Oft genug wurde bereits vom großen Double des 1. FC Köln berichtet, auch am 42. Jahrestag dieses für Effzeh-Fans unvergessenen 29. April 1978 geschieht das berechtigterweise wieder. Der historische Tag kann nicht oft genug gewürdigt werden, so weit, so richtig. Doch es stellen sich durchaus auch Fragen. Wieso konnte der 1. FC Köln diesen Erfolg nicht auf längerfristiger Ebene nutzen, um sich für die Zukunft aufzustellen?
Wie konnte es sein, das einer der damals sicher Top- aufgestellten Vereine Europas, der seinerzeit gespickt war mit Nationalspielern und absoluten Könnern nach dem größtmöglichen Erfolg auf nationaler Ebene bis auf den DFB-Pokalsieg von 1983 keine weiteren Titel folgen ließ? Zwanzig Jahre nach dem größten Vereinserfolg erfolgte gar der Abstieg. Was war da passiert?
Cover: Edition Steffan
Frank Steffan hat mit seinem Film „Das Double 1977/78“ einen großen Erfolg gelandet, unter anderem wurde seine Dokumentation im Jahr 2017 zum Siegerfilm des internationalen „11mm Fußballfestivals“ gewählt. Der Film wird übrigens ab dem 3. Mai um 15.30 Uhr auf der gleichnamigen Facebookseite für drei Tage zu sehen sein.
In seinem Buch „Das Double – Die Dokumentation einer außergewöhnlichen Epoche“ geht der Autor und Filmemacher noch weiter, erklärt deutlich und sehr detailliert viele noch unbekannte Hintergründe zum großen Kölner Erfolg. Aber er findet am Ende auch sehr nachdenkenswerte Worte zum Erbe des Doubles. Bei aller Freude über den Tagesausgang des 29. April 1978 sollte diese Nachbetrachtung aus dem Buch des Kölner Journalisten auch einmal über den Tag X hinausgehen. Hier nun der Text aus dem genannten Buch:
Zu dem Zeitpunkt, als der 1. FC Köln das Double gewann, war er erst der dritte deutsche Fußballclub, der derart erfolgreich war. Vorher war das Kunststück nur Schalke 04 im Jahre 1937, so gesehen Urzeiten zurückliegend, und dem FC Bayern München im Jahre 1969 gelungen. Dem Double haftete daher 1978 etwas ganz Exklusives an. Erst sehr viel später relativierte sich das durch die ständigen Triumphe der Bayern, die mittlerweile im Dutzend Meisterschaft und Pokal in derselben Saison holten. Seither ist das Triple das Maß aller Dinge.
Doch was war damals im Jahr 1978 beim 1. FC Köln geschehen? War es Glück? War es die Leistung einer überragenden, überdurchschnittlichen Mannschaft? Und: Warum trug dieser durchschlagende Erfolg bei den “Geißböcken” nicht länger als eine Saison? Man könnte sagen, dass insgesamt acht Niederlagen, vier Unentschieden und 22 Siege kein allzu guter Schnitt sind. Dem ist nicht so. Nach der damaligen Zählweise, also zwei Punkte für einen Sieg, ein Punkt für ein Unentschieden und null Punkte im Falle einer Niederlage, waren 48 Pluspunkte eine durchaus stolze Ausbeute.
Nach der Drei-Punkte Regel war es gar nicht so knapp
Dass auch der Verfolger Borussia Mönchengladbach auf die gleiche Punktzahl am Ende kam, ist genauso bemerkenswert. Eins ist aber klar: 48 Punkte hatten stets locker ausgereicht, um Meister zu werden. Und würde man die heute zugrunde liegende Drei-Punkte-Zählweise anwenden, dann wäre der 1. FC Köln mit zwei Punkten Vorsprung durchs Ziel gegangen. Betrachtet man die Spielergebnisse und vor allem ihr Zustandekommen, dann könnte man gegebenenfalls sagen, dass die Heimsiege gegen Bochum, St. Pauli, Düsseldorf und gegen Stuttgart mit einem gewissen Glück erzielt wurden.
Auch der Sieg in Kaiserslautern war in gewisser Weise glücklich. Andererseits lässt sich ohne weiteres feststellen, dass eine Reihe von Niederlagen vermeidbar waren: Die Niederlage in Saarbrücken hätte durchaus auch ein – gerechtes – Unentschieden werden können, gleiches gilt für die Niederlage beim HSV und für den Reinfall auf Schalke. Auch die Heimniederlage gegen Frankfurt musste nicht sein. Glück und Pech haben sich insgesamt halbwegs ausgeglichen.
Keine Dreifachbelastung – der FC im Glück?
Im DFB-Pokal hatte Köln zweifellos das Glück erst im Halbfinale auf den ersten Bundesliga-Club zu stoßen. Zuvor waren die Gegner allesamt zweit-, dritt-, viertklassig. Man könnte von Losglück sprechen, allerdings entledigte man sich der zugelosten Aufgaben souverän, in sieben Spielen kassierte man lediglich ein Gegentor und das ausgerechnet in der zweiten Runde gegen Bad Kreuznach. Der Gewinn des Pokals war keine reine Glückssache, es gab glückliche Umstände, dann und wann.
Foto: Edition Steffan
Die Tatsache, dass der FC bereits in der ersten Runde des Europacups gegen Porto rausflog, hat sich gegebenenfalls auf den Verlauf der Meisterschaft günstig ausgewirkt. Anders sah es bei Mönchengladbach aus. Die „Fohlen“ standen die ganze Saison über im Europacup der Landesmeister ihren Mann, sie drangen sogar bis ins Endspiel vor, das jedoch gegen Liverpool verloren ging.
Aber auch der 1. FC Köln war es seit Ewigkeiten gewohnt dreifach belastet zu sein, Erfolge zum Beispiel im UEFA-Cup beflügelten die Mannschaft in der Meisterschaft. Das frühe Ausscheiden 1977 bewirkte eher Depressionen als das Freisetzen von Energien. In dem Moment als es passierte, breitete sich Katzenjammer aus, aber langfristig ist nicht auszuschließen, dass der FC die besseren Kraftreserven im Wettrennen mit Gladbach besaß. Es ist wahrscheinlich angemessen festzustellen, dass der Kölner Erfolg leistungsgerecht zustande kam. In manchen überregionalen Medien klang das seinerzeit nicht immer so.
Auf der nächsten Seite: Die Ausgangslage nach dem Overath-Abschied
Doch werfen wir lieber noch einmal einen kurzen Blick auf die Ausganglage vor der Saison. Was hatte sich im Vergleich zu den Vorjahren geändert? Die gesamten siebziger Jahre hindurch spielte der 1. FC Köln um die Meisterschaft mit. Seit 1970 belegten die “Geißböcke” einmal den zweiten Platz, wurde Vizemeister (1972/73), zweimal wurde man Vierter (1969/70 und 1975/76), dreimal erreichte man den fünften Platz (1973/74, 1974/75 und 1976/77) und einen Ausrutscher nach unten gab es in der Saison 1970/71, da reichte es gerade mal für den elften Rang. Nicht eben selten war man während verschiedener Spielzeiten Tabellenführer, aber am Ende reichte es nie.
All das änderte sich erst 1977/78. Und dies, obwohl die Mannschaft nicht radikal umgebaut wurde, keine Millionentransfers getätigt wurden und obwohl der vormalige Regisseur und Weltstar Overath in die Wüste geschickt wurde. Der Verdacht liegt nahe, dass es irgendwie mit dem Weltmeister zu tun gehabt haben könnte. Tatsächlich kann zweifelsfrei gesagt werden, dass die Mannschaft nach seinem unfreiwilligen Abgang zusammenrückte, zeigen wollte, dass sie es auch ohne ihn kann, ja sogar besser kann.
Überragende Einzelkönner und besondere Charaktere
Und tatsächlich bestand die Mannschaft zum Teil aus überragenden Einzelkönnern oder aus sehr besonderen Charakteren. An erster Stelle Heinz Flohe, aber auch Spieler wie Herbert Zimmermann oder Herbert Neumann waren begnadete Fußballspieler, die jetzt zu ganz besonderen Leistungen aufliefen. Ein Vorbild an Durchschlagskraft war Harald Konopka, Dieter Müller ein Goalgetter der Extraklasse und „Toni“ Schumacher mauserte sich zum besten deutschen Torhüter während dieser Saison. Hinzu kamen überdurchschnittliche Könner wie Gerd Strack, Roland Gerber oder Bernd Cullmann.
Manche sahen Luft nach oben bei den Leistungen der Außenstürmer Roger van Gool und Yasuhiko Okudera, wobei Okudera manch schwache Auftritte in seiner Anfangsphase durch seine enorm wichtigen Treffer gegen Stuttgart und St. Pauli mehr als wett machte. Auch van Gool erzielte wichtige Treffer, beispielsweise im Pokalfinale. Ein junger Spieler wie Dieter Prestin hätte für noch mehr Furore sorgen können, wenn er sich nicht – wie so oft – verletzt hätte. Die einzige Neuerwerbung vor der Saison, Holger Willmer aus Lübeck, der als Linksaußen geholt wurde, schaffte es nicht, sich ins Team zu spielen.
Erfolgsfaktoren
Was waren nun die entscheidenden Faktoren für den außergewöhnlichen Erfolg? Weisweiler konnte mit einer Mannschaft arbeiten, die in ihrer Grundstruktur stand, die bereits seit Jahren – im Kern zumindest – vorhanden war. Derjenige, der dafür in erster Linie verantwortlich zeichnete, hieß Karl-Heinz Thielen, der Manager des Clubs seit Anfang 1973. Einen Manager zu beschäftigen bedeutete 1973 ein absolutes Novum im bezahlten deutschen Fußballgeschäft. Jemanden mit so einem Anforderungsprofil zu suchen, auf diese Idee war bis dahin noch kein anderen Bundesligist gekommen.
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Thielen sollte die sportliche Ausrichtung bestimmen, Transfers abwickeln, mit dem jeweiligen Trainer kooperieren, die sportliche Linie bestimmen, Verträge aushandeln und darüber hinaus auch eine Art Gesamtgeschäftsführer des Vereins sein. Der Rodenkirchener war selbst Profispieler, er wechselte 1973 nahtlos vom Trainingsplatz ins Büro. Er kannte die Mannschaft aus dem Effeff, wusste, was in ihr vorgeht und er konnte aus eigener Anschauung beurteilen, wo die Defizite liegen.
Hurra-Fußball unter Cajkovski
Als Thielen begann, war Rudi Schlott Trainer. Mit ihm arbeitete der einstige Profi etwas mehr als ein halbes Jahr zusammen. Als die Saison 1973/74 mies los ging, wurde Schlott entlassen, auch wenn er im Vorjahr für die Vizemeisterschaft und den Vizepokalsieg verantwortlich zeichnete. Thielen suchte die große Trainerlösung, holte Zlatko “Tschik” Cajkovski, den ersten Meistertrainer des 1. FC Köln, zurück ans Geißbockheim.
Der Jugoslawe passte hervorragend zur Mannschaft, verstand es glänzend Euphorie zu erzeugen, unter ihm wurde Spaßfussball gespielt und diese Spielweise geradezu zelebriert. Nie sah man in Köln besseren, schöneren Fußball als zu der Zeit, als Cajkovski trainierte und der FC im Provisorium Radrennbahn kickte. So schön es auch war, so phlegmatisch konnte die Mannschaft sein, wenn es mal eine Niederlage setzte.
Entweder unterliefen diese Ausrutscher dann, wenn es wirklich um alles ging, wenn nur noch ein Quäntchen fehlte, um schnurstracks auf den Meistertitel zuzumarschieren oder sie lösten gleich eine handfeste Krise mit einer regelrechten Niederlagenserie aus, die ebenso alle Ambitionen zunichte machte. Das ständige Auf und Ab, das himmelhoch Jauchzend, zu Tode betrübt, entwickelte sich zum unverkennbaren Markenzeichen des FC. Die Mentalitäten von Trainer und Mannschaft waren zu deckungsgleich und mithin kultivierte sich diese Art des Hurra-Fußballs. Cajkovski blieb bis Dezember 1975 FC-Trainer. Die Zusammenarbeit endete nach einer typisch herben Heimniederlage gegen Borussia Mönchengladbach.
Auf der nächsten Seite: Hennes Weisweiler kommt zurück zum 1. FC Köln
Als Interimstrainer setzte sich der FC-Altinternationale Georg Stollenwerk auf die Bank, leistete sehr gute Arbeit, erreichte in der Endabrechnung immerhin Platz vier, um dann im Sommer 1976 den Stuhl für Hennes Weisweiler zu räumen. Thielen hatte die genannten Defizite erkannt und wollte nun die wirklich durchschlagende Lösung. Die sollte in Gestalt von Weisweiler kommen.
Dass der Namenspate des Geißbocks beim FC Barcelona nicht alt werden würde, im Machtkampf mit Johan Cruyff den Kürzeren ziehen sollte, das zeichnete sich bereits Ende 1975 ab. Thielen gelang damals über einen befreundeten Journalisten konspirative Kontakte zu Weisweiler herzustellen. Als endgültig klar war, dass Weisweiler in Barcelona hinschmeißen würde, fanden die konkreten Verhandlungen mit dem Startrainer auf Ibiza statt.
Geld spielte bei der großen Lösung keine Rolle
Dort hatte FC-Präsident Peter Weiand zufälligerweise ein Ferienhaus, dort konnte man sich unbeobachtet treffen und den Sensationsdeal klar machen. Natürlich hatte Weisweiler auch andere Optionen. Düsseldorf und Duisburg rissen sich ein Bein aus, um ihn zu bekommen, diverse andere Auslandsclubs buhlten ebenfalls um den Startrainer. Dass er sich für Köln entschied, hatte ursächlich damit zu tun, dass das Team eine gewachsene Einheit war.
Da musste nichts teuer zusammengekauft werden, die teilweise absolut erstklassigen Balltreter waren an Ort und Stelle. Sein ambivalentes Verhältnis zu Köln und zu den Kölschen tat ein Übriges. Weisweiler reizte es ungemein zu zeigen, dass nur er es kann den FC zum Erfolg zu führen. Auch das Geld spielte eine Rolle, der FC war zum damaligen Zeitpunkt ein steinreicher, grundsolider Club, der sich einen Mann seines Formats auch finanziell leisten konnte.
Was Weisweiler vorfand, war eine Truppe, die auf mehreren Positionen spitzenmäßig besetzt war. Im Tor standen Schumacher oder Topalovic. Internationale Spitze waren sie nicht, da musste über kurz oder lang etwas passieren. In der Abwehr standen Recken wie Wolfgang Weber, Gerd Strack, Harald Konopka, Herbert Zimmermann, Bernd Cullmann und Roland Gerber. Es müsste sich so zusammenfügen lassen, dass hinten wirklich alles dicht ist und nach vorne Impulse kämen, so Weisweilers Analyse.
Das Prunkstück um Overath und Flohe
Das Mittelfeld war definitiv das absolute Prunkstück. Overath der Regisseur, Flohe der technisch beste deutsche Spieler, ein Mega-Talent wie Herbert Neumann und dann noch Heinz Simmet als die kompromisslose Nummer 6, der eigentlich auch in der Nationalmannschaft spielen müsste. Weisweiler umtrieb sehr wahrscheinlich von vornherein eine gewisse Skepsis gegenüber Overath, aber er kam nicht mit der festen Absicht nach Köln, um ihn zu demontieren.
An Flohe hatte er schon vorher einen Narren gefressen, sah in ihm enormes, zusätzliches Potential. Noch bevor Weisweiler seine Trainingsarbeit am Geißbockheim aufnahm, besuchte er die Nationalmannschaft in Jugoslawien, wo im Sommer 1976 die EM stattfand und wo die beiden Kölner Flohe und Müller weilten. Es ist bekannt, dass sich Weisweiler mit “Flocke” im Hotel traf, länger mit ihm sprach. Was genau zwischen den beiden unter vier Augen besprochen wurde, ist nicht bekannt, aber Weisweiler hätte ihn nicht besucht, um sich nur vorzustellen und gepflegt Kaffee zu trinken.
Flohe war nach diesem Zusammentreffen jedenfalls regelrecht geflasht. Sicherlich spielte es eine enorm wichtige Rolle, dass da ein lupenreiner Rheinländer aufkreuzte, der den spielstarken Euskirchener auch an dieser Ader packen konnte. Wichtiger dürfte aber gewesen sein, dass beide eine ähnliche Spielauffassung hatten und Weisweiler vermutlich Andeutungen darüber machte, wie er sich gegebenenfalls eine künftige Rollenverteilung vorstellt.
Für van Gool: Der FC knackt die magische Millionenmarke
Im Sturm hatte sich Dieter Müller als feste Größe längst etabliert, stand auf dem Sprung in der Nationalmannschaft das Mittelstürmerproblem zu lösen. Er war zwar der typische Strafraumspieler, der auf seine Chance lauerte, er konnte aber auch spielerisch mithalten. Weisweiler soll bei den Vertragsverhandlungen zur Bedingung gemacht haben, dass Müller bleibt, wenn er kommen soll. Auf der linken Seite spielte der Oldie Hannes Löhr. Es war klar, dass er dort nicht mehr ewig agieren würde. Die “Nas” ging auf die 35 zu, hatte eigentlich schon seine Karriere beendet, war aber reaktiviert worden, weil es nicht lief.
Weisweiler erkannte auf Anhieb die Sturmflügel als das Manko. Die Verpflichtung von Preben Elkjaer Larsen zeitgleich mit seinem Trainercomeback in Köln zielte auf das Beheben dieser Schwachstellen. Der junge Däne sollte möglichst bald das Problem auf der linken Seite lösen, jedenfalls traute Weisweiler dies dem talentierten Youngster zu. Auf der rechten Seite stürmte Jürgen Glowacz, der vielfältig verwendbar war, selbst als Verteidiger.
Weisweiler wollte jedoch einen Rechtsaußen der Spitzenklasse haben und den bekam er auch mit dem Belgier Roger van Gool, dessen Ablösesumme bekanntlich erstmals die 1-Million-DM-Grenze sprengte. Darüber hinaus befanden sich im FC-Kader weitere, junge Spieler, die eine reale Perspektive besaßen. Stellvertretend sei Dieter Prestin aus der ganz jungen Garde genannt. Die Sache war also mehr oder weniger rund, jedenfalls mussten nur punktuell Positionen neu besetzt werden und das gab für Weisweiler den Ausschlag, den Weg zurück in die Domstadt zu gehen.
Auf der nächsten Seite: Erkenntnisse der ersten Weisweiler-Saison
Während der ersten Weisweiler-Saison, die grandios begann, dann aber abflachte und die alten Probleme zutage traten, spätestens da dürfte Weisweiler davon überzeugt gewesen sein, dass eine Rosskur die einzig richtige Lösung sei. Die Art und Weise, wie er mit Overath umsprang, stieß längst nicht überall auf Gegenliebe, auch nicht bei Thielen. Der Manager wusste, dass er sich auf einen starken Trainer eingelassen hatte, der volle Autorität einforderte. Anders als in Barcelona, wo Cruyff alle relevanten Strippen vor und hinter den Kulissen zu ziehen verstand, konnte er in Köln das Denkmal Overath demontieren.
Overath war 33 Jahre alt, längst aus der Nationalmannschaft zurückgetreten. Ein Spieler, der seine Karriere eh ausklingen lassen wollte. Der Konflikt spaltete zwar die Mannschaft, denn einerseits schlugen sich diejenigen Spieler, die ebenfalls keinen hundertprozentigen Rückhalt durch Weisweiler erfuhren, auf die Seite des angeschlagenen Kapitäns, aber andererseits verhielt sich die Mehrzahl zumindest neutral in der Sache.
Thielen war demgegenüber durchaus ein Antipol zu Weisweiler. Es gab Gerüchte, dass Weisweiler auf den Stuhl des Managers scharf war, eigentlich die Zeit gekommen sah, nicht mehr jeden Tag auf dem Trainingsplatz bei Wind und Wetter rumzustehen. Thielen, der sich nie vor einer Auseinandersetzung wegduckte, steckte die Grenzen ab, führte ein klärendes Gespräch mit den Trainer, zeigte die Grenzen auf. Weisweiler verstand und erst ab diesem Moment funktionierte es zwischen Manager und Trainer reibungslos.
Heinz Flohe – der Schlüsselspieler
Die Neuordnung des Mittelfelds dürfte tatsächlich der Schlüssel zum Erfolg gewesen sein. Flohe war immer schon innerhalb der Mannschaft wohlgelitten. Seine Beliebtheit resultierte aus der Tatsache, dass jeder Mitspieler genau wusste, welch ein Ausnahmekönner er war. Viele bewunderten ihn wegen seiner tatsächlich außerordentlichen, technischen Fähigkeiten und obwohl dem so war, verhielt sich Flohe nie wie ein Star oder wie ein abgehobener, launischer Künstler. Er galt stattdessen als ein Kumpel, mit dem man Pferde stehlen konnte. Aus dieser eher seltenen Kombination erwuchs eine natürliche, allseits akzeptierte Autorität.
Heinz Flohe in Aktion gegen Bayern München | Foto: Edition Steffan/Pfeil
Weisweiler wollte eine andere Spielweise, getragen durch Flohe: Schnelle Vorstöße, kurze Pässe, weniger Dribblings als sonst üblich beim begnadeten Techniker aus Euskirchen. Da er das direkte Duell mit dem Gegenspieler aber sowieso wie kein anderer beherrschte, konnte er seine Trickkiste mit Billigung des Trainers dann auspacken, wenn sich kein anderes Mittel mehr anbot. Genau das bläute er ihm ein, übte auch das immer wieder im Training.
Flohe sollte außerdem mehr Torschüsse riskieren. Viele seiner vorherigen Tore waren absolute Bilderbuchtore, wahnsinnige Weitschüsse zumeist. Nun sollte er auch mal aus weniger spektakulären Entfernungen und Winkeln drauf halten. Flohe sog das alles wie ein Schwamm auf, seine Motivation kannte kaum noch eine Grenze. Das sichtbarste Zeichen dafür, dass sich seine Rolle fundamental änderte, war seine einstimmige Wahl zum Mannschaftskapitän.
Größter Erfolg fast ohne Neuzugänge
Warum Weisweiler vor der Double-Saison ganz auf großartige Neuverpflichtungen verzichtete und auch Thielen keinen gesteigerten Handlungsbedarf sah, ist bis zu einem gewissen Grad geheimnisumwittert. Einerseits war man definitiv überzeugt, dass der vorhandene Kader ausreicht, aber andererseits versuchte man richtigerweise einen weiteren Top-Mann für die rechte Seite zu engagieren.
Man weiß heute, dass man den holländischen Superstar Johnny Rep verpflichten wollte. Dass er nicht geholt wurde, hatte tatsächlich seinen Grund in Weisweilers Aversion gegen seinen Intimfeind Cruyff, was wiederum nicht unbedingt für nüchternes, strategisches Denken spricht. Doch es reichte damals, dass Rep eine Freundschaft zu Landsmann Cruyff nachgesagt wurde, die dem Startrainer nicht schmeckte.
Foto: Edition Steffan
Die Auftaktpleite in Düsseldorf führte zu keinem Fehlstart. Es wäre symptomatisch für den FC alter Prägung gewesen. Dass der FC jedoch nach seinen glanzvollen Siegen plötzlich im September völlig einknickte, drei Bundesliga-Spiele hintereinander verlor und im Europapokal sang- und klanglos ausschied, eine handfeste Negativserie hinlegte, spricht allerdings dafür, dass es mit dem Mentalitätswandel noch nicht allzu weit her war.
Eine neue, abgebrühte Spielweise
Spätere Einbrücke, die durchaus nach Niederlagen hätten kommen können, blieben jedoch ganz aus. Im Zweifelsfalle riss man sich zusammen, bekam postwendend wieder die Kurve, bestes Beispiel: Der Sieg auf dem Betzenberg nach der Heimniederlage gegen Frankfurt. Die neue, abgebrühte Spielweise, die Weisweiler einforderte, zog sich ab Oktober durch die gesamte Saison. Es war ursächlich Verdienst des Startrainers.
Auf der nächsten Seite: Die falschen Weichenstellungen nach dem Double
Derjenige, der die Vorstellungen auf dem Platz umsetzen sollte, war fraglos Heinz Flohe. Ihm zur Seite stand mit Herbert Neumann ein intelligenter Spieler, der diese Intelligenz auch jenseits des Fußballplatzes an den Tag legte. Die Wandlung des Heinz Flohe vom überbordenden Solisten hin zum verantwortungsvollen Spiellenker war in erster Linie Weisweiler zu verdanken. Diese neue Rolle führte auch dazu, dass Flohe genau die selbe Rolle in der deutschen Nationalmannschaft zu spielen begann. Er war der Kopf der Mannschaft, die nach Argentinien zur WM aufbrach.
Neumann wäre ebenfalls mitgefahren, wenn es sein Gesundheitszustand damals zugelassen hätte. Es kamen trotzdem noch vier andere Kölner mit: Herbert Zimmermann, Harald Konopka, Bernd Cullmann und Dieter Müller. Es hätte die Durchschlagskraft des WM-Titelverteidigers sicherlich erhöht, wenn auch diese FC-Spieler ihren festen Platz in der Mannschaft gehabt hätten. Dem war aber nicht so, entsprechend holprig nahmen sich die WM-Auftritte der Deutschen aus. Für Flohe endete die WM tragisch, weil er sich im Italien-Spiel schwer verletzte und vorzeitig wieder in die Heimat zurückflog.
Die falschen Weichenstellungen nach dem Double
Es ist interessant zu beleuchten, warum es dem 1. FC Köln nach der Double-Saison nicht gelang, seine Dominanz zu verteidigen bzw. auszubauen. Auch nach dem Double-Gewinn verzichtete man darauf hochkarätige, sprich teure Spieler zu kaufen. Zwei blutjunge, völlig unbekannte Spieler kamen mit Bernd Schuster und Pierre Littbarski in den Kader, die sich zu Weltstars mausern sollten, aber zunächst noch Zeit brauchten. Sie waren eine vorzügliche Investition in die Zukunft, aber zum Zeitpunkt des Beginns der Saison 1978/79 waren sie noch längst nicht so weit, um dem FC ihren Stempel aufzudrücken.
Foto: imago images/Horstmüller
Tatsächlich hätten nur zwei oder drei gestandene Topstars die Entwicklung weitergebracht. Dass sie nicht kamen, lag nicht an mangelnden Geldmitteln. Die waren vorhanden und auch die Leuchtkraft des FC mit Weisweiler als Trainer sowie dem Status als amtierender Meister und Pokalsieger, machte die “Geißböcke” zu einer absoluten Top-Adresse in ganz Europa. Es lag vielmehr daran, dass man es nicht wollte beziehungsweise derartige Investitionen nicht als notwendig betrachtete.
Eins wurde jedoch in der folgenden Saison übersehen: der überragende Stellenwert von Flohe innerhalb der Mannschaft als deren integrative Kraft, als deren Leader und seine Wichtigkeit auf dem Spielfeld. Er war die Seele, nicht mehr und nicht weniger. Seine WM-Verletzung erwies sich als so schwerwiegend, dass er 78/79 nur noch 13 Bundesligaspiele absolvieren konnte, entsprechend desolat waren die Leistungen der Mannschaft. Es gab keinen gleichwertigen Ersatz, Neumann konnte die Mannschaft nicht in dieser Weise führen, er hätte noch mindestens ein, wenn nicht zwei Jahre gebraucht, um in diese Schuhe zu passen.
Der Sündenfall nach dem Hamburg-Debakel
Diesen Umstand nicht erkannt zu haben ist die eine Sache, ihn am Ende der Saison 1978/78 obendrein als den Sündenbock der unerfreulichen Entwicklung zu brandmarken und an 1860 München zu verscherbeln, ist die eigentliche Ungeheuerlichkeit. Natürlich lagen im Laufe der unerquicklichen Entwicklung die Nerven blank. Man war nicht in der Lage den Meistertitel zu verteidigen beziehungswiese musste spätestens im Frühjahr 1979 erkennen, dass der Meistertitel futsch sein würde.
Aber man besaß die unglaubliche Chance, den Europapokal der Landesmeister in den Vitrinenschrank im Geißbockheim stellen zu können. Dem FC war es gelungen, im internationalen Wettbewerb eine Hürde nach der anderen zu nehmen und stand im Halbfinale. Dort trafen die “Geißböcke” auf den englischen Vertreter Nottingham Forest. Im Hinspiel erreichte man auf der Insel ein sensationelles 3:3, musste zuhause nur noch 0:0 spielen, um ins Finale einzuziehen. Im Endspiel wartete kein Kaliber a la Real Madrid als Endspielgegner, sondern Malmö FF.
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Austragungsort wäre obendrein München gewesen, also gut erreichbar für die Kölner Anhängerschaft. Es kam aber anders als erhofft. Die von niemandem erwartete 0:1-Heimniederlage gegen Nottingham war ein gigantischer Schock für alle Beteiligten. Man wähnte sich schon in der Beletage des europäischen Fußballs angekommen. In diesem Kontext hätte eine verpatzte, nationale Titelverteidigung locker verschmerzt werden können. Dann das! Der absolute Super-GAU! Nix Meisterschaft, nix Europacup.
Das Nottingham-Syndrom
Man sprach ganz zu recht vom Nottingham-Syndrom, das den 1. FC Köln befallen hatte. Aber es ging noch weiter. Kurz nach dem bitteren Europapokal-Aus flogen die “Geißböcke” auch aus dem DFB-Pokal raus, verlor in Berlin bei der Hertha und nun stand man gänzlich mit leeren Händen da. Als obendrein auch noch beim neuen Deutschen Meister Hamburger SV mit 0:6 verloren wurde, brachen alle Dämme. Flohe war bei diesem Spiel zusammen mit Herbert Neumann vom Platz geflogen.
In ihrer Wut suspendieren Präsident Weiand und Trainer Weisweiler beide Spieler vom Training. Dies alles gipfelte schließlich in Flohes Wechsel nach München. Auf ihn entlud sich der ganze Frust. Thielen versuchte die Eskalation zu verhindern, konnte es aber nicht mehr, da fortan Flohe auf stur schaltete und Weisweiler die Brisanz der Sache nicht mal ansatzweise erkannte. Der Kapitän des Doublesiegers war im Sommer 1979 unweigerlich weg und der FC fortan ohne Spielgestalter, ohne Kopf auf dem Spielfeld.
Auf der nächsten Seite: Ein Scherbenhaufen, der nicht mehr zu kitten war
Es so weit kommen zu lassen sprach nicht unbedingt für die Weitsicht von Weisweiler, auch wenn die Umstände zuvor hoch dramatisch und außergewöhnlich waren. Flohes Abgang zu kompensieren ging nicht. Es wäre nur dann möglich gewesen, wenn man zwei, drei Jahre Zeit gehabt hätte, diesen neuen, allseits akzeptierten Kopf beziehungsweise Spielgestalter zu installieren. Flohe hätte sicherlich noch diese zwei, drei Jahre auf höchstem Niveau beim FC spielen können.
Dazu wäre ihm vermutlich sein tragisches Ende als Profifußballer erspart geblieben. Als Spieler von 1860 wurde er im Dezember 1979 von dem damaligen MSV-Spieler Paul Steiner zum Invaliden getreten. Über dieses unfassbare Foul redet man bis heute. Als besonders düster erwies sich zudem die stillose Verpflichtung von Steiner durch den FC, gerade mal ein halbes Jahr später zur Saison 1980/81.
Die Ereignisse beim 1. FC Köln überschlagen sich
Zwischenzeitlich überschlugen sich die Ereignisse beim FC. Kurz vor Ende der Saison 79/80, Anfang April, zog Meistertrainer Weisweiler höchst selbst von dannen. Präsident Weiand hatte ihn für seinen Geschmack zu lange wegen einer Vertragsverlängerung zappeln gelassen. Weisweiler setzte sich kurz entschlossen in den Flieger und heuerte bei Cosmos New York an. Am Geißbockheim hinterließ er ein riesiges Vakuum.
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Weisweiler konnte Flohes Abgang zwar nicht kompensieren, aber wenn irgendjemand die Mannschaft wieder in Richtung Erfolgsspur hätte bringen können, dann wäre er es gewesen. Immerhin bekam Weisweiler es hin den Laden mit einer mittelfristig aussichtsreichen Perspektive zu stabilisieren. Als er in den Sack haute, Anfang April 1980, stand der FC auf Platz vier und erneut im Pokalfinale. Immerhin! Statt seiner wurde Karl-Heinz Heddergott engagiert, was sich als keine allzu gute Idee herausstellen sollte.
Heddergott verspielte binnen kürzester Zeit allen Kredit, vergeigte das von Weisweiler noch geerbte Pokalfinale, überwarf sich mit dem Mega-Talent Bernd Schuster, derentnervt nach Barcelona flüchtete, zerstritt sich mit Herbert Neumann, Dieter Müller und quasi der ganzen Mannschaft. Seine skurrilen Auftritte vor den gestandenen Profils mit Wandergitarre und fröhlichen Liedern auf den Lippen, sind bis heute unvergessene Anekdoten aus der Scherzkiste des Geißbockclubs.
Der Scherbenhaufen war nicht mehr zu kitten
Als er im Oktober 1980 wieder nach Hennef zurückgeschickt wurde, war es zu spät, der Scherbenhaufen nicht mehr zusammenzuflicken. Im Fußballgeschäft einmal ins Hintertreffen zu geraten, kann verheerende Folgen nach sich ziehen. Der HSV stieß beherzt in die Lücke, die Köln aufmachte, etablierte sich mehrere Jahre ganz oben, um die Position dann wiederum an Bayern München abzutreten. Die “Geißböcke” bekamen seither nie mehr richtig die Kurve.
Als Fazit kann gesagt werden, dass Flohes völlig unnötiger Abgang 1979 den schleichenden Abstieg des 1. FC Köln ursächlich einleitete. Weisweilers beinahe ebenso unnötiger Abgang ziemlich genau ein Jahr später, ließ das mühsam Aufgebaute endgültig einstürzen. Danach wechselten sich immer wieder bessere Phasen mit schlechteren in schöner Regelmäßigkeit ab, aber die Tendenz zeigte abwärts. Zunächst unbemerkt, später rasant fortschreitend. Man kam von ganz oben, bestimmte personelle Weichenstellungen beeinflussten noch jahrelang das Geschehen positiv, verhinderten den harten Crash, aber irgendwann war die Substanz endgültig aufgezehrt.
Keine Zwangsläufigkeit: Der Abstieg zum Abstieg
In diesem Weg nach unten lag keine unumkehrbare Zwangsläufigkeit, aber die Auslöser der Entwicklung lassen sich benennen. Später keine nachhaltige Wende mehr hinbekommen zu haben, resultierte später aus vielen ineinandergreifenden Fehlentscheidungen, die in ihrer Summe aber den Abstieg zum Abstieg bedeuteten.
Foto: Edition Steffan
Andersherum gesagt: Wäre Flohe geblieben und hätte Weisweiler selbst den nächsten Kapitän des 1. FC Köln aufgebaut, wäre außerdem des Trainers Kontrakt verlängert worden, dann hätten sich sehr wahrscheinlich bereits 1980 wieder greifbare Erfolge eingestellt. Es hätte sich vermutlich die Chance ergeben, den erreichten Status des Doublegewinners national und gegebenenfalls auch international wieder zu erlangen und auszubauen.
Es hatte nicht sein sollen.
Das alles aber ändert nichts daran, dass der 29. April 1978 ein ganz großer Tag in der Historie des 1. FC Köln bleiben wird. Ein Double ist, wenn man die Häufigkeit der Bayern-Siege einmal außer Acht lässt, immer noch etwas ganz Besonderes und Großes. Nach wie vor haben nur ganz wenige Vereine diesen großen Triumph feiern dürfen. Man darf in der großen Fanschar des 1. FC Köln niemals die Einmaligkeit dieses Tages vergessen. Für diejenigen, die ihn erleben durften, bleibt er sowieso für alle Zeiten unauslöschlich im Gedächtnis.