Pünktlich zum WM-Sommer veröffentlicht Fußball-Autor Tobias Escher im Frühjahr sein zweites Buch “Die Zeit der Strategen”, in dem er sich mit elf prägenden Trainern des modernen Fußballs auseinandersetzt. Ob sich der Kauf des Buches lohnt, erläutert unsere Rezension.
Fußballbücher haben Hochkonjunktur, und das liegt nicht unbedingt an der Fußball-WM in Russland. Das Schreiben über Fußball ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, findet seinen Platz auf den Seiten des Feuilletons und entwickelt sich daher immer mehr zu einem potenten Markt – der Absatz dort ist in einem Jahr mit einem großen Turnier natürlich immer noch etwas größer, weshalb es vom Timing her wohl keinen besseren Termin für eine Veröffentlichung gibt als im Frühjahr davor.
Ähnlich war es bei Christoph Biermanns “Matchplan”, das wir bereits vor einigen Tagen auf effzeh.com besprochen hatten – der Chefredakteur des Fußballmagazins “11Freunde” untersucht in seinem Werk die Frage, wie man mithilfe von Daten Fußballspiele gewinnen kann. Einer anderen Frage widmet sich Tobias Escher, seines Zeichens Mitbegründer der Taktikseite “spielverlagerung.de”, freier Journalist und Taktikexperte – er untersucht, welche Trainer den modernen Fußball geprägt haben und auf welche Weise sie zu den einflussreichsten Männern im Weltfußball werden konnten.
Sein Buch “Die Zeit der Strategen” trägt folgerichtig den Untertitel “Wie Guardiola, Löw, Mourinho und co. den Fußball neu denken” und liefert auf insgesamt 276 Seiten elf Kapitel über zeitgenössische Trainer. Das Buch erschien im April im Rowohlt Verlag in Hamburg und kostet 12,99 Euro. Das Besondere an Eschers Buch ist, dass er in elf kurzen und knackigen Kapiteln darlegt, warum und wie Fußballtrainer durch ihre Arbeit den aktuellen Fußball beeinflussen.
Der Wandel des Trainerberufs als zentrales Thema des Buches
Sein Ausgangspunkt ist dabei der moderne Fußball, der sich in den letzten Jahrzehnten durch Kommerzialisierung und Professionalisierung enorm weiterentwickelt hat. Damit einher ging auch ein Wandel im Anforderungsprofil an den Trainerberuf, der mittlerweile eine immense Komplexitätssteigerung erfahren hat. Trainer müssen heutzutage Experten in Taktik sein, gleichzeitig aber auch über Trainingswissenschaften Bescheid wissen und nebenbei noch sicher in der Arbeit mit den Medien sein. Über allem steht die Arbeit als Pädagoge und Psychologe und es ist keine Überraschung, dass sich die elf Trainer des Buches allesamt in ihrer Herangehensweise unterscheiden.
Zwar lassen sich schon Gemeinsamkeiten und Prägungen feststellen, die Charaktere unterscheiden sich jedoch enorm. Der Wandel des Fußballs hat auch dafür gesorgt, dass aus Trainern so etwas wie Stars geworden sind – man erinnere sich auf die Aufeinandertreffen zwischen Guardiola und Mourinho auf den Trainerbänken von Real Madrid und dem FC Barcelona, die in der Berichterstattung fast mehr Platz einnahmen als die eigentlichen Spiele. Dementsprechend ist es gut, dass Tobias Escher nun ein Buch liefert, in dem die prägenden Figuren des aktuellen Fußballgeschehens einerseits aus biographischer Sicht porträtiert werden, andererseits aber auch auf ihre unterschiedlichen Herangehensweisen in Bezug auf Inhalt, Didaktik und Methodik eingegangen wird.
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Mit Mourinho und Guardiola startet der Autor dann auch: Zuerst wird auf Mourinho eingegangen, dessen wissenschaftlicher Ansatz in den 1990er Jahren während seiner Sozialisation als Trainer etwas Neues war. In seiner “Bibel” versuchte er, das gesamte Wissen über Fußball zu kategorisieren – darin fanden sich dann Inhalte zu Trainingslehre, Spielvorbereitung und Menschenführung. Mourinhos Ansatz war insofern revolutionär, weil er das Fußballspiel in gewisse Prinzipien zerlegte, die er dann gezielt trainieren ließ. Das ist unter anderem ein Aspekt, den Julian Nagelsmann einige Jahre später ebenso erfolgreich anwendet. Hauptaspekt des Fußballs von Mourinho ist, wie Escher passenderweise herausstellt, das Umschalten nach Ballgewinn und nicht wie oft kritisiert wird das Verteidigen des eigenen Sechzehners.
Guardiola, Bielsa und Co.: Die wichtigsten Trainer der Gegenwart
Weiter geht es mit dem wohl prägendsten Trainer der Neuzeit: Über keinen anderen Coach ist in den letzten Jahren mehr geschrieben worden als über Pep Guardiola. Als fußballerischer Nachfahre von Johan Cruyff und dessen Ballbesitzphilosophie ist Guardiola der Trainer der wohl besten Mannschaft der Neuzeit gewesen – sein FC Barcelona in den Jahren 2009 bis 2011 war nah dran an der Perfektion und gewann nicht nur deswegen Titel um Titel. Der revolutionäre Ansatz bei ihm lag in der rigorosen Spielvorbereitung und der Durchsetzung des Positionsspiels. Auch hier stellt Escher gut dar, warum die Begrifflichkeiten “Tiki Taka” und “Ballbesitzspiel” eigentlich nicht passen.
Auf der nächsten Seite: Die weiteren Trainer und unser Fazit über das Buch
Der nächste Trainer ist international weniger bekannt, weniger erfolgreich, aber ungleich einflussreicher: Marcelo Bielsas sturer Ansatz des Offensivfußballs war Grundlage für viele Trainer nach ihm. Erster deutscher Trainer in der Auflistung ist Jürgen Klopp, der Menschenführung und Fußballphilosophie beim BVB zu einer sinnvollen und passenden Mischung zusammenbrachte und nun mit dem Liverpool FC im Champions-League-Finale steht. Danach folgen mit Antonio Conte und Maurizio Sarri, der gerade beim SSC Neapel verabschiedet wurde, zwei Italiener im Fokus. Während der eine durch seinen unbändigen Siegeswillen besticht (Conte), zeigt das Beispiel Sarri, das man auch als Quereinsteiger im Fußball etwas erreichen kann – auch wenn man Unmengen an Zigaretten und Espressi konsumiert.
Braucht es als Trainer eine gute Spielerkarriere?
Danach beschäftigt sich das Werk mit Peter Bosz, dem ehemaligen BVB-Trainer, bevor Joachim Löw ein Kapitel gewidmet wird. Dieser wird von Escher als Pragmatiker beschrieben, der stets auf der Suche nach neuen taktischen Entwicklungen ist und seine Mannschaft dementsprechend verändert. Mit Thomas Tuchel und Julian Nagelsmann folgen dann zwei Beispiele dafür, dass man als erfolgreicher Trainer keine sonderlich erfolgreiche Spielerkarriere gehabt haben muss – beide sind inspiriert worden von Guardiola und anderen und gehen mit ihrem “Rulebreaking” (Tuchel) und der Arbeit an mehreren Spielprinzipien und dem Fokus auf differentiellem Lernen (Nagelsmann) neue Wege.
Das Buch endet mit einem Kapitel über Zinédine Zidane, einen der größten Fußballer der Geschichte, der mittlerweile auch als Trainer außergewöhnliche Erfolge feiert. Ihm fehlt der wissenschaftliche Ansatz eines Mourinho oder eines Tuchels, aber dennoch leistet seine Mannschaft Jahr für Jahr Bedeutsames. Laut Escher liegt das an den Freiräumen, die “Zizou” seiner Mannschaft lässt – die Frage, ob dieser Ansatz auch bei einem individuell schlechter besetzten Teams als Real Madrid funktioniert, wird allerdings zurecht gestellt.
Foto: Francesco Pecoraro/Getty Images
Und warum sollte dieses Buch nun Eingang finden in die Bücherregale von Fußballfans? Nun, das ist eine schwierige Frage. Fest steht, dass das Buch für Menschen, die sich überdurchschnittlich intensiv mit dem Fußball auseinandersetzen, wenig inhaltliche Neuerungen bietet. Die meisten Anekdoten und Hintergründe über die Trainer sind bereits bekannt, allerdings ist das auch nicht schlimm – anders als die teilweise als “nerdig” kritisierten Spielanalysen auf “spielverlagerung.de” ist das Buch in Bezug auf seinen Schreibstil leicht zugänglich, die einzelnen Kapitel lesen sich flott und werden durch thematische Einschübe zur taktischen Fachbegriffen aufgelockert. Wenn man das Buch also als Übersicht über die prägenden Trainerfiguren der Gegenwart sieht, ist es wertvoll – das Defizit, dass Tobias Escher mit keinem der Trainer tatsächlich persönlich sprechen konnte, sorgt jedoch dafür, dass die inhaltliche Tiefe ein wenig fehlt.
Tobias Escher: Flüssiger Schreibstil, kompakter Inhalt
Es wäre interessant zu sehen, wie ein solches Buch aussehen würde, wenn Escher tatsächlich die Gelegenheit gehabt hätte, mit den Protagonisten zu reden – im Französischen erschien im Jahr 2011 das Buch “Secrets de Coachs” (zu deutsch: “Geheimnisse der Trainer”), verfasst von den beiden Sportjournalisten Daniel Riolo und Christophe Paillet. Für sie bestand die Möglichkeit, mit Welt-Trainern für ihr Buchprojekt Interviews zu führen – herausgekommen ist ein detailliertes und komplexes Werk, in dem man über die einzelnen Trainer eine Menge erfährt.
Arrigo Sacchi, Rafael Benitez, Marcello Lippi, Ottmar Hitzfeld, Sir Alex Ferguson und Vicente Del Bosque sind nur einige der Trainer, mit denen sich dieses Buch auseinandersetzt. Es entstammt gewiss einer anderen Zeit, ist aber für den Verfasser dieser Zeilen ein Standardwerk, um die Arbeit der Fußballlehrer auf höchstem Niveau zu verstehen. Leider ist dieses Buch bislang nicht auf Deutsch erschienen.
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