Eine Beliebtheitsstudie sieht RB Leipzig vor dem 1. FC Köln. Doch das ist weder so überraschend, noch so dramatisch, wie es in der lokalen Presse derzeit verkauft wird.
Zwar ist der Fußball im Vergleich zu so manchem US-Sport noch nicht ganz durch mathematisiert, dennoch gibt es allerhand Zahlen und Daten rund um den Ball: Spieler- und Matchstatistiken bilden dabei nur das Fundament. Richtig interessant sind da schon eher die Randbereiche, wo es um schöne Begriffe wie „Markenstärke“ und „Beliebtheit“ geht. Auf dem Platz nutzt einem das zwar freilich wenig, abseits davon sind es aber mittlerweile fast die wichtigsten Kennzahlen, um den Wert eines Vereins ermessen zu können. Und genau deshalb ist auch dieser Markt umkämpft: Mittlerweile geben diverse Marktforschungsinstitute unterschiedlichste Studien genau zu diesem Thema heraus – national und international.
Der jüngste Eintrag in der Akte stammt von „Nielsen Sports“, einem der Weltmarktführer im Bereich der Marktanalyse und seit kurzem Besitzer vom deutschen Marktforschungsunternehmen „Repucom“, das sich vorher als „Sport+Markt“ einen Namen gemacht hatte. Welche sind die Lieblingsvereine der Deutschen? Das wollten die Forscher herausfinden.
Bayern und Dortmund vorn
Dass der erste Platz bei solchen Erhebungen an die Bayern geht, ist seit Jahren gute Tradition. Auch dass Borussia Dortmund auf Platz zwei einläuft, ist mittlerweile durchaus vorhersehbar. Daher liegt das Augenmerk bei derarigen Umfragen mittlerweile vor allem darauf, wie sich die Traditions- und ihre quasi-natürlichen Widersacher, die Retortenclubs, schlagen. Und das ist auch dieses Mal nicht anders. Denn nicht nur sportlich, sondern auch auf den Beliebtheitsskalen drängt Red Bull Leipzig mit großen Schritten nach vorne. Laut „Nielsen“ sind die Bundesliga-Neulinge derzeit sogar beliebter als der 1. FC Köln. Aber wie kann das sein?
Foto: Vladimir Rys/Bongarts/Getty Images
Für den leicht egozentrischen Rheinländer ist das natürlich schwer zu glauben. Ungläubiges Fragen, Zweifel an der Erhebung aber auch fast postfaktisches Leugnen dominierte die Reaktionen unter den Fans. Leipzig vor Köln? Niemals!
Und ja: Es gibt durchaus berechtige Einwände, die man gegenüber der Umfrage von „Nielsen“ vorbringen könnte. Dass eine Grundgesamtheit von 1000 Personen nicht repräsentativ sei, gehört allerdings nicht dazu. Doch wer sich die Erhebung genauer anschaut, wird feststellen, dass sie auf Basis von regionalen Gruppen durchgeführt wurde. „Nielsen“ hat Regionen gebildet und für diese dann die Grundgesamtheiten angeglichen. In NRW wurden also mehr Leute (230) befragt, als zum Beispiel in Baden-Württemberg (123). Ganz genau hat man es dabei im Vergleich zu den Einwohnerzahlen der Länder aber nicht genommen – manche Regionen sind daher statistisch leicht über-, manche leicht unterrepräsentiert.
Kein differenziertes Bild
Ein differenziertes Bild über die Beliebtheit von Fußballclubs zum Beispiel im Westen lässt sich mit der Studie aber nicht nur deswegen schwer abbilden. Auch dass die Befragten jeweils nur einen einzigen Club nennen durften, macht Ergebnisse mit statistischer Tiefe unmöglich. Zuletzt bleibt ebenfalls offen, wie „Nielsen“ die Zielgruppe der „Fußballinteressierten“ genau definiert hat – reicht es bereits zu wissen, dass der FC Bayern und Borussia Dortmund nicht in Grün spielen, um dazu zugehören? In wie weit sich die Befragten als „fußballinteressiert“ qualifiziert haben, lässt sich anhand der Pressemitteilung jedenfalls nicht ableiten. Dennoch bleibt die – durchaus bittere – Erkenntnis: Die Ergebnisse sind als grober Indikator auf nationaler Ebene durchaus repräsentativ. Und eigentlich auch nicht so überraschend, wie es sich in manchen Kölner Gazetten derzeit liest.
Auf der nächsten Seite: Warum die Ergebnisse trotzdem nicht dramatisch sind…
Man erinnere sich an die Euphorie, die um 1899 Hoffenheim entstand, als der damalige Neuling die Bayern ärgerte und sogar den Herbstmeister-Titel einsackte. Es war eine ähnliche Situation: Während vor der Saison die Ablehnung der meisten Bundesliga-Fans gegenüber dem Konstrukt von Milliardär Dietmar Hopp im Fokus der Berichterstattung stand, wich dies mit jedem weiteren Sieg immer mehr positiven Deutungen. Plötzlich machte Hoffenheim „die Liga endlich wieder spannend“ und war eine „Bereicherung“ für den deutschen Fußball.
Leipzig macht’s wie Hoffenheim
So wie jetzt bei RB Leipzig. Und mit ebenso freundschaftlicher Unterstützung mancher Medien wie damals schon bei Hoffenheim. Dazu gehören nicht nur der „kicker“, der sich als großer RBL-Versteher positioniert hat, sondern auch große Sportnachrichten-Anbieter wie „spox.com“, die nicht müde werden, das tolle Leipziger Trainingszentrum, das für die Region und die deutsche Talentförderung an sich natürlich ein ganz, ganz großes Los ist, mit aufwändigen Promo-Artikeln zu bewerben. Oben drauf kommt dann noch der Faktor der fußballerischen Ost-Wiederbelebung – die Zeit des zweit- und drittklassigen Fußballs scheint zumindest für Sachsen erst einmal vorbei. Das weckt natürlich Begeisterung in einer Region, die schon lange keinen Topclub mehr ihr Eigen nennen durfte und sorgt für eine romantische Geschichte vom “modernen Underdog”.
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Wer davor die Augen verschließt oder dieser Entwicklung mit ignorantem Unglauben begegnet, zieht sich lediglich in eine nostalgische Trotzecke zurück und vergisst dabei, dass der 1. FC Köln in den letzten 25 Jahren weder national noch international eine große Rolle gespielt hat – und wenn doch, dann höchstens mit Negativschlagzeilen.
Euphorie ist vergänglicher als Liebe
Für Kölner, die sich qua Geburt so sicher sind, dass jeder sie mag, dass sie es nicht einmal merken, wenn es nicht so ist, mag das eine bittere Erkenntnis sein. Aber in einem Fußballbusiness, das längst Mainstream geworden ist, spielen flüchtige positive Markenbilder kurzfristig eben eine größere Rolle als die alten Kamellen von den großen Zeiten.
Trotzdem sollte man den „Nielsen Report“ aufmerksam zu Ende lesen, denn am Tabellenende wartet noch eine wichtige Erkenntnis: Mit Leverkusen, Hoffenheim, Wolfsburg und Ingolstadt finden sich gleich vier von fünf Retortenclubs im Beliebtheits-Tabellenkeller wieder – teilweise trotz sportlichen Erfolgen in den letzten Jahren. Auf der anderen Seite halten sich mit Werder Bremen, Borussia Mönchengladbach und dem HSV gleich drei Traditionsclubs, die in dieser Saison sportlich bisher nicht zur Creme de la Creme gehörten, locker im einstelligen Tabellenbereich. Tja. Euphorie ist eben vergänglicher als Liebe.