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“Super League”-Pläne bei Top-Clubs: “Football Leaks” sind mehr wert als ein Achselzucken

Die deutschen Fanszenen protestierten mit einem Aktionsspieltag gegen die Verbände | Foto: Oliver Hardt/Bongarts/Getty Images

Von den „Football Leaks“ dürften die meisten Fußballfans mittlerweile schon einmal gehört haben. Darum geht’s: Zunächst veröffentlichte eine anonyme Gruppe auf einer gleichnamigen Website interne Dokumente aus der Fußballwelt. Vor allem Spielerverträge deckten die Aktivisten zunächst für die Öffentlichkeit auf. Aber parallel sammelten sie weiter Dokumente und Informationen, die einen Einblick in die Branche, der weit über Jahresgehälter der Hauptdarsteller hinaus ging, ermöglichten.

Im Jahr 2016 entschied sich das Team von „Football Leaks“ dann dazu, enorme Datenmengen an ein Journalisten-Netzwerk rund um „Spiegel“-Autor Rafael Buschmann zu übergeben. Die folgenden Recherchen brachten schnell Cristiano Ronaldo und andere Superstars in Bedrängnis. Die Steuertricks der ganz großen Kicker wurden aufgedeckt, heftige Nachzahlungen und Bewährungsstrafen ausgesprochen. Doch „John“, wie sich Buschmanns „Football Leaks“-Kontaktmann nennt, und seine Mitstreiter ließen offenbar nicht locker – und lieferten weiterhin Daten an den „Spiegel“-Reporter und somit auch an das Recherchenetzwerk „European Investigative Collaborations“. Über 80 Journalisten sind nunmehr damit befasst, das Material auszuwerten. Nun haben sie wieder neue Ergebnisse vorgestellt.

Erneut belegt “Football Leaks” schmutzige Deals

Erneut kann das Recherchenetzwerk mit Hilfe der „Football Leaks“ belegen, wie schmutzig das Fußball-Business und wie pervertiert die Planspiele der Mächtigen sind. Die im “Spiegel” beschriebenen Hinterzimmer-Strukturen – ob bei FIFA und UEFA oder Manchester City und Bayern München – sind nichts Unvorstellbares. Aber sie wurden selten so genau belegt. Einen echten Aufschrei gibt es deshalb aber nicht: Niemand geht offenbar noch von sauberen Geschäftspraktiken im Fußball aus. Wer die mächtigen Fußballverbände für blütenweiß-strahlende Institutionen hält, muss in den letzten Jahren schließlich ziemlich viel nicht mitbekommen haben. Und an einen fairen Wettbewerb glauben auch maximal nur noch diejenigen, die vor lauter Taurin in der Birne ohnehin kaum noch klar denken können.

Den Traum vom sauberen Fußball und Fairness haben viele Anhänger und Begleiter der Branche daher schon lange begraben. Und so überrascht es manche vielleicht auch gar nicht, dass der FC Bayern sich laut „Spiegel“-Recherche an geheimen Planungen für eine „Super League“ beteiligt hat – oder noch immer daran beteiligt ist. Die UEFA ist bei den Planspielen der europäischen Top-Clubs nicht eingebunden, dass mittelgroße oder kleine Vereine irgendwie Zugriff auf diese „Super League“ bekommen, ist ebenfalls nicht vorgesehen. Wirtschaftlich gesprochen bedeuten die Planspiele der Großen schlichtweg: Die an der Planung beteiligten Top-Clubs wollen niemand etwas vom Kuchen abgeben, sondern selbst regeln, wer für welche Leistung wie viel Kohle einstreichen kann.

Die Umsätze der „Super League“-Clubs würden so noch einmal nach oben schnellen. Die von der UEFA ausgerichtete, zumindest noch auf dem Papier für jeden Verein erreichbare Champions League als bisherige „Königsklasse“ im europäischen Fußball wäre wohl Geschichte – oder hätte den Stellenwert, den jetzt bereits die Europa League bei vielen Vereinen auf Grund der vergleichsweise geringen Erlöse besitzt. Das wiederum würde die nationalen Ligen entwerten: Schließlich ginge es in der Bundesliga nur noch um die Deutsche Meisterschaft und die Qualifikation für den Champions-League-Nachfolger. Also den neuen zweitklassigen Europapokal abseits der allmächtigen „Super League“. Finanziell wäre die neue Eliteklasse laut den vom „Spiegel“ aufgedeckten Plänen abgekoppelt – die Creme de la Creme würde also ihr eigenes Ding machen.

“Super League” statt Bundesliga?

Die Bayern würden also in der Bundesliga antreten, gleichzeitig aber der UEFA den Rücken kehren und stattdessen parallel in der „Super League“ auflaufen. Finanziell wäre der Rekordmeister damit noch unerreichbarer, als er es heute für die meisten nationalen Konkurrenten bereits ist. Der Verbleib in der Bundesliga scheint für die Münchner allerdings gar kein unbedingt notwendiges Szenario zu sein – im Zuge der „Super League“-Planungen, die in einer ersten Variante offenbar seit 2016 im Hintergrund liefen, wurde vom FC Bayern laut “Spiegel” auch geprüft, ob und wie man die Bundesliga verlassen könnte, um sich der selbst gestalteten Goldgrube „Super League“ anschließen zu können.

„Das ist eine Falschmeldung“

Mittlerweile beteuert man in München zwar, weder Bundesliga- noch UEFA-Ausstieg kämen in Frage. Gleichzeitig ist der Berichterstattung zufolge bei Real Madrid aber ein aktuelles Dokument durchgesickert, in dem sich namenhafte Top-Clubs noch im November bindend bereit erklären sollen, eine „Super League“ zu gründen – ab dem Jahr 2021 und ohne Beteiligung der UEFA. Auch der FC Bayern München wird dort aufgeführt. Borussia Dortmund hingegen ist als Gastmannschaft der neuen Liga vorgesehen. Eine skurrile Konstruktion, die vermutlich nur dazu dient, dass die „Super League“ nicht mit EU-Recht kollidiert. Ein geschlossenes System ohne Auf- bzw. Abstiegsmöglichkeiten könnte für Ärger mit den Gesetzeshütern sorgen, daher hat man wohl die Option mit wechselnden Gastmannschaften entworfen.

In München will man davon freilich nichts wissen. „Das ist eine Falschmeldung“ kommentierte Uli Hoeneß am Samstag bei „SKY“. Auch Karl-Heinz Rummenigge weißt derartige Planungen von sich. Dass man über eine „Super League“ nachgedacht habe, sei seit 2016 bekannt. Man habe die Pläne aber verworfen. Der Vorstandschef der Bayern sei daher „irritiert“ ob der Berichterstattung, ließ er ebenfalls den TV-Sender “SKY” wissen.

Bemerkenswert beim Verhalten der Bayern-Bosse: Noch vor wenigen Wochen hatten sie eigens eine Pressekonferenz einberufen, um der Presse dort dann zu erklären, dass man ab sofort gegen alle Falschmeldungen und Unwahrheiten vorgehen werde und sich das alles nicht mehr gefallen lassen wolle. Von juristischen Schritten gegen den „Spiegel“ war in den ersten Reaktionen von Rummenigge und Hoeneß nun jedoch nicht die Rede.

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Jetzt geht der Zirkus trotzdem einfach weiter. Nicht nur in den Chefetagen, auch drum herum ringt sich die Fußball-Branche angesichts der Belege für Schiebereien in Manchester und Paris, für die mangelnde Integrität der Verbände und den ungezügelten Hardcore-Kapitalismus bei den Top-Clubs kaum mehr als ein Achselzucken ab. Im Umfeld des Rekordmeisters war eine kritische Instagram-Story von Lisa Müller in Richtung Nico Kovac am Samstag schnell das größere Thema als die „Football Leaks“-Erkenntnisse.

Beim TV-Sender „Sky“ lud man Rafael Buschmann zwar prompt zur Talk-Sendung „Wontorra“, räumte der Investigativ-Geschichte aber auch nicht viel mehr Zeit ein als der Diskussion um die Social-Media-Trainerkritik der „Spielerfrau“. Dass „Spiegel“-Reporter Buschmann auch an dieser Front das Korrektiv geben musste, als aus Thomas Doll angesichts des Themas plötzlich urzeitlicher Fußball-Chauvinismus sprudelte, ist so bezeichnend wie zermürbend. Wie schon bei den Steuerskandalen rollt der Rubel einfach weiter. Die Broadcaster, Verbände und Funktionäre beschützen ihre Top-Clubs und ihre Top-Stars. Weil es unfassbar teuer wäre, sie rauszuwerfen. Und es immer einen Konkurrenten gäbe, der dem sanktionierten Weltklassespieler einen neuen Vertrag anbietet.

Die Putzerfisch-Industrie – ob Sponsoren oder Videospiel-Hersteller – drum herum hält derweil schön die Füße still. Man will schließlich weiter einstreichen, was beim aufgeblasenen Fußball-Wal zu holen ist. Da kann man über Steuerhinterziehung oder vielleicht sogar Vergewaltigung bei Superstars doch genauso hinweg sehen wie bei vollkommen unsolidarischen und unsportlichen Geheimplänen, die von Zigarre rauchenden Männern mit lukrativen Verbindungen auf die arabische Halbinsel eingefädelt werden. Schön, dass wir drüber geredet haben. Aber was sagen Sie eigentlich zu Lisa Müllers Instagram-Story?

Die Fußballwelt schaut weg – aus unterschiedlichen Gründen

So läuft das – immer wieder. Gerade in der Netz-Debatte bilden sich dabei auch immer wieder zwei Lager. Zum einen die Fans, denen all das (zurecht?) mehr oder weniger egal ist. Sie sind in Sachen Fußball derartig kapitalistisch erzogen, dass die „Super League“ für sie eine vollkommen logische Folge der Entwicklung des Fußballs darstellen muss. Das kann ja sogar auch sein. Die verlockende Vorstellung von wöchentlichen Weltklasse-Duellen ist durchaus nachvollziehbar. Und wenn man sich die Welt derzeit so anschaut, verblüfft es eben auch nicht mehr, wenn auch bei den Lieblingsclubs reiche Männer im Hintergrund machen, was sie wollen.

Es gibt aber auch noch die lakonisch-zynischen Fußballliebhaber. Sie träumen vor allem von einstigen Kult-Spielen in kargen Beton-Stadien und feiern es in den sozialen Netzwerken zuverlässig ab,  wenn sie mal wieder „echten Fußball“ in der Kreisliga bewundert haben. Über „Football Leaks“ regen sie sich aber nicht mehr auf. Weil sie das alles immer schon geahnt haben. War doch eh klar, sagen sie. Dass „der Fußball eh schon verloren ist“, klingt bei diesen Anhängern im Unterton immer mit. Zynismus tarnt die Wehmut. Wenn man sie ärgern wollte, könnte man sagen, dass sie den modernen Fußball nur noch schauen, um sich selbst zu vergewissern, dass das alles nur noch Mist ist.

Ironischerweise belächeln genau diejenigen Fans oft die wenigen, die diese Entwicklung so nicht hinnehmen wollen: Zum sind das natürlich die allseits beliebten Ultras, die mit Protestspieltagen und anderen Aktionen seit Jahren die Verbände ins Visier nehmen. Es ist eine oft gescholtene, aber sicher auch nicht gerade brave Fan-Gruppe, deren Perspektive in der Betrachtung schlichtweg zu selten eingenommen wird: Für jemanden, der jedes Heim- und Auswärtsspiel besucht, sind andere Dinge wichtig als für Sky-Kunden mit 70-Zoll-Flatscreen-TV. Fanrechte werden nicht auf der Couch ausgehandelt.

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Süffisante Ignoranz kann man aber auch immer wieder gegenüber den „Football Leaks“-Whistleblowern und den dazugehörigen Investigativ-Geschichten im Fußball-Kontext beobachten. Eine Bereitschaft zum Protest oder zum Widerstand ist in diesen Zeiten auch im Fußball nur wenig vorhanden. Die Ronaldo-Trikots werden weiter gekauft und an die Kinder verschenkt – die Alte in den USA soll doch bitteschön erst einmal beweisen, dass sie nicht einfach nur Geld einstreichen will. Die fragwürdig finanzierten Kylian Mbappé und Neymar wirbeln weiter bei Paris Saint-Germain und sind beim “FIFA Ultimate Team” gefragt wie nie – und die Spiele gegen den FC Bayern sind weiter überall ausverkauft.

“Football Leaks” decken Skandale auf

Foto: Oliver Hardt/Bongarts/Getty Images

Schon am nächsten Spieltag schauen alle gespannt auf den “Klassiker” – ein weiteres grandioses Bullshit-Produkt der totalen kommerziellen Entsaftung des Profi-Fußballs. Dort warten die wirklich wichtigen Themen: Schlagen die Bayern den BVB? Vielleicht auch nicht – fliegt Kovac danach raus? Folgt dann der Bayern-Durchmarsch bis zur Winterpause unter Ralph Hasenhüttl? Spannend!

Apropos Winterpause: Da fliegen die Clubs in ihre Trainingslager – mit welchem Trainer auch immer. Nach Katar oder Dubai vermutlich – natürlich nur wegen des guten Wetters. Außerdem sind China-Reisen eher was für den Sommer. Aber in welches Land ohne Menschenrechte die Bayern und Co dieses Jahr auch fliegen werden: „SKY“ wird uns gewiss täglich live vor Ort mit den neusten Nachrichten versorgen. Also den wirklich wichtigen: Dass Joshua Kimmich umgeknickt ist zum Beispiel. Oder was der neuste Tweet von Mats Hummels bedeuten könnte – eventuell muss dafür zwar Ayman Abdallah eingekauft werden. Aber auch das wäre sicher ein lösbares Problem.

Doch all das: die geheimen Pläne, die Deals für neureiche Investorenclubs, die WM-Vergabe nach Katar, Steuerhinterziehung, Buchfälschungen und Tricksereien sind Skandale. All die Investments aus fragwürdigen Quellen sind Skandale. Dass Top-Clubs sich abkoppeln wollen und dabei die Grundfeste des sportlichen Wettbewerbs über Bord werfen, ist ein Skandal. Dass Spieler oder Funktionäre, die ausgesorgt haben, weil andere Leute ihr Geld für Fußball ausgeben, Steuern in massivem Ausmaß hinterziehen, ist ein Skandal. Dass Sponsoren und Werbe-Partnern das alles scheißegal zu sein scheint, ist ein Skandal. Und dass so viele Fans, Vereinsmitarbeiter, Sportjournalisten und sonst irgendwie am Fußball-Geschäft beteiligte, angesichts dessen nur mit den Achseln zucken, ist ebenfalls einer.

Aber bevor nun Mimimi-Kommentare kommen: Nein, Fortschritt an sich ist nichts Schlechtes – vielleicht auch eine „Super League“ mit den richtigen Rahmenbedingungen nicht. Dass jeder die gleichen Chancen hat, ist jedoch ein Grundsatz des Sports. Im Fußball mag der schon lange pervertiert und maximal noch auf dem Papier vorhanden sein. Wer will da widersprechen? Die „Spiegel“-Berichte belegen das schließlich erneut eindrucksvoll. Aber darf das ein Grund für lakonisches Achselzucken als Reaktion sein? Die Recherchen bieten erneut eine Grundlage für massiven Druck. Ob im Stadion, durch radikalere Maßnahmen wie Boykott oder auch durch weitere Investigativ-Geschichten von Medien.

“Kulturgut” Bundesliga erhalten

Aber auch die Clubs täten gut daran, klare Ansagen zu machen. In Köln erklärte man auf unsere Anfrage hin, dass man “genug eigene Themen” habe und “keinen Mehrwert” darin sehe, sich mit der Kommentierung der “Spiegel”-Geschichte zu beschäftigen. Der Verein fügte aber an: “Grundsätzlich geht der 1. FC Köln nicht davon aus, dass es Clubs gibt, die die Bundesliga aufgeben möchten.” Hans-Joachim Watzke ging am Wochenende noch weiter: „Die Bundesliga ist Kulturgut“, sagte der BVB-Geschäftsführer angesprochen auf die “Football Leaks”-Enthüllungen. Das stimmt wohl.

Dazu geworden ist sie aber nicht nur durch Clubs oder Verbandsoffizielle, sondern durch die Menschen hinter diesen Vereinen – ob jung oder alt, ob Ultra oder nicht. Sie haben die Bundesliga zur Fußballliga mit den meisten Stadionbesuchern weltweit gemacht. Sie haben die Derbys mit Leben gefüllt. Sie transportieren die Legenden durch Generationen hinweg und geben die Faszination für ihre Clubs treu weiter. In den Hinterzimmer-Planungen für eine “Super League” – wie auch immer die dann aussehen soll – spielen sie aber keinerlei Rolle.

Die Menschen, die in den Stadien und am TV mit Leidenschaft mitfiebern, haben die Bundesliga zu dem gemacht, was sie heute ist – genauso wie sie für die enormen Umsätze in der Branche gesorgt haben. Sie sollten nicht weiter resigniert zuschauen, wenn ein Haufen asozialer Vollkapitalisten probiert, den letzten Tropfen Authentizität aus ihrem „Kulturgut“ zu pressen. Sonst ist es bald keines mehr.

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