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Der 1. FC Köln im Sommer 2021: Ein Verein vor der Zerreißprobe

Foto: imago images / Deutzmann

Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.
(Franz Kafka)

Erst der Showdown gegen Schalke, dann ein ernüchterndes Heimspiel gegen Kiel und dann ein fulminanter Saisonabschluss mit Rettung in der Relegation – der 1. FC Köln meinte es nicht gut mit dem Seelenleben seiner Fans in den zurückliegenden Wochen. Der Kampf um den Klassenerhalt entwickelte sich nach einer zähen Saison zu einem reinen Nervenspiel, das aus Sicht der „Geißböcke“ positiv endete. Der FC kann nun ein weiteres Jahr für die Bundesliga planen, er bleibt in der deutschen Eliteklasse.

Der Klassenerhalt darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der 1. FC Köln als eingetragener Verein und als Kapitalgesellschaft vor großen Herausforderungen steht, die die Zukunft bestimmen werden. Der Verbleib in der Bundesliga alleine sorgt nicht dafür, dass nun alles besser wird am Geißbockheim. Die Mitgliederversammlung in weniger als drei Wochen wird dabei zu einer ersten Standortbestimmung in der Auseinandersetzung um die mittel- und langfristige Ausrichtung des Vereins. Mit der Trennung von Horst Heldt im Anschluss an die erfolgreiche Relegation agierte der Vorstand erstmals seit langer Zeit mit der nötigen Konsequenz, auch wenn die Kommunikation der Trennung sicherlich nicht ganz glücklich verlaufen ist.

Einzige Konstante der Saison: Knackpunkt-Spiele

Beginnen wir mit dem Sportlichen: Wirklich mit Ruhm bekleckert hatte sich der 1. FC Köln über die gesamte Saison gesehen eigentlich nie: Der FC verlor 17 Mal, damit alleine schon die Hälfte aller Spiele. Neun Partien endeten Unentschieden, acht Siege nur feierten die „Geißböcke“ im Verlauf der regulären Spielzeit. Der Saisonstart verlief denkbar schlecht, es dauerte bis zum neunten Spieltag Ende November, ehe dem FC damals noch unter Markus Gisdol der erste Saisonsieg gelang – zuvor waren es saisonübergreifend gar 18 Bundesliga-Spiele ohne eigenen Erfolg.

Bis zur kurzen Weihnachtspause sah es nach einer leichten Verbesserung aus, doch halbwegs ordentlichen Leistungen folgten immer wieder herbe Rückschläge wie das 0:4 zuhause gegen Leverkusen oder das 0:5 in Freiburg. Die Knackpunkt-Spiele, in denen es vorrangig um die Zukunft von Markus Gisdol ging, gewann der FC zwar (auf Schalke, gegen Bielefeld und sogar in Gladbach), wirklich konstant erfolgreich spielten die „Geißböcke“ aber letztlich durch die komplette Saison nie.

Im April folgte dann für Markus Gisdol das vorzeitige Ende seiner Zeit in der Domstadt, acht Spiele ohne Sieg und akute Abstiegsgefahr waren zu viel für die Entscheider rund um Horst Heldt, der seinerseits nur einen Tag nach der erfolgreichen Relegation entlassen wurde. Nochmal zur Erinnerung: Gisdol ist mit einem Schnitt von 1,02 Punkten pro Spiel über anderthalb Saisons nie wirklich erfolgreich gewesen, die Entlassung wurde von vielen als zu spät eingeschätzt. „Too little, too late“ lautete damals die Überschrift des effzeh.com-Kommentars zur Trennung vom Schwaben.

Ein Betriebsunfall, ein Ausrutscher, gar Pech?

Den „frischen Impuls“ sollte dann mit Friedhelm Funkel ein erfahrener Trainer bringen, der sich mit einem 0:3 in Leverkusen und einer rassistischen Aussage einführte. Siege gegen Leipzig und Augsburg hielten den FC im Rennen, ehe es dann am letzten Spieltag zum Showdown gegen den Tabellenletzten aus Gelsenkirchen kam – das Ende ist bekannt. Es folgte eine nervenaufreibende Relegation gegen Holstein Kiel mit zwei sehr unterschiedlichen Spielen.

Foto: imago images / Nordphoto

Ist diese Saison, die regulär für die „Geißböcke“ auf Rang 16 endete, nun ein erneuter Betriebsunfall, ein Ausrutscher, gar Pech? Oder ist die konstante Underperformance des 1. FC Köln durch strukturelle und personelle Probleme begründet? Normalerweise wäre in den letzten Wochen und Monaten genügend Zeit gewesen, um auf den verschiedenen Ebenen in die Analyse zu gehen – war der Kader ausreichend besetzt? Haben die teuren Neuzugänge die Zielvorstellungen erfüllt? Wie ist die langfristige Entwicklung des Vereins grundsätzlich, welche Beziehung besteht zu den eigenen Fans?

Auf all diese Fragen finden sich Antworten, die sich gut begründen lassen. Die entscheidende Frage ist aber eine andere: Sind Vorstand und Geschäftsführung des 1. FC Köln überhaupt willens und in der Lage, eine ehrliche Bestandsaufnahme der letzten Jahre zu machen und die dringend nötigen Veränderungen einzuleiten? Zuerst ein Blick auf den Vorstand des FC: Das Duo aus Werner Wolf und Eckhard Sauren ist nunmehr fast zwei Jahre im Amt. Nach dem frühen Rücktritt von Jürgen Sieger im Dezember 2019 rückte aus dem Mitgliederrat Carsten Wettich nach, der auf der Mitgliederversammlung Mitte Juni im Amt bestätigt werden soll – aus einer Interimslösung soll dann eine feste werden.

Vereinsführung will Sieben-Jahres-Plan vorstellen

Die Mitgliederversammlung, die wegen der Corona-Pandemie verlegt werden musste, soll auch Gelegenheit sein, ein Strategiepapier zu präsentieren. Darin möchte das Präsidium einen Sieben-Jahres-Plan vorlegen, wie sich der FC in den kommenden Jahren bei bestimmten Sachthemen (Infrastruktur, Sport, Finanzen, Jugend, Frauen, Beziehung zur Stadt etc.) zukünftig entwickeln soll. Eine Legislaturperiode eines FC-Vorstands dauert laut Satzung drei Jahre: Der jetzige möchte also nach fast zwei Jahren im Amt eine Strategie vorlegen. Das ist eindeutig zu wenig und zu spät, gerade weil sich beim 1. FC Köln in den letzten Jahren fast nichts zum Positiven entwickelt hat.

Auf der nächsten Seite: Der Vorstand geht angeschlagen in die Mitgliederversammlung

Wolf, Sauren und Wettich waren in den vergangenen Monaten nicht sonderlich präsent und aktiv. Selbst wenn sie eher im Hintergrund gearbeitet und die Lage analysiert haben – wann gibt es Entscheidungen, Richtungsvorgaben, Zielformulierungen? Weil all dies fehlt, wird die Wahl von Carsten Wettich auch zu einer Abstimmung über die bisherige Amtszeit des Vorstands – alles deutet darauf hin, dass es durchaus knapp werden könnte für den Nachrücker aus dem Mitgliederrat. Würde er nicht gewählt, wäre der Vorstand gescheitert. Ein knappes Votum zu Gunsten Wettichs, das aktuell am wahrscheinlichsten erscheint, wäre aber auch nicht wirklich ein starkes Mandat für das Vorstandstrio.

Nach der Relegation wird also nur dreieinhalb Wochen später der nächste Showdown auf den 1. FC Köln warten. Die Mitgliederversammlung soll rein digital stattfinden, aus Vereinskreisen ist unter Berufung auf ähnliche Veranstaltungen bei anderen Vereinen zu hören, dass zwischen 10.000 und 20.000 Mitglieder daran teilnehmen werden. Die technische und infrastrukturelle Durchführung der Veranstaltung steht dabei besonders im Fokus: ein reibungsloser Ablauf ist nicht garantiert.

Der Vorstand geht anschlagen in die Mitgliederversammlung

Die Teilnahme ist zwar deutlich leichter, allerdings können Mitglieder ihre Rechte bei einer virtuellen Veranstaltung nicht in der gleichen Form wahrnehmen, wie es in Präsenz möglich wäre – das haben Studien zu Aktionärsversammlungen während der Pandemie gezeigt. Fragen können zwar gestellt, müssen aber schriftlich eingereicht werden. Eigentlich müsste sich der Vorstand den Mitgliedern direkt stellen, woraus eine ganz andere Interaktion erwachsen würde – doch dieses Mal fehlt der direkte Kontakt. Eine Mitgliederversammlung ist immer noch der entscheidende Ort, an dem es um Vereinspolitik geht. Es sind nicht die Artikel in den Zeitungen aus dem Dumont-Haus, des kicker, der Bild: Dieser Moment gehört denjenigen Mitgliedern, die sich das gesamte Jahr über mit diesen Themen auseinandersetzen. Doch auch sie sitzen dieses Mal nur an den Bildschirmen und können nicht direkt Einfluss ausüben. Es ist eine frappierende Parallele zur leeren Südkurve bei Heimspielen des 1. FC Köln.

Der Vorstand des FC geht durchaus angezählt in diese wichtige Veranstaltung – wie steht es um ein weiteres wichtiges Gremium des Vereins? Viele Diskussionen in der Domstadt und darüber hinaus thematisieren immer wieder die Rolle des Mitgliederrats, der in seiner Funktion als mitgliedergeführtes Aufsichts- und Kontrollorgan immer noch eine der größten Errungenschaften der letzten Jahre beim 1. FC Köln ist. Zur Erinnerung: Der FC verfügt über eine der demokratischsten Satzungen der Bundesliga.

Laut effzeh.com-Informationen sind aber auch innerhalb des Vereins die Fronten verhärtet: Einerseits zwischen Vorstand und Mitgliederrat, andererseits innerhalb des Mitgliederrats. Die Kommunikation zwischen Vorstand und Mitgliederrat verläuft offenbar nicht so geradlinig und zielgerichtet, wie sich viele es wünschen würden. Innerhalb des Mitgliederrats sind die Lager auch relativ zerstritten, was unter anderem an den Vorgängen rund um den geleakten Mailverkehr des früheren Vorsitzenden Stefan Müller-Römer liegen soll. Der Mitgliederrat hatte im September 2020 mehrheitlich entschieden, ihn als Vorsitzenden abzuwählen. Ho-Yeon Kim folgte ihm im Amt, Christian Hoheisel wurde sein Stellvertreter. In den letzten Monaten ist der Mitgliederrat nicht wirklich durch konstruktive Sacharbeit aufgefallen, Impulse waren nach außen und auch nach innen kaum wahrnehmbar.

Es steht nicht gut um den 1. FC Köln als Verein

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass Rechte und Pflichten des Mitgliederrats auf dem Papier im Grunde eine gute Sache sind. Das hilft aber leider nichts, wenn Mitgliederratsvertreter im Gemeinsamen Ausschuss nichts tun können, wenn dort Entscheidungen von größerer wirtschaftlicher Tragweite gegen ihren Willen getroffen werden. Davon gab es beim FC in den letzten Jahren einige, und nicht alle stellten sich als Erfolg heraus (Rückkehr von Anthony Modeste, Einstellung von Horst Heldt im zweiten Durchgang, Vertragsverlängerungen mit Sportchef und Trainer).

Das Abstimmungsverfahren im Gemeinsamen Ausschuss verdeutlicht dieses Problem: Präsident Wolf und seine beiden Vizepräsidenten vereinen drei Stimmen auf sich, mit Jörn Stobbe und Lionel Souque als Vorsitzende des Aufsichts- und Beirats gibt es zwei weitere, eher vorstandsnahe Stimmen. Der Mitgliederrat kann also maximal zwei Stimmen abgeben. Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein einziges Vorstandsmitglied gegen einen Vorschlag stimmt, auch Stobbe und Souque dürften in entscheidenden Fragen eher immer dem Vorstand folgen, um keinen Konflikt zu schaffen und den Vorstand nicht zu diskreditieren. Selbst wenn sich der Mitgliederrat dagegen positionieren würde, verlöre er eine Abstimmung mit 2:5. So sind viele Transfers und Verträge beim FC einfach durchgewunken worden, der Mitgliederrat konnte seiner Kontrollfunktion nicht vollends ausüben. Vielleicht müsste die Satzung an dieser Stelle entsprechend nachgeschärft werden.

Foto: imago images / Beautiful Sports

Ein weitgehend inaktiver Vorstand und ein mitgliedergeführtes Aufsichtsgremium mit eigenen Problemen – es steht nicht gut um den 1. FC Köln als Verein. Und auch der Tochter, der Kapitalgesellschaft auf Aktien (KGaA), die den Spielbetrieb organisiert, geht es nicht allzu blendend: Aus sportlicher Sicht endete die Saison nur über den Umweg der Relegation mit dem Klassenerhalt, die Finanzlage der „Geißböcke“ ist nicht weniger bedenklich. Vor wenigen Wochen präsentierte Finanzgeschäftsführer Alexander Wehrle die Zahlen für das Geschäftsjahr 2019/2020. Ein Minus von mehr als 20 Millionen Euro, weniger Eigenkapital, mehr Schulden – so lautet die Bilanz bis zum 30.6.2020. Ungefähr ein Jahr später dürfte die Lage daher noch schlimmer sein, sodass die Zahlungsfähigkeit des FC aktuell nur durch Kredite und eine Bürgschaft beim Land Nordrhein-Westfalen aufrechterhalten werden kann. Auch private Geldgeber stellen dem Verein Geld zur Verfügung. Zur Erinnerung: Alexander Wehrle hatte zu Saisonbeginn mit vier Geisterspielen kalkuliert.

Ein anderer Weg als beispielsweise in Bremen

In der Außendarstellung geht der FC hier auch einen etwas eigenen Weg. Werder Bremen, das sich durch eigene Fehler und die Auswirkungen der Pandemie ebenfalls in eine finanziell bedrohliche Lage gebracht hat und gerade in die 2. Bundesliga abgestiegen ist, bietet Privatanlegern ebenfalls eine Anleihe an, die zwischen 20 und 30 Millionen Euro einbringen soll – dadurch soll die Insolvenz vermieden werden. In einem Wertpapierprospekt über 219 Seiten lässt der Bundesligist die Hosen herunter, wie es das Portal deichstube.de beschreibt, auch weil diese Risiken bei einer solchen Anlage dem Interessenten offengelegt werden müssen.

Auf der nächsten Seite: Beziehung zu den Fans schwer gestört

Ein offener und transparenter Weg, um die eigene finanzielle Lage zum Thema zu machen – beim 1. FC Köln stellte Wehrle mit monatelanger Verspätung in einer Videokonferenz Ende März die Zahlen vor, die trotz vieler Maßnahmen (Kurzarbeit, Gehaltsverzicht, Dauerkartenrückerstattung) besorgniserregend sind. Hier sei an das heute schon legendäre Vereinsstatement als Reaktion auf die öffentlich Schlammschlacht um interne Mails von Mitgliederratschef Stefan Müller-Römer aus dem September erinnert, in dem es hieß: „Ein möglicher Vorwurf, die Geschäftsführung habe eine wie auch immer geartete Mitverantwortung für die finanzielle Lage, entbehrt jeder Grundlage.“

“Ein möglicher Vorwurf, die Geschäftsführung habe eine wie auch immer geartete Mitverantwortung für die finanzielle Lage, entbehrt jeder Grundlage.”

Sachverhalte zielgerichtet an die Adressaten kommunizieren – das wäre eigentlich die Aufgabe einer Direktorin/eines Direktors für Medien und Kommunikation. Doch hier besteht seit Februar eine Vakanz beim FC, nachdem die Interimslösung Jürgen Homeyer nach dem Fiasko um die Auswahl von Fritz Esser von seinen Aufgaben entbunden worden war. Im August hatte sich der FC von Mediendirektor Tobias Kaufmann getrennt, den Wehrle eigentlich gerne behalten hätte. Nun verantwortet Pressesprecherin Lil Zercher diesen Bereich, eine langfristige Lösung zeichnet sich nicht ab. Hier agiert die FC-Vereinsführung abermals unglücklich und ohne die nötige Konsequenz.

Fehlt es dem Vorstand am Bezug zur Basis?

Ähnliches gilt für das Verhältnis des Vereins mit seinen hunderttausenden Fans und Mitgliedern. Diese Gruppe ist zwar sehr heterogen, Gespräche mit führenden Köpfen aus der aktiven Szene zeigen aber: Eine wirkliche Arbeitsebene besteht nicht, die seit Jahren existierenden Gräben haben sich in den zurückliegenden Jahren sogar noch vergrößert – zwischen Verein und Geschäftsführung, aber auch zwischen Verein und Ultras, Ultras und „Normalos“, eigentlich in jede erdenkliche Richtung.

Mitglieder und Fans, die dem vorherigen Vorstand um Werner Spinner, Markus Ritterbach und Toni Schumacher kritisch gegenüber eingestellt waren, freuten sich über den Amtsantritt von Wolf und Co. im Jahr 2019. Mittlerweile haben sich frühere Unterstützer aber längst enttäuscht abgewandt von den Führungsfiguren am Geißbockheim. Dem Vorstand fehle es am Bezug zur Basis, heißt es zum Beispiel von Seiten der aktiven Fanszene, der Vorstand wisse gar nicht, was die Leute in der Kurve bewegt.

Ideen wie der virtuelle Mitgliederstammtisch oder auch die AG Fandialog seien zwar richtig, das Agieren des Vorstands in solchen Veranstaltungen scheint aber relativ frei von Empathie zu sein. Eine Diskussion über wichtige Themenkomplexe, die zum Beispiel die Initiative „Unser Fußball“ immer wieder in die Öffentlichkeit bringt, hat bisher auf diesen Plattformen nicht stattgefunden. Ähnliches gilt für die zukunftsweisende Frage, ob und wie lange der 1. FC Köln weiterhin ein mitgliedergeführter Verein sein möchte, in dem Anhänger*innen ein Mitspracherecht haben und demokratische Werte gelebt werden.

Frankfurt und Dortmund zeigen, dass es anders geht

Dass es eben auch anders geht, zeigen große Traditionsvereine wie Borussia Dortmund oder Eintracht Frankfurt. Beim BVB ist ein ehemaliger Ultra Berater der Geschäftsführung, der Austausch auf diese Weise in gewisser Form institutionalisiert. Bei Eintracht Frankfurt ist seit Jahren Peter Fischer Präsident, ein streitbarer Mann, der aber keinen Hehl daraus macht, dass er das wahre Herz des Vereins in der Kurve sieht. Ein schlechtes Verhältnis zur eigenen aktiven Fanszene zu haben ist dementsprechend nicht gottgegeben, auch dagegen können Verein und Geschäftsführung etwas unternehmen – wenn sie es denn wollen.

Geschäftsführer Wehrle hatte gegen Saisonende immerhin versucht, für das Heimspiel gegen Schalke und das Relegationsspiel gegen Kiel zumindest einen kleinen Teil von Fans ins Müngersdorfer Stadion zu bekommen. Inzidenz und Maßnahmen zum Infektionsschutz gaben es nicht her, was nachvollziehbar war. Dass der Verein sich aber bis dato immer noch nicht zum aus Sicht vieler Fans überzogenen Polizeieinsatz auf der Jahnwiese beim Spiel gegen Schalke geäußert hat, stößt vielen immer noch sauer auf. Die Beziehung zwischen der Abteilung Fanbetreuung um Rainer Mendel und der aktiven Szene ist schon seit längerem nicht mehr zu reparieren, weswegen es eigentlich hier auch einer Veränderung bedürfte. Ende März forderte die Südkurve Köln in einem Statement genau das, passiert ist bisher herzlich wenig.

Vorstand setzt weiterhin auf Wehrle

Veränderungen wurden von vielen auch auf der Ebene der Geschäftsführung gefordert, weswegen die Trennung von Sportgeschäftsführer Heldt direkt nach dem Klassenerhalt überfällig erschien. Sein Kollege Wehrle soll dem Vernehmen nach zwischendurch mit einem Engagement beim VfB Stuttgart oder der DFL geliebäugelt haben. Werner Wolf schob den Avancen der Schwaben Mitte Mai allerdings einen Riegel vor, der FC-Präsident hofft laut Kölner Stadt-Anzeiger darauf, dass Wehrle seinen Vertrag bis 2023 erfüllt. Offenbar soll Wehrle den FC aus der misslichen Lage, in die er ihn selbst (auch ohne Corona) gebracht hat, auch wieder herausführen.

Auf der nächsten Seite: Schwache Kaderzusammenstellung sorgt für Heldt-Trennung

Ein Minus von 13 Millionen Euro war für diese Saison schon eingespeist – damit sollte eine „wettbewerbsfähige Mannschaft“ zusammengestellt werden. Dafür verantwortlich waren natürlich zuerst Horst Heldt (mittlerweile weg), Kaderplaner Frank Aehlig (der im Januar dem Geißbockheim den Rücken kehrte) und Wehrle, der die Vertragsbedingungen aushandelt und absegnet. Und auch hier fällt eine Bilanz ernüchternd aus: Einzig Ondrej Duda konnte die Erwartungen erfüllen, der Slowake kostete den FC rund sieben Millionen Euro. Mit 32 Einsätzen in der Bundesliga, sieben Toren und sechs Assists gehört er zu den positiven Erscheinungen in dieser Saison.

Mit Abstrichen fällt auch der vom BVB ausgeliehen Marius Wolf in diese Kategorie, der in 30 Spielen zum Einsatz kam. Der Rechtsfuß musste einige Spiele auf der Position des Rechtsverteidigers absolvieren, was seinen Leistungen offenkundig nicht guttat. Für Sebastian Andersson und Dimitrios Limnios gilt das eher weniger. Beide kosteten zusammen mehr als zehn Millionen Euro. Andersson war mehr verletzt als fit, mit 16 Einsätzen, drei Toren (fünf, wenn wir die Relegation mitzählen) und einem Assist blieb er deutlich hinter den Erwartungen zurück. Der Grieche Limnios blieb bei seinen zwölf – zumeist sehr kurzen – Einsätzen gar ohne Scorerpunkt. Die Leihgeschäfte von Emmanuel Dennis (hohes Gehalt, ohne Bundesliga-Tor), Tolu Arokodare (zehn Joker-Einsätze), Max Meyer (drei Startelfeinsätze, sieben Einwechslungen) und Ron-Robert Zieler (eine Einwechslung) brachten den FC nicht wirklich weiter.

Heldt-Trennung nach Kaderproblemen

Durch den Nicht-Aufstieg des HSV musste der FC sogar noch 200.000 Euro nachzahlen, weil das eine Bedingungen aus der Vertragsauflösung mit Simon Terodde war – im vergangenen Sommer sollte dieser unbedingt von der Gehaltsliste gestrichen werden, um Geld zu sparen. Mit Andersson und Modeste wähnten sich die FC-Verantwortlichen gut aufgestellt. Über weite Strecken der Saison spielte der FC gar ohne wirklichen Zielspieler in der Offensive, Duda musste außerhalb seiner Stammposition eingesetzt werden. Modeste, nach wie vor mit üppigem Gehalt, ist einer der vielen Leihspieler, die im Sommer ans Geißbockheim zurückkehren – für sie wird auch eine Lösung gefunden werden müssen.

Nun soll in der nahen Zukunft die Jugendarbeit des FC der erste Zulieferer für den Kader sein ­– ein neuer Jugendstil, eher aus der Not heraus geboren und in Krisenzeiten immer ein einfaches Signal nach außen. Eine zentrale Figur im sportlichen Bereich war beim 1. FC Köln eben jener Horst Heldt. Am Sonntag gab der Verein bekannt, dass die Zusammenarbeit beendet wurde. Werner Wolf lieferte dafür die Begründung und sagte: „Wir können mit der Zusammenstellung des Kaders und der sportlichen Entwicklung in der abgelaufenen Saison nicht zufrieden sein.“ Bereits im Vorfeld hatte sich angedeutet, dass der Vorstand bei Heldt zuerst zu einer Entscheidung kommen würde. Dass die Trennung in dieser Form gerechtfertigt war, darüber kann es eigentlich keine Zweifel geben.

“Es interessiert mich nicht, weil ich glaube, mehr Ahnung davon zu haben.”

Ein Rückblick: Der ehemalige Bundesliga-Profi Heldt betonte während der Saison fast schon mantraartig, dass es für den FC nur um den Klassenerhalt gehe, um keine zu hohen Erwartungen zu schüren. Das taten jedoch weder Fans noch Medien. Mediale Kritik an der Spiel- und Herangehensweise wies er zwischendurch relativ direkt zurück – er könne damit nichts anfangen, weil diese „einfach daneben“ sei. Und dann schob er mit einem Satz nach, der in der FC-Vereinsgeschichte sicherlich seinen Platz haben wird: „Es interessiert mich nicht, weil ich glaube, mehr Ahnung davon zu haben.“

Heldt auch ein Bauernopfer

Heldts Vertrag verlängerte der Vorstand im vergangenen Sommer bis 2023, durch die Trennung dürfte nun eine Abfindung fällig werden. Bevor Heldt im November 2019 eingestellt wurde, fiel er in einer Abstimmung des Gemeinsamen Ausschusses durch. Ein Hauptteil seiner Qualifikation für den Job schien sich lange Zeit dadurch zu speisen, dass er emotional mit dem FC verbunden ist und ein gutes Verhältnis zu Wehrle besaß. Die Entscheidung, auf der Ebene der Geschäftsführung eine erste Veränderung vorzunehmen, kann allerdings auch anders gedeutet werden: Zuletzt gab es immerhin zwei Positivmeldungen, die Heldt sich ans Revers heften konnte. Erstens verpflichtete der FC mit Steffen Baumgart einen neuen Trainer, zweitens schafften die „Geißböcke“ auf den letzten Drücker noch den Klassenerhalt.

Dennoch verfestigt sich der Eindruck, als wäre Heldt weniger als drei Wochen vor der Mitgliederversammlung als Bauernopfer auserkoren worden, um die Gemüter zu besänftigen. Der nun geschasste FC-Sportchef ließ bereits vor dem Relegationshinspiel gegen Kiel durchklingen, längere Zeit keinen Kontakt mehr zum Vorstand gehabt zu haben. Der Mythos, Heldt habe Baumgart als neuen FC-Trainer ausgewählt und verpflichtet, lässt sich auch leicht entkräften. effzeh.com konnte in Erfahrung bringen, dass der FC-Sportchef nach der Gisdol-Entlassung eigentlich seinen Kumpel Thorsten Fink mit einem Zwei-Jahres-Vertrag ausstatten wollte. Erst auf Intervention des Vorstands hin kamen Funkel und schließlich Baumgart.

Auf der nächsten Seite: Der 1. FC Köln präsentiert sich völlig dysfunktional

Mit der Trennung von Heldt wollte der Vorstand vielleicht auch einem gewissen medialen Grundrauschen entgegenwirken, in dem es darum ging, der Geschäftsführung eine gute Bilanz anzudichten. Denn eins muss man den beiden Geschäftsführern lassen: Ihre Drähte zu gewissen Medien in der Domstadt sind kurz, so lässt sich der ein oder andere Spin proaktiv kommunizieren. Denn wie sonst sollte es möglich sein, dass Alexander Wehrle nach wie vor so einen guten Ruf besitzt?

Mit diesem Wissen im Hinterkopf ist es einfacher, die Geschehnisse der letzten Tage besser einzuordnen. Nach der Pressekonferenz zur Heldt-Trennung am Montag, bei der der Vorstand des FC sicherlich keinen guten Eindruck machte, überboten sich Express, KStA und Bild in einem Wettbewerb um das Interview oder den Take, um die Deutungshoheit über die Geschehnisse zu behalten. Heldt, der auf eine Entscheidung über seine Zukunft noch am Sonntag gedrängt hatte, gab die Trennung dann nach außen. Beratermogul Volker Struth und Ex-Trainer Friedhelm Funkel übertrafen sich mit teils haarsträubenden Aussagen, ein Mitglied des FC-Beirats trat zurück, das Bohei war groß.

Sie alle waren mit dem Vorgehen des Vorstands nichts zufrieden, Heldt selbst zeigte sich bockig und trat nach, der Vorstand wehrte sich gegen Vorwürfe – so zumindest die Kurzfassung. Doch eigentlich geht es um etwas ganz anderes: Es geht um die Zukunft des 1. FC Köln und die Frage, wer seine Pfründe verliert. Denn natürlich ist es einerseits legitim und begründet, den Vorstand zu kritisieren, weil er zu wenig geleistet hat. Andererseits wird es dem FC nicht weiterhelfen, wenn Personen wie Struth mehr Einfluss bekommen.

Doch wer könnte langfristig ein möglicher Heldt-Nachfolger werden – und wer würde einen solchen überhaupt aussuchen?

Der FC-Vorstand hat solche Fragen offenbar komplett an das Kompetenzteam Sport mit Jörg Jakobs und Erich Rutemöller ausgelagert, weswegen es keine Überraschung ist, dass Jakobs bis auf Weiteres das Amt vorerst zusammen mit Thomas Kessler übernimmt. Für beide stehen große Aufgaben an: Der FC wird Transfererlöse brauchen, um überhaupt aktiv werden zu können, Spieler wie Ellyes Skhiri, Sebastiaan Bornauw und Ismail Jakobs müssen verkauft, Jugend- und Perspektivspieler sinnvoll eingebunden werden. Jakobs wollte zwischendurch auch als Vizepräsident kandidieren, mittlerweile hat er also einen anderen Posten bekommen.

Der 1. FC Köln präsentiert sich völlig dysfunktional

Wehrle und Heldt waren trotz schlechter Arbeit und diversen Notlagen lange Zeit in einer guten Position: Sie konnten einen zaudernden und zögernden Vorstand vor sich hertreiben, weil dieser schlichtweg die nötige Konsequenz vermissen ließ. Wolf und Co. schienen eher besorgt, dass Wehrle und Heldt gehen könnten – dies wäre nämlich damit verbunden, dass sie selbst Verantwortung übernehmen. Doch davor scheuten sie sich lange Zeit ganz eindeutig, die Trennung vom Sportgeschäftsführer immerhin zeigt, dass sie doch aktiv werden können – Störgeräusche inklusive. Stellt man sich diesen Text wie einen Rundgang durchs Geißbockheim vor, bei dem man zwischenzeitlich mal einen Blick die Büros des Vorstands und der Geschäftsführung wirft, findet das Kopfschütteln eigentlich kein Ende. Im Sommer 2021 präsentiert sich der 1. FC Köln führungs-, konzept- und planlos – und leider völlig dysfunktional.

Der Klassenerhalt auf den letzten Drücker scheint den Niedergang des Vereins nur kurzfristig zu verhindern. Blickt man auf die Entwicklungen der beiden Absteiger Schalke und Werder Bremen, überrascht es eigentlich nicht, dass beide in der kommenden Saison in der 2. Bundesliga antreten müssen. Beide eint, dass sie ihre Legitimation in erster Linie aus Erfolgen in der Vergangenheit ziehen – etwas, das beim FC auch nicht gänzlich unbekannt ist. Mit dem Einzig in die Europa League 2017 hatten die Kölner eigentlich eine ideale Ausgangsposition, um sich nachhaltig in der Bundesliga zu etablieren. Vier Jahre, einen Abstieg und einen Klassenerhalt in letzter Minute später muss man konstatieren: Diesen Vorsprung hat der Verein nicht genutzt.

Seit geraumer Zeit nur noch im Krisenzustand

Dabei half es auch nicht, den sportlichen Misserfolg durch kommunikative Kampagnen und sündhaft teure Vertragsverlängerungen positiv zu besetzen, weil man ja eigentlich nur noch stärker zurückkehren würde – das eigene Scheitern zum Erfolg umzudichten ist eine bis dato ziemlich einmalige Herangehensweise. Der „Betriebsunfall“ (Zitat Toni Schumacher) sollte mit viel Geld repariert werden, darunter leiden die „Geißböcke“ heute noch. Seit dem Wiederaufstieg 2019 befand sich der FC eigentlich fortdauernd im Krisenzustand, Personalbewegungen im sportlichen Bereich waren die Folge.

Das alles hätten Gründe für eine Generalüberholung sein können, nicht aber in Köln. Hier dachte man sich offenbar: Das Stadion ist immer voll, der Verein hat über 100.000 Mitglieder und eine eigene Dokumentarserie, verkauft jede Menge Fanartikel – eigentlich läuft doch alles gut beim FC. Diese etwas eigenwilligen Bewertungskriterien können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eigentlich seit Jahren bergab geht. Der Mangel an Kritikfähigkeit ist am Geißbockheim daher wohl das größte Übel, mit dem sich alle – von Entscheidern über Medien, Umfeld, Fans und Mitgliedern – auseinandersetzen müssen. Entscheidungen im operativen Geschäft, die positive oder negative Folgen haben können, werden allerdings immer noch von Verantwortlichen am Geißbockheim getroffen.

Foto: imago images / Chai v.d.Laage

Das ist auch noch aus einem anderen Grund wichtig: In der nahen Zukunft, nicht unwesentlich durch die Corona-Pandemie angetrieben, steht der 1. FC Köln vor Richtungsentscheidungen, die die Geschicke des Klubs bestimmen werden. Möchte der Verein weiterhin ein mitgliedergeführter, demokratischer Traditionsverein mit einem gewissen sportlichen Anspruch bleiben? Oder wird der FC den gleichen Weg nehmen wie zum Beispiel der 1. FC Kaiserslautern? Welche Rolle soll externes Geld dabei spielen, welchen Raum bekommt der Spin eines Volker Struth? Kritiker der Satzung bringen häufig das Argument, es bräuchte nur ein wenig mehr Geld und schon sei der FC sportlich erfolgreich – das greift allerdings viel zu kurz. Das Mehr an Geld, das der FC durch einen Anteilsverkauf erlösen könnte, würden Geschäftsführer wie Alexander Wehrle oder Horst Heldt in Windeseile verbrennen.

Aus dem Schneider ist der FC noch lange nicht

Deswegen ist es wichtig, dass die Mitglieder des Vereins sich auf der Mitgliederversammlung Gehör verschaffen und diese Fehlentwicklungen ansprechen. Zwar wird es auf einer digitalen Veranstaltung nicht einfach, aber es wird wichtig bleiben, nach wie vor Druck auf den amtierenden Vorstand auszuüben, der sich zwei Jahre lang in lähmender Trägheit durch die Amtszeit lavierte. Aus dem Schneider ist der FC trotz des Klassenerhalts noch lange nicht.

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