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S04-Experte Raphael Wiesweg im Interview: “Das ist kein Hurra-Fußball, aber der Erfolg gibt Schalke recht”

Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images

Auf Abschiedstour ist der 1. FC Köln in der Bundesliga – und bekommt es gegen Schalke mit einem wiedererstarkten Rivalen zu tun. Vor dem Westschlager sprechen wir mit Raphael Wiesweg über den neuen S04.

Vier Partien stehen für den 1. FC Köln in der Bundesliga noch auf dem Programm, dann tritt der Verein zum sechsten Mal in seiner einst ruhmreichen Geschichte den Gang ins Fußball-Unterhaus an. Den ersten Teil der Abschiedstournee absolviert der effzeh im Heimspiel gegen den FC Schalke 04 – ein ewig junges Duell der zwei Westrivalen, das in dieser Saison bereits zum dritten Mal über die Bühne geht. In der Liga trennten sich beide Kontrahenten 2:2, im Pokal setzte sich Schalke knapp mit 1:0 durch.

Die Königsblauen sind derzeit ein absolutes Spitzenteam der Liga – mit dem verdienten Sieg im Revierderby festigte der S04 den zweiten Tabellenplatz, nur um kurz danach den Einzug in das Endspiel des DFB-Pokals zu verpassen. Wie derzeit die Gefühlslage auf Schalke ist, was Domenico Tedesco mit den Knappen angestellt hat und wieso die veränderte effzeh-Spielweise den Gästen entgegenkommen dürfte, besprechen wir mit S04-Experte Raphael Wiesweg, Social-Media-Producer bei der Buzz04-App und Co-Autor des frisch erschienenen Buches “Mythos Königsblau – Warum wir Schalke 04 lieben”.

Das prestigeträchtige Derby gewonnen, im Pokal bitter ausgeschieden: Eine emotionale Woche liegt hinter Schalke 04. Wie sieht die Gefühlslage bei Königsblau vor dem Duell in Köln aus?

Die Gefühle sind sehr gemischt. Nach dem bitteren Pokal-Aus wurden zwar insbesondere von den Fans unmittelbar nach dem Abpfiff “Derbysieger”-Sprechchöre angestimmt. Doch das Ausscheiden im Halbfinale gegen Eintracht Frankfurt wiegt schwer, weil der erste Final-Einzug seit 2011 zum Greifen nah war. So schwer, dass trotz des ersten Erfolges gegen den BVB nach zuvor sechs sieglosen Revierderby-Duellen die Wunden erst einmal geheilt werden müssen. Das würde gelingen, wenn mit einem Sieg in Köln der Einzug in die Champions League perfekt gemacht werden kann.

Noch ist der zweite Platz nicht in Stein gemeißelt. Aber Trainer Domenico Tedesco hat das Maximum aus der Truppe herausgeholt. Selbst wenn die Königsblauen am Saisonende “nur” auf Platz drei landen sollten.

In der Liga habt ihr die Vizemeisterschaft fest im Visier – gleichbedeutend mit der Rückkehr in der Champions League. War das etwas, dass du dem Team vor der Saison zugetraut hattest?

Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich dem S04 vor der Saison einen Platz unter den ersten Vier zugetraut hätte. In meiner Saisonprognose sah ich die Schalker auf Platz fünf einlaufen. Noch ist der zweite Platz nicht in Stein gemeißelt. Aber Trainer Domenico Tedesco hat das Maximum aus der Truppe herausgeholt. Selbst wenn die Königsblauen am Saisonende “nur” auf Platz drei landen sollten.

Foto: PATRIK STOLLARZ/AFP/Getty Images

Tragender Faktor ist sicherlich die gute Organisation der Mannschaft rund um Abwehrchef Naldo. Würdest du unterschreiben, dass ihr in dieser Saison von einer starken Defensive lebt?

Zu 1904 Prozent würde ich zustimmen, dass die Schalker von einer starken Defensive leben. Sie ist sogar neben der effizienten Spielweise einer DER entscheidenden Faktoren für den Erfolg. Womit wir übrigens wieder bei Tedesco sind. Er hat es geschafft, einen sicherlich nicht schlechten Naldo noch besser zu machen. Wir erleben alle sicherlich den besten Naldo in seiner Karriere. Und er ist 35 Jahre alt. Tedesco lässt so spielen, wie es die Mannschaft am besten kann. Das ist kein Hurra-Fußball à la Jürgen Klopp. Aber der Erfolg gibt dem neuen Schalke-Trainer Recht. Außerdem, wie heißt es so schön: Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Meisterschaften.

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Trotz der sportlich starken Saison gibt es von außen immer wieder Kritik an Schalkes Spielweise, die zu destruktiv und wenig ansehnlich angelegt sei. Sind das Vorwürfe, die du nachvollziehen kannst?

Ich habe es eben schon angedeutet: Schalke spielt keinen schönen Fußball. Daher kann ich die Vorwürfe absolut nachvollziehen. Aber die königsblauen Fans sehnen sich wieder nach mehr Erfolg. Und in diversen Statistiken steht S04 in den Top drei der Liga. Mit Glück hat der zweite Tabellenplatz also nach so vielen Spieltagen nur noch bedingt zu tun. Daher nehmen die Schalke-Fans schon lange sehr gerne in Kauf, dass ihre Mannschaft zwar nicht den schönsten Fußball in der Liga spielt, aber den zweiterfolgreichsten.

Viel wird von Domenico Tedesco als Architekt des derzeitigen Erfolgs gesprochen. Was zeichnet den umjubelten Trainer-Youngster aus?

Ein Riesen-Vorteil ist seine Kommunikation. Da wäre zum einen sein Sprachtalent. Tedesco spricht Deutsch, Italienisch, Englisch, Französisch und Spanisch – er kann somit die unterschiedlichsten Spieler in ihrer Muttersprache direkt ansprechen und auch emotionalisieren. Darüber hinaus lässt er – im Gegensatz zu seinem Vorgänger – wirklich niemanden links liegen. Jedem nicht nominierten Spieler wird so lange erklärt, warum er nicht dabei ist, bis er es versteht. Das sorgt für Zusammenhalt und Anerkennung. Das jüngste Paradebeispiel ist Yevhen Konoplyanka. Wochenlang hat der Linksaußen keine Rolle gespielt. Im Derby gegen den BVB steht er dann plötzlich zur Überraschung aller in der Startelf und schießt das wichtige 1:0.

Tedescos glaubhaft hohe Identifikation sowie seine Demut und sein Stolz, bei so einem großen Klub wie dem FC Schalke 04 trainieren zu dürfen, passen wie Faust auf Auge und kommen extrem gut bei den Anhängern an.

Außerdem hat Tedesco seine Stärken in der Spiel-Vorbereitung. Schon zu seiner kurzen Zweitliga-Zeit in Aue haben Experten ihm nachgesagt, dass, wenn Tedesco genügend Tage Zeit hat, er seine Mannschaft perfekt auf den Gegner einstellen kann. Daher bin ich schon sehr gespannt, wie der S04 in der kommenden Saison spielt, wenn wegen der internationalen Spiele alle drei oder vier Tage eine Partie ansteht. Seine glaubhaft hohe Identifikation sowie seine Demut und sein Stolz, bei so einem großen Klub trainieren zu dürfen, passen wie Faust auf Auge und kommen extrem gut bei den Anhängern an.

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Tedesco ist erst 32, scheint auf Schalke hervorragend anzukommen und hat definitiv das sportliche Rüstzeug für mehr. Könnte der Deutsch-Italiener bei S04 eine Ära prägen?

Tedesco ist wirklich stolz, in so jungen Jahren eine solch anspruchsvolle Aufgabe bekommen zu haben. Er bedankt sich auch nach wie vor noch bei Erzgebirge Aue, das ihm als damals 31-Jährige die Chance gegeben hat, im Profi-Bereich Fuß zu fassen. Gleiches gilt jetzt für Schalke. Nicht umsonst hat Manager Christian Heidel erst vor zwei Wochen gesagt, dass Tedesco “langfristig” bleiben wird. Daran glaube auch ich fest. Selbst, wenn Rückschläge kommen. Dafür ist vor allem auch Heidel zu sehr von dem nun 32-Jährigen überzeugt.

Foto: Christof Koepsel/Bongarts/Getty Images

Auch Christian Heidel scheint seinen Job äußerst zufriedenstellend zu erledigen – zuletzt verpflichtete Schalke mit dem Ex-Kölner Mark Uth und Salif Sané gleich zwei Spieler, die der effzeh vor kurzem noch an der Angel hatte. Bist du zufrieden mit der Art, wie Heidel das Team weiterentwickeln will?

Christian Heidel muss noch die Altlasten von seinem Vorgänger Horst Heldt abarbeiten. Das geht nicht von heute auf morgen. Er lag aber in seinem ersten Jahr mit Verpflichtungen wie beispielsweise von Yevhen Konoplyanka nicht immer sehr gut. Nabil Bentaleb und Benjamin Stambouli haben zwar besser eingeschlagen, sind aber auch nicht überragend. Die vielen Millionen, die die Schalker durch den Verkauf von Leroy Sané bekommen haben, hat er unter dem Strich nicht sehr gut investiert. Daher darf man gespannt sein, wie er mit den Champions-League-Millionen umgeht. Grundsätzlich aber packt er so viel im Umfeld an – unabhängig von Investitionen in Spielerbeine -, dass es sinnvoll wirkt. Zudem: Für Journalisten schlecht, für Fans aber überragend: Interne Infos gelangen seit seiner Ankunft kaum noch nach außen.

Selbstverständlich profitiert auch Christian Heidel in seinem zweiten Jahr von dem sportlichen Erfolg auf Schalke. Aber er kann sich erstens extrem gut verkaufen – sowohl gegenüber den Fans als auch gegenüber den Medien. Heidel ist einfach ein Könner seines Fachs.

Insgesamt ist auffällig, dass von dem alten Schalke mit viel Unruhe und ständigen Problemen wenig übrig geblieben ist. Hältst du das für das Verdienst des neuen Sportchefs? Oder hat gar ein Umdenken im Verein und im Umfeld stattgefunden?

Das hat fast einzig und allein mit Christian Heidel zu tun, ja. Selbstverständlich profitiert auch er nun in seinem zweiten Jahr von dem sportlichen Erfolg. Aber er kann sich erstens extrem gut verkaufen – sowohl gegenüber den Fans als auch gegenüber den Medien. Zweitens ist er einfach ein Könner seines Fachs. Sein Vorgänger Horst Heldt ist kein schlechter Manager und Heldt hatte jahrelang auch nur den Auftrag in Beine und nicht mal zwischendurch ebenso in Steine zu investieren, so dass nun Heidel vor allem als der große Visionär dasteht (was er übrigens als Gentleman selbst von sich weist und Kritik gegen Heldt sofort im Keim erstickt). Doch Heidel spielt in einer anderen Liga, füttert keine bestimmten Journalisten mit mehr Infos, sondern behandelt alle gleich. Sein hohes Niveau, gepaart mit seiner mutigen Entscheidung auf einen unbekannten Trainer zu setzen, wodurch der unspektakuläre, aber unübersehbare Erfolg Einzug erhalten hat, lässt einen neuen Wind am Ernst-Kuzorra-Weg wehen.

Blicken wir ein bisschen in die Zukunft: Wo kann es für Königsblau hingehen, wenn die Entwicklung fortgesetzt wird? Sehen wir da gerade den Machtwechsel im Ruhrpott?

Ja, wir werden einen Machtwechsel im Ruhrgebiet sehen, was S04 und BVB angeht. Das hängt ganz eng mit der Personalie des Trainers zusammen. Das unterstreicht Christian Heidel immer wieder. Er sagt, dass der Trainer die mit Abstand wichtigste Person im Verein ist. Der BVB hatte das Glück, neun Jahre lang mit Jürgen Klopp und Thomas Tuchel die besten Trainer zu haben. Nun ist mit Peter Stöger ein vermeintlich “Normaler” da und schon hakt es. Tedesco kann eine Ära, wie sie Klopp bei Dortmund gebildet hat, auf Schalke prägen und entscheidend daran mitwirken, dass die Schwarz-Gelben in den kommenden Jahren öfter hinter den Königsblauen landen werden.

Ich sehe Schalke vor allem aus einem Grund knapp im Vorteil und das liegt an der Kölner Spielweise. Seit Stefan Ruthenbeck das Zepter bei euch übernommen hat, spielt ihr offensiver. Das birgt Risiken und Lücken. Die hat der S04 in solchen Situationen schon öfter in dieser Spielzeit für sich ausnutzen können.

Vor den Träumen von einer königsblauen Zukunft steht aber ein Duell beim 1. FC Köln auf dem Programm. Was erwartest du für eine Partie in Müngersdorf zum Abschluss des 31. Spieltags? Ihr seid schließlich der klare Favorit, wir der Underdog.  Ist das eine Ausgangslage, die Schalke liegt?

Ich glaube, dass die Ausgangslage mehr Druck für Köln beinhaltet als für Schalke. Ich sehe aber Schalke vor allem aus einem anderen Grund (knapp) im Vorteil und das liegt an der Kölner Spielweise. Seit Stefan Ruthenbeck das Zepter bei euch Kölnern übernommen hat, spielt ihr offensiver. Das birgt Risiken und Lücken. Die hat der S04 in solchen Situationen schon öfter in dieser Spielzeit für sich ausnutzen können. Wenngleich ich nochmals betonen will, dass es dennoch eine enge Geschichte geben dürfte. Dafür lässt Ruthenbeck meiner Meinung nach auch zu gut spielen. Zumindest besser, als es der Tabellenplatz vermuten lässt.

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Im nächsten Jahr wird es das Duell zwischen Köln und Schalke erst einmal nicht mehr geben. Wirst du uns wenigstens ein bisschen vermissen?

Ich werde den 1. FC Köln definitiv vermissen. Eigentlich würde ich mir auch wünschen, dass ihr noch die restlichen Spiele allesamt gewinnt, damit der Rest Hoffnung auf den Klassenerhalt noch erhalten bleibt. Aber ich wünsche mir am Sonntag natürlich einen Auswärtssieg, daher dürfte es für euch sehr schwer werden, die Klasse zu halten, wenn es Sonntagabend eine Heimniederlage setzt. Euch muss ich aber sicherlich auch als Letzte erklären, dass die Kölner es nicht jetzt erst in der Rückrunde verspielt haben.

Ich werde den 1. FC Köln definitiv vermissen. Eigentlich würde ich mir auch wünschen, dass ihr noch die restlichen Spiele allesamt gewinnt, damit der Rest Hoffnung auf den Klassenerhalt noch erhalten bleibt. Aber ich wünsche mir am Sonntag natürlich einen Auswärtssieg, daher dürfte es für euch sehr schwer werden, die Klasse zu halten.

Wir stehen in Köln allesamt ziemlich rätselnd vor den Trümmern einer ziemlich beschissenen Saison. Hast du vielleicht eine Idee, was hier falsch gelaufen ist?

Zunächst hattet Ihr das Problem, was alle vermeintlich kleineren Vereine in den vergangenen Jahren hatten, wenn sie erstmals oder nach sehr lange Zeit wieder ins internationale Geschäft einziehen: die Dreifach-Belastung. Fragt mal in Freiburg, Berlin oder Frankfurt nach. Siege gegen Arsenal FC (Merci Arsène) bleiben natürlich für immer hängen. Aber die physische und im Laufe der Hinrunde auch psychische Belastung war für euch ungewohnt. Der Abgang von Anthony Modeste war ein schwerer Rückschlag. Vor allem, da Jhon Córdoba – den ich übrigens grundsätzlich sehr schätze und den ich mir auf Schalke auch hätte gut vorstellen können – als Ersatz überhaupt nicht eingeschlagen hat. Im Nachgang ist man immer schlauer, aber der nächste Fehler war wohl, an Peter Stöger zu lange festgehalten zu haben. Den Gedanken finde ich aber schon fast grotesk, wenn man bedenkt, wie viele erfolgreiche Jahre Stöger dem Effzeh geschenkt hat. Wenn das dann noch nicht alles gereicht hat, kamen – wenn ich das richtig in Erinnerung habe – auch noch sehr starke Verletzungsprobleme dazu. Alles in allem einfach zu viel, um das wegstecken zu können. Erst hattet Ihr kein Glück und dann kam auch noch Pech hinzu.

Zum Schluss: Dein Tipp, bitte!

Ich tippe auf einen 2:1-Auswärtssieg der Schalker. Wie ich eben schon einmal angedeutet habe, kommt eure Spielweise die der Schalker entgegen. Eure Heimbilanz in dieser Saison und die jüngste gegen den S04 sowieso lässt nicht viel auf einen Erfolg der Kölner hoffen. So leid es mir wirklich tut.

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