Die Europameisterschaft in Frankreich aus dem Jahr 1984 ist weitestgehend in Vergessenheit geraten. Schuld daran ist sicher das schwache deutsche Abschneiden bei der Endrunde. In Erinnerung bleibt eine Qualifikation mit blauem Auge, ein blonder Kopf aus Spanien und ein Torwart auf Bußgang durch Frankreich. Aber eines nach dem anderen: Nach der Weltmeisterschaft 1982 war Fußball-Deutschland in Aufruhr. Man hatte in Spanien zwar das Finale gegen Italien erreicht, aber die Stimmung rund um das Team mit dem Adler auf der Brust war vergiftet. Und das lag nicht an der verdienten 1:3-Finalniederlage gegen die Italiener, sondern am Auftreten der Deutschen im Allgemeinen. Da war der Skandal vom so genannten Nichtangriffspakt von Gijón, das Foul von Toni Schumacher an Battiston sowie die Exzesse in der Vorbereitung am Schluchsee (danach nur noch „Schlucksee“ genannt).
Die Ausgangslage
Der Europameister von 1980, sportlich eigentlich recht gut aufgestellt und unter Derwall sogar dreiundzwanzig Spiele unbesiegt (dabei zwölf Siege, beides bis heute Rekord), hatte rund um das Weltturnier komplett die Balance verloren. Die „lange Leine“, die der Bundestrainer seinen Spielern gewährte, wurde mehr und mehr ausgenutzt. Auch die Rückholaktion von Paul Breitner brachte aufgrund der machthungrigen Persönlichkeit des Weltmeisters von 1974 mehr Unruhe in den Laden, als das es dem Team nutzte. Mit diesen Voraussetzungen ging es Ende 1982 in die EM-Qualifikation, die Gegner hießen dabei Albanien, Nordirland, Türkei und Österreich. Nicht einfach, aber machbar und nachdem der Vize-Weltmeister sogleich ein Testspiel im Wembley-Stadion mit 2:1 gegen den alten Rivalen England gewann, bei dem übrigens FC-Spieler Gerd Strack debütierte, fühlte man sich gut gerüstet.
“Schumacher mag als Person zu hinterfragen sein, aber er ist der zur Zeit beste Torwart dieses Planeten.”
Acht Spiele beinhaltete die nun folgende Qualifikation und gleich zwei FC-Spieler kamen in allen Begegnungen zum Einsatz. Zum einen natürlich die deutsche Nummer 1, Toni Schumacher. Der Kölner war längst zu einem der weltbesten Torhüter gereift, war aber nach dem Vorgang rund um Patrick Battiston eine umstrittene Persönlichkeit. Er musste sich in allen Stadien außerhalb Kölns böse Pfiffe anhören, ebenso Beleidigungen und viele ablehnende Plakate. Ein Umstand, der noch lange anhielt und seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte, als Deutschland bei einem Testspiel im Frühjahr 1984 in Frankreich spielte und die Hasstiraden seitens der Franzosen ins Unermessliche stiegen. Schumacher hielt bei der 0:1-Niederlage trotz der Anfeindungen herausragend, so das in den französische Medien der Ausspruch „Schumacher mag als Person zu hinterfragen sein, aber er ist der zur Zeit beste Torwart dieses Planeten“ zu lesen war. Bis zur EM, die aus des Torwarts Sicht eben „ausgerechnet“ in Frankreich stattfand, sollte sich die Fokussierung der internationalen Beobachter auf ihn sogar noch weiter steigern.
Die FC-Spieler in der Qualifikation
Dagegen waren die acht Einsätze des FC-Liberos Gerd Strack sieben Mal eher solide und boten kaum Anlass zu großen Schlagzeilen. Doch seine Teilnahme am achten und letzten Qualifikationsspiel machte ihn bundesweit zu einer großen Nummer. Später mehr dazu. FC-Star Pierre Littbarski kam sieben Mal zum Einsatz, mehrfach kam der Berliner in Kölner Diensten dabei von der Bank und konnte sich auch nicht in die Torschützenliste eintragen. Der bei der WM 82 wohl erfrischendste Spieler, der dort als einer der wenigen Kicker positiv in Erscheinung trat, fiel in der Nationalelf in ein kleines Loch, fing sich aber mit der Zeit wieder.
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Stephan Engels war vor allen zu Beginn der Qualifikation gesetzt. Bei der zurückliegenden WM hatte Engels den Kader knapp verpasst und stand lediglich auf Abruf bereit, jetzt aber sollte seine große Zeit beginnen. Doch die Leistungen des Mondorfers waren zu schwankend, dazu gab es immer mal wieder Verletzungsprobleme, so dass nach vier Einsätzen in der Qualifikation und zuvor vier Testspielen seine Nationalmannschaftskarriere bereits endete. Vom talentierten Mittelfeldspieler hatte man sich hier sicher etwas mehr versprochen. Heute vielleicht schwer vorstellbar, aber Engels stand seinerzeit in Konkurrenz zu einem gewissen Lothar Matthäus, der noch lange nicht den späteren Weltfußballer-Status innehatte, sondern ebenfalls noch als talentierter Spieler galt. Wer sich von beiden fast gleichaltrigen Jungstars durchsetzen sollte, galt eine gewisse Zeit als offen.
Auch Klaus Allofs gehört seit 1981 zum 1. FC Köln, als er den Rhein entlang von Düsseldorf nach Köln wechselte. Der EM-Held und Torschützenkönig von 1980 war allerdings längere Zeit in keiner guten Form und hatte deswegen auch die WM in Spanien verpasst. Weiterhin war mit dem jungen Rudi Völler ein Kontrahent in noch dazu treffsicherer Verfassung hinzugekommen. In der Qualifikation kam er daher nur ein einziges Mal zum Einsatz und da dieses Spiel nicht gut für das Team und für ihn selbst lief, war für Allofs an dieser Stelle zunächst Ende.
Die Qualifikation beginnt – Prestigekampf mit dem alten Rivalen
Denn dieses erste Qualifikationsspiel ging am 17.11.1982 in Belfast gegen Nordirland völlig überraschend mit 0:1 in die Binsen. Vor allem nach dem bereits erwähnten Testspielsieg in Wembley kam diese Niederlage aus heiterem Himmel. Zuvor hatte es in allen Qualifikationsspielen des DFB in seiner Historie bis dahin nur eine einzige Niederlage (1967 in Jugoslawien) gegeben. Entsprechend wild ging es in den Medien zu. Es folgten der Sieg in Albanien (2:1) und der bisher überzeugendste Auftritt beim 3:0-Erfolg über die Türkei. Man hatte sich also etwas gefangen und mit Rummenigge und dem jungen und hoffnungsvollen Völler war nun ein Stürmerduo der Extra-Klasse vorhanden.
Im Wiener Praterstadion traf man schließlich auf den Nachbarn aus Österreich und damit auf den vermeintlich stärksten Gruppengegner. Hier war mittlerweile eine eh immer schon vorhandene, heftige Rivalität neu entflammt. Seit Cordoba 1978 hatte diese Rivalität erheblich zugenommen, so hatte es auch in der WM-Qualifikation für Spanien 82 zwei emotionale Duelle gegeben, die von den Deutschen beide recht klar gewonnen werden konnten. Dann kam es zum „Nichtangriffspakt von Gijón“, dem 1:0-Sieg der DFB-Elf in der WM-Vorrunde, den beide Teams durch passive Ballschieberei in unerwarteter Eintracht etwa 80 Minuten nach Hause verwalteten und damit den Außenseiter Algerien eliminierten.
Das lange erwartete Duell in der EM-Qualifikation für Frankreich 1984 endete diesmal aber torlos. Damit blieben die Alpenkicker, die hervorragend in die EM-Quali für Frankreich gestartet waren, an der Tabellenspitze und nur der Erste der Gruppe sollte sich für die EM-Endrunde qualifizieren. Doch fünf Monate später wurde das erneut emotional stark aufgeladene Rückspiel in Gelsenkirchen klar von der Derwall-Elf dominiert. Bereits nach zwanzig Minuten stand durch Tore von Kalle Rummenigge und zweimal Rudi Völler der 3:0-Endstand gegen den Nachbarn fest.
Auf der nächsten Seite: Gerd Strack rettet die EM-Teilnahme
Als wenige Wochen später die Türkei im Hamburger Volksparkstadion mit 5:1 in die Schranken gewiesen wurde, zweifelte keiner mehr daran, dass das deutsche Team in Frankreich 1984 mit von der Partie ist. Auch weil Österreich mittlerweile nach dem perfekten Start mit drei Siegen und 11:0 Toren mehr und mehr die Puste ausging. Alles schien geregelt, denn zwei noch folgende Heimspiele gegen Nordirland und Albanien sollten ja wohl nicht das Problem darstellen. Doch dann der Schock: Am 16.11.1983 gingen die Nordiren durch ein Tor ihres Jungstars Norman Whiteside im Hamburger Volksparkstadion in Führung.
Dem deutschen Team wollte nichts gelingen und so verlor die DFB-Auswahl schlussendlich auch das zweite Spiel gegen den international kaum beachteten Gegner. Und … die Nordiren übernahmen sogar die Tabellenspitze, waren allerdings nun auch bereits durch mit ihren Spielen. Deutschland hingegen hatte noch einen Schuss frei, das letzte Spiel gegen Albanien konnte die Qualifikation noch bringen. Dazu zwingend notwendig: Ein Sieg! Damit wäre Punktgleichheit gegeben und das bessere Torverhältnis würde dem Titelverteidiger doch noch die Chance ermöglichen, den Cup im Endrundenturnier zu verteidigen.
Man kann schon sagen, dass in Fußball-Deutschland nun ein wenig Panik ausbrach. Die Stimmung war sowieso schon zuvor durchwachsen, denn die WM 82 hallte immer noch nach. Daran änderte auch der Landesmeister-Pokalsieg des HSV im Mai 1983 nicht viel, zumal in der Folgesaison des Europapokals alle deutschen Mannschaften nicht über den Winter kamen. Eine Nicht-Teilnahme an der Europameisterschaft wäre einer nationalen Fußball-Katastrophe gleichgekommen. Da hätte es wenig getröstet, dass auch Weltmeister Italien, England und die Niederlande allesamt sensationell die Endrunde verpassten.
Strack köpft Fußball-Deutschland ins EM-Glück
Nun ging es, nur vier Tage nach dem Nordirland-Schock, im Saarbrücker Ludwigspark gegen Albanien. Ausgerechnet Albanien, gegen das die DFB-Auswahl in der Quali für die EM 1968 bereits völlig überraschend gescheitert war. Dass der 20. November 1983 auch noch der Totensonntag war, machte die Symbolik des drohenden Scheiterns nahezu perfekt. Fast schon logisch, dass die bis dahin sieglosen Außenseiter gegen nervöse und fahrige DFB-Kicker in Führung gingen und sich auch nach dem postwendenden Ausgleich durch Rummenigge nicht vom amtierenden Europameister und Vizeweltmeister beeindrucken ließen. Es schien sie auch nicht zu stören, dass sie die zweite Halbzeit in Unterzahl absolvieren mussten, da ihr Torschütze Tomorri kurz vor dem Pausenpfiff des Feldes verwiesen wurde.
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Die zeitmessende Einheit „Minute“ schien in der zweiten Halbzeit plötzlich nur noch aus maximal 30 Sekunden zu bestehen, so kam es den Zuschauern im Stadion, an den TV-Geräten und sicher auch den Spielern selbst vor. Die Zeit verging also rasend schnell und ein Tor wollte und wollte nicht fallen, so sehr sich die Adlerträger auch mühten. Das Aus war nah und es waren nur noch etwas mehr als zehn Minuten zu spielen, als eine Flanke von Bernd Förster von der rechten Seite Richtung Strafraum geschlagen wurde. Der Kölner Libero Gerd Strack hatte sich nach vorne gewagt, profitierte dann vom falschen Stellungsspiel des den Ball verfehlenden albanischen Abwehrspielers und wuchtete das Leder mit dem Kopf zielgenau aus etwa 10 Metern in die untere rechte Torecke. Riesenjubel im Ludwigspark und im ganzen Land, denn damit war der Europameister von 1972 und 1980 letztlich doch qualifiziert.
Das Turnier beginnt – Vier FC-Spieler dabei
Stracks Treffer war diesmal der einzige, den ein FC-Spieler in der Qualifikation erzielen konnte. Die Wichtigkeit dieses Treffers jedoch kann kaum hoch genug eingeschätzt werden, schließlich wäre Deutschland als Titelverteidiger ohne seinen platzierten Kopfball nicht zur EM gefahren. Dies wäre sicher noch blamabler gewesen als die das Verpassen der EM 1968, als dieses Turnier noch keinen so hohen Stellenwert in Deutschland besaß und man nur auf Druck der UEFA an der Qualifikation zum Turnier teilnahm. So konnte im Juni 1984 also endlich das Turnier beginnen. Sorge bereitete vielen Experten allerdings das spielerische Defizit. Hatte man 1980 und 1982 fast noch zu viele Spielmacher – Paul Breitner, Felix Magath, Bernd Schuster und Hansi Müller – war nun gar keiner mehr vorhanden. Breitner war 1982 zurückgetreten, die anderen waren verletzt oder wie Italien-Legionär Müller völlig außer Form.
Derwall musste auf wenig erfahrene Spieler wie Norbert Meier (Bremen) und Lothar Matthäus (Gladbach) setzen, um das Spiel anzutreiben. Die eher biederen Alternativen hießen Wolfgang Rolff (HSV), Johnny Otten (Bremen), Rudi Bommer (F95), Hans Günter Bruns (M´gladbach), Ralf Falkenmayer (SGE) und Guido Buchwald (VfB). Wohl selten hatte ein deutsches Mittelfeld weniger Glanz als zur musikalischen Hochzeit der „Neuen Deutschen Welle“. Vom FC war es Toni Schumacher vorbehalten, als absolut gesetzt zu gelten. Streng genommen war der Torhüter sogar – mit Kalle Rummenigge gemeinsam – der wohl insgesamt größte Star der gesamten DFB-Truppe. Trotz seiner international umstrittenen Persönlichkeit seit dem Fall Battiston hatten die Gegner vor ihm einen Heidenrespekt, manche sogar Angst. Sportlich war der 30-jährige Schumacher vielleicht sogar fast auf dem Höhepunkt seiner Karriere angekommen.
Gerd Strack, der Held von Saarbrücken, hatte es ebenfalls in den Kader geschafft, sollte aber nicht mehr zum Einsatz kommen. Ebenso dabei: Pierre Littbarski, der in der Liga 17 Treffer erzielte, jedoch als nicht gesetzt galt. Erfreulicherweise war auch Klaus Allofs noch auf den EM-Zug gesprungen. Der Ex-Düsseldorfer hatte nach schwachem Beginn beim FC mehr und mehr die Rolle des Goalgetters eingenommen und nach einer Top-Rückrunde mit insgesamt 20 Toren und starken Leistungen es sogar in die DFB-Startelf zurück geschafft.
Die deutsche Gruppe
Deutschland war in Gruppe 2 eingeteilt und hatte es mit Portugal, Rumänien und Spanien zu tun. Die Portugiesen waren in dieser Zeit vor der Ära Luis Figo und erst recht vor Cristiano Ronaldo eher ein interessanter Außenseiter, auf die man zu achten hatte. Rumänien, die mit dem 18-jährigen Talent Gheorghe Hagi antraten, durfte man zwar nicht unterschätzen, sollte aber kein Problem darstellen und auch Spanien war damals noch kein Gegner, der grundsätzlich Angst und Schrecken verbreitete. Immer noch galt die spanische Nationalmannschaft als ein ungeliebtes Anhängsel des im Lande viel wichtigeren Vereinsfussballs. Gute und auch namhafte Einzelspieler waren natürlich dennoch genügend im Kader. Aber, als Favorit galt trotz aller Probleme die deutsche Elf.
“Ich bin überrascht und erfreut über die Leistung von Lothar”
Doch im Auftaktspiel gegen Portugal in Straßburg konnte die Elf um Kapitän Karl-Heinz Rummenigge diese Favoritenstellung kaum bis gar nicht untermauern. Aus dem Mittelfeld, diesmal in Ermangelung an Kreativität sogar mit einem Kalle Rummenigge, kam wenig bis nichts, um die Sturmspitzen Völler und Allofs in Position zu bringen. Die Portugiesen spielten als so genannte Brasilianer Europas zwar stellenweise trickreich, aber wenig durchschlagskräftig und so blieb es beim ernüchternden 0:0. Im zweiten Spiel in Lens gegen Rumänien war also nun Druck da, ein Sieg musste her und das DFB-Team steigerte sich schließlich auch. Im Mittelfeld spielten nun Lothar Matthäus und Norbert Meier und beide brachten tatsächlich einen Schuss mehr Kreativität mit ein. “Ich bin überrascht und erfreut über die Leistung von Lothar”, sagte Derwall im Anschluss, woran man erkennt, dass Matthäus damals noch lange nicht der Mittelfeld-Star war, als der er heute gilt. Vielleicht war dieses Rumänen-Spiel ein erstes Signal in die richtige Richtung, denn es reichte schließlich zum wichtigen 2:1-Erfolg über das Team aus den Karpaten. Rudi Völler traf dabei zweimal und Erleichterung machte sich breit.
Auf der nächsten Seite: Das beste Spiel und dennoch das Aus
Man hatte also jetzt Spanien vor der Brust und ein Remis würde zum Einzug ins Halbfinale reichen. Dieses Halbfinale gab es übrigens glücklicherweise nun wieder. Bei der EM 1980 waren beide Gruppensieger aus den beiden Vierer-Gruppen sofort für das Endspiel qualifiziert, was sich als wenig spannungsfördernd erwies und auf Antrag des DFB wieder geändert wurde. Nun sollten also die beiden Gruppenersten der Gruppe 1 und 2 wieder ein echtes Halbfinale der vier besten Teams ausspielen. Die Derwall-Elf ging am 20. Juni 1984 beschwingt in das Spiel gegen die Iberer und niemand hätte sich gewundert, wenn es nach 30 Minuten 3:0 gestanden hätte. Hans-Peter Briegel köpfte gleich zweimal an die Latte und Andy Brehmes Schuss in der 27. Minute klatschte an den Pfosten.
In der 44. Minute dann der große Triumph des Toni Schumacher. Auch in diesem dritten Endrunden-Spiel wurde der Torwart bei jedem Ballkontakt bitterböse ausgepfiffen, so auch diesmal im Pariser Prinzenpark. Als er dann in der 45. Minute einen berechtigten Strafstoß von Carrasco halten konnte, zelebrierte er seinen Erfolg sekundenlang mit erhobener Faust bei klarem Blick nach vorne. Allerdings ohne dabei durch irgendwelche Gesten zu provozieren. Dabei waren nur Sekunden vor der Ausführung nur wenige Meter entfernt zwei Leuchtraketen eingeschlagen. Diese hatten wohl eher den Schützen irritiert. In der zweiten Halbzeit boten sich dann Klaus Allofs mehrere Einschussgelegenheiten, die er allesamt verpasste. Auch dem in der 60. Minute zum zweiten Mal in diesem Turnier eingewechselten Pierre Littbarski wollte kein Treffer gelingen. Das 0:0 war mittlerweile als äußerst glücklich für die Spanier zu bezeichnen, Team „Schwarz-Rot-Gold“ bot in der Tat sein stärkstes Turnierspiel. Bloß, es wollte einfach kein Tor fallen.
Der blonde Spanier kopiert Strack
Im zeitgleich stattfindenden Parallelspiel Portugal gegen Rumänien gingen die Portugiesen in der 81. Minute in Führung, die Spanier, über den Umstand schnell unterrichtet, mussten nun mehr investieren. Die Deutschen hingegen riskierten nun weniger, nachdem ihnen lange Zeit der eigentlich verdiente Führungstreffer nicht gelingen wollte, war nun eher der Sicherheitsgedanke gefragt. Doch in der 90. Minute ließ Bernd Förster Gegenspieler Senor viel zu viel Raum, dieser schlug daraufhin eine hohe Flanke von halbrechts in den Strafraum. Dort tauchte plötzlich der kopfballstarke Maceda auf. Der blonde Libero warf sich mit allem, was er hatte, in diese Vorlage und sein Kopfball-Torpedo ließ selbst dem bärenstarken Schumacher keine Chance. Im Prinzip war das Tor eine fast deckungsgleiche Kopie des Strack-Treffers, der Deutschland erst nach Frankreich brachte.
“Das deutsche Monster hat zu lange überlebt, seit mehreren Spielzeiten, seit mehreren Wettbewerben.”
Schumacher, der noch leicht am Ball war, aber letztlich null Abwehrchance hatte, hing die letzten Spielsekunden gehockt und völlig konsterniert in seinem Tornetz … ein Bild, welches um die Fußball-Welt ging und von den TV-Kamera unendlich lange gezeigt wurde, obwohl seine Mannschaftskameraden in schwarz-weiß noch verzweifelt versuchten, den Ausgleich zu erzielen. Auch als nur wenig danach abgepfiffen wurde und Deutschland in der Vorrunde ausgeschieden war, hatte die Kamera fast nur einen Spieler im Fokus. Den deutschen Torwart, der 1982 durch sein Verhalten Hass gesät hatte und es nun vielfach zurückbekam. Deutschland war damit erstmals in der Vorrunde eines großen Turniers ausgeschieden und das Ausland frohlockte.
Frankreichs „Le Soir“ : “Das deutsche Monster hat zu lange überlebt, seit mehreren Spielzeiten, seit mehreren Wettbewerben. Die Deutschen hatten schon die peinliche Einbildung, dass die Geschichte nach ihrem Sinn laufen wird, dass es ein Schicksal gibt, dass es immer gut ausgeht für den deutschen Fußball.” Solche Reaktionen waren nach 1982 zu erwarten. Natürlich war auch in Deutschland das Presse-Echo mörderisch, die “Bild”-Zeitung startete eine brachiale Kampagne gegen Jupp Derwall und setzte sich für „ihren Mann“ ein: Franz Beckenbauer! So dauerte es auch nicht mehr lange und Derwall war beim DFB Geschichte. Mit „Kaiser Franz“ als sogenannter Teamchef begann eine neue Zeitrechnung.
Platini überragt, Frankreich holt den Titel
Spanien sollte es noch bis ins Finale schaffen, die Männer um Torhüter Arconada, Camacho, Gallego, Gordillo und Santillana konnten im Halbfinale die Überraschungsmannschaft des Turniers aber nur im Elfmeterschießen schlagen. Dänemark hatte mit seinem neuen „Danish Dynamite“ Offensiv-Stil unter dem deutschen Trainer Sepp Piontek längst die Herzen der neutralen Zuschauer erobert. Die Dänen hatten FC-Bezug, Morten Olsen und Preben Elkjaer Larsen spielten sich neben Laudrup und Lerby in den internationalen Fokus. Preben Elkjaer Larsen, mit dem FC 1978 Doublegewinner, war es schließlich, der Spanien durch seinen verschossenen Elfmeter das Finale gegen die Franzosen unter Superstar Michel Platini ermöglichte.
Jener Platini war zu dieser Zeit sicher einer der wunderbarsten Mittelfeldspieler, die es gab und man kann sich schon manchmal fragen, wie aus einem so tollen Spieler später ein solcher Funktionär wurde. Nachdem der Gastgeber in seinem Halbfinale die zweite Überraschungsmannschaft Portugal mit 3:2 nach Verlängerung niedergerungen hatte, gingen sie gegen Spanien als Favorit ins Spiel und wurden dieser Stellung gerecht. Mit 2:0 gewann Frankreich und Platini schoss dabei sein neuntes Tor! Der neue Europameister hieß verdientermaßen Frankreich, was die deutschen Spieler nur am TV-Gerät verfolgen konnten.
Nie wieder so einen Hass
Aus FC-Sicht war das Tor von Gerd Strack ganz sicher das Highlight, auch wenn es „nur“ in der Qualifikation fiel. Die Szene des FC-Liberos hat deutschlandweit überdauert und dem leider kürzlich verstorbenen Kölner Libero und Mannschaftskapitän einen unvergänglichen Bekanntheitsgrad gesichert. Das Turnier selbst war die für die Feldspieler Allofs und Littbarski genauso ernüchternd wie für alle anderen Akteure. Auch wenn gegen Spanien viel Pech dabei war, in der Summe war das Ausscheiden verdient. Sportlich am wenigsten verantwortlich für das frühe Ausscheiden war Toni Schumacher, der rein auf das fußballerische bezogen ein sehr starkes Turnier bot und sich auch ansonsten den Tiraden gegen seine Person ohne Murren stellte. Neben den vielen abfälligen Kommentaren würdigten einige wenige ausländische Beobachter immerhin genau diese beiden Punkte. Natürlich war er damit kein Gewinner der EM, aber er machte es auch nicht schlimmer, als es eh schon war.
Foto: imago images / Horstmüller
Es ist aus heutiger Sicht in einer Gegenwart mit extrem hohen moralischen Anforderungen kaum vorstellbar, wie sehr ein einzelner Spieler quasi weltweit verachtet werden kann und dies sogar medial befeuert wurde. Nicht wenige TV-Sender und Print-Medien waren damals daran beteiligt und haben Öl ins Feuer gegossen, so dass die vielen Galgen mit Schumacher-Puppen im Publikum und unzählige Nazi-Beschuldigungen gegenüber dem Torwart durch massenhafte Plakate erst möglich wurden. Klar ist: Schumacher war kein Opfer! Er selbst hat diese Geister durch sein unentschuldbares Verhalten im Sommer 1982 herbei gerufen! Aber dennoch erschrickt man in der Rückbetrachtung vor dem vielfach gesteigerten und bewusst gehypten Echo, welches sicher nicht so viel besser war, als die „Tat“ selbst. Gut, dass die Zeiten sich geändert haben.