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Strafe für Dortmund: Ein Empörungstornado trifft den BVB

Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images

Immer wenn es im Fußballkontext zu Gewalt und “Hass” kommt, scheinen Grundwerte wie Gerechtigkeit genauso entbehrlich, wie die Erfüllung journalistischer Kernaufgaben. Mehr als eine Woche lang haben wir dem munteren Treiben nach der Partie zwischen Dortmund und Leipzig mit staunenden Augen zugeschaut, nun ziehen wir eine kommentierende Bilanz.

Es ist also amtlich. Borussia Dortmund akzeptiert die Strafe des Deutschen-Fußballbundes und schließt beim nächsten Heimspiel die weltweit berühmte Südtribüne. Außerdem zahlen die Schwarz-Gelben auch noch eine finanzielle Strafe in Höhe von 100.000 Euro. So lautet das nüchterne Ergebnis einer Fußballwoche, die von geistigen und medialen Hyperventilationen geprägt war.

Aber bevor schon an dieser Stelle die ersten Leser vor lauter „Relativierung!1elf“-Schreierei am Sauerstoffgerät landen, sei direkt einmal klar gestellt: Was im Vorfeld der Partie zwischen Dortmund und Leipzig gelaufen ist, ist auf allen denkbaren Ebenen einfach nur kindisch, unnötig und inakzeptabel. Auf allen Ebenen vor allem,  weil hier unschuldige Menschen verletzt wurden. Aber auch, weil der Schwachsinn der Debatte um die tatsächliche Problematik, die RB Leipzig darstellt, einen Bärendienst erwiesen hat – denn darüber redet spätestens seit der Partie im Westfalenstadion keiner mehr.

Alle Faktoren für einen Empörungs-F5 kommen zusammen

Trotzdem hat die Gewalt vor dem Stadion mit den Spruchbändern im Stadion nichts zu tun – wenigstens das sieht der DFB genauso. Die Strafe für den BVB bezieht sich nämlich explizit nur auf die teilweise durchaus geschmacklosen Sprüche, die von der „Gelben Wand“ präsentiert wurden. Der Verdacht liegt natürlich nahe, dass ohne die Ausschreitungen vor dem Stadion die mediale Rezeption der Banner-Aktion gegen die Leipziger Gäste eine andere gewesen wäre. Hysterisch, kreischend – sicherlich, denn das gehört schließlich zum guten Ton der deutschen Sportpresse. Aber ob sich so ein Wirbelsturm über den Dortmundern ergossen hätte, wie das in letzten Tagen der Fall war? Fraglich.

Dank der unbelehrbaren Stein- und Dosenwerfer kamen jedoch alle Faktoren zusammen, die es für einen ausgewachsenen Empörungs-F5 so braucht. Gewalt, (Ultra)-Fans von einem altehrwürdigen Traditionsverein, unschuldige Anhänger eines neureichen Emporkömmlings mit Opfer-Abo und Leipziger Verantwortliche, die sehr genau wissen, wie man PR-Elfmeter gekonnt verwandelt.

Innenpolitisch gesehen eine Lappalie

Denn auch wenn Innenminister Thomas de Maiziere sich zu einem Statement genötigt sah (was er bei brennenden Flüchtlingsheimen übrigens nicht immer so angebracht fand), ist eigentlich nichts passiert, das ein Statement vom Innenminister bedurft hätte. Bei einer Sportgroßveranstaltung wurden – brechen wir es mal radikaler herunter – ein paar Besucher bei Auseinandersetzungen verletzt. Außerdem wurde im Stadion der Gast von den Gastgebern beleidigt. Das ist bedauernswert. Und mancher wird mit der sprachlichen Gangart in Fußballstadien vielleicht nie seinen Frieden machen, aber es ist mal rein innenpolitisch gesehen vor allem: eine Lappalie.

Warum trotzdem so ein Wirbel? Neben der Gewalt im Vorfeld dürfte der Grund dafür auch darin liegen, dass sich die Abneigung der Dortmunder Südtribüne – oder wie man vielerorts lesen kann, der „Hass“ – sich dieses Mal nicht gegen altbekannte Rivalen wie Schalke 04 richtete, sondern gegen die Aufsteiger aus Leipzig. Oder wie BVB-Trainer Thomas Tuchel es aussprechen mochte: “Red Bull Leipzig”.

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Die Leipziger Millionentruppe ist in der letzten Saison aufgestiegen und pflügt seitdem mit großen Schritten durch die deutsche Fußballlandschaft – einen Platz in der Bundesliga-Spitzengruppe inklusive. Möglich macht das ein Konstrukt, das einzigartig im deutschen Fußball ist. Mit der Lizenz eines unterklassigen Vereins holte sich Red Bull zunächst die Spielberechtigung und pumpte „Rasenball“ dann kontinuierlich auf. Mit einem Fußballverein im eigentlichen Sinn hat das Ganze natürlich nicht einmal auf dem Papier noch großartig etwas zu tun, mit sportlicher und finanzieller Fairness hatte es das ohnehin nie.

Nicht einmal zwanzig Mitglieder hat der „Club“ derzeit – was Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz von der Mitbestimmung anderer hält, lässt sich aber ohnehin gut am Beispiel „Servus TV“ erahnen. Als die Belegschaft des hauseigenen Fernsehsenders die Gründung eines Betriebsrates in die Wege leitete, beschloss der Brause-Boss kurzerhand den Laden einfach dicht zu machen.

RB Leipzig: Nicht nur formal außergewöhnlich

Doch nicht nur rein formal ist RB Leipzig außergewöhnlich. Dass sich – bis auf ein paar Ausnahmen – alle anderen Vereine ihr Geld (sofern überhaupt vorhanden) erarbeiten mussten, während es in Leipzig anders herum abläuft, soll das Bild von RB jedenfalls nicht prägen – wenn es nach den Machern geht. Deshalb hat der Brausegigant auch viel springen lassen, um die grundsätzliche Problematik seiner Existenz mit glitzerndem Lametta zu verhüllen.

Nicht nur, dass man in Leipzig gerne auch mal Studien in Auftrag gibt, bei denen „RB interessierte“ Menschen gefragt werden, ob sie die Leipziger mögen und dann – oh, Wunder – auch noch großteilig mit „Ja“ antworten. Nein, man hat auch keine Kosten und Mühen gescheut mit einem hochmodernen Nachwuchszentrum für ein positives Image zu sorgen. Und natürlich hat man sich in Fuschl am See die ostdeutsche Großstadt nicht ohne Hintergedanken als Franchisenehmer ausgesucht. Endlich wieder Fußball im Osten, toll oder? Wen interessiert da schon noch, ob das ganze vor allem dazu dient, noch mehr Plörre zu verkaufen? Dass sich die Fans der sogenannten Traditionsvereine gegen RB wehren würden, war den Leipzigern, die nicht viel dem Zufall überlassen, natürlich trotzdem von vornherein klar.

Foto: ROBERT MICHAEL/AFP/Getty Images

RB-Manager Ralf Rangnick hat mit der Materie ohnehin ausreichend Erfahrungen: Auch beim Aufstieg von Mäzen-Projekt 1899 Hoffenheim war der jetzige Leipzig-Macher beteiligt. Und er wusste auch damals schon, wie man Debatten steuert. Statt einer Diskussion über die ebenso fragliche Legitimität der Hoffenheimer gab es ganz schnell eine darüber, ob und in welchem Ausmaß Geldgeber Dietmar Hopp angefeindet werden dürfe, oder nicht. Der Mäzen selbst zeigte sich fleißig persönlich betroffen von den Beleidigungen, gleichzeitig wurde auffällig oft über die wohltätigen Spenden Hopps berichtet – und schon konnte man sich als zu Unrecht angefeindeter Wohltäter positionieren.

Kick it like Hoffenheim

Wie auch damals die Hoffenheimer erleben die Leipziger nun einen sportlichen Höhenflug, setzen dabei auf junge, aufregende Spieler und positionieren sich so als Bereicherung für die Bundesliga. Mit dem Verweis auf mögliche künftige Nationalspieler aus dem Leistungszentrum auch für den DFB. Sobald sich Verantwortliche anderer Vereine kritisch über das Vorgehen in Leipzig äußern oder es Proteste von anderen Fanszenen gibt, diskutiert man bei RB aber lieber ganz schnell über die Anfeindungen, die man aushalten müsse oder den vermeintlichen Kommerz der anderen.

Oliver Mintzlaff nutzte natürlich auch nach dem Duell mit dem BVB die Gelegenheit und warf den Dortmundern vor, dass man „mehr Kommerz als beim BVB gar nicht finden könne.“ Perfider noch erklärte der RB-Vorstandschef: „Wir haben hier in Dortmund einen Präsidenten mit Herrn Rauball, der auch in der DFL verantwortlich ist. Da haben wir uns schon gewünscht, dass man damit etwas sorgfältiger und fairer umgeht.“

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Da war der mediale Köder auch schon ausgeworfen: Tragen Rauball, Watzke, Zorc und Tuchel etwa eine Mitschuld am „Hass“ auf RB? Die Presse funktionierte jedenfalls wie von RB erhofft. „Eine Haltung, die Leipzig als artfremden Eindringling in das gewachsene Biotop des deutschen Fußballs betrachtet, der im Prinzip weg muss“, habe Watzke „offensiv zum Ausdruck gebracht“, schreibt Frank Nägele im „Kölner Stadt-Anzeiger“ prompt. Damit aber nicht genug der schönen Worte: „Deshalb machte sie (die „Aggression einer Fan-Bewegung“, Anm. d. Red.)  auch vor Frauen und Kindern nicht halt und rollte wie eine Lawine über alles hinweg, was sich ihr entgegenstellte.“ Herrje.

Nur mal kurz nebenbei: Das ist, als wären Politiker, die Björn Höcke kritisieren am Ende dafür verantwortlich, wenn irgendjemand dem AfD-Mitglied eine runterhaut – nur um einmal an einem denkbaren Beispiel zu verdeutlichen, wie schwachsinnig diese Argumentation ist.

Moralmaulkorb für alles und jeden

Selbst wenn man, wie in der letzten Woche ohnehin zu genüge geschehen, juristische Grundsätze und Kauselketten zum Teufel jagen möchte, könnte man sich auf diese Art und Weise schließlich einen feinen Moralmaulkorb für alles und jeden basteln. Im konkreten Fall wird so aus einer Leipziger Frechheit – eine vereinsseitige Verantwortlichkeit des BVB für die Taten von Fans herzustellen – ein riesiges Bohei darum, was Watzke, Tuchel und Co den so alles falsch gemacht haben könnten. Dabei haben die nur mit Recht, grundsätzliche Dinge am Konstrukt Leipzig sachlich kritisiert.

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Aber wie das so üblich ist: Tobt der mediale Sturm erst einmal, wird auch beim DFB nicht mehr lange gefackelt. Es müssen Strafen her! Natürlich müssen außerdem viele Entschuldigungsschreiben und Bessermachgelübte veröffentlicht werden, bevor dann erneut eine sinnlose und juristisch lächerliche Sanktion verhängt wird, die vom betroffenen Verein gefälligst zu akzeptieren ist. Und so muss man es wohl sagen.

Eine große Wahl hatten die Dortmunder nach dem, was da auf sie eingeprasselt ist, jedenfalls nicht mehr. Wenn schon vermeintlich journalistisch hochwertige Blätter wie das „Handelsblatt“ oder die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ auf Kleinigkeiten wie Gerechtigkeit – ‘tschuldigung – scheißen, bleibt wohl kaum noch Handlungsspielraum.

“FAZ” und Co: Mitgehangen, mitgefangen

„Mehr als hundert der überwiegend würdelosen Plakate prägten für eine bestimmte Zeit das hasserfüllte Bild der gesamten Tribüne. Niemand auf der Südtribüne machte sich erkennbar daran, dagegen vorzugehen“, faselt der vermeintliche Sitzplatzbesucher Anno Hecker da in der „FAZ“ daher und legitimiert damit eine Maßnahme, der er nur wenige Sätze vorher noch attestierte: „Es stimmt: Nicht jeder der 24450 Fans unter den etwa 81400 Zuschauern war an dieser üblen Diffamierung beteiligt.“ Und auch Nägele stellt im “Kölner Stadt-Anzeiger” fest: “Die Sperrung der Süd-Tribüne ist ungerecht, aber richtig.” Richtiges Unrecht? Was auch immer das nun wieder ist. Im „Handelsblatt“ hofft Alexander Möthe derweil, „dass die Strafe in Zukunft für mehr Fairness sorgt.“ Ob das mit einer unfairen Strafe gelingt? Klingt jedenfalls nicht sonderlich plausibel.

Vor keinem ordentlichen Gericht können Unbeteiligte für die Taten Dritter belangt werden – und ob es einem vor lauter Ratlosigkeit nun passt, oder nicht: Grundrechte gelten auch in Fußballstadien. All diejenigen BVB-Fans, die gegen Wolfsburg nun ihre Dauerkarte nicht wahrnehmen können, werden darin jedoch beschnitten. Ohne Verfahren, ohne Prozess, ohne Revision. Das sollte eigentlich auch für Journalisten ein Thema sein. Dass diese Kollektivstrafen weder in Frankfurt, Rostock, Köln oder Dresden Wirkung gezeigt, sondern vielmehr noch zu Solidarisierungseffekten geführt haben, wäre ebenfalls etwas, das sportpolitischer Journalismus beleuchten könnte.

Auf der letzten Seite: Warum dem BVB nicht anderes übrig blieb, als die Strafe zu akzeptieren

„Wir möchten an dieser Stelle zum Ausdruck bringen, dass wir eine Kollektivstrafe gegen 25.000 Zuschauer, von denen eine überwältigende Mehrheit weder ein Tat- noch ein Schuldvorwurf zu machen ist, für unverhältnismäßig halten“, heißt es folgerichtig nun auch in der Stellungnahme der Dortmunder. Die Zustimmung zum Strafantrag basiere auf der Überzeugung, „dass es in der emotional noch immer aufgeladenen Atmosphäre derzeit weder möglich noch sinnvoll erscheint, eine inhaltliche Debatte über ein im juristischen Sinne ‘angemessenes’, ‘erforderliches’, ‘verhältnismäßiges’ oder ‘weitsichtiges’ Strafmaß zu führen.“

Die Dortmunder kapitulieren also vor der Anti-BVB-Stimmung, die dank der undifferenzierten Berichterstattung vieler Sportmedien, die in jeden Leipziger PR-Honigtopf gegriffen haben, entstanden ist. Inhaltlich ist das natürlich eine falsche Entscheidung – Unrecht wie Kollektivstrafen sollte man nicht einfach hinnehmen.

Dortmund: Von der Stimmung genötigt

Allerdings erscheint der Schaden, der dem Verein entstehen könnte, würde er das Urteil nicht akzeptieren, angesichts der letzten Tage als noch bedrohlicher als ein Spiel vor einer leeren Südtribüne. Und so betrachtet, könnte es die richtige Entscheidung gewesen zu sein, das falsche Urteil zu akzeptieren.

Foto: SASCHA SCHUERMANN/AFP/Getty Images

Aber selbst das scheint dieser Tage nicht genug: „Dortmunds Reaktion auf Südtribünen-Sperrung ist kindisch“, urteilt „Focus Online“ prompt während der „FAZ“ die Strafe noch zu „milde“ erscheint. Und so verabschiedet sich der Sportjournalismus dann auch ganz schnell vom zweiten eigentlich wichtigen Thema neben dem grundsätzlichen Konstrukt RB Leipzig: Die grundsätzliche Fragwürdigkeit von Kollektivstrafen und ihre Wirkungslosigkeit.

Aber gut… Wenn es einem Unternehmen wie Red Bull gelingt, nicht nur sportlich direkt Topleistungen hinzulegen, sondern auch innerhalb kurzer Zeit aus der Diskussion um die eigene fragwürdige Legitimität eine Debatte um die rückständigen Traditionsfans zu basteln und eine Stimmung zu schaffen, in der ganz offensichtlich ungerechte und vor ordentlichen Gerichten undenkbare Kollektivstrafen selbst von den professionellen Chronisten des sportlichen Zeitgeschehens nur noch als zu lasch empfunden werden, bleibt wohl nur zu sagen: Gut gespielt, RB!

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