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96-Präsident Kind lässt Antrag ruhen: Chance zur Fehlerbehebung

Foto: Oliver Hardt/Bongarts/Getty Images

Lange Zeit hat Martin Kind der DFL mit einer Klage gegen die “50+1-Regel” gedroht, jetzt lässt der Hannover-Präsident seinen Übernahmeantrag überraschend ruhen. In Frankfurt will man nun eine Reform der Regel prüfen. Was dabei herauskommt, ist offen. Der Weg, den Grundfehler namens Ausnahmeregelung zu korrigieren, wäre nun allerdings frei. Ein Kommentar.

Über Jahre hinweg hat Martin Kind die Bundesliga mit seinem Wunsch, bei Hannover 96 endlich die Macht an sich reißen zu dürfen, beschäftigt. Der Präsident der Hannoveraner wollte schon vor einiger Zeit die gleiche Regelung für sich nutzen dürfen, die zuvor nur für Leverkusen und Wolfsburg gegolten hatte. Im Jahr 2011 hatte der 96-Boss damit Erfolg: Die Ausnahmeregelung, die einst eingeführt wurde, um die sogenannten Werksvereine irgendwie zu legitimieren, galt ab sofort für alle. Somit stand auch Kind der Weg offen, über ein nachgewiesenes, zwanzig-jähriges Engagement die Mehrheit in seinem Club zu übernehmen. Doch eigentlich ist derartiges in den Statuten der Bundesligen nicht vorgesehen. Dort galt und gilt die sogenannte „50+1-Regel“.

Die soll sicherstellen, dass die Vereine stets die Mehrheitseigner ihrer meist in Kommanditgesellschaften ausgelagerten Fußballbetriebe bleiben. Mindestens 51 Prozent der Stimmrechte müssen also beim Verein, der als Gesellschaftsform stets der Mitgliederkontrolle unterliegt, verbleiben. Doch auch diese Regel hat im Laufe der Zeit ihre Hintertüren (bekommen).

Hopp nutzte Ausnahmeregelung in Hoffenheim

Eine davon ist die angesprochene Ausnahmeregelung, die es einstigen Sponsoren, die über einen Zeitraum von zwanzig Jahren umfangreiches und kontinuierliches finanzielles Engagement bei einem Verein gezeigt haben, erlaubt, die Mehrheit an diesem zuvor unterstützten Verein zu übernehmen. So geschehen ist das zuvor abgesehen von Leverkusen und Wolfsburg mittlerweile auch in Hoffenheim, dort nutzte Milliardär Dietmar Hopp als erster die von Kind erwirkte Ausnahmeregelung und bekam von den Verbänden grünes Licht für die Machtübernahme. Ein paar Jahre später folgte das Red-Bull-Marketingprojekt in Leipzig auf anderem Wege. Nun wollte Martin Kind, der endlich die 20-Jahre-Grenze mit Hannover 96 erreicht hatte, der nächste in dieser Reihe werden.

Protest in Hannover | Foto: Martin Rose/Bongarts/Getty Images

Doch Kind hatte gleich mehrere Probleme: Da Hannover 96 im Gegensatz zu Leverkusen, Wolfsburg, Hoffenheim und Leipzig ein bestehender, gewachsener Verein ist, gab es dementsprechenden Gegenwind. Die Mitglieder der deutschen Traditionsvereine stehen Investoren, und dann auch noch mit angestrebter Stimmmehrheit, meist sehr kritisch gegenüber. So auch in Niedersachsen. Großflächige Proteste folgten – und prägten das Stadionerlebnis in Hannover über Monate hinweg.

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Hinzukommt, dass Martin Kind zwar durchaus zwanzig Jahre Geld in den Verein gesteckt hat, offenbar aber bei weitem nicht in jenem Ausmaß wie zum Beispiel Hopp in Hoffenheim. Sein Antrag drohte, das wurde in den letzten Tagen immer deutlicher, zu scheitern. Erledigt wäre die Sache damit allerdings nicht unbedingt gewesen: Der eigenwillige 96-Präsident hatte schon vor Ewigkeiten angekündigt, bei einer Ablehnung seines Wunsches durch die DFL vor ordentliche Gerichte ziehen zu wollen – und die 50+1-Regel notfalls dort zu kippen.

Kind mit guten Chancen vor Gericht

Und die meisten Fachmänner räumten ein: Vor Gericht würde Kind wohl gewinnen. Nicht einmal, weil er die Bedingungen der Ausnahmeregelung nun doch erfüllen würde. Sondern weil genau diese Ausnahmeregelung aus Sicht der Richter das Prinzip von „50+1“ ad absurdum führen dürfte. Schließlich stand die Regel zuvor bereits mit der “Lex Leverkusen” auf tönernen Füßen – die Ausnahmeregelung wurde schließlich nur wegen Kinds damaliger Klageandrohung für alle eingeführt. Und so war man sich schnell einig: Sollte die DFL dem 96-Präsidenten einen Korb geben, droht das unkontrollierte Ende der 50+1-Regel vor Gericht.

Eine Situation, die vor allem der Ligaverband unbedingt vermeiden wollte und will, schließlich hätte man dann das Heft das Handelns nicht mehr selbst in der Hand, sondern würde vor juristische Tatsachen gestellt. Soweit scheint es vorerst aber doch nicht zu kommen: Hannover 96, und damit Martin Kind, hat seinen Antrag „auf Ruhend gestellt“, wie die Niedersachsen am Montag wissen ließen. Damit, so hieß es später dann aus Frankfurt, müsse die DFL auch gar nichts mehr entscheiden. Eigentlich stand das Thema Hannover 96 für Montag bei den Ligabossen auf dem Programm – mit Kinds Rückzug ist es nun erst einmal vom Tisch. Gelöst ist das Problem damit allerdings keineswegs.

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DFL will “50+1”-Regel jetzt prüfen

Wenig überraschend kündigte die DFL auch prompt an, sich mit einer möglichen Reform der 50+1-Regel auseinander setzen zu wollen – betonte zur Sicherheit aber lieber, dass es diesbezüglich keinerlei Absprachen mit Kind und seinem Club gebe. „Uns ging es nie darum, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen oder vollends auf die juristische Karte zu setzen“, erklärten die 96er derweil wenig später passend dazu. Kind und seinem Club sei es um eine „zeitgemäße Entwicklung“ gegangen. „Wenn wir uns alle gemeinsam auf eine vernünftige Modernisierung des Profifußballs verständigen, der auch regionalen und mittelständisch geprägten Strukturen wie bei Hannover 96 neue Chancen gibt, ist das nach unserer Überzeugung für die Bundesliga der richtige Weg.“

Kind hat damit kurz vor knapp genau die juristische Klärung abgewendet, mit der er zuvor stets gedroht hatte. Aber den Bundesligisten, zusammengefasst in der DFL, hat er damit auch die Chance gegeben, die Probleme anzugehen, die die 50+1-Regel nach wie vor juristisch angreifbar machen.

Neben der Ausnahmeregelung hat man bei der DFL nämlich auch toleriert, wenn die so zentrale Regel nur auf dem Papier erfüllt wird. Bei RB Leipzig besitzt Red Bull nahezu alle Anteile, aber eben weniger als die Hälfte der Stimmrechte. Auf dem Papier entscheidet der Verein – doch wie frei können Entscheidungen in einer solchen Konstellation schon sein?

Kind braucht Reform: Ohne Entscheidung kein Prozess

Der größte Kritikpunkt bleibt aber natürlich die ehemalige „Lex Leverkusen und Wolfsburg“. Das sieht auch die „Interessengemeinschaft Pro Verein 1896“ aus Hannover so. Dort erhofft man sich allerdings eine ganz anderen Ausweg aus der Misere als beim von Kind regierten Verein. „Die DFL ist dazu angehalten, die unsinnige und schwammige Ausnahmeregelung komplett abzuschaffen und sich auch in der Zukunft klar für 50+1 als Voraussetzung für eine Teilnahme an den Bundesligen auszusprechen“, fordert die IG und setzt sogar mit dem Aufruf, bei der Lizenzvergabe für die nächste Saison penibel genau auf die Einhaltung der Regel bei Hannover 96 zu beharren, noch einen obendrauf.

DFL-CEO Christian Seifert | Foto: Simon Hofmann/Bongarts/Getty Images

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Ob eine Reform der 50+1-Regel überhaupt ohne Weiteres möglich ist, in welche Richtung auch immer, ist aber sowieso erst einmal unklar. Ohne die Ablehnung seines Antrags dürfte Kind jedenfalls kaum noch eine Grundlage für eine Klage vor ordentlichen Gerichten haben – ihm wurde bisher ja nichts verwehrt, da die DFL jetzt doch nichts entscheiden musste. Für die Umsetzung seiner Allmachtswünsche benötigt der Hannover-Präsident nun also die Regelreform in die aus seiner Sicht richtige, also für Investoren offene Richtung – hierzu müssten allerdings mindestens 24 Clubs der Bundesligen einer Satzungsänderung der DFL zustimmen. Einfach wird das nicht.

DFL gibt jetzt die Richtung vor

Ob diese Mehrheit zustande kommt, dürfte also sehr davon abhängen, was man sich in Frankfurt nun als Reformmöglichkeiten so ausdenkt. Juristisch richtig sauber und sportlich nachhaltig fair dürfte allerdings nur eine Option sein: Die konsequente Abschaffung der Ausnahmeregelung und damit die Rückkehr zu einer konsequent umgesetzten 50+1-Regelung in den Bundesligen. Die jüngsten Entwicklungen bieten eine gute Chance zur Fehlerbehebung.

Für Martin Kind, Leipzig, Wolfsburg, Leverkusen und Hoffenheim wäre das zwar eine Schlappe. Auch angesichts diverser abstiegsbedrohter Traditionsclubs dürfte es allerdings gleichzeitig ein Gewinn für den deutschen Fußball sein.

Die Investorenclubs bringen mit ihren finanziellen Mitteln zwar mehr oder weniger attraktiven Fußball auf den Rasen, in die Stadien (aber auch vor die TV-Geräte) locken sie allerdings vergleichsweise immer noch so gut wie niemanden. Und dieses Herzstück ihres Produktes sollte auch für die DFL zwischen all den Maximalvermarktungswünschen und Internationalisierungsstrategien schließlich das Maß der Dinge bleiben.

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