Stefan Ruthenbeck arbeitet seit Sommer 2017 für den 1. FC Köln. Zuerst stieg er als Cheftrainer der U19 in der Bundesliga West ein, bevor er im Dezember 2017 bei den Profis Interimstrainer wurde. Zu diesem Zeitpunkt war der Abstieg des FC schon absehbar. Nach diesem Intermezzo rückte Ruthenbeck wieder in die U19, mit der er in der vergangenen Saison fast in die Endrunde der deutschen Meisterschaft eingezogen wäre. Wenig später gewann er mit seiner Mannschaft den FVM-Pokal. Aktuell führt der Cousin des ehemaligen FC-Trainers Markus Anfang mit seiner U19 die Bundesliga West an.
Wir trafen Ruthenbeck im Restaurant des Geißbockheims und sprachen mit ihm über den Stand der Jugendausbildung, die Infrastruktur im Grüngürtel und die Herausforderungen für junge Spieler.
effzeh.com: Zunächst ein Rückblick auf die letzte Saison: Ihre U19 verpasste die Teilnahme an der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft im letzten Spiel gegen Bayer Leverkusen. Wie schwer war es da für Sie, Ihre Spieler wiederaufzurichten?
Stefan Ruthenbeck: Es war gar nicht schwierig. Natürlich ist es für uns wichtig und auch elementar in der Ausbildung, dass man Erfolge feiert, dass man Deutscher Meister wird, ins Halbfinale kommt, aber nichtsdestotrotz sollte immer die Entwicklung der einzelnen Spieler Vorrang haben. Und die Entwicklung der letztjährigen U19 war enorm. Ob das Darko Churlinov war, oder Tomas Ostrak, Noah Katterbach, Dominik Becker, Vincent Müller, man könnte noch so viele Jungs nennen. Das Erreichen der Endrunde wäre das i-Tüpfelchen gewesen.
Aber diese eine Niederlage hat das, was wir in diesem Jahr erreicht haben, nicht geschmälert. Als Trainer im Jugendbereich müssen wir immer das große Ganze sehen, und da haben wir vieles richtig gemacht. Wenn man sich an den Spielverlauf erinnert, sollte es an diesem Tag einfach nicht sein. Wir haben auch die Endrunde nicht aufgrund dieses einen Spiels verpasst, sondern weil wir während der Saison unglückliche Phasen hatten, in denen wir viel liegengelassen haben. Wir hatten Verletzungen und Krankheitsfälle, die wir in diesen Phasen einfach nicht kompensieren konnten. Deshalb sollten wir es nicht an diesem einen Spiel festmachen.
Ihre Mannschaft hat ja immerhin auch den Pokal gewonnen…
Was die Woche drauf passiert ist, mit dem Endspielsieg im Pokal, das war einfach großartig, und das habe ich den Jungs dann auch gesagt. Wir haben das gleiche Spiel gegen den gleichen Gegner gespielt, hatten zudem noch einige Verletzte mit Luca Schlax und Oliver Schmitt zum Beispiel, haben dann aber mit einer tollen Mannschaftsleistung Leverkusen 1:0 geschlagen, das fand ich sensationell. Das zeigt mir dann, wieder bezogen auf die ganze Saison, dass wir vieles richtig gemacht haben. Wir haben über die gesamte Saison hinweg den Ausbildungscharakter in den Vordergrund gestellt, wir haben Spieler aus der U17 hochgezogen und ihnen Einsatzzeit gegeben. Wenn man sieht, was sich daraus entwickelt hat, auch wenn wir die Endrunde nicht erreicht haben, war das wirklich eine top Saison.
Ausbildung vs Erfolgsdruck in der Jugend des 1. FC Köln
Sie haben die Bedeutung des Ausbildungscharakters in der Arbeit mit der U19 angesprochen, sicherlich eines der wichtigsten Ziele in der Nachwuchsarbeit. Ein anderes wichtiges Ziel ist es, in Wettbewerben möglichst gute Ergebnisse zu erzielen und, wenn möglich, Titel zu gewinnen. Das sind zwei Ziele, die gleichzeitig verfolgt werden. Ist dies immer völlig konfliktfrei möglich?
Nein. Um Spieler auf das vorzubereiten, was auf sie zukommt, muss man manchmal Dinge tun, die dem zu erzielenden Ergebnis in einem Spiel nicht immer zuträglich sind. Wir müssen in einem U19-Spiel Situationen schaffen, mit denen wir die Spieler darauf vorbereiten, was bei den Profis auf sie zukommt, Einwechslungen, Auswechslungen oder taktische Umstellungen. Wenn ich immer nur an das Ergebnis denken würde, müsste ich manche Entscheidungen im Spiel anders treffen. Es geht dabei auch um mein Coaching. Es gibt Spiele, in denen ich bewusst sehr viel coache, um mich dann im nächsten Spiel zurückzunehmen. Zum Beispiel arbeiten wir mit Leader-Workshops, in denen Kompetenzen vermittelt werden, die Spielern dabei helfen, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Indem ich mich zurücknehme, bedingt das viel Arbeit unter der Woche, weil ich die Mannschaft dann anders vorbereiten muss.
Jan Thielmann bei seinem Bundesliga-Debüt gegen Leverkusen | Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images
Sie erwähnten gerade die sogenannten „Leader-Workshops”. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Mehrmals im Jahr gibt es diese Weiterbildungsmaßnahmen für die Spieler, denen wir zutrauen, eine Mannschaft zu führen und Verantwortung zu übernehmen. Das ist aber etwas, was die Spieler im Alter von 17 oder 18 erst noch lernen müssen. Welche Strategien sind hilfreich, um eine Mannschaft zu führen? Welche Signale gebe ich den Mitspielern? Dies alles wird in den Seminaren erarbeitet, damit die Spieler, die Verantwortung übernehmen, wissen, wie sie in Stresssituationen mit den Jungs, die vielleicht nicht so stabil sind, umgehen können. Sie müssen Empathie entwickeln, lernen, sich in ihre Mitspieler hineinzuversetzen.
Was sind weitere Maßnahmen in diesem Zusammenhang?
Es geht dabei um Trainingsimpulse. Wir haben zum Beispiel mal eine Trainingswoche vor einem Spiel zur Englischen Woche gemacht, obwohl wir vom Spielplan her gar keine Englische Woche hatten und die in der U19-Bundesliga auch kaum vorkommen. Wir sind in der betreffenden Woche sehr hohe Belastungen gefahren in dem Bewusstsein, dass die Spieler gegen Ende der Woche auch mal schwere Beine haben würden. Damit wollten wir sie dafür sensibilisieren, was sie etwa in der Bundesliga in einer Englischen Woche erwartet. Sie sollten ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie sie in einer derart hohen Belastungsphase mit ihrem Körper umgehen.
Worum geht es da genau?
Es geht darum, dass sie dabei lernen, sich dann entsprechend zu ernähren, für ausreichend Erholungsphasen, aber auch für genügend Schlaf zu sorgen. Dazu hatten wir in der letzten Saison Phasen, in denen wir auf die Jungs Rücksicht nehmen mussten, die im Abiturstress waren. Die haben dann auch mal weniger trainiert. Dabei haben wir nicht nur die Erfolge am Wochenende im Blick, sondern die ganzheitliche Entwicklung der Jungs. Es ist eben auch wichtig, dass sie eine gute Ausbildung haben. Wir sind hier als Pädagogen viel mehr gefragt als im Profibereich.
Welche Rolle spielt dabei der Wettbewerb?
Natürlich versuchen wir immer, den Ausbildungsaspekt und den Wettbewerbsaspekt zu verbinden. Denn letztendlich nutzt es dem FC nichts, wenn die U19 Deutscher Meister wird, aber keiner der Jungs den Sprung zu den Profis schafft. Sportlicher Erfolg ist natürlich wichtig, aber schlussendlich müssen sich unsere Entscheidungen daran messen lassen, welche Auswirkungen sie auf die Entwicklung der Spieler haben. Ein Beispiel: Wir hatten in der letzten Saison viele Optionen im Offensivbereich, so dass dann z.B. auch ein Tim Lemperle, Oliver Schmitt oder Sebastian Müller zunächst auf der Bank saßen. Das haben wir bewusst so gemacht und den betreffenden Spieler gefragt: „Was erwartet Dich, wenn Du oben ankommst beim 1.FC Köln? Wirst Du direkt unter den ersten elf Spielern sein oder musst Du Dich erst in die Mannschaft ‘reinarbeiten?“ Die Antwort war gewöhnlich: „Ich muss mich erst ‘reinarbeiten.“ Das war dann auch ihr Auftrag in der U19. Wichtig ist bei solchen Dingen, dass man die Jungs immer mitnimmt und ihnen erklärt, warum man etwas macht.
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