Betrachtet aus der Ferne waren es bizarre Szenen, die sich am vergangenen Freitag in einer Münchner Veranstaltungshalle abspielten. Unter frenetischem Jubel wurde die Wahlkampfrede eines Mannes verfolgt, der noch bis zum 1. März 2019 unter Bewährung sein wird. Nach 21 Monaten im Gefängnis wurde Uli Hoeneß anschließend mit einer überwältigenden Mehrheit wieder zum Präsidenten des FC Bayern gewählt, einzig 108 von knapp 7.000 anwesenden Mitgliedern stimmten nicht für die Galionsfigur des größten deutschen Fußballvereins. Einen Gegenkandidaten gab es keinen, Buhrufe lediglich für jene, die es gewagt hatten, gegen Uli Hoeneß zu stimmen. Damit stand fest, dass der frühere Manager knapp 1.000 Tage nach seiner Abdankung wieder im Amt und Würden sein würde. Doch was heißt das eigentlich, Amt und Würden?
Ungefähr 600 Kilometer nordwestlich der Stadt München herrscht derzeit in einem anderen Fußballverein eitel Sonnenschein. Dass sich der 1. FC Köln momentan sportlich wie wirtschaftlich in einer beruhigenden und durchaus angenehmen Situation befindet, hängt in erster Linie damit zusammen, dass es dem Verein gelungen ist, Schlüsselpositionen mit Personen zu besetzen, die einerseits genügend sportliche oder wirtschaftliche Kompetenzen haben und andererseits in der Außendarstellung kaum Angriffsfläche bieten. Präsident Werner Spinners Zeit als Vorstandsmitglied bei der Bayer AG ist kein Thema mehr, genauso wie die literarischen Versuche seines Stellvertreters Toni Schumacher, die vor knapp 30 Jahren ja durchaus auch für Kontroversen sorgten. Der andere Vize-Präsident, Markus Ritterbach, verbindet den 1. FC Köln mit dem anderen international bekannten Aushängeschild der Stadt Köln, dem Karneval. Geschäftsführer Alexander Wehrle macht seinen Job derart gut, dass andere Bundesligisten ihn abwerben möchten. Und über Jörg Schmadtke und Peter Stöger ist bereits genug gesprochen worden.
Hoeneß als Konstrukteur des modernen FCB
In einem Verein zu bestimmten Zeiten gutes Personal zu haben, kann die Entwicklung natürlich maßgeblich beeinflussen: wenn zu einer gewissen Zeit, unter Berücksichtigung der herrschenden Rahmenbedingungen, gute und sinnvolle Entscheidungen getroffen werden, kann dies die Entwicklung eines Vereins auf Jahre hin positiv beeinflussen. So geschehen auch in München, als der FC Bayern in den 1970er Jahren die Grundlage dafür legte, im 21. Jahrhundert der einzig ernstzunehmende fußballerische Global Player Deutschlands werden zu können. Die sportlich unantastbare Mannschaft um Beckenbauer, Maier und Müller an sich war schon Faustpfand genug, doch der Bau des Olympiastadions ließ die Münchner bald der Konkurrenz davoneilen. Spätestens 1979, als der ehemalige Spieler Uli Hoeneß seinen Posten als Manager antrat, war die Wettbewerbsposition des FCB für andere Vereine fast nicht mehr einzuholen. 37 Jahre später ist Uli Hoeneß immer noch ein Bestandteil des Vereins, den er unbestritten zu dem machte, was er ist. Daran konnte auch seine Verurteilung als Steuerhinterzieher nichts ändern. In den Jahren 2003 bis 2009 hatte Hoeneß Steuern in Höhe von 28,5 Millionen Euro hinterzogen, woraufhin er im März 2014 schuldig gesprochen wurde. Daraufhin gab Hoeneß bekannt, seine Ämter als Präsident des FC Bayern München e.V. und Aufsichtsratsvorsitzender der FC Bayern München AG niederzulegen. „Das wars noch nicht“, waren seine Worte damals.
Dass es völlig legitim ist, einen Steuersünder nach Ablauf dessen Haftstrafe wieder als Präsidenten eines Vereins zu wählen, steht außer Frage und soll in diesem Text auch nicht zum Inhalt gemacht werden. Die Frage ist vielmehr, wieso knapp 7.000 mündige und intelligente Menschen (das setzen wir jetzt einfach mal voraus) bereitwillig dazu in der Lage waren, als Aushängeschild ihres Vereins einen Menschen zu wählen, der sich zeitlebens als moralische Instanz in Fußballdeutschland darstellte und sich auf hehre Grundsätze des sozialen Miteinanders berief, letztlich jedoch auch im Gefängnis saß.
Gewiss, Uli Hoeneß kann auf eine brillante Karriere als Manager des FC Bayern zurückblicken. Unter seiner Leitung wurde der FCB zu einer weltweit bekannten Marke mit einem vielfach zitierten „Festgeldkonto“, auf das andere große Vereine Europas neidisch waren und sind. Trotz der sportlichen Momentaufnahme, in der die Bayern ausnahmsweise mal nicht auf Rang eins der Bundesliga liegen, ist die Position als führender deutscher Fußballverein auf lange Sicht zementiert. Der Verkauf von Anteilen an Adidas, Audi oder die Allianz, der Bau der Allianz Arena und die Verteilung der Fernsehgelder ermöglichen es dem FCB, jede Saison knapp 200 Millionen Euro an Personalkosten für die Bundesligamannschaft auszugeben, wie das Fußballmagazin 11Freunde in der aktuellen Printausgabe berichtet. Die Verpflichtung des Genies Pep Guardiola sorgte neben dem finanziellen Vorsprung auch für eine Chancenlosigkeit der heimischen Konkurrenz, die gemeinhin schon im März den Bayern zum Gewinn der Meisterschaft gratulieren musste. Einzig und allein der große Wurf in der Champions League fehlte, weshalb einige Kritiker in Guardiola einen gescheiterten Trainer sahen, was sich dem Autor aber bis heute nicht erschließt. Uli Hoeneß knapp zweijährige Abwesenheit als Präsident des FC Bayern hat sich also weder sportlich noch finanziell in negativer Form auf die Performanz seines Vereins ausgewirkt. Nun mag es Zufall sein, dass seine Wiederwahl als Präsident des FCB mit der Wahrnehmung zusammenfällt, dass die Bundesliga „endlich wieder spannend“ geworden ist. Mit Red Bull Leipzig gibt es erstmals seit längerer Zeit einen Verein an der Spitze der Bundesliga, der weder in München noch in Dortmund beheimatet ist. Vielerlei werden auch Stimmen laut, die in Carlo Ancelotti nicht den richtigen Trainer für die Bayern sehen. Auch Spieler wie Xabi Alonso, Franck Ribéry, Arjen Robben oder Philipp Lahm, die in den letzten Jahren wie niemand sonst den FCB verkörperten, gelten plötzlich als Auslaufmodelle. Vielleicht ist es diese Angst vor dem Verlust des eigenen Status, der viele Bayern-Fans dazu bewogen hat, begeistert für Hoeneß zu stimmen. Dieser ist ja bekanntlich dafür bekannt, ab und an mal einen emotionalen Wutausbruch zu haben, der die Gegner der Bayern ins Visier nimmt, um den Zusammenhalt der eigenen Truppen zu stärken. Besonders bedeutend ist in diesem Zusammenhang das vielzitierte „Mia san mia“, welches in unnachahmlicher bayerischer Mundart beschreibt, wie man sich als Bayer fühlt – eigen, überlegen, besonders. Wenn es eben sportlich mal nicht läuft wie geplant, kann es durchaus helfen, mit markigen Worten von der sportlichen Situation abzulenken und einen Widersacher direkt zu attackieren. Von daher überraschte es nicht, dass Hoeneß bereits in einer Rede am vergangenen Freitag Red Bull Leipzig als „Feind“ bezeichnet, den „wir jetzt endlich wieder attackieren können“. Auch um die Jahrtausendwende herum gelang es Hoeneß, durch seine öffentlichkeitswirksamen Äußerungen einen mittelschweren (und tatsächlich auch begründeten) Skandal auszulösen, als er Christoph Daum des Kokainkonsums bezichtigte. Es war einzig und allein die grenzenlose Naivität des ehemaligen Kölner Trainers, selbst eine Haarprobe zu veranlassen, die schließlich die Schuld bewies. Daum durfte somit den Posten als Bundestrainer nicht antreten.
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“Mia san mia” als Pathosformel
Bei Spiegel Online beschreibt Peter Ahrens die emotionale Verklärung, die viele Bayern-Fans mit der Zeit verbinden, als Uli Hoeneß noch Präsident war und das „Mia san mia“ noch großgeschrieben wurde. Neben dem sozialen Engagement (ja, Uli Hoeneß hat tatsächlich viel für den deutschen Fußball getan) ging es dabei vor allem und den Umgang mit altgedienten Mitstreitern, denen Hoeneß eine Position im Verein schaffte. Natürlich weiß man nicht, wie Hoeneß die Abgänge von Guardiola und Schweinsteiger gehandhabt hätte, fest steht jedoch, dass der FCB bereits unter seiner Ägide als profitorientierte, international ausgerichtete und kompromisslose Maschine geführt wurde. [perfectpullquote align=”left” cite=”” link=”” color=”” class=”” size=””]Es ist also trotz allem erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sowohl Hoeneß als auch Rummenigge sich vor der Weltöffentlichkeit als moralische Instanzen präsentieren.[/perfectpullquote] Von daher wird mit der Person Hoeneß erneut eine starke Emotionalität verbunden, die darüber hinaus noch durch seine Rhetorik befeuert wurde. Die minutiös geplanten emotionalen Ausbrüche sind bei weitem keine Affekthandlungen, sondern geschickt gesetzte Nadelstiche, die die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen sollen, um dem FCB den Weg der Zielerreichung zu erleichtern. Das Credo „Mia san mia“ beschwört eine Nostalgie herauf, die in Zeiten der Internationalisierung des Vereins eigentlich nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, da der Verein mittlerweile in solche Sphären vorgestoßen ist, dass die heimatlichen Wurzeln fast verloren gehen. Die Führungsspitze des FCB war in den letzten Jahrzehnten so strukturiert, dass die kühle, operative Entscheidungsgewalt durch Karl-Heinz Rummenigge verkörpert wurde. Dem gegenüber stand der „Mann des Volkes“ Hoeneß, der sich selbst gern als Wohltäter präsentierte. Rummenigge wird auch aufgrund seines Naturells eher als spröde und langweilig wahrgenommen, obwohl er die unangenehmen Entscheidungen durchdrückt. Hoeneß hingegen bedient Gefühl und Gemüt der Bayern-Fans.
Es gibt auch Postfaktisches im Fußball
Im Zeitalter des Postfaktischen ist eine solche Gemengelage natürlich mit Vorsicht zu genießen. Es war erstaunlich, mit welcher Vorhersagbarkeit Hoeneß das Marketingkonstrukt Red Bull Leipzig als Zielscheibe auserkor. Mit einer ähnlichen Metaphorik, die eine Unterscheidung in „Die“ und „Wir“ zulässt, versammelt Hoeneß die breiten Massen an Bayern-Fans hinter sich, um dem potenten Gegner aus Fuschl am See die Stirn zu bieten. Dabei macht er sich die Angst vor dem Statusverlust zunutze, die viele Bayern-Fans umtreibt: der Emporkömmling verfügt nicht nur über jede Menge Kohle, sondern weist auch das für sportlichen Erfolg notwendige Know-how auf, was man nicht unbedingt immer einkaufen kann. Noch liegt der Personaletat von RBL bei einem Viertel von dem, was die Bayern jährlich für ihre Profimannschaft ausgeben, doch es ist davon auszugehen, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern wird. RBL wird finanziell noch größere Sprünge machen als bisher, weswegen sich die Bayern in ihrer Position als Marktführer in Deutschland bedroht sehen. Wenn man dann mit seiner Rhetorik genau diese Angst bedient, kann man sich der Unterstützung seiner Fans sicher sein. Mit solchen Strategien sind schließlich schon Männer in den USA zum Präsidenten gewählt worden.
In diesem Zusammenhang passen auch die Aussagen von Karl-Heinz Rummenigge, dass „es zum Teil bittere Kampagnen“ gegen den ehemaligen Trainer Pep Guardiola gegeben hätte, die „teilweise übel waren“. Weiterhin sagte Rummenigge dazu Folgendes: „Wenn man sich manchmal Kampagnenmuster anschaut, wie beim Brexit oder bei der US-Wahl, wird man Ähnlichkeiten feststellen zu der Polemik gegen Pep Guardiola“. Ergänzt man also zu der Angst vor dem Statusverlust noch ein wenig Kritik an den Medien, kann man sich der Unterstützung der Anhänger sicher sein. Schließlich gab es ja tosenden Applaus, also kann es gar nicht falsch sein.
Es ist also trotz allem erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sowohl Hoeneß als auch Rummenigge sich vor der Weltöffentlichkeit als moralische Instanzen präsentieren, obwohl beide bereits mit dem Gesetz in Konflikt kamen. Die Steuergeschichte von Hoeneß wurde bereits angesprochen, KHR ist aufgrund einer Steuerstraftat aus dem Jahr 2013 zumindest vorbestraft. Es ist jedoch zumindest kritisch zu beobachten, dass Emotionalität im Fußball mehr als sonst über Vernunft siegt, obwohl an Hoeneß’ Wiederwahl ja wenigstens rechtlich nichts zu beanstanden ist. Es sagt jedoch einiges über die Mitgliederinnen und Mitglieder des FC Bayern aus, wenn diese bereit sind, Hoeneß wieder an ihre Spitze zu wählen. Stellt man sich ein ähnliches Szenario außerhalb des Fußballkontexts vor, gerät man schnell an die Grenzen der Vorstellungskraft. So ist es beispielsweise nicht vorstellbar, dass Klaus Zumwinkel jemals wieder zum Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG gewählt wird, die ja mit 60 Milliarden Euro Umsatz wirtschaftlich gesehen ja sogar noch ein wenig größer als der FC Bayern ist. Fun Fact am Rande: Zumwinkel hatte Steuern in Höhe von knapp einer Million Euro hinterzogen. Auch für Christian Wulff wird es wohl so schnell keine Wiederwahl als Bundespräsident geben, obwohl das ehemalige niedersächsische Ministerpräsident laut Heribert Prantl von der Süddeutschen ein „Muster für Unverhältnismäßigkeit“ gewesen war, von den medienwissenschaftlichen und rechtlichen Begleiterscheinungen mal abgesehen.
Es braucht also den Fußball als gesellschaftliche Instanz, um solche Comebacks doch zu ermöglichen. Dies wirft die Frage auf, welches Verständnis der Großteil der Fußballfans von Moralität haben – obwohl jedem Straftäter natürlich das Recht auf Resozialisierung zusteht. Und umso mehr gilt für Fans des effzeh, mit der momentanen Situation glücklich zu sein – der Verein wird nach außen hin von Personen vertreten, die ihren Posten professionell interpretieren. Dass man nicht immer einer Meinung ist, scheint logisch. Allerdings kann man sich insofern auf die Entscheidungsträger verlassen, als dass sie Werte wie Moral und Anstand größer schreiben als sportlichen Erfolg. Der Verzicht auf populistische Äußerungen ist dabei mehr als wohltuend.