In der Vorberichterstattung zum Auswärtsspiel des 1. FC Köln wurde wahrscheinlich nicht zu viel versprochen: Die Rede war von einer emotionalen Partie in einem stimmungsvollen Stadion, was sich für den Aufstiegsfavoriten aus der Domstadt zu einer echten Standortbestimmung entwickeln könnte. Die schwer zu bespielende Mannschaft der “Kiezkicker”, dazu die Emotionalisierung durch die Fans – für die Mannschaft von Trainer Markus Anfang, die sich immer noch im Findungsprozess befindet, wurde es tatsächlich zu einer schweren Prüfung. Das nackte Ergebnis sprach danach auch Bände: Der effzeh gewann mit 5:3, nachdem man im ersten Durchgang noch mit 0:2 zurücklag.
Trotz einer dann eigentlich beruhigenden 4:2-Führung nach etwa einer Stunde musste das Kölner Lager, erneut glänzend von über 3.000 Auswärtsfans unterstützt, fast über die gesamte restliche Spielzeit hinweg zittern – bis der eingewechselte Salih Özcan mit seinem ersten Profitor für seinen Jugendklub mit dem fünften Tor den Schlusspunkt setzte. Nach der Partie gibt es jede Menge Aspekte, über die man sprechen sollte. Wie sollte das auch anders sei bei einem solchen wilden Ritt!
Anfangsphase: 1. FC Köln bringt sich selbst ins Hintertreffen
Der effzeh startete mit zwei Veränderungen im Vergleich zum Spiel gegen Aue: Mit Lasse Sobiech (und dessen Rückkehr an alte Wirkungsstätte) und Sehrou Guirassy im Mittelfeld ergänzte Markus Anfang die Kölner Mannschaft um eine gehörige Dosis Körperlichkeit. Weil er mit vielen hohen Bällen rechnete, beorderte der Coach Meré und Koziello auf die Bank – dieser Schachzug unterstreicht erneut, über welche große individuelle Qualität der 1. FC Köln in dieser Spielzeit verfügt. Nicht zuletzt deswegen wird die Mannschaft als Aufstiegsfavorit Nummer eins gehandelt, was aber natürlich alleine nicht ausreicht. Denn dazu braucht es eine passende und kohärente Spielidee, die man dann in Regelmäßigkeit aufs Spielfeld bringen muss.
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In der Anfangsphase gelang dies dem effzeh beim Auswärtsspiel in St. Pauli sogar. Mit ruhigem, zielgerichtetem Aufbauspiel kombinierte man nach vorne und hatte mit Clemens’ Schuss die erste Torchance, die St. Paulis Keeper Himmelmann allerdings bereinigen konnte. Danach versuchte sich noch Louis Schaub, doch auch dessen Abschluss wurde geblockt. Nach 13 Minuten jedoch schoss sich der effzeh durch einen individuellen Fehler ins Bein: Marcel Risse wurde auf der rechten Seite unter Druck gesetzt und spielte den Ball auf Verdacht und unkontrolliert nach hinten – genau in die Schnittstelle zwischen den Innenverteidigern. St. Paulis Stürmer Henk Veerman bedankte sich und zirkelte den Ball ins Eck.
Clemens und Terodde: Die Topscorer sorgen für den Ausgleich
Auf einmal waren die Gastgeber durch diese Aktion im Spiel – sie schafften es in dieser Phase, die Ballzirkulation beim effzeh zu unterbrechen und mit Wucht nach vorne zu spielen. Sobotta und Möller Daehli versuchten es und scheiterten noch – nach einer missglückten Klärungsaktion von Risse konnte St. Pauli allerdings auf links kombinieren, Buchtmann auf Dudziak flanken und es stand 0:2. Der effzeh hatte das Momentum gegen sich und es war den Spielern deutlich anzumerken, dass dieser Rückstand Spuren hinterlassen hatte. Dass Mentalität manchmal Qualität schlagen kann, schien für die Mannschaft von Markus Kauczinski an diesem Tag das Credo zu sein. Die Kölner brauchten ein paar Minuten, um wieder zur spielerischen Sicherheit zurückzufinden. Nach 35 Minuten setzte der ruhige und kontrollierte Spielaufbau Louis Schaub in Szene, dessen Flanke Christian Clemens mit seinem zweiten Saisontor krönte.
Auf der nächsten Seite: Ausgleich, Führung, Zittern, Erlösung
Ähnlich war es in der 45. Minute, als auf der rechten Seite Dominick Drexler von Clemens eingesetzt wurde, auf die Grundlinie ging und auf Terodde zurücklegte – es stand noch vor dem Pausenpfiff 2:2. Abermals war dem Tor eine Situation vorausgegangen, in dem sich der effzeh ruhig und zielgerichtet nach vorne kombinierte. Man hatte auch nach der Pause das Gefühl, dass der effzeh jederzeit ein Tor schießen könne, warten mussten die mitgereisten Anhänger auch nicht lange. Himmelmann holte Terodde im Strafraum von den Beinen, der Torjäger blieb vom Punkt cool und verwandelte zum 3:2. Vier Minuten später zeigte der effzeh, dass man auch kontern kann – während die ersten drei Tore dem Positionsspiel entsprangen, flog St. Pauli dieses Mal ein eigener Eckball um die Ohren.
Salih Özcan erlöst den 1. FC Köln
Louis Schaub leitete die Situation ein, in der erst Drexler zum Schuss kam und dann der Österreicher auf Guirassy querlegte – erstes Saisontor des Franzosen, 4:2. Wer zu diesem Zeitpunkt dachte, dass der effzeh das Spiel nun ruhig herunterspielen würde, sah sich getäuscht. Nur acht Minuten später lief Buchtmann den freien Raum neben Jannes Horn an, der seinen Schuss danach abfälschte – 4:3, die Gastgeber waren wieder dran. Die 25 Minuten verbleibende Nettospielzeit musste der effzeh dann gehörig zittern. Timo Horn parierte einen Knoll-Freistoß, auch der eingewechselte Diamantakos scheiterte zweimal nach Standardsituationen.
Am Ende war es auch jede Menge Leiden, weil es der effzeh verpasste, das Spiel frühzeitig zu killen und die Gastgeber somit wieder ins Spiel zurückholte. Der alles überragende Louis Schaub schickte dann in der Nachspielzeit Salih Özcan auf die Reise, der im Eins-gegen-Eins gegen den Verteidiger cool blieb und Himmelmann verlud – der wilde Ritt war beendet, der effzeh hatte gewonnen.
Die Offensive läuft, defensiv verwundern die Aussetzer
Und das Fazit? Fällt eigentlich positiv aus. Das Offensivspiel des effzeh funktioniert, wenn die zentrale Achse um Hector, Schaub und Drexler ins Kombinieren kommt. Alle drei funktionieren in ihren jeweiligen Räumen überdurchschnittlich gut und finden selbst unter höchstem Gegnerdruck noch Lösungen. Damit bringen sie die Szenenspieler des effzeh ins Spiel, die dann vor dem Tor den Unterschied machen sollen. Christian Clemens sammelte in diesem Spiel bereits den fünften Scorerpunkt der laufenden Saison. Simon Terodde schaffte es gar, einen Vereinsrekord aufzustellen, weil er im dritten Spiel in Folge zum neunten (!) Mal traf.
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Für Serhou Guirassy war es das erste Tor seit Dezember, was dem immer noch jungen Franzosen in seiner nun ersten Zweitliga-Saison hoffentlich Auftrieb geben sollte. Vor dem Elfmetertor musste Kapitän Jonas Hector einschreiten, weil sich Guirassy den Ball schon zurechtgelegt hatte – Simon Terodde besitzt allerdings immer noch das Hausrecht und durfte den Ball treten. Weil man Guirassy bisher durchaus als sensiblen Spieler kennenlernen durfte, war es also für die Gesamtsituation durchaus von Vorteil, dass er kurze Zeit später selbst treffen konnte.
Thema Risse: Offensiv stark, defensiv diskutabel
Kritisieren muss man jedoch den Kontrollverlust, der durch einen klaren und einen weniger klaren individuellen Fehler eingeleitet wurde. Nicht ganz unbeteiligt daran war Marcel Risse. Er besitzt offenkundig viele Qualitäten nach vorne und zeigt dies immer wieder mit spielerischen Aktionen, zu denen sonst nur wenige Spieler in der zweiten Liga auf seiner Position in der Lage sind. Heute stand er allerdings im Blickpunkt, weil beide Gegentore (in)direkt auf ihn zurückzuführen waren. Anfang reagierte im zweiten Durchgang und brachte für den (angeschlagenen?) Risse den Mittelfeldspieler Marco Höger.
Dieser ist zwar nicht auf dieser Position ausgebildet, bringt aber die nötigen Attribute mit, um die Position auszufüllen. Mit der nun anstehenden Länderspielpause besteht also noch mehr Zeit für Bader und Schmitz, Druck auf Risse auszuüben. Sollte der gelernte Offensivmann allerdings weiter als Rechtsverteidiger auflaufen, bringt das dem effzeh offensiv auch einige Optionen, was wir nicht vergessen wollen. Um ihn zu verdrängen, müssen Bader und Schmitz dann erst einmal besser machen.