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Neuzugang Birger Verstraete: Ein belgischer Büffel für die Schaltzentrale des 1. FC Köln

Foto: 1. FC Köln

„Guten Tag, ich bin Birger“ – mit diesen Worten stellte sich Birger Verstraete den Fans des 1. FC Köln vor. Auf dem belgischen Mittelfeldspieler ruhen in den Planungen der „Geißböcke“ große Hoffnungen, soll der 25-Jährige von der KAA Gent doch das seit Längerem beim effzeh klaffende Loch in der defensiven Schaltzentrale schließen. Dafür greifen die Verantwortlichen um Armin Veh abermals tief in die Tasche: Rund 3,5 Millionen Euro sind den Kölnern dem Vernehmen nach die Dienste des Nationalspielers aus dem Nachbarland, der für den Wechsel ins Rheinland lukrative Angebote des FC Watford und aus der französischen Ligue 1 ausschlug, wert.

„Birger ist ein intelligenter, dynamischer und robuster Spieler mit sehr gutem Passspiel, der in der Mittelfeld-Zentrale sowohl auf der Sechs als auch auf der Acht zu Hause ist. Er war absoluter Stammspieler in Gent und kann uns mit seiner Qualität und Erfahrung sofort weiterhelfen, ohne schon am Ende seiner Entwicklung zu sein“, schildert FC-Sportgeschäftsführer Armin Veh die Beweggründe der Verpflichtung des im auch bei Kölnern beliebten Urlaubsort Ostende an der Nordseeküste groß gewordenen Mittelfeldmanns.

Verstraete: “Der FC hat in Belgien einen ausgezeichneten Ruf”

Auch Verstraete freut sich auf die zukünftige Herausforderung bei seinem neuen Club: „Der Wechsel zum 1. FC Köln und in die Bundesliga kommt für mich zum richtigen Zeitpunkt. Der FC ist ein Traditionsclub mit begeisterungsfähigen, treuen Fans, der in Belgien einen ausgezeichneten Ruf hat. Nach den Gesprächen mit den Verantwortlichen war mir klar, dass ich den Schritt nach Köln unbedingt gehen möchte. Ich bin sicher, dass ich gut hierher passe.“

Gut hierhin passen – das ist in der Mittelfeldzentrale des 1. FC Köln auch dringend angedacht. Vor der Abwehr haperte es in den vergangenen Spielzeiten zunehmend bei den „Geißböcken“. Mit seiner aggressiven und ballorientierten Spielweise dürfte Verstraete daher eine ideale Ergänzung für das System des neuen effzeh-Trainers Achim Beierlorzer sein. Als unangenehmer Gegenspieler gilt der robuste Belgier, der sich trotz seiner geringen Körpergröße durchaus Respekt in den direkten Duellen verschafft. Furchtlos mit und gegen den Ball: So ungefähr dürfte Verstraetes Motto auf dem Platz lauten.

Wenn ich auf dem Platz bin, gebe ich immer 200 Prozent!

„Wenn ich auf dem Platz bin, gebe ich immer 200 Prozent“, erklärte der Rechtsfuß bei seiner Vorstellung. „Ich bin gerne am Ball und setze den Gegner früh unter Druck, wenn wir nicht am Ball sind. In die Zweikämpfe gehe ich immer mit 200 Prozent, das gefällt mir sehr“, so der 25-Jährige, dessen Karriere zuletzt in Gent enormen Schwung verliehen bekam. Mit seinen Leistungen in der Schaltzentrale der „Büffel“ schaffte er sogar den Sprung in die belgische Nationalmannschaft – im September 2018 gab Verstraete beim Freundschaftsspiel in Schottland sein Debüt für die „Roten Teufel“.

Debüt für die Nationalmannschaft – viele Tipps von Witsel

Als Alternative zu Axel Witsel vor der Abwehr wollte Bondscoach Roberto Martinez den passsicheren und kampfstarken Mittelfeldmann testen – eine Einfahrung, die er sicherlich so schnell nicht vergessen wird. “Es ist verrückt, die Qualität und das Tempo sind einfach unglaublich. Man muss viel schneller denken. Ich hatte noch nie zuvor solche Trainingseinheiten”, schwärmte er nach den ersten Einheiten und versuchte sich viel abzuschauen von Stars wie eben jenem Witsel, der derzeit in der Bundesliga bei Borussia Dortmund für Furore sorgt. Fünf Minuten durfte er dann beim 4:0-Sieg seiner Jungs im Testspiel auf der Insel sein Können demonstrieren.

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Fünf Minuten, die Verstraete enorm gefreut haben. „Nach diesem Match war ich besonders glücklich. Und stolz: Das Trikot sieht in meinem Schrank toll aus, das nehmen sie mir nicht mehr weg“, betonte er nach seinem Debüt. „Ich kann mich immer noch im Vereinsheim sitzen sehen – voller Freude, dass die ‘Roten Teufel’ die Brasilianer besiegten. Ich hatte noch nie eine Weltmeisterschaft so intensiv verfolgt. Drei Monate später war ich selbst einer von ihnen, ich teilte die Umkleidekabine mit denselben Spielern und gab mein Debüt. Da kneifst du dich und denkst: Wow!“

Auf der nächsten Seite: Die Anfänge als Toptalent und der jähe Karriereknick in Brügge

Bis Verstraete diesen Meilenstein allerdings erreichen konnte, lag ein weiter und nicht immer sonderlich geradliniger Weg hinter dem fußballbegeisterten Belgier, der bereits früh im Fokus der Spitzenclubs stand. Seine ersten Meriten verdiente sich Verstraete in seiner Heimatstadt, beim KV Oostende. Die PSV, der RSC Anderlecht, der FC Brügge: Sie all standen früh Schlange, um den hochtalentierten Jungen von der Nordseeküste unter Vertrag zu nehmen. Doch erst mit 15 Jahren verlässt Verstraete sein Zuhause und wechselt nach Brügge – auch weil der heimatverbundene Familienmensch und selbsterklärte „Familienfan“ dadurch weiter im eigenen Bett schlafen kann.

Noch heute ist die Verbindung zu seinem Stiefvater, der ihn einst in der Jugend trainierte, und ganz besonders seiner Mutter sehr eng: „Ich muss mich wohl fühlen, damit ich mich irgendwo zurechtfinde“, schildert Verstraete. Mehrmals in der Woche ist er auch in seiner Phase bei der KAA Gent zuhause, um sich kulinarisch verwöhnen zu lassen. Es möge kitschig klingen, so der Fußballspieler, aber: „Vor einem Spiel spreche ich immer noch einmal mit meiner Mutter. Auch nach dem Spiel ist sie die erste Person, die mich anruft.“

Hoch geflogen, tief gefallen: Verstraetes Karriereknick

In Brügge läuft derweil erst einmal alles nach Plan für Verstraete, der nach seiner Anfangszeit als Spielmacher hinter den Spitzen im zentralen Mittelfeld immer defensiver eingeplant wird. Bereits mit 18 Jahren gibt der Stratege sein Debüt in der Profimannschaft der Blau-Schwarzen, sogar in der Europa League wird er eingesetzt. Doch sein Höhenflug wird jäh gestoppt, Probleme mit Brügge-Coach Michel Preud’homme sorgen für einen Karriereknick beim talentierten Mittelfeld-Youngster. „Es ging alles zu schnell und zu einfach. Ich dachte, ich wäre unantastbar“, schildert Verstraete diese Phase in seiner Laufbahn: „Das ist wie ein Bumerang zurückgekommen.“

Es ging alles zu schnell und zu einfach. Ich dachte, ich wäre unantastbar!

Er verlässt sich zu sehr auf sein Talent, gerät immer wieder mit der belgischen Torwartlegende, die sein Trainer beim Spitzenclub ist, aneinander – und muss dann die Koffer packen. „Ich hatte immer gehört, wie schwierig es ist, Fußballprofi zu werden. Und plötzlich war ich es, ohne viel dafür tun zu müssen. Alles verlief natürlich. Ich habe mein Talent genutzt und auch gespielt: Ich war Stammspieler beim FC Brügge. Bis ich mit dem Kopf vor die Wand gelaufen bin und der Verein mich nach Mouscron geschickt hat“, so Verstraete. Ausgeliehen. Ausgerechnet nach Mouscron, die damals eine Kooperation mit dem OSC Lille haben und sogar in der nordfranzösischen Stadt trainieren.

Die dunkelste Zeit in Verstraetes bisherigen Karriere: Anpassungsprobleme mit den französisch sprechenden Teamkollegen, Anpassungsprobleme in einem Team, das offensichtlich mehr als unrund zusammengestellt wurde. Der einst hochgelobte Youngster fühlt sich wie das fünfte Rad am Wagen. „Es war die Hölle“, sagt er deutlich. „Ich bin jeden Tag 128 Kilometer von Ostende nach Lille und zurück gefahren. Der Kader bestand fast aus Spielern der zweiten Mannschaft in Lille, ihr französischer Trainer verstand die Flamen nicht. Der einzige Grund, warum ich und einige andere dort waren, war, dass Mouscron sieben Belgier auf dem Spielbericht haben musste“, erklärt Verstraete.

Ein Weckruf zur richtigen Zeit

Für ihn ein Weckruf zum richtigen Zeitpunkt: „Ich habe oft gedacht: Es reicht! Aber in solch schwierigen Zeiten erkennt man vieles bei sich. In diesem Jahr in Mouscron wurde mir klar, dass sich die Dinge ändern mussten“, so der einstige Junioren-Nationalspieler, dessen Idol Andres Iniesta ist. Nach der Horrorsaison in Mouscron soll ein Neustart her: „Es war fünf vor zwölf. Als junger Spieler kannst du eine Saison verlieren, aber nicht zwei. Dann giltst du als ewiges Talent und das wollte ich nicht“, betont Verstraete. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und drückte den Resetknopf. Jetzt werde ich allen Zweiflern zeigen, dass sie einen Fehler gemacht haben!“

Auf der nächsten Seite: Der Neustart in Kortrijk und die private Seite des FC-Neuzugangs

Die Konsequenz: Vertragsauflösung in Brügge, Wechsel nach Kortrijk. Dort nimmt Verstraetes Karriere wieder Fahrt auf, er spielt sich nach Startschwierigkeiten zunehmend zurück in den Fokus der großen Clubs. Nach anderthalb Jahren kommt der Lohn für den Neustart: Die KAA Gent holt im Winter 2017 den talentierten Mittelfeldmann in den Nordwesten Belgiens. Auch dort braucht Verstraete etwas Anlaufzeit, verlässt sich wieder zu sehr auf seine Begabung – und hat einen Trainer, der ihn eher auf der Außenbahn denn im Zentrum sieht. Doch als er mit Yves Vanderhaeghe einen Coach bekommt, der auf ihn setzt und ihm neues Selbstbewusstsein einflüstert, zahlt der kampfstarke Mittelfeldspieler das Vertrauen zurück.

In dieser Phase macht es “klick” beim einstigen Toptalent. „Ich habe lange Zeit viel gemacht, ich fand mich besser als die anderen. Aber ich habe gelernt, demütig zu sein, und ich versuche, mich durch harte Arbeit zu verbessern. Wenn Sie hart genug arbeiten, werden Sie eines Tages belohnt. Das glaube ich wirklich“, betont Verstraete, der sich seit seiner Zeit in Mouscron auf Anraten seines Stiefvaters mit philosophischen Themen beschäftigt. Auf dem Platz gilt er als „Biest“, neben dem Platz dagegen ist der Belgier eher ruhig. Mit seinen Freunden aus Kindheitstagen macht er sich am liebsten einen entspannten Abend.

Meeresfan, Pferdenarr: Die private Seite des Birger Verstraete

Es ist seine Heimatverbundenheit, die Verstraete prägt. „Ich greife gerne auf das zurück, was ich kenne“, erklärt Verstraete sein Wesen. „Ich bin kein schwieriger Junge und benehme mich freundlich gegenüber allen, aber wie meine Mutter manchmal sagt: Ich bin nicht der geselligste Typ“, so der Mittelfeldspieler, den es gerne ans Wasser zieht. „Das Meer wird mich niemals verlassen. Wir lebten 100 Meter vom Strand entfernt. Wenn das Wetter schön war, bin ich früh aufgestanden und habe stundenlang mit meinen Freunden auf dem harten Sand Tennis gespielt“, erzählt er aus seiner Jugend und berichtet von seiner riesigen Leidenschaft für Pferde. Ausgedehnte Strandspaziergänge mit den Tieren standen oft auf dem Programm bei ihm, früher wohnte er sogar in der Nähe einer Reitschule. Ein großes Talent sei allerdings, so sagt er mit einem Lächeln, an ihm nicht verloren gegangen.

Foto: YORICK JANSENS/AFP/Getty Images

Im Fußball ist dies allerdings anders: Seine Leistungen beim KAA Gent brachten ihn in den Fokus internationaler Clubs. Und so schlägt er nach zweieinhalb Jahren in Gent seine Zelte erstmals im Ausland auf. Schon im Herbst hatte er angedeutet, dass sein nächster Schritt ihn aus Belgien weg führen dürfte. Ein Karrieresprung, der nur allzu verständlich ist: Auch im Hinblick auf die Nationalmannschaft scheint ein Wechsel in die Bundesliga der Entwicklung des Birger Verstraete zu entsprechen. „Köln ist ein Traditionsverein, ein ambitionierter Club mit tollen Fans. Die Voraussetzungen für eine tolle Saison sind vorhanden, daher ist mir die Entscheidung nicht schwer gefallen. Ich bin froh, hier zu sein“, sagte er bei seiner Vorstellung bei den „Geißböcken“.

Ein tadelloser Wettkämpfer mit großem Herz

Ob auch die effzeh-Fans froh sein können über diesen Transfer? Das wird sich erst einmal zeigen müssen. Doch die Kölner dürfen sich auf einen tadellosen Wettkämpfer freuen, der sich in jeden Ball wirft. Nach einer Knöchelverletzung gefragt, ob er nun etwas vorsichtiger zu Werke gehen würde, antwortete Verstraete, der sich in jeder Lebenslage als „schlechten Verlierer“ charakterisiert: „Wenn ich mich fragen würde, ob ich mich zurückhalten sollte, würde ich 20 Prozent meiner Qualitäten verlieren“, so der 25-Jährige. Das sind Sätze, die jeder Kölner gerne hören wird. Und Sätze, die die Fans in Gent bestätigen können. Ein kampfstarker „Büffel“ aus Belgien für die Schaltzentrale – es gibt schlimmere Vorschusslorbeeren.

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