Urplötzlich war Birger Verstraete geläutert. Am Sonntag trat er einen Canossagang zur Geschäftsführung des 1. FC Köln an, welche ihm seine Sünden vergab. Als Beweis für seinen Sinneswandel gab Verstraete auf der Vereinshomepage zu Protokoll: “Ich fühle mich beim FC wohl und gut aufgehoben. Ich werde weiter im Training und im Spiel beim FC alles geben und möchte die Saison in Köln zu Ende spielen. Meine Freundin, die wegen einer Herz-Vorerkrankung zur Risikogruppe gehört, wird nach Hause nach Belgien fahren und dort erstmal bleiben.”
Vorausgegangen waren drei positive Coronatests im Profibereich des Klubs sowie ein Interview Verstraetes mit dem belgischen TV-Sender VTM, das die Zeitung “Het Laatste Nieuws” niederschrieb. Darin äußerte der 26-jährige Skepsis und Besorgnis über den Umgang mit den Infektionen bei seinem Verein. Verstraete begründete sie unter anderem mit dem Herzfehler seiner Freundin, die er keinem Risiko aussetzen wolle. Doch seit gestern befindet sie sich in Belgien. Toll, oder? Problem erkannt, Problem abgeschoben, Problem gelöst.
Verstraetes Aussagen waren harmlos
Wirklich? Nein. Denn hier wurde nichts gelöst. Schon Verstraetes Aussagen erregten überregionales Aufsehen, da er aus der zugeknöpften Spielerriege ausscherte und seine Sorgen öffentlich kund tat. Er deutete sie vor knapp zwei Wochen öffentlich an, sogar gemeinsam mit Sebastiaan Bornauw. Doch da fiel die Rezeption der Medien geringer aus als am vergangenen Wochenende. Obwohl Verstraete im Interview keinen Spielerstreik ausrief, selbst nicht einmal seinen Club kritisierte, sondern lediglich seine Sorgen öffentlich machte, musste er zum Rapport.
Seine wichtigsten Aussagen lauteten:
“Der Physiotherapeut hat mich und andere Spieler wochenlang behandelt. Und mit einem der beiden fraglichen Spieler habe ich am Donnerstag im Kraftraum ein Duo gebildet. Dass wir überhaupt nicht mit ihnen in Kontakt gekommen sind, ist nicht ganz richtig.”
“Das Virus zeigt einmal mehr, dass man es ernst nehmen muss. Es liegt nicht an mir, zu entscheiden, was mit der Bundesliga geschehen soll. Aber ich kann sagen, dass mir der Sinn nicht nach Fußball steht.”
“Ich möchte, dass alle gesund sind, bevor wir wieder Fußball spielen.”
“Wenn jeder Spieler anonym entscheiden könnte – ohne, dass der Verein dir etwas übel nehmen könnte – wäre ich sehr gespannt, wie das Stimmungsbild aussehen würde. Alle sagen das Gleiche: Die Gesundheit der Familie steht an erster Stelle.”
Man muss es sich noch einmal verdeutlichen: Schon diese harmlosen Gefühlsäußerungen reichten bereits aus, um die publikumswirksame Lobbyarbeit der DFL und des 1. FC Köln aus den letzten Wochen zu entlarven. Dass Verstraete seinem Arbeitgeber damit in aller Öffentlichkeit in den Rücken fiel, rechtfertigt zwar prinzipiell einen Rapport. Aber nicht, was der Klub dann tat.
Ein amnestischer Maulkorb und eine katastrophale Kommunikation
Der 1. FC Köln ließ Verstraete mit einem reumütigen Zitat (und es erweckte allerorten nicht den Anschein von völliger Freiwilligkeit), das unter anderem folgenden Abschnitt enthielt, um Entschuldigung bitten: “[Ich habe] mich an einigen Stellen falsch ausgedrückt, so dass in der Übersetzung ein missverständlicher Eindruck entstanden ist, der mir leid tut. Statt aus der Emotion heraus ein Interview zu geben, hätte ich den Kontakt zu unserem Arzt suchen und mir meine Fragen erklären lassen müssen.”
Es zeugt nicht gerade von Verständnis für die derzeitige Situation, den Spieler auf der Vereinshomepage absurde Vorwürfe in Richtung sämtlicher Übersetzer und Journalisten äußern zu lassen. Als wäre Verstraete während des Interviews verrückt gewesen und müsse die Suppe nun selber auslöffeln. Einige Journalisten widersprachen diesen Vorwürfen dementsprechend schnell auf Twitter. In Wahrheit dürfte der effzeh Verstraete einen Maulkorb verpasst haben. Seine Botschaft lautete: “Was du gesagt hast, schadet uns, daher hältst du ab jetzt deinen Mund.”
Wieder einmal veröffentlichte der effzeh also eine Mitteilung, bei der das anschließende PR-Desaster einprogrammiert war. Zu der deutlichen Kritik verschiedener Medien gesellten sich unzählige Fans – aus Fußball-Deutschland, aber auch aus dem eigenen Lager. Sie warfen dem Klub vor, aus Profitgier eine Familie zu zerreißen und einen kritischen Spieler mundtot zu machen. Ins Visier einiger rückte dabei die Medienabteilung des Vereins und deren Leiter Tobias Kaufmann. Er sei der Schütze des “mediale[n] Eigentor[s] des Jahres“, hieß es auf Twitter. Kaufmann machte seine Haltung zum Umgang des Profifußballs mit der Coronakrise vor einigen Tagen bereits deutlich, als er der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland einen “Reflex zu Sozialneid, Missgunst und erhobenem Zeigefinger” unterstellte.
https://twitter.com/senfkutte1948/status/1256334998589763585
Kölner Übereinstimmung mit der DFL
Wie sehr sich der effzeh mit seinem Drang nach der Überwachung und Bestrafung von Meinungsäußerungen auf Linie befindet, zeigt eine E-Mail von DFL-Direktor Ansgar Schwenken. Dieser be-, nein, empfahl den Klubs bis zu einer DFL-eigenen Mitteilung “von eigenen Verlautbarungen abzusehen und auf diese [der DFL, Anm.] zu verweisen.” Dennoch teilten 14 Klubs mit, die Testergebnisse ihrer Spieler seien negativ gewesen. Borussia Mönchengladbach, RB Leipzig und der FC Augsburg wollten ihre Ergebnisse nicht öffentlich bekannt geben. Vielleicht bringt dieser Umstand aber ein wenig Licht in das Dunkel der sieben anderen Coronainfektionen der Bundesliga und der 2. Bundesliga.
Der deutsche Profifußball zeigt seine Gier ungebrochen. Die Aggressivität, auf die Fortsetzung des Spielbetriebs zu drängen, steigt dabei exponentiell an. Wer hier stört, wird einbestellt, zurechtgewiesen und im Zweifel gedemütigt. In einer Zeit, in der zig Millionen Menschen um ihre Gesundheit fürchten, lässt der Profifußball seine Sportler kaltblütig in die Risiken laufen. Was wiegt schon die Angst eines, zugegebenermaßen reichen, Menschen wie Birger Verstraete gegen die Trilliarden von Fans, die endlich wieder Bälle rollen sehen wollen, was laut Alexander Wehrle “für die Liga, aber auch für den gesamten deutschen Sport von enormer Bedeutung” wäre?
Laut einer Umfrage von @infratestdimap im Auftrag der DW spricht sich ein Großteil (49%) der Deutschen gegen #Geisterspiele in der #Bundesliga aus. Nur 33 % der Bevölkerung ab 14 Jahren befürwortet eine Fortsetzung der unterbrochenen Saison. https://t.co/KzaXBsDiak
— DW Deutsche Welle (@DeutscheWelle) April 30, 2020
Der X-Faktor “Spieler”
Wie realitätsfremd die Umsetzung des DFL-Konzepts ist, verdeutlichte zum Start in die wohl entscheidende Woche für die Fortsetzung des Bundesliga-Spielbetriebs Hertha-Profi Salomon Kalou. Er postete auf Facebook einen Livestream von sich auf der Berliner Geschäftsstelle. Dort zu sehen: Spieler, die Kontaktbeschränkungen ignorieren und sich über eine 11-prozentige Gehaltskürzung beschweren. daz ein unzureichend durchgeführter Test mit völlig unzureichender Schutzkleidung. Was beweist, dass die DFL den X-Faktor “Disziplin (und Anstand) der Spieler” in ihrem Konzept überging.
Man möchte daher in homerisches Gelächter ausbrechen, wenn man einen der jüngsten DFL-Sätze dazu liest: „Es wird in den kommenden Wochen und Monaten weiter darum gehen, die beschlossenen Maßnahmen auch im Club-Alltag sowie im privaten Umfeld konsequent umzusetzen”, hieß es in einer Stellungnahme, die nahezu gleichzeitig mit dem Facebook-Video des Herrn Kalou herausging. Die bange Frage: Wenn Birger Verstraete sich schon für ein paar ängstliche Sätze von seinem Arbeitgeber demütigen lassen muss, was blüht dann Kalou? Und wie absurd muss die Rechtfertigung der Hertha erst ausfallen? Lange musste der geneigte Fußball-Fan nicht darauf warten – die Berliner Pressemitteilung inklusive Suspendierung des Spielers ließ dann auch den 1. FC Köln endgültig vom Thron der Corona-Peinlichkeiten im deutschen Profifußball rutschen.
Lobbyarbeit und Medienkampagnen können viel bewirken. Aber ihr Einfluss hat Grenzen, auch wenn die der DFL besondere Größe aufweisen. Erst gestern wies das Bundesinnenministerium das DFL-Konzept zurück. Es stellte klar, dass bei einem Infektionsfall das gesamte Team in Quarantäne gehen müsse. Bestätigen die Bundeskanzlerin und Länderchefs dies, hat sich die Fortsetzung der Saison quasi erledigt. Und mit ihr weitere PR-Desaster des 1. FC Köln. Hoffentlich.