Vor Wolff Fuss liegt ein arbeitsreicher Sommer: Bei der WM in Russland ist der Kommentator natürlich auch im Einsatz. Bei uns erzählt er von den Vorbereitungen und den diskutierten Problemen im Vorfeld des Turniers.
Nachdem wir uns in einem ersten Interview mit Wolff Fuss über den 1. FC Köln unterhalten haben, richten wir den Blick nun auf die anstehende Weltmeisterschaft in Russland. Der Kommentator erklärt uns, wie er sich auf dieses Turnier vorbereitet, was er über die Vorbereitung der Nationalmannschaft und den Einsatz des Video Assistant Referees denkt.
effzeh.com: Am Samstag warst du noch beim Champions-League-Finale in Kiew, in wenigen Tagen geht es weiter mit der Fußball-WM in Russland. Verspürst du schon Vorfreude oder ist es momentan vorbereitungsmäßig zu intensiv?
Wolff Fuss: Es ist viel los, es wird ein kurzer Sommer. Die Sommerpause ist ein „Päuschen“. Wir werden von hier aus berichten, jeden Tag ein Topspiel bei SKY in UHD. Wenn ich jetzt nicht hier wäre, würde ich am Schreibtisch sitzen und die Kader durchgehen. Ich habe meine 23 Mann für jedes Land und dann fange ich an. Die meisten sind mir im Verlauf der letzten Fußballjahre über den Weg gelaufen, demzufolge geht es eher um die Exoten. Ein Spiel mit Beteiligung von Costa Rica, dann eben das Eröffnungsspiel mit Saudi-Arabien – das ist dann eine sehr intensive Sache. Mein Job ist eigentlich getan, wenn ich in die 90 Minuten gehe, denn dann sind es „nur noch“ 90 Minuten zu arbeiten. Dann schaut man eben nach den Geschichten, die das Spiel schreibt. Im Moment ist viel Fleiß gefordert, aber es gibt Schlimmeres.
Wolff Fuss über Spickzettel in der Kommentatorenkabine
Wie sieht dann deine genaue Methodik aus, wenn du am Kommentatorenplatz sitzt? In einem Interview hast du einmal gesagt, dass du pro Mannschaft einen handbeschriebenen Zettel hast, dazu noch einen für Trivia.
Ja, jeder Spieler bekommt einen kleinen Post-It. Darauf stehen Größe, Alter, Länderspiele, Tore, aktuelle beziehungsweise bisherige Vereine. Möglicherweise noch spezifische Zahlenwerte zur abgelaufenen Saison. Die sind wie Spickzettel. Wenn du sie einmal geschrieben hast, hast du sie im Kopf.
Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images
Das Turnier in Russland ist sicherlich etwas anders als sonst, die Vorfreude scheint nicht ganz so groß wie noch auf Brasilien 2014.
Es hängt unter einer politischen Glocke und es ist gut, dass sich die Leute damit beschäftigen. Grundsätzlich kann ich nichts Schlechtes daran finden, dass in Russland eine Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen wird. Die Umstände sind mit Sicherheit fragwürdig, es überrascht mich jedoch auch nicht, dass keine Nation gesagt hat, dass sie zurückziehen will und boykottiert, weil es das in diesem Leben nicht mehr geben wird. Was die Vorbereitung der deutschen Nationalmannschaft betrifft gibt es eben wie vor jedem großen Turnier eine gewisse Skepsis, insofern läuft alles normal.
Wolff Fuss über die “Probleme” der Nationalmannschaft
Unter dem Strich unterhalten wir uns darüber, ob Manuel Neuer rechtzeitig fit wird. Wird er es, spielt er, wird er es nicht, spielt ter Stegen. Wir unterhalten uns darüber, dass Sandro Wagner nicht nominiert wurde, sondern wahrscheinlich Timo Werner oder Mario Gomez spielen werden. Dass Leroy Sané den Cut in den 23er-Kader nicht geschafft hat. Wie gut also muss es unserer Nationalmannschaft gehen?! Wir haben eine bockstarke Mannschaft, wir sind Titelverteidiger – dann lasst uns doch alles rauspressen, was drin ist.
Auf der nächsten Seite: Fuss über Hector und den VAR.
Mit dabei ist mit Jonas Hector auch ein Kölner – wie siehst du ihn in der Nationalmannschaft?
Stark. Linksverteidiger wachsen in Deutschland nicht auf Bäumen. Jonas Hector ist zusammen mit Marvin Plattenhardt der beste auf dieser Position in Deutschland. Ich sehe da keinen Grund, ihn nicht dort spielen zu lassen.
Manche meinen ja, er würde nur dort spielen, weil es keine Konkurrenz gäbe.
Naja, es gibt ja sonst noch ein paar Linksverteidiger in Deutschland – da ist jetzt keiner besser. Man kann so einen Linksverteidiger auch konstruieren, so wie 2014, als es der Höwedes gemacht hat – als gelernter Innenverteidiger. Da könnte man natürlich auch sagen, dass er mangels Alternativen trotzdem sehr gut auf dieser Position gespielt hat. Hector war bei der EM dabei, hat internationales Niveau. Wenn du ihn mit Marcelo oder Jordi Alba vergleichst, gewinnt er diesen Vergleich nicht, aber da siehst du ja schon, mit welchen Leuten man ihn vergleichen muss, damit mal einer besser ist.
Videobeweis? “Super irritierend für die Zuschauer!”
Sprechen wir mal über die Bundesliga und eine Neuerung, die es dort zu dieser Saison gab: Wie stehst du zum Video Assistant Referee?
Man muss rückblickend sehr genau überprüfen, was die Ziele waren. Danach muss man sehr ehrlich sein und sagen, was wurde tatsächlich erreicht? Wahrscheinlich wurden in der Gesamtheit tatsächlich weniger Fehler gemacht – insgesamt also ein Erfolg. Wenn man detailliert guckt und ehrlich zu sich selbst ist und sich fragt, ob man eine derart hohe Fehlerquote erwartet hatte, wird man zu dem Schluss kommen, dass das eigentlich eher nicht der Fall war. Eigentlich haben wir gedacht, dass so etwas wie im DFB-Pokalfinale nicht mehr passieren kann (Anm. d. Verf.: gemeint ist die Szene zwischen Martinez und Boateng, die in der Nachspielzeit einen Elfmeter für die Bayern hätte nach sich ziehen müssen).
Man muss abschließend überprüfen, ob Aufwand und Ertrag in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Es wurden insgesamt zwar weniger Fehler gemacht, aber es war super irritierend für die Zuschauer im Stadion. Es war sogar teilweise sogar irritierend für den Zuschauer am Fernsehgerät. Der große Verlierer war jedoch der Stadionzuschauer, weil der zum Teil überhaupt nicht wusste, worum es ging.
Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images
Was wir verändern müssen: Wir müssen den Zuschauer im Stadion mitnehmen. Das ist unabdingbar.
Wo Menschen am Werk sind, passieren Fehler, das müssen wir akzeptieren. Was wir verändern müssen: Wir müssen den Zuschauer im Stadion mitnehmen. Das ist unabdingbar. 100%ige Sicherheit werden wir nie erreichen, dafür ist der Sport zu komplex, aber den Zuschauer im Stadion außen vor zu lassen, das geht nicht.
Videobeweis bei der WM wird anspruchsvoll
Bei der WM wird der VAR ja auch zum Einsatz kommen.
Für die WM befürchte ich Schlimmes, ehrlicherweise. In den Videozentren werden nur Schiedsrichter eingesetzt, die damit Erfahrung haben. Auf dem Feld werden Schiedsrichter zum Einsatz kommen, die im Alltag noch nie etwas damit zu tun hatten. In Deutschland hat man im Verlaufe dieses Jahres dazu gelernt, denn am Anfang hat man schon gemerkt, dass bei jeder Entscheidung gezögert wurde und die Schiris auf Big Brother aus Köln gewartet haben. Dadurch sind manche Entscheidungsfindungen äußerst skurril verlaufen. Das hat sich dann im Laufe der Saison besser reguliert und eingespielt. Was wir auch nicht vergessen dürfen: Es war ein Jahr, in dem getestet wurde. Diese Kinderkrankheiten schluckt ein komplettes Fußballjahr, eine komplette Saison, aber das Ganze während eines vierwöchigen WM-Turniers in den Griff zu bekommen halte ich für anspruchsvoll.
>>>Wolff Fuss im Interview über den 1. FC Köln: “Die Frau wechselt, der Klub bleibt”