Vor vier Tagen kannte im Umfeld des 1. FC Köln niemand den Namen Toluwalase Emmanuel Arokodare. Vor vier Tagen war eben jener Tolu Arokodare ein nigerianischer Nobody, der trotz 15 Toren in der 16 Spielen der lettischen Virsliga wohl nur ausgeprägten Football-Manager-Nerds etwas sagte. Wenige Tage später ist der 19 Jahre alte Angreifer auf der großen Bühne angekommen, trainierte erstmals seit seinem Leihwechsel vom lettischen Erstligisten Valmiera FC mit seiner neuen Mannschaft. „In der Bundesliga und für den FC zu spielen – da geht für mich ein Traum in Erfüllung“, strahlte Arokodare schon bei seiner Verpflichtung mit der Kölner Septembersonne um die Wette.
Überraschend kam der Wechsel des treffsicheren Mittelstürmers für viele Beteiligten. Der FC hatte nach den Abgängen von Jhon Cordoba und Simon Terodde mit Sebastian Andersson einen neuen Angreifer verpflichtet, hielt aber dennoch noch Ausschau nach Verstärkungen für die „Abteilung Attacke“. Für eine Leihgebühr von 300.000 Euro, so berichtet der „kicker“, sicherte sich Horst Heldt die Dienste Arokodares, laut lettischen Medien soll darüber hinaus eine Kaufpflicht bestehen. „Tolu ist ein junger, entwicklungsfähiger Stürmer, der viele gute Eigenschaften mitbringt: Er ist athletisch, kopfballstark und schnell. Natürlich wird er sich an das Bundesliga-Niveau gewöhnen müssen. Dabei ist von Vorteil, dass er im Spielrhythmus ist und voll motiviert zu uns kommt“, erklärte der FC-Sportgeschäftsführer anlässlich der Verkündung des Transfers.
15 Tore in 16 Spielen: Ein steiler Aufstieg des Angreifers
Und wie der 1,97 Meter große Sturmhüne im Spielrhythmus ist: In 16 Partien der Virsliga, die er für Valmiera FC absolvierte, knipste Arokodare satte 15 Mal. Zur Einordnung: Der Torschützenkönig der Vorsaison, Darko Lemajic, kam in der kompletten Spielzeit auf dieselbe Anzahl an Treffern. Bereits 2019 hatte Arokodare im Trikot des Vereins aus dem lettischen Norden in der Nähe der Grenze zu Estland auf sich aufmerksam gemacht: Obwohl von einer Schulterverletzung gehandicapt erzielte er in seinem ersten Jahr in Europa in 16 Spielen sieben Tore. Eine großartige Eingewöhnungszeit schien der junge Nigerianer bei Valmiera FC nicht zu brauchen. „Die Leute hier in Lettland haben es mir einfach gemacht“, resümierte Arokodare im Frühjahr 2020. Die Leistungen des schlaksigen Stürmers hatten großen Anteil daran, dass Valmiera FC als Vierter der Virsliga für die Europa-League-Qualifikation planen konnte.
“Ich glaube, ich bin ein schneller Stürmer mit großen technischen Fähigkeiten. Ich bin beidfüßig und sowohl gut in der Luft als auch am Boden.”
Kopfballstark, schnell in Kopf und Beinen, mit gutem Abschluss: Das sind Qualitäten, die Arokodare dem Vernehmen nach auszeichnen. Qualitäten, aus denen Arokodare auch keinen Hehl macht. “Ich glaube, ich bin ein schneller Stürmer mit großen technischen Fähigkeiten. Ich bin beidfüßig und sowohl gut in der Luft als auch am Boden. Ich kann in jedem System und jeder Formation spielen – als Zielspieler in vorderster Front oder neben einem anderen Stürmer“, beschreibt der junge Angreifer durchaus selbstbewusst sein eigenes Skillset. Ob das Selbstüberschätzung oder Realismus ist, dies kann Arokodare nun auf deutlich höherem Niveau als in Lettland nachweisen. Ein steiler Aufstieg für den im November 2000 in Festac geborenen Angreifer, der Mitte August noch für Negativschlagzeilen bei seinem Verein gesorgt hatte.
Arokodare tritt in Streik nach geplatztem Anderlecht-Wechsel
Was war geschehen? Die Leistungen des treffsicheren Stürmers hatten Begehrlichkeiten geweckt, neben Slavia Prag buhlte auch der RSC Anderlecht um die Dienste Arokodares. Für den 19 Jahre alten Nigerianer die Chance auf einen Karrieresprung, doch die Vereine konnten sich nicht einigen. Der belgische Renommierclub bot Medienberichten zufolge 1,5 Millionen Euro, doch Valmiera FC wollte mehr – zur Enttäuschung des Angreifers, der sich bereits im violett-weißen Trikot sah. Die Folge: Arokodare trat in einen Streik, verweigerte sowohl die Teilnahme am Training als auch am Spielbetrieb. „Unfair“ und „verrückt“ sei es, dass Valmiera seinen Abgang blockiere – schließlich hätten sie den Nigerianer ablösefrei verpflichtet und könnten nun eine Rekordablöse einstreichen. Der Verein blieb cool und erinnerte ruhig Arokodare an den Fünfjahresvertrag, den er 2019 beim lettischen Erstligisten unterschrieben hatte.
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Im Hinterkopf dabei vor allem: Das wichtige Europa-League-Qualifikationsspiel gegen Lech Posen Ende August. Gegen den polnischen Spitzenclub galt Valmiera zwar als Außenseiter, doch mit den Qualitäten Arokodares wäre eine Überraschung wesentlich wahrscheinlicher als ohne den besten Torjäger. Letztlich die große Versöhnung zwischen Verein und Topstar, der am Wochenende vor dem großen Showdown wieder trifft. Doch für die Sensation reichte es gegen Lech Posen in den 90 Minuten nicht. Der ehemalige Kölner Angreifer Mikael Ishak schoss die Polen beim souveränen 3:0-Auswärtssieg in Lettland mit einem Doppelpack in die nächste Runde. Auch in den nächsten beiden Partien bleibt Arokodare ohne Treffer – sein letztes Erfolgserlebnis im Dress des Valmiera FC bleibt das Versöhnungstor des Nigerianers nach dem Streik.
Ob der junge Toluwalase Emmanuel Arokodare als Kind einst davon geträumt hat, in Europa als Fußballer zu reüssieren? Auf jeden Fall scheint sein Weg zum Profikicker im Rückspiegel vorprogrammiert gewesen zu sein. „Das klingt jetzt nach einer witzigen Geschichte, aber mein erstes Wort als Kind war ‘Tor’“, schildert Arokodare einst seine Anfänge. „Ich komme aus einer sportlichen Familie. Mein Vater hat mich dazu gebracht, Fußballer zu werden. Er hat mich angetrieben, hat mich dazu angespornt, in Vereine zu gehen, und mir geholfen, besser zu werden“, erklärt er. Seine Fußballkarriere beginnt in der Kash Academy in Festac, führt ihn im weiteren Verlauf zur International Academy, Flying Sports Academy und zur Box2Box Academy. Arokodare sticht heraus aus dem schier unschöpflichen Pool an jungen Talenten in der nigerianischen Hauptstadt Lagos, läuft sogar für die Jugendnationalmannschaft der „Super Eagles“ auf.
Erfolglos vorgespielt in Freiburg und Toulouse
„Meine Familie hat mich zum Glück großartig unterstützt, wenn es um Fußball ging. Sie haben mir finanziell, aber auch mental sehr geholfen. Sie waren von Beginn an für mich da, das hat eine große Rolle in meiner Entwicklung gespielt. Das hat mich an den Punkt gebracht, an dem ich heute bin“, erzählt Arokodare während seiner Zeit in Valmiera. Seine drei Brüder wären nicht derart unterstützt worden, da Fußball zu der Zeit noch nicht derart groß war. Viel Wert legte sein Vater, ein ehemaliger Leichtathlet, und seine als Händlerin arbeitende Mutter auf die Ausbildung ihres Sohns. „Wir waren nicht reich, aber auch nicht arm. Meine Eltern haben uns die beste Bildung ermöglicht, wir gingen auf Privatschulen“, betont Arokodare, dessen erste Schritte im Profigeschäft allerdings fehlschlagen. Probetrainings in Freiburg und Toulouse bleiben 2018 erfolglos.
Erlebnisse, die den jungen Nigerianer nicht abschrecken. Ganz im Gegenteil: Arokodare nimmt die Absagen als Ansporn, sich zu verbessern und sich weiterzuentwickeln. „Das war eine komplett andere Erfahrung. Europäischer Fußball ist völlig verschieden zum afrikanischen, viel schneller und viel technischer“, erläutert der Nigerianer. „Afrikanischer Fußball ist viel härter, aber in Europa ist es ein ganz anderes Spiel. Es geht nicht darum, wer der härteste oder stärkste Spieler ist – es geht darum, wie clever und schnell du im Kopf bist. Diese Erfahrungen haben mir geholfen, mich bei Valmiera FC schnell zurechtzufinden. Ich glaube nicht, dass es mir ohne diese Probetrainings möglich gewesen wäre, mich derart schnell an den europäischen Fußball zu gewöhnen“, ist sich Arokodare sicher: „Es war nicht mein erstes Mal in Europa, das hat es mir leichter gemacht.“
Ruhig bleiben, hart arbeiten, auf Gott vertrauen
Leicht macht es sich der junge Nigerianer selbst jedoch nicht, wenn man sich seine Ambitionen anschaut. “Ich möchte der beste Spieler werden, der jemals dieses Spiel gespielt hat“, greift der ehrgeizige Angreifer nach den Sternen. „Ich möchte für mein Land spielen, für die Topteams in Europa. Ich möchte Weltmeister werden, die Champions League und den Ballon d’Or gewinnen“, bleibt Arokodare in seiner Zielsetzung bescheiden. Sein Weg dorthin: Ruhig bleiben, hart arbeiten und auf Gott vertrauen. Sein Idol: Victor Osimhen. Der nigerianische Stürmer hatte einst beim VfL Wolfsburg vergeblich versucht, den Durchbruch in der Bundesliga zu schaffen. Über Charleroi und Lille machte er nach dem Abschied aus Niedersachsen dann Karriere: In diesem Sommer legte der SSC Neapel satte 70 Millionen Euro für den 21 Jahre alten Stürmer hin.
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Zahlen, von denen Arokodare derzeit nur träumen kann. Doch der zwei Jahre jüngere Angreifer will denselben Weg beschreiten, den sein Vorbild erfolgreich gegangen ist. “Dass mich Leute mit Victor Osimhen vergleichen, das ist ein ziemlich großes Ding für mich. Er ist einer der besten Stürmer der Welt, einer der fünf besten in Afrika und definitiv einer der besten, wenn nicht sogar der beste Nigerias“, fühlt sich der Neu-Kölner über die Anspielungen geehrt. Vom Spielertyp her ähneln sich die beiden Angreifer sogar, wie Arokodare findet: „Wir sind beide trotz unserer Größe ziemlich schnell, dennoch gut in der Luft. Wir schaffen es, uns im Strafraum in die richtige Position zur richtigen Zeit zu bewegen. Er ist aber definitiv der bessere Torjäger im Vergleich zu mir, aber ich arbeite daran, auf dasselbe Level zu kommen“, so der 19 Jahre alte Mittelstürmer.
Diese Arbeit wird er nun zumindest für die kommende Saison beim 1. FC Köln erledigen. Von seinem bisherigen Club Valmiera FC trennt sich Arokodare trotz der vormaligen Probleme im Guten. In mehreren Videos auf dem Twitteraccount des lettischen Vereins verabschiedet sich der junge Nigerianer von seiner Mannschaft und den Fans.“Ohne euch wäre ich nicht dorthin gekommen, wo ich jetzt hingehe. Ohne euch hätte ich nicht erreicht, was ich in dieser Saison und in der vorherigen erreicht habe. Ich weiß, dass ich in der letzten Zeit oft bei euch um Entschuldigung gebeten habe, aber es tut mir wirklich leid, wie ich mich verhalte habe“, sagt Arokodare seinen ehemaligen Kollegen zum Abschied und wendet sich später auch an die Valmiera-Fans: „Der Verein ist für mich wie eine Familie geworden. Auch wenn wir in den vergangenen Monaten vielleicht einige Probleme hatten, wir haben diese gelöst. Alles ist in Ordnung und ich bin froh, dass ich Valmiera im Guten verlassen“, so Arokodare.
“Dieser Transfer ist Werbung für den lettischen Fußball”
Das sieht auch sein abgebender Verein so, der bei einem Blick auf die Social-Media-Kanäle nicht ohne Stolz ob des Wechsels in die Bundesliga daherkommt. Etwas, das auch Trainer Tamas Pertia in seiner Abschiedsrede für Arokodare unterstreicht. „Es ist ein großer Gewinn für uns alle. Dieser Transfer ist Werbung für den lettischen Fußball. Wenn ein so junger Spieler den Sprung aus der Virsliga auf ein solches Niveau wie in Deutschland schafft, das ist das ein Gewinn für den gesamten Fußball in Lettland“, betont der Georgier, den Arokodare nach eigener Aussage als „großen Trainer“ und „großen Menschen“ in Erinnerung behalten wird. 22 Tore für Valmiera FC: Der Nigerianer wird beim lettischen Verein sicherlich lange im Gedächtnis bleiben.
https://twitter.com/valmierafc/status/1307627312020631552
Das will er auch beim 1. FC Köln schaffen: „Ich möchte Teil eines guten Teams sein und mithelfen, den Club auf ein höheres Level zu bringen. Eines Tages würde ich gerne Trophäen gewinnen. Und mich persönlich möchte ich natürlich auch weiterentwickeln“, kündigt Arokodare im ersten Interview auf der vereinseigenen Homepage an. Was er über den FC weiß? „Ich weiß, dass schon viele gute Spieler beim FC gespielt haben, zum Beispiel Lukas Podolski – und ich hoffe, dass ich auch mal ein großer Spieler für den FC werde“, lässt der Angreifer, der sich als Spaßmacher versteht, verlauten.
Nigerianische Nobody mit großen Träumen
Was die FC-Fans noch über ihn wissen müssen, fasst der Neuzugang dann auch prägnant zusammen. „Ich bin Toluwalase Emmanuel Arokodare. Ich bin Nigerianer. Stürmer für den 1. FC Köln. 1,97 Meter groß – und hoffentlich erreiche ich viel mit diesem Verein“ – vor vier Tagen hätte mit diesen Sätzen am Geißbockheim keiner etwas anfangen können. Nun will der nigerianische Nobody diese Ankündigungen mit Taten füllen. Ein „unbeschriebenes Blatt“, das beim 1. FC Köln Geschichte schreiben möchte.