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Kopfballungeheuer, Wandervogel, Phänomen: Das ist FC-Neuzugang Sebastian Andersson

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Gute Erinnerungen hat der 1. FC Köln an Sebastian Andersson beileibe nicht. Als sich die „Geißböcke“ im Aufsteigerduell beim 1. FC Union Berlin bis auf die Knochen blamierte, war es der hochgewachsene Schwede, der mit seinen zwei Treffern für die 0:2-Niederlage der Kölner sorgte. Erst köpfte er vor der Pause auf Vorlage von Kapitän Christopher Trimmel zur Führung ein, dann sorgte der Sturmschlaks nach dem Seitenwechsel bei einem Konter für die endgültige Entscheidung. Doch auch in den anderen drei Duellen, die Andersson gegen den FC bestritt, sorgte er für Angst und Schrecken in der Abwehr des dreimaligen Deutschen Meisters: Vier Begegnungen, drei Tore und drei Pleiten stehen für die Rheinländer zu Buche.

Nun soll der 29 Jahre alte Angreifer für Erfolgserlebnisse beim 1. FC Köln sorgen: Andersson unterschreibt bei den „Geißböcken“ einen Vertrag bis zum Sommer 2023, Medienberichte zufolge überweist der Bundesliga-14. über sechs Millionen Euro in die Hauptstadt. In Köln ersetzt der kopfballstarke Schwede in vorderster Front Jhon Cordoba, der zu Hertha BSC wechselt, und soll im Kampf um den Klassenerhalt für die entscheidenden Treffer sorgen. „Sebastian ist zweikampf- und kopfballstark – und er ist ein absoluter Mentalitätsspieler. Er hat in den letzten drei Jahren mehr als 100 Spiele auf höchstem Niveau gemacht und konstant seine Torgefahr unter Beweis gestellt“, betonte FC-Sportgeschäftsführer Horst Heldt bei der Verpflichtung des Angreifers, der in seiner ersten Bundesliga-Saison gleich zwölf Treffer erzielen konnte.

Dutzend Tore, noch mehr Zweikämpfe: Unverzichtbar für Union Berlin

Doch nicht nur aufgrund des Tore-Dutzends 2019/20 war Andersson ein wichtiger Faktor für den souveränen Klassenerhalt der „Eisernen“. Im recht rustikalen Spiel des Aufsteigers als Zielspieler genutzt konnte der 1,90 Meter große Stürmer seine Physis in die Waagschale werfen. Kein Bundesliga-Profi gewann in der abgelaufenen Spielzeit mehr Zweikämpfe (503), kein Kollege konnte mehr Kopfballduelle (260) für sich entscheiden. Gerade in der Luft war die Spitzenplatzierung auffällig: Der nächstbeste Profi in dieser Statistik war Sven Bender, der 154 Luftzweikämpfe gewinnen konnte. Seine Qualitäten am und gegen den Ball, sein Torriecher, seine Einsatzwillen: All das machte Sebastian Andersson unverzichtbar für Union Berlin, all das machte Sebastian Andersson interessant für andere Vereine.

“Er ist so ein bisschen ein Phänomen. In jungen Jahren war er unauffällig, hat aber meist seine Tore gemacht – und ist doch oft unter dem Radar geflogen.”

Schalke 04, FC Valencia, Zenit St. Petersburg, Celtic Glasgow, OSC Lille, Brighton Hove & Albion: Die Liste der Interessenten in diesem Sommer für das Kopfballungeheuer aus Köpenick war lang. Dass seine Karriere einen solchen Verlauf noch nehmen würde, war lange nicht absehbar. “Er ist so ein bisschen ein Phänomen. In jungen Jahren war er unauffällig, hat aber meist seine Tore gemacht – und ist doch oft unter dem Radar geflogen”, beschrieb Union-Manager Oliver Ruhnert die Laufbahn des Schweden recht passend. Auch in seiner Heimat erfuhr der wuchtige Angreifer lange nicht die Wertschätzung, die ihm heute zu teil wird. Einsätze in Junioren-Nationalmannschaften? Fehlanzeige. Ein mickriges Spiel in der U21-Auswahl steht für den im südschwedischen Ängelholm geborenen Martin Sebastian Andersson lange zu Buche.

In Helsingborg kurz vor dem Karriereende

Bei Vinslövs IF macht er im Alter von sechs Jahren seine ersten Schritte als junger Fußballer, spielt nach der Scheidung seiner Eltern sowohl für diesen Verein als auch für Ängelholms FF. Die eine Woche im Wohnort seiner Mutter (Vinslöv), das nächste Wochenende in der Heimat seines Vaters (Ängelholm). „Das war wirklich eine gewaltige Anzahl an Spielen, als ich sieben Jahre alt war. Das eine Wochenende hier, das andere dort. Sicher nicht optimal in Sachen Freunde, aber es musste so sein. Ich wollte so viele Spiele machen wie möglich“, erinnerte sich Andersson 2014. Mit 15 wechselt er zu Helsingborgs IF – einem der bekanntesten Verein Südschwedens. Nach drei Jahren ist dort jedoch Schluss für den Angreifer, allerdings nicht aus sportlichen Gründen. Der Traditionsverein meldet Anderssons Team ab, der Jungstürmer ist nun vereinslos und denkt über ein Karriereende nach.

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Für ihn der Auftakt zu einer Karriere, die von außen betrachtet wie die eines Wandervogels anmutet: Andersson geht zunächst zurück nach Ängelholm, debütiert als 17-Jähriger in der U21 seines Heimatclubs. 2010 schafft er den Sprung in die Profimannschaft, die in der zweiten Liga als Aufstiegskandidat gilt. Trotz zwölf Toren des jungen Angreifers, der auch in die U21-Nationalmannschaft berufen wird, verpasst Ängelholms FF in der Relegation denkbar knapp den Sprung in die Allsvenskan, Schwedens höchste Spielklasse. Andersson ist aber nicht zu halten, entscheidet sich für einen Wechsel zum Erstligisten Kalmar FF. Dort misslingt ihm der Durchbruch, nach zweieinhalb eher enttäuschenden Jahren zieht es ihn im Sommer 2014 weiter zu Djurgardens IF.

18 Monate später der nächste Wechsel, diesmal geht es in Anderssons Karriere allerdings wieder bergauf: Meister IFK Norrköping sichert sich im März 2016 die Dienste des torhungrigen und einsatzfreudigen Stürmers. Zwar verpasst der Spitzenclub die Titelverteidigung knapp, doch Andersson avanciert mit 14 Treffern zum torgefährlichsten Spieler bei den „Kameraden“, wie das Team auch genannt wird. Das sichert dem Blondschopf seine erste Nominierung für die schwedische Nationalmannschaft: Bei der 1:2-Niederlage gegen die Elfenbeinküste debütiert Andersson, beim 6:0 gegen die Slowakei wenig später erzielt er seine ersten beiden Tore für die „Tre Kronor“. Dieser Traum wurde wahr für den Angreifer – einen anderen erfüllte er sich wenig später.

Große Töne? Nicht von Sebastian Andersson!

„In der Premier League zu spielen ist mein Traum“, erzählte Andersson, dessen Herz für Manchester United schlägt, einst, fügte allerdings auch hinzu: „In Deutschland vor so vielen Zuschauern zu spielen wäre echt stark“, erklärte der Stürmer damals. Und wechselte im August 2017 zum 1. FC Kaiserslautern in die 2. Bundesliga. Kopfballstark, robust, durchsetzungsstark: Diese Attribute machten ihn für die „Roten Teufel“ interessant, 700.000 Euro legten die Pfälzer für Andersson auf den Tisch. Der zahlte das Vertrauen mit Toren zurück: Zum Debüt ein Treffer in Kiel, paar Spieltage später ein Hattrick gegen Fürth. Zum Schluss standen zwölf Tore in 29 Saisonspielen zu Buche für Andersson – und für den 1. FC Kaiserslautern der Abstieg in die 3. Liga. Statt der angedachten Millioneneinnahmen verlässt er den „Betze“ ablösefrei.

Foto: imago images/Matthias Koch

Den nächsten Schritt führt den schwedischen Stürmer dann zum 1. FC Union Berlin: Vom Absteiger geht es für Andersson zu einem Aufstiegskandidaten, der sich viel von seinem Neuzugang verspricht. Physisch stark, torgefährlich, Erfahrung auf höchstem Niveau und in der 2. Bundesliga – die Qualitätsmerkmale des Angreifers haben sich mittlerweile herumgesprochen. Und Andersson liefert bei den „Eisernen“ wie bestellt: Wieder erzielt er zwölf Tore, die diesmal allerdings durch einen Triumph in der Relegation gegen den VfB Stuttgart zum Sprung in die Bundesliga reichen. Unions Aufstieg ist auch Anderssons Aufstieg. Doch große Töne vom groß gewachsenen Stürmer? Gibt es nicht. Der Schwede bleibt nordisch-zurückhaltend, opfert sich auf dem Platz für sein Team auf und überlässt das Reden neben dem Rasen anderen.

Einer der wichtigen Faktoren beim Klassenerhalt

„Union ist keine Ein-Mann-Show. Wir haben keine Stars, wir sind ein Team“, betont er im vergangenen Winter, als sich langsam herauskristallisiert, dass weder sein Erfolg noch der der „Eisernen“ eine Eintagesfliege ist. Andersson und Union Berlin passen sich schnell an die Bundesliga an, der Abstiegskandidat Nummer eins ist alles andere als Kanonenfutter. Das bekommen vor allem viele Teams an der Alten Försterei zu spüren, mit den frenetischen Fans im Rücken ist der Aufsteiger ein äußerst unangenehmer Gegner. Andersson schreibt Geschichte für Union Berlin, wird beim 1:1 in Augsburg am 2. Spieltag zum ersten Torschütze der Köpenicker in der Bundesliga. Es sollte das erste von abermals zwölf Saisontreffern für den Schweden sein: Er ist nicht aufgrund seiner Torgefährlichkeit einer der wichtigen Faktoren, wenn Unions überraschend souveräner Klassenerhalt analysiert wird.

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Seine Qualitäten als Wandspieler in vorderster Front, aber auch sein Einsatzwillen: Es sind diese Attribute, weshalb Sebastian Andersson so gut zu Union Berlin passt. Und Union Berlin zu Sebastian Andersson. „Unabhängig von seinen Treffern ist er für uns ein sehr großer Faktor. Sebastian läuft viel und macht Bälle fest, die nur ganz wenige Stürmer festmachen”, lobte ihn beispielsweise Unions Kapitän Christopher Trimmel vor der Winterpause der vergangenen Saison. Und auch Routinier Christian Gentner kommt aus dem Schwärmen kaum heraus: “Er ist ein absoluter Fixpunkt. Er setzt den Körper robust ein und gibt uns so die Möglichkeit, nachzurücken”, so der äußerst bundesligaerfahrener Mittelfeldspieler über seinen Vordermann. “Seine Spielweise passt perfekt zu uns. Man wird niemals sehen, dass er die Schultern hängen lässt“, sagte Union-Manager Ruhnert über ihn.

Und Andersson drückt es anders, aber ähnlich aus: „Man kann nicht immer Tore schießen, aber man kann immer kämpfen“, umschreibt der Angreifer seine Philosophie kurz, aber knackig. Das machte Eindruck, nicht nur bei den Union-Fans, die ihn ob seiner Mentalität schnell ins Herz schlossen. Auch bei anderen Vereinen stand Andersson hoch im Kurs, über einen Wechsel ins Traumziel Premier League wurde lange spekuliert. Bleibt er oder geht er? Im Winter 2020 dann das positive Signal des Schweden, der seinen Vertrag bei den „Eisernen“ trotz lukrativer Offerten aus dem In- und Ausland vorzeitig verlängerte. Ein Grund für die Entscheidung: Der Familienvater fühlt sich mit Frau Helena und den zwei Töchtern in Berlin extrem wohl und möchte nach Jahren des stetigen Umherwanderns endlich sesshaft werden.

Andersson steigt beim 1. FC Köln zum Gehaltsmillionär auf

Außerdem im Fokus: Die EM 2020 mit der schwedischen Nationalmannschaft, für die sich Andersson in der Rückrunde in aller Ruhe und ohne viele Spekulationen empfehlen möchte. Fester Bestandteil des Kaders der „Tre Kronor“ ist der Berliner Eisenmann im Angriff mittlerweile. Diese Ambitionen wird Andersson jetzt beim 1. FC Köln untermauern müssen. Eine Ausstiegsklausel, die den mittlerweile 29-Jährigen recht kostengünstig in Köpenick verfügbar machte, ist zwar ausgelaufen, doch nach dem Verkauf von Jhon Cordoba schlugen die „Geißböcke“ bei der Konkurrenz zu. Ein entscheidendes Argument für einen Wechsel nach Köln: Andersson zählte in Berlin zwar zu den Besserverdienern, doch beim FC streicht der Schwede nach effzeh.com-Informationen mehr als das Doppelte seines bisherigen Verdienstes ein.

Foto: imago images/Bildbyran

Auch das machte die Hoffnungen an der Alten Försterei, die Lebensversicherung im Sturm auch in der anstehenden Spielzeit in der eigenen Mannschaft zu wissen, letztlich zunichte. Nur für ein „unmoralisches Angebot“ wollte Union ihn ziehen lassen – mit mehr als sechs Millionen Euro scheint die Schmerzgrenze erreicht gewesen zu sein. Mehr nahmen die Hauptstädter in ihrer Vereinsgeschichte noch für keinen Spieler ein. Für Martin Sebastian Andersson beginnt derweil die nächste Herausforderung in seiner ungewöhnlichen Karriere. Er, der eigentlich in den vergangenen Jahren stets unterschätzt wurde, steht beim FC nun komplett im Rampenlicht.

Andersson: “Der Wechsel nach Köln ist jetzt der nächste Schritt”

„Für mich sind neue Herausforderungen wichtig. In Berlin habe ich mich in den letzten beiden Jahren sportlich und vor allem persönlich weiterentwickelt. Der Wechsel nach Köln ist jetzt der nächste Schritt: Ich freue mich auf das Abenteuer bei diesem besonderen Club“, sagt der 29-Jährige, der beim FC einen Dreijahresvertrag unterschrieben hat. Es wäre nicht verwunderlich, wenn der schwedische Stürmer auch bei den „Geißböcken“ den nächsten Schritt gehen könnte. Als selbstloser Kämpfer in vorderster Front. Als Wandspieler mit Torinstinkt. Als Kopfballungeheuer und Zweikampfmonster. Dann werden die guten Erinnerungen für den 1. FC Köln und seine Fans sich schon von ganz alleine einstellen.

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