Eintracht Frankfurt? Celtic Glasgow? AS Rom? Nein, für Dejan Ljubicic heißt die nächste Karrierestation 1. FC Köln. Der 23 Jahre alte Mittelfeldspieler wechselt im Sommer von Rapid Wien ablösefrei zum 1. FC Köln, der Kapitän des österreichischen Traditionsvereins unterschreibt bei den „Geißböcken“ einen Vierjahresvertrag bis 2025 – unabhängig, ob der abstiegsbedrohte Bundesligist auch in der kommenden Saison noch erstklassig vertreten ist oder nicht. „Es freut uns sehr, dass wir Dejan davon überzeugen konnten, zum FC zu wechseln. Er hat eine unglaublich starke Saison gespielt und Rapid Wien mit seinen 23 Jahren bereits als Kapitän aufs Feld geführt“, schwärmt FC-Sportgeschäftsführer Horst Heldt von den „herausragenden Qualitäten“, die Ljubicic ab Sommer in Köln einbringen soll.
„Ich habe mich bewusst früh für den 1. FC Köln entschieden“, betont der defensive Mittelfeldspieler in der Pressemitteilung des Vereins. „Das ist ein großer Traditionsclub, und unabhängig davon, in welcher Liga der FC spielen wird, hat mir Horst Heldt eine sehr gute Perspektive aufgezeigt. Das ist der nächste richtige Schritt für mich, um mich fußballerisch und menschlich weiterzuentwickeln“, so Ljubicic, dessen Vertrag bei Rapid Wien nach dieser Saison ausläuft. In einem Videointerview auf dem Youtube-Kanal des österreichischen Vizemeisters ergänzt der 23-Jährige: „Es war eine sehr schwierige Entscheidung, ich hatte eine enorm schöne Zeit hier. Mit Köln kommt eine sehr herausfordernde Gelegenheit auf mich zu, der Club tickt ähnlich wie Rapid.“
Ein “echter Wiener” als Identifikationsfigur bei Rapid
Nicht nur der Blick auf die Konkurrenz, die der FC aus verschiedensten Gründen ausstechen konnte, zeigt, dass den „Geißböcken“ offenbar ein kleiner Transfercoup gelungen ist. Auch die kaum verhohlene Enttäuschung, die aus der Reaktion der Rapid-Verantwortlichen herauszuhören ist, spricht für eine interessante Verpflichtung. „Ich hätte mir – so wie die meisten – einen anderen Verein erwartet. Aber das ist allein Dejans Sache“, sagte beispielsweise Rapids Sportdirektor Zoran Barisic angesprochen auf den Abgang seines Schützlings. Statt Europapokal in seinem Heimatverein zieht das Hütteldorfer Eigengewächs eine noch unsichere Zukunft in Köln, wo bisher weder eine Entscheidung über die Ligazugehörigkeit noch eine über den zukünftigen Trainer gefallen ist, vor. Als Zeichen, der FC plane fix mit Ljubicics Landsmann Peter Stöger an der Seitenlinie, dient der erste externe Neuzugang für die Spielzeit 2021/22 jedenfalls nicht.
Dass die Enttäuschung bei Rapid über den Abgang des ehemaligen Juniorennationalspielers groß ist, hat gleich mehrere Gründe. Nach Stefan Schwab ist Ljubicic der zweite Kapitän innerhalb eines Jahres, der die Grün-Weißen ablösefrei verlassen wird. Rapid wird also finanziell nicht von den „herausragenden Qualitäten“ (Heldt) seines Eigengewächses, der nach dem Abgang des bisherigen Spielführers dessen Rolle einnahm, profitieren können. Dazu verlässt ein bei der enthusiastischen Anhängerschaft der Wiener enorm beliebter Spieler den Verein – mit seinem Werdegang ist der in der österreichische Hauptstadt geborene Sohn zweier bosnischer Kroaten, die in den neunziger Jahren vor dem verheerenden Krieg in ihrer Heimat fliehen mussten, eine Identifikationsfigur für die Fans. „Rapid ist eine Familie für mich. Als ich mit zehn Jahren hierhin gekommen bin, wollte ich unbedingt Profi werden“, betonte Ljubicic in seinem Abschiedsstatement.
In Favoriten aufgewachsen, mit zehn Jahren zu Rapid
“Ich bin ein echter Wiener. Meine Familie ist froh, in Österreich Frieden und eine neue Heimat gefunden zu haben“, unterstrich der Jungprofi einst in einem Interview. Frieden und eine neue Heimat für eine fußballverrückte Familie: Dejans Vater Zoran spielt als Stürmer für zahlreiche österreichische Vereine auf Amateurlevel und ist auch der Antreiber für die Karriere seines Sohns. „Von ihm habe ich auch die Einstellung, immer zu kämpfen und hart zu arbeiten“, so der Rapid-Kapitän, dessen ersten Gehversuche im Fußball allerdings nicht bei den Grün-Weißen stattfinden. „Ich bin in Favoriten aufgewachsen und denke mit einem breiten Grinsen an die Zeit zurück. Wir spielten Fußball im Käfig, hatten keine Handys und sahen uns trotzdem jeden Tag. Mein jüngerer Bruder Robert und ich spielten beim FavAC“, schilderte Ljubicic seine Kindheitseindrücke: „Erst als ich mit zehn Jahren zu Rapid wechselte, zogen meine Eltern nach Niederösterreich, westlich von Wien.“
“Rapid ist eine Familie für mich. Als ich mit zehn Jahren hierhin gekommen bin, wollte ich unbedingt Profi werden”
Es war nicht der ersten Anlauf, den die Hütteldorfer beim ihm wagten, der beim FavAC als Stürmer unterwegs war. „Bei einem Turnier hat mich Rapid entdeckt und wollte mich unbedingt holen. Aber damals hat es noch nicht gepasst. Später hat sich meine Familie dann ein Haus in Pressbaum gekauft und dann habe ich das Angebot aus Hütteldorf gerne angenommen“, schildert Ljubicic. Und ab der U10 durchläuft der talentierte Youngster alle Jugendmannschaften der Grün-Weißen, schafft als Mittelfeldspieler den Sprung in die Juniorennationalmannschaften und gilt als eine der größten Hoffnungen im Nachwuchsbereich des Traditionsvereins. Mit 18 wird er Kapitän in der zweiten Mannschaft, hat mit seiner Spielintelligenz und seiner Ruhe auf dem Platz im zentralen defensiven Mittelfeld seine Heimat gefunden. „Ich habe das Geschehen gern vor mir“, sagt Ljubicic, dessen Vorbilder Sergio Busquets, Andrea Pirlo und Luka Modric sind. Sein Herz schlägt neben Rapid noch für den FC Barcelona.
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Sein sportlicher Aufstieg durch die Rapid-Reihen scheint schier unaufhaltsam: Im Sommer 2017 erhält Ljubicic einen Profivertrag bei seinem Herzensverein, der „Mittelfeldspieler mit großem Potenzial“ wird allerdings direkt zum Zweitligisten Wiener Neustadt verliehen. Dieses Gastspiel ende jedoch bereits nach sieben Spielen, das Toptalent wird aufgrund von Verletzungsnöten beim Stammverein nach Hütteldorf zurückbeordert. Und hat dennoch in der kurzen Zeit mächtig Eindruck gemacht. „Großartiger Spieler, großartiger Mensch“: Solch Lobeshymnen werden auch in Österreich nicht jedem Leihspieler hinterhergeschickt. Bei Rapid feiert Ljubicic am sechsten Spieltag gegen den LASK sein Bundesliga-Debüt und etabliert sich bei den Grün-Weißen schnell als Stammspieler. Ruhig am Ball, spielintelligent und zielstrebig bei der Balleroberung: Seine Fähigkeiten sind kaum zu übersehen. Einer steilen Karriere steht offenbar nichts mehr im Weg – so scheint es jedenfalls.
Ljubicic schreibt weiter Schlagzeilen, allerdings diesmal nicht sportlich und alles andere als positiv. Im Dezember 2017 wird er im bosnischen Städtchen Kiseljak gemeinsam mit einem anderen österreichischen Fußballer aufgegriffen, als sie Flaschen gegen die ortsansässige Moschee werfen. Ein Vorfall, der in Österreich heftige Kritik hervorruft und von seinem Verein aufs Schärfste verurteilt. “Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist und kann mich nur entschuldigen und versichern, dass mir dieser Fehler sehr leid tut”, erklärt der reumütige Sünder danach öffentlich. Bereits am Tag nach dem Vorfall habe er beim Imam in der Moschee um Entschuldigung gebeten. „Ich habe eine große Dummheit begangen und kann mich an gar nichts erinnern. Ich hatte einen kompletten Blackout und hatte mich selbst nicht mehr unter Kontrolle. Das war nicht ich und so etwas wird mir niemals wieder passieren. Es tut mir leid, das ist mir eine große Lehre für die Zukunft. Ich verspreche: So etwas wird sich niemals wiederholen!“
Wechsel zu MLS-Club Chicago Fire platzt
Rapid gibt dem aufstrebenden Talent, das versprach, den verursachten Schaden an der Moschee finanziell ebenso wiedergutzumachen wie die entstandenden Kratzer an seinem Image, eine zweite Chance. Auch weil Ljubicic so gar nicht dem Klischee eines Enfant terribles entspricht. Ganz im Gegenteil sogar: Bei Rapid loben sie Ljubicic trotz dieser Eskapade für seine fußballerischen Fähigkeiten und seinen Charakter gleichermaßen, der junge Wiener wird stets als respektvoll, höflich und ruhig beschrieben. Ein fröhlicher Typ, kein Lautsprecher oder Marktschreier. Jemand, der auf dem Platz seine sportlichen Qualitäten für sich sprechen lässt. Und neben dem Feld viel Wert auf seine Familie und seinen Glauben legt. „Ich war schon immer ein sehr ruhiger Typ. Das ist manchmal auch gut so – vor allem bei Rapid“, sieht er sich als Ruhepol inmitten eines stürmischen Clubs, der auch dank der Leistungen des 1,89 Meter großen Abräumers nach schwächeren Jahren wieder an die Spitze des österreichischen Fußballs vorstößt.
“Ich war schon immer ein sehr ruhiger Typ. Das ist manchmal auch gut so – vor allem bei Rapid.”
In der Europa League schießt Ljubicic Rapid 2018/19 in die Runde der letzten 32, 2020 werden die Hütteldorfer in einer schwierigen Saison Vizemeister – und können dabei auf die Qualitäten des Rechtsfußes bauen, obwohl der junge Mittelfeldspieler beinahe den Absprung gewagt hätte. Im Winter buhlt Chicago Fire um seine Dienste, etwas weniger als drei Millionen Euro will der MLS-Club an Rapid überweisen. Doch der bereits perfekt gemachte Deal scheitert – aus dubiosen Gründen, denn Ljubicic fällt bei den US-Amerikanern aufgrund einer vermeintlichen Kreuzbandverletzung durch den Medizincheck. Nach der Rückkehr zu Rapid ergeben weitere Untersuchungen: Fehlalarm, keine Knieblessur beim umworbenen Eigengewächs, das nun weiter für die Grün-Weißen aufläuft. „Ich war schon enttäuscht, dass das nicht geklappt hat, aber nach ein, zwei Wochen hatte ich das schon vergessen und mich nur auf Rapid konzentriert“, schilderte Ljubicic einige Zeit nach dem geplatzten Wechsel und betont später: “Ich bin froh, dass es nicht geklappt hat.”
Kapitän bei Rapid Wien? “Eine große Ehre für mich”
Auch weil er bei seinem Heimatverein mehr und mehr zum Führungsspieler wird, im Mittelfeld der Grün-Weißen zur unverzichtbaren Größe avanciert. „Er ist extrem stark und ruhig für ein Spieler seines Alters. Ganz besonders, wenn es um den Spielaufbau geht“, heißt es in einem Scoutingbericht aus der Saison 2019/20, der Ljubicics Spielweise mit der von Barcelonas Star Frenkie de Jong vergleicht. Kaum verwunderlich, dass Rapid nach Schwabs Abgang im Zentrum bedingungslos auf seinen wohl talentiertesten Spieler setzt. So sehr, dass Ljubicic im Sommer 2020 zum Kapitän ernannt wird. Eine große Ehre für das Eigengewächs, das seit der U10 für die Hütteldorfer kickt und sich seinen Traum von der Profikarriere beim eigenen Verein erfüllen konnte. „Ich will mehr Präsenz als Führungsspieler zeigen“, nimmt der 23-Jährige die Spielführerbinde als weiteren Motivationsschub, betont aber auch: „Das Wichtigste ist, dass ich meine Leistungen bringe, daran werde ich arbeiten.“
Und das gelang Ljubicic, dessen Vertrag bei Rapid nur bis Sommer 2021 läuft, eindrucksvoll: Mit den Grün-Weißen sorgt er national wie international für Furore, das Team wie auch der Mittelfeldmann spielen eine starke Runde. Ljubicic wird, auch wenn ihn sowohl die Wechselgerüchte als auch ein Bänderriss im Sprunggelenk durchaus hemmen, erstmals zur A-Nationalmannschaft eingeladen. Auch privat erlebt Ljubicic eine gute Zeit, heiratet er doch im Oktober 2020 seine Freundin. Das „Ja“-Wort für seinen Verbleib bei Rapid, das gibt es allerdings nicht. Bereits im Winter ist klar, dass der Mittelfeldspieler seinen Vertrag nicht verlängern und die Hütteldorfer ablösefrei verlassen wird. Es brodelt in der Gerüchteküche, Mitte April soll er sogar unter der Woche zu Verhandlungen nach Italien gereist sein. Die Serie A hatte Ljubicic schon einmal als seine Lieblingsliga angegeben. Doch am Ende bekommt der FC den Zuschlag – und bekommt einen in sich ruhenden Mittelfeldmann, der von einem emotionalen Traditionsverein zum nächsten wechseln wird. Rapids Ruhepol aus der eigenen Jugend: Er wirkt demnächst in Köln als „Geißbock“.