlich noch?

“Wenn die Vereine bis heute nicht in der Lage sind, ihre Stadien frei von Pyrotechnik zu halten, muss eben der Staat Konsequenzen ziehen und Bengalos künftig nach dem Sprengstoffgesetz behandeln und sie so weiter ächten”, verkündete dann vor kurzem ein gewisser Herr Stahlknecht aus Sachsen-Anhalt, der Boss der Innenministerkonferenz und ein Kollege der beiden eben genannten Herren. Beeindruckend, diese beinharte Interpretation der Law-and-Order-Policy, die man ansonsten eher aus autoritären Regimen kennt. Denn, um dann auch mal ernstgemeinte Töne anzuschlagen, es ist schon erstaunlich und irgendwo auch erschütternd, dass Fußballfans und insbesondere Ultràs seit Jahren in Deutschland als Subkultur unter besonderen Repressionen leiden müssen – und sich außerhalb dieses soziokulturellen Milieus fast niemand dafür interessiert.

Wollen sicherlich nur das Beste für den Fußball: Grindel (l.) und Beuth | Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images

Beuth und Reul fordern nämlich in Worten, die man populistischer fast gar nicht wählen könnte, dass dem Einsatz von Pyrotechnik eine Haftstrafe folgen sollte. Damit wird in eigentlich fast erwartbarer Tradition genau das fortgeführt, was bereits vor einigen Jahren mit den Forderungen von Körperscannern und der Abschaffung der Stehplatzbereiche in den Stadien begonnen hat – die Politik versucht, mit Unterstützung der Medien das Feindbild “Fußballfans” aufzubauen und legitimiert dadurch repressive Maßnahmen, über deren genaue Umsetzung dann eben genau ab Mittwoch in Magdeburg beraten werden wird. Dass man allerdings in diesem Kreis überhaupt über das Thema spricht, erscheint gleich aus zweierlei Gründen arg absurd.

53 Verletzte durch Pyrotechnik – keine Millionen

Erstens legt ein Blick auf die Fakten nahe, dass Pyrotechnik vielleicht doch gar nicht das zentrale Problem ist, dem sich die 16 Innenminister der Länder widmen sollten. Die “Zentrale Informationsstelle Polizeieinsätze” veröffentlicht ja dankenswerterweise jedes Jahr die tatsächlichen Zahlen über die Vorkommnisse anlässlich der Fußballspiele in den drei obersten Ligen Deutschlands. In schöner Regelmäßigkeit lässt sich dort nachlesen, dass das “Schreckensszenario Stadionbesuch” in Wahrheit eigentlich gar kein solches ist. Die Zahlen der Verletzen durch Pyrotechnik sind überschaubar – 53 im Jahr 2017 in allen drei Ligen, in der Bundesliga gar nur deren zehn. Die Zahlen in Bezug auf durch die Polizei hervorgerufene Verletzungen (unter anderem durch Pfefferspray) liegen natürlich weit darüber.

Auf der nächsten Seite: Verhältnismäßigkeit, wahre Probleme und das Drehen der Spirale.

Zweitens, und so viel Polemik sei gestattet, fehlt der ganzen Diskussion ein wenig die Verhältnismäßigkeit. Denn ähnlich sieht es auch bei “traditionellen” Großveranstaltungen wie beispielsweise dem Oktoberfest aus, an dem jedes Jahr jede Menge Verbrechen verschiedenster Form stattfinden. Dummerweise stehen weder das Oktoberfest noch das Verhalten der BesucherInnen auf der Agenda der Innenministerkonferenz. Hat man als Innenminister denn wirklich keine anderen Sorgen? Mir würden auf Anhieb mehrere Themen einfallen, die dringlicher erscheinen und mit denen man sich eher beschäftigen sollte. Da wäre zum einen die bis heute immer noch dubiose (Nicht-)Aufklärung des NSU-Sumpfes mit seinen V-Männern, die nun wirklich besorgniserregende Tatsache, dass in der Bundeswehr ein rechtsextremes Netzwerk agiert oder allgemeiner gehalten die Tragbarkeit von Horst Seehofer als Innenminister des Bundes, dessen Wirken in den letzten Monaten nun auch nicht ganz hasenrein war.

Repressionen gegen Fußballfans – wie lange noch?

Doch kommen wir zurück zum Fußball. Wie kann es sein, dass die engagierte Minderheit derjenigen Menschen, die wöchentlich ins Stadion gehen, es zulassen, dass auf ihrem Rücken Maßnahmen diskutiert werden, die den Besuch von Fußballspielen restriktiver machen? Wie kann es sein, dass die vermeintliche Grundlage alleine für diese Diskussion nicht existiert, daraufhin aber trotzdem zahllose Menschen ihre Konsequenzen spüren müssen? Es ist bizarr. Von daher ist es auch gut, dass die Vereinigung der deutschen Fanszenen am Wochenende wieder einen Protest dazu nutzt, um gegen verschiedenste Aspekte aufzubegehren: Kommerzialisierung, Zerstückelung der Spieltage, kriminelle Machenschaften der Funktionäre in den Verbänden. Das ist richtig und wichtig.

Ein intelligentes, deeskalierendes Konzept, ein echter Dialog mit den Fanverbänden würde Polizei und Justizverwaltungen nutzen, an denen die Umsetzung solcher Straffantasien letztlich hängen bleibt.

Genauso wichtig ist es jedoch, sich seiner eigenen Freiheit bewusst zu werden und dafür zu kämpfen, dass auch die eigenen Kinder in einem Land leben können, in dem sie nicht komplett überwacht und stigmatisiert werden, wenn sie Fußballfans sind. Dazu gehört auch, dass man auf Missstände hinweist, sie anspricht und mögliche politische Maßnahmen kritisiert. Wenig anders sieht es nämlich mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz aus, das im Landtag in NRW bald durchgewunken werden soll. Es umfasste unter anderem im ersten Entwurf die Möglichkeit, dass die Polizei bei “drohender Gefahr” Personen festsetzen kann, ohne dass ein konkreter Verdacht besteht. Dieser Passus wurde später zwar nach rechtlichen Bedenken gestrichen, es zeigt aber, mit welcher Art von Rechtsverständnis wir es zu tun haben – Fußballfans dürften das in Zukunft noch zu spüren bekommen.

Ein echter Dialog ist nicht wirklich zu erwarten

Die Strafverteidigerin Waltraut Verleih, ausnahmsweise keine Pyro-Gegnerin, beschrieb kürzlich in einem Text, was sie als notwendig erachtet, damit die Repressionsspirale zumindest in Bezug auf Pyrotechnik nicht weiter gedreht wird. In ihrem Kommentar für die “Frankfurter Rundschau” hält sie fest: “Ein intelligentes, deeskalierendes Konzept, ein echter Dialog mit den Fanverbänden würde Polizei und Justizverwaltungen nutzen, an denen die Umsetzung solcher Straffantasien letztlich hängen bleibt.” Das kann man so sehen und auch dafür beten, es ist aber aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit eher weniger zu erwarten.

Von daher bleibt nur zu hoffen, dass sich die Fanszenen nicht von politischen Drohszenarien einschüchtern lassen (ohnehin unwahrscheinlich) und vielleicht unter den Innenministern die Einsicht einkehrt, dass es eventuell andere Probleme gibt (auch eher unwahrscheinlich). Demzufolge dürfte sich die Diskussion noch ein wenig weiter im Kreise drehen, Pyrotechnik gezündet und populistischer Unsinn verzapft werden. Es ist nur zu hoffen, dass die Mehrheit der Menschen irgendwann versteht, dass Pyrotechnik ein fester Bestandteil einer lebendigen Fankultur ist und die Politik mit Kanonen auf Spatzen schießt.

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