Zur Tagesordnung übergehen, das wollte Armin Veh am Wochenende nicht. Nach einer 2:0-Führung war der 1. FC Köln innerhalb von zwölf Minuten komplett zusammengebrochen und hatte beim Aufsteiger SC Paderborn noch mit 2:3 verloren. Der Schwung nach dem überzeugenden 4:1 gegen St. Pauli? Komplett verpufft. Der Start ins neue Jahr? Endgültig versaut.
Die Laune am Geißbockheim? Dementsprechend mies. „Von den letzten vier Spielen haben wir drei verloren. Das ist eindeutig zu viel. Das können wir uns als FC nicht leisten“, erklärte der Sportgeschäftsführer der „Geißböcke“ und befand: „Mit der Klasse, die wir haben, ist das zu wenig für uns. Nach der Niederlage ist das Ziel gefährdet.“
“Die beste Mannschaft der Liga” wankt durch die Spiele
Das Ziel, das ist schon seit dem feststehenden Abstieg die direkte Rückkehr in die Bundesliga. Der Mann, der das bewerkstelligen sollte, heißt Markus Anfang. Ihm zur Verfügung steht der wohl hochkarätigste Kader der Zweitliga-Geschichte. Nationalspieler Jonas Hector führt die Mannschaft aufs Feld, umworbene Profis wie Timo Horn, Jorge Mere oder Vincent Koziello sind ebenso Teil des Teams wie die teuren Neuzugänge Dominick Drexler und Louis Schaub.
Im Winter legten die „Geißböcke“ sogar nochmals nach: Johannes Geis sollte die Mittelfeldzentrale stabilisieren, Florian Kainz die Außenbahn beleben – und dann ist da noch Anthony Modeste, der den eh schon prominent besetzten Sturm um Simon Terodde und Jhon Cordoba ergänzt. Ein besserer Kader als in der vergangenen Saison, schwärmte Veh schon im Sommer. Die beste Mannschaft der Liga, betonte Veh nach dem Sieg über St. Pauli.
Foto: Thomas F. Starke/Bongarts/Getty Images
Wer den effzeh in Paderborn sah, dem kamen Zweifel an diesen Einschätzungen. Wie schon im Hinspiel tat sich der Aufstiegsfavorit schwer gegen die aufmüpfigen Ostwestfalen, hatte bereits im Spielaufbau große Probleme und schien wenig akzeptable Lösungen dagegen zu finden. Dennoch: Vor allem dank individueller Klasse und dem nötigen Glück führte die Anfang-Elf noch zehn Minuten vor dem Abpfiff mit 2:0 und schien einem sicheren Auswärtssieg entgegenzusteuern.
Veh: “Wir müssen bis zum Ende souverän sein”
Mit dem überflüssigen Anschlusstreffer nach einem vermeidbaren Freistoß brachen alle Dämme bei den Jungs mit dem Geißbock auf der Brust. „ Wir haben das Spiel in Paderborn 75 Minuten total im Griff gehabt. Wir haben dann aber absolut die Souveränität vermissen lassen, die notwendig ist, um ganz oben dabei zu sein. Da müssen wir uns verbessern. Wir müssen bis zum Ende souverän sein“, bemängelt Veh vor allem den fehlenden Killerinstinkt bei seiner Mannschaft.
Wir haben absolut die Souveränität vermissen lassen, die notwendig ist, um ganz oben dabei zu sein.
Doch das war bei weitem nicht das einzige Manko, das sich in Paderborn offenbarte: Die Schwächen, die der effzeh bei der Niederlage zeigte, waren nahezu allesamt keine Überraschung. Das Geschwindigkeitsdefizit in der Abwehrreihe ist seit dem Saisonstart offenkundig, sowohl Benno Schmitz als auch Rafael Czichos waren gegen die schnellen SCP-Angreifer völlig überfordert.
Markus Anfang, Trainergott! #SCPKOE pic.twitter.com/cWwdDHWNBf
— Jan-Gabriel Hartel (@JanGHartel) February 16, 2019
Ebenso wurde den „Geißböcken“ einmal mehr die fehlende Dynamik im zentralen Mittelfeld aufgezeigt: Johannes Geis, gegen St. Pauli als Spielmacher mit starker Leistung, wirkte gegen den aggressiv pressenden Gegner fehl am Platz. Auch dadurch zeigte sich wieder einmal das größte Problem im Kölner Spiel: Gegen ein früh anlaufenden und entschlossen auftretenden Team fehlt es der Defensive an Qualität und Lösungsansätzen. Einzig der lange Ball auf die individuell herausragenden Angreifer ist mit diesem Kader deutlich zu wenig.
Die Bilanz ist zu dieser Zeitpunkt inakzeptabel
Zwar sah Veh die Leistungen in den letzten beiden Auswärtspartien, die der effzeh verlor, bei weitem nicht so negativ, nimmt aber sowohl Trainer Markus Anfang als auch die hochkarätig besetzte Mannschaft in die Pflicht. „Am Ende zählt das Ergebnis. Fußball ist Ergebnissport. Dementsprechend ist es wichtig, dass wir unsere PS 90 plus X Minuten auf den Platz bringen. Das ist unser Anspruch. Wir haben eine Mannschaft, die das kann, die es aber noch nicht zur Gänze abgerufen hat“, erklärte der ehemalige Bundesliga-Trainer.
Die Bilanz gibt ihm dabei recht: Außer dem FC St. Pauli haben die Kölner noch kein Spitzenteam geschlagen, 28 Gegentore und sechs Niederlagen sind zu diesem Saisonzeitpunkt bei den Ambitionen der Anfang-Elf inakzeptabel. Veh sieht den Übungsleiter am Zuge: „Das Trainerteam ist jetzt gefragt, Lösungen zu finden. Wenn wir Phasen haben, in denen wir keine Souveränität besitzen, brauchen wir dafür Lösungen.“
Auf der nächsten Seite: Der Gegenwind für Anfang wird größer
Da ist auch ein schwacher Trost, dass sich die Konkurrenz im Aufstiegsrennen kaum besser anstellt: Union Berlin zog durch einen Last-Minute-Erfolg in Duisburg zwar am effzeh vorbei, doch musste um diesen Sieg beim Abstiegskandidaten mehr zittern, als den „Eisernen“ lieb war. Der Hamburger SV an der Tabellenspitze teilte sich die Punkte mit starken Heidenheimern, der FC St. Pauli musste gegen Erzgebirge Aue die nächste Niederlage einstecken und Holstein Kiel sicherte sich in der Nachspielzeit einen Punkt gegen Fürth.
Der Gegenwind für Anfang wird größer
Wie eng es im Aufstiegsrennen der 2. Bundesliga zugeht, zeigte am Samstag ein Blick auf die Livetabelle: Rutschten die „Geißböcke“ zwischenzeitlich auf Platz fünf ab, ging es innerhalb weniger Minuten wieder zurück auf den zweiten Rang. Am Ende rangiert die „beste Mannschaft der Liga“ (so hieß es zumindest kürzlich) nach Spieltag 22 auf einem schmeichelhaften dritten Platz. Eine Momentaufnahme, die niemanden am Geißbockheim zufriedenstellt.
Die Auftritte in den letzten Wochen haben den Druck deutlich erhöht, extern wird der Gegenwind für Markus Anfang genauso größer wie der Ton intern rauher. Das liegt auch am Auftreten des 44-jährigen Trainers, der in Köln noch nicht richtig angekommen zu sein scheint. Die Herzen der Fans hat der gebürtige Kölner derzeit genauso wenig für sich gewinnen können wie offensichtlich die Köpfe der schwer emotionalisierbaren Mannschaft.
Foto: Thomas Starke/Bongarts/Getty Images
So sollen seine teils gewöhnungsbedürftige Ansprache bei den Spielern für das ein oder andere Kopfschütteln gesorgt haben, seine ständigen Ausbrüchen an der Seitenlinie machen es nicht nur dem 4. Offiziellen schwer. Die Zweifel an Anfangs Eignung für die schwierige Aufgabe beim 1. FC Köln mehren sich – die Befürchtungen, der Bundesliga-Absteiger könnte eine Nummer zu groß sein, werden immer lauter vorgetragen.
Gegen Dresden schon einmal dem Druck getrotzt
Daran haben auch Vehs Aussagen ihren Anteil – ganz nonchalant kritisierte der einstige Trainer eine Entscheidung seines Untergebenen. „Wenn ich ein Spiel so lange im Griff habe, dann einen Wechsel vornehme und das in der Form in die Hose geht – das darf einfach nicht sein“, schoss der FC-Sportgeschäftsführer den ersten öffentlichen Giftpfeil in Richtung Anfang, der vor den Gegentreffern den akut gelb-rot gefährdeten Czichos vom Feld genommen hatte.
Jetzt haben wir die Chance, in einer englischen Woche in kurzer Zeit viele Punkte zu holen.
Ein Tausch, der sich nicht auszahlte – wie auch Veh befand, der seit Anfang Dezember 2017 die Fäden bei den „Geißböcken“ in der Hand hält, die sich mehr als nur anbahnenden Anfang-Verpflichtung allerdings lediglich abnickte. Der effzeh-Coach derweil versucht die verständliche Unruhe im Umfeld nicht an sich heranzulassen: „Wir werden jetzt nicht in Aktionismus verfallen“, verkündet Anfang und legt den Fokus auf die kommenden Aufgaben: „Jetzt haben wir die Chance, in einer englischen Woche in kurzer Zeit viele Punkte zu holen. Darauf muss jetzt unser Fokus liegen.“
Foto: Ben Horn
Dass Anfang aber nicht nur ein beratungsresistenter Konzepttrainer, der starr an seinen Vorstellungen festhalten will oder gar ein taktisches „One-Trick-Pony“ ist, zeigte die Entwicklung in der Hinrunde. Nach zahlreichen schwachen Auftritten mit dem traurigen Tiefpunkt in Hamburg, als eine blutleere Vorstellung für den Verlust der Tabellenführung sorgte, rückte der effzeh-Coach von seiner Vorstellung einer Formation mit einer Viererkette und lediglich einem Stürmer ab.
Viel Spielraum für Ausrutscher gibt es nicht mehr
Eine gelungene Anpassung, wie die darauf folgenden Wochen zeigten. Ein 8:1 gegen Dresden sollte die fulminante Trendwende darstellen: Mit dem formstarken Angriffsduo Cordoba/Terodde mischten die „Geißböcke“ die Liga auf und schossen fünf souveräne Siege in Folge heraus. Auftritte, die Hoffnung auf dauerhafte Besserung machten. Doch den Versprechungen ließ die Mannschaft einmal mehr wenig Taten folgen – was auch an taktischen Maßnahmen des Trainers lag.
Das Experiment mit zwei extrem offensiven Außen scheiterte spätestens in Paderborn krachend, Nationalspieler Jonas Hector wirkt im Zentrum weiterhin nicht als spielstabilisierender Faktor und die Dreierkette wackeln infolge des riskanten Spielaufbaus vom Torwart weg immer mehr. Nun muss allerdings in den kommenden Wochen geliefert werden: Viel Spielraum für Ausrutscher hat die Mannschaft im Rennen um den Aufstieg nicht mehr, in den Medien werden bereits die Wochen der Wahrheit für den Trainer ausgerufen.
Angesichts Vehs klarer Worte nach der Paderborn-Pleite keine abwegige Interpretation – die Duelle gegen Sandhausen, in Aue und in Ingolstadt dürften definitiv über die kurzfristige Zukunft des effzeh-Coaches entscheiden.