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Fünf Erkenntnisse aus dem Sandhausen-Sieg: Heldenfußball aus Hollywood

Foto: Maja Hitij/Bongarts/Getty Images

Das Durchatmen im Müngersdorfer Stadion schien spürbar zu sein. Gegen einen aufmüpfigen Gast aus Sandhausen hatte sich der 1. FC Köln enorm schwer getan und kam nach frühem Rückstand in der Partie erst in der Schlussphase zu den entscheidenden Treffern. Der umjubelte Held: Rückkehrer Anthony Modeste, der als Einwechselspieler mit einem Doppelpack den wichtigen Erfolg sicherte und somit etwas Druck vom kölschen Kessel nahm. Vor dem Nachholspiel in Aue am Mittwoch katapultierte sich der effzeh somit auf Rang zwei der 2. Bundesliga – ein direkter Aufstiegsplatz!

Überzeugend war die Vorstellung der „Geißböcke“ allerdings über weite Strecken nicht: Besonders in der ersten Hälfte, als der Tabellenvorletzte es sehr gut verstand, das Spiel des Kölner Aufstiegsfavoriten im Keime zu ersticken, war der Auftritt der Mannschaft von Trainer Markus Anfang eine Zumutung. Die Quittung dafür gab es mit dem Halbzeitpfiff, dem ein gellendes Pfeifkonzert des bis dato angesichts der äußerst bescheidenen Vorstellung erstaunlich ruhig gebliebenen Publikums folgte.

Kein Befreiungsschlag – weder für Trainer noch Team

Ein richtig gutes Spiel machen: Das war der Auftrag, den effzeh-Coach Markus Anfang seinen Schützlingen vor der Partie öffentlich auf den Weg gegeben hatte. Das war auch sicherlich die Erwartungshaltung der wieder einmal zahlreich gekommenen Fans, die beim Heimspiel gegen den Tabellenvorletzten einen Pflichtsieg erwarteten. Trotz des Endspurts, trotz drei Punkten, trotz Modeste-Doppelpack: Die äußerst schwache erste Halbzeit war nicht dazu angetan, die Zweifel zu zerstreuen. Defensiv wieder einmal wacklig, nach vorne ideenlos und ohne Tempo. Das alles gegen einen perfekt eingestellten Gegner, der sein Herz auf dem Platz ließ. Ein Gegensatz wie Tag und Nacht – bis auf einen starken Jhon Cordoba, der sich in jeden Zweikampf warf und diese zumeist gewann, war kein effzeh-Spieler in Normalform zugegen.

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Wieder einmal gab es alle Schwächen der Kölner Spielweise zu bewundern: Gegen ein hoch und aggressiv anlaufendes Team tut sich der effzeh enorm schwer – eine Kanonade an langen Bällen, die häufig ihre Endstation bei den körperlich präsenten Defensivspielern der Sandhäuser fanden, war die Folge. Das wurde erst im Laufe des Spiels besser, aber nie gänzlich abgestellt. Darüber darf auch nicht die bessere zweite Halbzeit, die letztlich zu einem verdienten Arbeitssieg führte, hinwegtäuschen. Auch deshalb war der Erfolg zwar extrem wichtig für das Punktekonto, kann aber im Gegensatz zum 8:1 gegen Dresden nicht als Befreiungsschlag gelten. Nicht für den Trainer, dessen taktisch recht einsilbige Marschroute vom Gegner einmal mehr zertrümmert wurde. Nicht für das Team, das wieder einmal seinem Anspruch über weite Strecken nicht gerecht wurde.

Der 1. FC Köln spielt zunehmend Heldenfußball

Ohne individuelle Klasse nutzt dir auch ein Konzept nichts – beim 1. FC Köln scheint es derzeit eher andersherum zu sein. Trotz einer hochkarätig besetzten Mannschaft gelang es den „Geißböcken“ einmal mehr über weite Strecken nicht, den Gegner derart zu dominieren, dass dabei auch dem Aufwand entsprechend Torchancen heraussprangen. Viel Ballbesitz für den effzeh, doch die gefährlichen Räume waren mangels Tempo, Genauigkeit oder zündenden Ideen No-Go-Areas. Die Folge daraus: Die Anfang-Elf, die eigentlich ein Konzept verfolgen soll, spielt zunehmend Heldenfußball, wie ihn einst Volker Finke charakterisiert. Jhon Cordobas kaum fair zu verteidigende Wucht, später Louis Schaubs spielerische Finesse und Anthony Modestes Torjägerqualitäten: Dieser 1. FC Köln ist von seiner individueller Klasse so abhängig wie selten zuvor.

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Hollywood-Geschichte und mehr Fragen als Antworten

Doch individuelle Klasse blitzt nur in einzelnen Situationen auf, ist nur ungeplant abrufbar und kein Fundament für eine funktionierende Mannschaft. Gut zu sehen war dies am Samstagmittag wieder an Johannes Geis: Der defensive Mittelfeldspieler, der beim Heimsieg gegen den FC St. Pauli eine überzeugende Leistung bot, wurde vom SV Sandhausen konsequent aus dem Spiel genommen – sein Wert für den effzeh ist dann überschaubar und beschränkt sich auf die einzige Qualität, die ihm kein Gegenspieler nehmen kann: Seine Standardsituationen. Kaum verwunderlich, dass Geis’ auffälligste Szene seine Torvorlage zum 1:1 war. Ein schön getretener Freistoß. Für den Spielaufbau allerdings war Geis kein Faktor – auch ein Grund, weshalb Markus Anfang in der Pause reagierte und eine Reihe hinter ihm Marco Höger brachte, der von dort aus die Angriffe der Kölner eröffnen sollte.

Anfangs Wechsel saßen endlich einmal

Eine Umstellung, die sich für den 1. FC Köln auszahlen sollte: Die „Geißböcke“ kamen nicht nur mit neuem Elan aus der Kabine, sondern legten die Partie auch deutlich anders an. Neben Jorge Meré stand nun dank Höger ein weiterer Spieler in der letzten Linie, der über die nötigen Passqualitäten verfügt, gegen einen defensiv eingestellten, aber hervorragend anlaufenden Gegner die entsprechenden Räume zu finden. Jonas Hector konnte somit etwas nach vorne rücken und das Spiel dort ankurbeln. Ein Schachzug, der aufging – auch weil der effzeh es schaffte, nun mit größerem Tempo und mehr Zug zum Tor zu agieren. Der erzeugte Druck nach dem Seitenwechsel trug Früchte, nach Drexlers Ausgleich hatte der effzeh mehrmals die Führung auf dem Fuß.

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Die kam allerdings erst später – und dafür musste der Bundesliga-Absteiger seine größten Trumpfkarten ziehen: Erst kam Louis Schaub für den am Kopf verletzten Vincent Koziello, der nach seiner Verletzung eine eher überschaubare Startelf-Rückkehr feierte, dann sorgte Anfang unter dem großen Jubel der Kölner Anhänger für Anthony Modestes Heim-Comeback. Eine tödliche Kombination für die Sandhäuser, wie sich wenig später zeigen sollte: Schaub, der zuvor schon eine Riesenchance für Cordoba aufgelegt hatte, flankte butterweich auf Modeste, der nickte in bester Torjägermanier zum 2:1 ein. In der Nachspielzeit machte der Franzose dann nach einem schweren Abwehrpatzer der Gäste den Deckel drauf auf den Heimsieg. Und auf die Erkenntnis, dass auch Anfang durchaus im Spiel zu reagieren weiß. Etwas, das bei ihm häufig zurecht kritisiert wird.

Modeste ist zurück: Hollywood lässt grüßen

Der Kommentator der Partie hatte die passende Floskel gleich parat. „Geschichten, wie sie nur der Fußball schreibt“ – das war das Etikett, das Anthony Modestes Rückkehr ins Müngersdorfer Stadion verpasst bekam. Und ganz ehrlich: Wer dieses Drehbuch verfasst hätte, wäre hochkant aus jedem Schreibseminar geflogen. Mehr Kitsch als in Hollywood – und doch so seltsam real. Fünf Minuten war der umjubelte Rückkehrer auf dem Platz, da ließ er die Kölner Fans bereits das erste Mal feiern. Flanke Schaub, Kopfball Modeste: 2:1 für den 1. FC Köln. Die Erlösung an diesem sonst so zähen Samstagmittag. Dass die Geschichte nicht rund gewesen wäre, hätte der Hollywood-Held nicht auch noch für die endgültige Entscheidung gesorgt, steht natürlich völlig außer Frage. Was für eine Geschichte, die der Fußball da geschrieben hat.

Die Zahlen sind beeindruckend: 35 Minuten brauchte Anthony Modeste für seine ersten drei Treffer im effzeh-Dress nach der Rückkehr. Drei Chancen, drei Tore: Der Franzose beweist, dass er auch nach einer Saison in China und der darauf folgenden langen Spielpause vor dem gegnerischen Kasten nichts verlernt hat. Die durchaus geäußerten Zweifel, ob der 30-Jährige dem 1. FC Köln ohne Spielpraxis sofort weiterhelfen könne, dürften zerstreut worden sein. Und wer gesehen hat, wie Modeste über seine Treffer gejubelt hat, der sieht, wie sehr er für die Rückkehr der „Geißböcke“ in die Bundesliga brennt. Und wer gesehen hat, wie sich Team und Fans für und mit dem Angreifer gefreut haben, der weiß: Anthony Modeste ist endgültig wieder zurück beim 1. FC Köln!

Ein Schritt, doch es braucht mehr für den Aufstieg

Eine Leistungssteigerung dank gelungener Umstellungen, die bei einer starken Bank auch zu erwarten sind. Ein Pflichtsieg gegen den Tabellenvorletzten, der sich zwar aufmüpfig, doch letztlich fußballerisch zu limitiert zeigte und am Ende auch am Verletzungspech zweier Defensivstützen scheiterte. Ein Auftritt der „Geißböcke“, der eigentlich mehr Fragen aufwarf, als er Antworten gab. Ist das Gesicht des 1. FC Köln das aus der ersten Halbzeit oder das nach dem Seitenwechsel? Oder bleibt es bei diesen “Jekyll and Hyde”-Leistungen? Die ersten 45 Minuten waren ein taktischer wie spielerischer Offenbarungseid, der nicht nur den Autor dieser Zeilen zu dem Wunsch verleitete, dass FC-Vizepräsident Toni Schumacher doch seine Erfahrungen in Sachen Halbzeitentlassungen doch einmal von der anderen Seite ausprobieren sollte.

Auch die zweite Hälfte lieferte nicht ausnahmslos Argumente für eine Weiterbeschäftigung des umstrittenen Trainers, dem diesmal immerhin das In-Game-Coaching glückte und darüber hinaus das oft zitierte Spielglück hold war. Das 3:1 gegen Sandhausen war letztlich nur ein erster Schritt, mehr allerdings auch nicht. Es braucht mehr für den Aufstieg, es braucht mehr für eine sportliche Perspektive in Köln. Die anstehenden Aufgaben in Aue und in Ingolstadt werden mehr Auskunft darüber geben können, ob sich die positiven Eindrücke aus der zweiten Halbzeit oder doch eher das Gefühl des Auftakts verfestigen werden. Ein kleiner Lichtblick für die kommenden Aufgaben: Dank des wiedergenesenen Louis Schaub scheint etwas mehr Struktur in die Offensivaktionen zurückkehren zu können. Für den derzeitigen Heldenfußball des 1. FC Köln kann das nur gut sein.

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