Von Madrid bis Müngersdorf: Der 1. FC Köln hat viele internationale Duelle auf dem Buckel. “Geißböcke mit Fernweh” widmet sich den Geschichten rund um diese Partien.
Am Donnerstag könnte der 1. FC Köln in Belgrad das letzte Mal für längere Zeit auf der internationalen Bühne präsent sein. Ein Sieg bei Roter Stern ist für die „Geißböcke“ Pflicht, um im Europapokal zu überwintern und um kurz nach Nikolaus ihre reisefreudigen Anhänger mit einer weiteren Tour ins Ausland zu beschenken. Doch auch ohne einen Einzug in das Sechzehntelfinale der Europa League ist die effzeh-Historie reich an Duellen mit ausländischen Teams, wie das neue Buch „Geißböcke mit Fernweh – Der 1. FC Köln und seine internationalen Spiele“ (166 S., Verlag die Werkstatt, 24,90 Euro) von Dirk Unschuld zeigt.
Am 13. August 1949 begann die Geschichte dieser Begegnungen mit einer Partie gegen Austria Wien. 12.700 Zuschauer, darunter auch Bundestrainer Sepp Herberger bekamen in der Müngersdorfer Hauptkampfbahn ein fußballerisches Spektakel sondergleichen geboten. Zwar unterlag der effzeh der Austria, die damals als eines der besten Teams auf dem Kontinent galt, in einer torreichen Begegnung mit 4:7, konnte aber die Herzen der Kölner Fußballfans mit einer starken Leistung für sich gewinnen. Es sind auch Geschichten wie diese, die die Tradition der „Geißböcke“ ausmachen. Und es sind diese Geschichten, die das Buch zu einem absoluten Muss für jeden effzeh-Fan machen.
Erinnerungen an große Duelle zum Leben erweckt
Penibel, detailversessen, aber dennoch äußerst unterhaltsam zeichnet Dirk Unschuld die internationalen Spiele des 1. FC Köln nach und garniert dies mit zahlreichen beeindruckenden Bildern und Memorabilien. Ob es das Testspiel in Reims (das erste im Fernsehen übertragene deutsch-französische Flutlichtspiel der Historie), das Drama von Rotterdam gegen den FC Liverpool oder aber die UEFA-Cup-Saison 1985/86, die im Finale gegen Real Madrid ihr Ende fand, ist: Der FC-Archivar, der mit den Standardwerken „Im Zeichen des Geißbocks“ und „Mit dem Geißbock auf der Brust“ die Erinnerung an die große Geschichte des Vereins bereits wachgehalten hat, erweckt die Historie des Vereins auch in „Geißböcke mit Fernweh“ wieder zum Leben und sorgt mit einigen Anekdoten für Erstaunen.
Foto: FC-Archiv Dirk Unschuld
Besonders beeindruckend in der Chronik der internationalen Begegnungen des 1. FC Köln sind vor allem die nicht-sportlichen Ereignisse, die kaum jemandem bekannt sein dürften. Zum Beispiel, wie 1984 Vereinsverantwortliche mitten im Kalten Krieg zu Schmugglern wurden. Die Achtelfinal-Partie bei Spartak Moskau, die aufgrund der winterlichen Bedingungen in der russischen Hauptstadt nach Tiflis verlegt wurde, nutzte der effzeh zu einer geheimen Mission im Auftrag von Heinrich Böll. Der Kölner Literatur-Nobelpreisträger bat den Klub seiner Heimatstadt um einen Gefallen für seinen russischen Freund Andrei Sacharow: Der Kernphysiker, der für sein Engagement für die Menschenrechte 1975 den Friedensnobelpreis erhielt, war seit geraumer Zeit inhaftiert. Kleidung, Medikamente, Bücher und Schreibutensilien: All das brachte der effzeh beim Auswärtsspiel in die Sowjetunion und von da aus über Umwege zu Sacharow.
Adenauer dankt dem 1. FC Köln für sein Engagement
Schon zuvor waren die „Geißböcke“ als Botschafter gefragt, insbesondere in den Nachkriegsjahren galten die Spiele des 1. FC Köln gegen ausländische Mannschaften auch als völkerverständige Maßnahme. Der Klub nahm diese Gelegenheiten immer gerne wahr – nicht nur aus finanziellen Erwägungen, sondern auch, um den Horizont der eigenen Spieler zu erweitern und (damals noch selten) wertvolle Kontakte ins Ausland knüpfen zu können. Kaum verwunderlich, dass auch Bundeskanzler Konrad Adenauer von den Kölner Sportlern als Gesandte des neuen Deutschlands begeistert war. Nach der Griechenland-Reise des Vereins zum Abschluss der Saison 1955/56 bedankte sich der ehemalige Kölner Oberbürgermeister mit einer Nachricht an Präsident Franz Kremer für den Kartengruß der Mannschaft und versicherte dem Klub, die Bemühungen um ein Zusammenwachsen der europäischen Völker äußerst positiv zu begleiten.
Foto: FC-Archiv Dirk Unschuld
So reich an verschiedenen Anekdoten, Begebenheiten und Geschichten die Historie der internationalen Duelle des 1. FC Köln ist, so reich ist auch der Schatz an (größtenteils bisher unbekannten) Bildern, die dank Dirk Unschuld den Weg in „Geißböcke mit Fernweh“ gefunden haben. Ob private Schnappschüsse, Spieltagsplakate oder Spielszenen: Durch die vielen verschiedenen Eindrücke wird die auch sonst nicht dröge aufgearbeitete Geschichte noch weiter aufgelockert. Auch, wie bei Unschulds Büchern gewohnt, mangelt es nicht an Statistiken zu den jeweiligen Partien: Wer sich vergewissern will, wer die effzeh-Torschützen bei der 3:4-Niederlage im Freundschaftsspiel bei Celta Vigo im August 1974 waren, ist hier an der richtigen Adresse. Doch nicht nur für Hardcore-Anhänger der „Geißböcke“ ist das Machwerk eine Offenbarung: Wer den Fußball liebt, wird bei „Geißböcke mit Fernweh“ auf seine Kosten kommen.
Disclaimer: Dirk Unschuld hat effzeh.com in der Vergangenheit einige Bilder von Spielen des 1. FC Köln zur Verfügung gestellt.
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Entenjagd gehen wollte – Interview mit Autor Dirk Unschuld
Dirk, im Jubiläumsjahr – der 1. FC Köln wird im Februar 70 Jahre jung – kam es nach 25 Jahren Abstinenz zur Rückkehr in den Europapokal. War das für dich der perfekte Anlass für dein neues Buch “Geißböcke mit Fernweh”?
Ja, das war es auf jeden Fall! Wobei: Die Pläne und somit auch etliche Vorarbeiten zu den „Fernwehböcken“ lagen schon länger bereit. Da ich eine Rückkehr ins internationale Geschäft eigentlich immer für eher unrealistisch hielt, hätte das Ganze sowas Romantisches a la „schaut mal, so geil war das damals mit den internationalen Spielen“ sein können. Zudem, und das ist mir ganz wichtig, wollte ich die internationalen FC-Spiele – Heim- wie Auswärts – auch im Bereich der vielen Freundschaftsspiele beleuchten. Denn diese hatten vor allem in den 1940er und 1950er Jahren eine sehr völkerverständigende Komponente.
Inwiefern?
Die FC-Spieler lernten fremde Länder und Kulturen kennen, tauschten sich mit Mannschaften aus dem Ausland aus. Eine Tatsache, die in den Nachkriegsjahren half, manche Barriere zu überwinden. Außerdem bieten gerade die Freundschaftsspiele oftmals die interessanteren Geschichten. Das „Liverpool-Drama“ kennt wohl jeder FC-Fan, aber dass die Kölner Spieler bei Auslandstouren als Souvenirs Tabakwaren kauften oder Butterbrote der Präsidentengattin im Gepäck hatten, ist eher unbekannt. Und diese „Perlen“ auszugraben, reizt mich enorm. Als dann im Mai tatsächlich die Qualifikation für Europa klar war, gab es in Sachen Buch kein Halten mehr.
Autor Dirk Unschuld bei einer Buchpräsentation 2014 | Foto: Herbert Bucco
Die Geschichte des 1. FC Köln ist glorreich, aber auch recht lang. Wie tief musstest du bei deiner Recherche über all die Duelle gegen Mannschaften aus Nah und Fern graben?
Wie immer sehr tief. Das bedeutet nicht nur umfangreiche Gespräche mit Zeitzeugen, hier sei nur als Beispiel FC-Legende Wolfgang Weber genannt, sondern auch akribisches Durchforsten praktisch aller zeitgenössischer Publikationen – und zwar sowohl die vom FC veröffentlichten Print-Produkte als auch all das, was die verschiedenen Medien und Fachblätter berichteten. Das Internet hilft einem da, ein Stück weit zum Glück, kaum. Aber es ist natürlich auch der Anspruch, den Lesern weitaus mehr zu bieten als das, was sie so im Web finden können. Darüber hinaus kam mir zugute, dass bei den Arbeiten zu „Im Zeichen des Geißbocks“ schon das ein- oder andere ans Tageslicht gekommen war, das ich jetzt „verbraten“ konnte.
Du giltst als absoluter Intimkenner der FC-Historie. Gab es bei der Recherche zu “Geißböcke mit Fernweh” noch viel, das dich überrascht hat? Welche Anekdote aus diesen 70 Jahren voller spannender Momente hat dich besonders beeindruckt?
Man soll es nicht glauben, aber da gab es tatsächlich einiges! Witzig fand ich die Geschichte, dass sich beim Gastspiel der Nationalmannschaft Kameruns in Köln im August 1960 der mitgereiste „Minister für Sport und Erziehung“, Gabriel Ndibo Mbarsola, in Köln ein Gewehr zulegen wollte, um am Rhein auf Entenjagd zu gehen. Da machte ihm glücklicherweise das deutsche Waffengesetz einen Strich durch die Rechnung. Dramatisch hingegen das Ereignis rund um das Messepokalspiel am 2. Februar 1966 gegen Ujpest Dozsa Budapest: Ujpest-Spieler Tamas Krivitz nutzte den Aufenthalt in Köln, um sich aus dem seinerzeit hinter dem so genannten „eisernen Vorhang“ befindlichen Ungarn abzusetzen. Das brachte ihm unter anderem eine einjährige Sperre ein. Später spielte Krivitz in Kanada, in den USA, in Belgien und sogar beim Wuppertaler SV in der Bundesliga. Und dass der Effzeh in der Saison 1989/90 unfassbare 27 internationale Begegnungen bestritt, war mir so auch noch nicht bewusst.
Auch die beiden ersten Partien nach der Rückkehr in London und gegen Roter Stern haben noch Eingang in „Geißböcke mit Fernweh“ gefunden. Wolltest du die Rückkehr unbedingt noch im Buch dabei haben oder wie kam es dazu?
Eigentlich sollte die 2017/18er Kampagne ganz bewusst nicht ins Buch. Doch die Ereignisse in London haben wohl jeden FC-Fan dermaßen fasziniert und beeindruckt, dass ich diese Rückkehr unbedingt noch im Buch haben wollte, ebenso das erste Heimspiel nach so langer Abstinenz, wenn wir den UI-Cup mal außen vor lassen.
Foto: Dan Mullan/Getty Images
Gegen Arsenal und Roter Stern hat der FC bereits vor dieser Saison auf europäischer Ebene gespielt. Hat deine Recherche für das Buch die Vorfreude auf die Duelle noch größer gemacht?
Die war bei mir, wie bei allen anderen FC-Fans auch, auch so mehr als groß. Man fieberte ja der Auslosung entgegen, wie ein Kind auf den Weihnachtsabend. Das war schon etwas ganz Besonderes. Und die Geschichte hat sich ja auch wiederholt: Wir haben 1971 unser Heimspiel gegen Arsenal gewonnen und diesmal auch – kurioserweise jeweils durch einen Elfmeter. Sehrou Guirassy ist also quasi der „Erbe“ von Werner Biskup.
Am Donnerstag könnte es beim Auswärtsspiel in Belgrad zum letzten FC-Pflichtspiel auf internationaler Bühne für lange Zeit kommen. Glaubst du, du bekommst vor deinem sicher irgendwann geplanten Buch zum 100. Geburtstag des Klubs nochmals die Chance zu einer Neuauflage?
Komischerweise bin ich da recht optimistisch, auch wenn es derzeit sportlich gelinde gesagt alles andere als rosig aussieht. Aber: Es kann im Fußball auch relativ schnell wieder in eine andere, bessere Richtung gehen. Beispiele dafür gibt es ja einige. Und wenn dann doch der Worst Case eintreten sollte, zitiere ich gerne effzeh.com: „Aue ist der Europapokal des kleinen Mannes.“ Da ist was dran.
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und seine internationalen Spiele”
166 Seiten, Hardcover ca. 400 Fotos, durchgehend farbig gestaltet
24,90 Euro
erschienen im Verlag Die Werkstatt
ISBN: 978-3-7307-0372-4