Am Montag unterzeichneten Vertreter von Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach, dem FC Schalke 04, Bayer 04 Leverkusen, Arminia Bielefeld, SC Paderborn, VfL Bochum, Fortuna Düsseldorf und des 1. FC Köln zusammen mit dem nordrhein-westfälischen Innenminister Herbert Reul im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund eine „Stadionallianz gegen Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen“. „Wir gehen damit ein seit Jahrzehnten bestehendes Problem an. Enger Austausch und Kooperation sind die Schlüssel für weniger Gewalt im Fußball. Ich hoffe, dass wir hier und heute den Anfang vom Ende dieser Auswüchse rund um Fußballspiele in Nordrhein-Westfalen erleben“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bei der Unterzeichnung der Vereinbarung.
Als Ursache für die Kooperation nennt das Ministerium des Innern: „Hintergrund für die Vereinbarung ist die stetig wachsende Gewaltbereitschaft im Zusammenhang mit Fußball. So wurden während der Saison 2018/2019 am Rande von Fußballspielen in Nordrhein-Westfalen 276 Menschen verletzt und 1.615 Strafverfahren eingeleitet“, erklärte Reul. Zudem komme es immer wieder zu „offenen Hass-Bekundungen und Rassismus in den Stadien“. Menschen würden durch Transparente und Sprechgesänge beleidigt, erniedrigt und diffamiert, heißt es in der Mitteilung des Ministeriums.
Kritik von Fanhilfen der NRW-Clubs
Für Kritik hat die sogenannte „Stadionallianz“ derweil bei den aktiven Fanszenen gesorgt. So protestierten die Fanhilfen der NRW-Clubs öffentlich gegen die Unterzeichnung des Papiers. „Wir stehen dem Abschluss einer solchen Kooperationsvereinbarung äußerst kritisch gegenüber, da sie den örtlichen Polizeibehörden unter dem Vorwand der vermeintlichen Sicherheit neue Handlungsräume eröffnet und eine verstärkte Kriminalisierung von Fußballfans erwarten lässt“, heißt es in der Stellungnahme. Besonders in der Kritik steht dabei ein Punkt der „Stadionallianz“ zur Distanzierung von „diffamierenden Meinungsäußerungen“ – diese, so die Verfasser der „Stadionallianz“, würde die „Werteorientierung“ des jeweiligen Vereins „stärken“ und eine „Verharmlosung oder Duldung“ solcher Verhaltensweisen verhindern. „Hierbei ist jedoch besonders fragwürdig, dass eine Positionierung des Vereins bereits explizit unterhalb der Schwelle der strafrechtlichen Relevanz von Meinungsäußerungen eingefordert werden kann. Das erlaubt den Schluss, dass die Meinungshoheit künftig allein durch die Vertragspartner beansprucht wird, wodurch die Grenze des Sagbaren nicht mehr durch formelle Gesetze und ordentliche Gerichte, sondern durch örtliche Ordnungsbehörden definiert werden könnte“, kontern die Fanhilfen in ihrer Kritik.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die vorgesehen Regelung bezüglich Stadionverboten. „So wird der Polizei hier ein weitreichendes Mitspracherecht eingeräumt, wobei sie keinen Hehl daraus macht, zeitnah und konsequent ausgesprochene Stadionverbote als legitimes Mittel zur Gefahrenabwehr anzusehen und sie mit anderen polizeilichen Maßnahmen verzahnen zu wollen“, führen die Fanhilfen aus: „Es ist daher zu befürchten, dass die Vergabe von Stadionverboten zukünftig wieder seltener dem Ultima Ratio-Prinzip unterliegen wird.“
“Die beteiligten Vereine sollten nicht außer Acht lassen, dass sie gerade in diesen Tagen eine große Verantwortung für ihre aktiven Fans tragen. Wir erwarten daher, dass sie sich nicht zum politischen Spielball des Innenministers machen lassen.”
Grundsätzlich könne eine „weitreichende Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehören“ nicht ohne die vorherige Beteiligung von Fanorganisationen und Fanprojekten erfolgen. „Die beteiligten Vereine sollten nicht außer Acht lassen, dass sie gerade in diesen Tagen eine große Verantwortung für ihre aktiven Fans tragen. Wir erwarten daher, dass sie sich nicht zum politischen Spielball des Innenministers machen lassen und dabei mitwirken, die Rechte von Fans in und um die Stadien weiter einzuschränken.“ Auch die Fan-Organisation “ProFans” kritisiert das Vorgehen von Land und Clubs deutlich. “Es ist festzustellen, dass im aktuellen Fall weder die Fanbeauftragten noch die sozialpädagogischen Fanprojekte mit einbezogen oder zumindest konsultiert wurden – von den bekannten organisierten Fanvertretungen einmal ganz zu schweigen. Stattdessen scheint, womöglich aus finanziellen Interessen, ein Kuhhandel zwischen Profifußball und Innenministerium geschlossen worden zu sein. ProFans fordert die Politik und Funktionäre im Sinne aller Beteiligten auf, endlich die Symbolpolitik auf Kosten der Fankurven zu unterlassen!”
“Die Meinungsfreiheit ist für den FC ein hohes Gut”
Konfrontiert mit der Kritik insbesondere an den Punkten, die Stadionverbotsverfahren und und diffamierende Meinungsäußerungen zum Gegenstand haben, erklärte der 1. FC Köln auf Anfrage von effzeh.com: „Der 1. FC Köln hat sich mit seiner Charta ein Leitbild gegeben, das die Normen und Werte für das Miteinander zwischen Club, Mitgliedern und Fans zusammenfasst. In der Kooperationsvereinbarung der NRW-Clubs finden sich viele Punkte wieder, die beim FC bereits seit geraumer Zeit im täglichen Handeln berücksichtigt werden.“ Bei den Punkten „Austausch mit szenekundigen Beamten“ und „Vergabe von Stadionverboten“ handele der 1. FC Köln in weiten Teilen nach den in der Kooperationsvereinbarung festgehaltenen Vorgehensweisen.
Alle Erst- und Zweitligisten aus NRW gründen mit der Polizei die "Stadionallianz gegen Gewalt". Innenminister Reul spricht von einem "großen Tag", ProFans von einem "Rückschritt". Dialog sieht anders aus… pic.twitter.com/E9hy3hiIWP
— Hannes Nebelung (@SID_HNebelung) September 14, 2020
Der Vereinbarung liege der Wille zugrunde, die Sicherheit aller weiter zu erhöhen, der Entwicklung von Gewalt auch in Zukunft entschieden entgegen zu treten und die vertrauensvolle Zusammenarbeit zu stärken, heißt es weiter in der Stellungnahme des Clubs. „Die Sorgen auf Seiten mancher Fans oder Fangruppierungen, man wolle mit diesem Papier Rechte von Fans in den Stadien einschränken, halten wir für unbegründet. Bezüglich Äußerungen von Fans im Stadion ist die Meinungsfreiheit für den FC ein hohes Gut und wird dies wird auch so bleiben. Dazu gehört aber auch der Respekt vor Anderen und die Einhaltung der Charta als Leitbild unseres Handelns. Die Handlungsweise des FC wird sich durch die Kooperationsvereinbarung nicht ändern.“
Die Kölner Geschäftsführung sowie der alte als auch der neue FC-Vorstand sind laut dem Club bereits länger mit der Sache betraut. „In diesem Zusammenhang wurden auch von FC-Seite Änderungen der Vereinbarung eingebracht. Unabhängig von der Zugehörigkeit zu Gremien oder Kommissionen wurde jede Expertise herangezogen, die bei der Erarbeitung des Konzepts hilfreich war“, erklärte der Verein das Vorgehen. Grundsätzlich lasse die Kooperationsvereinbarung zudem „ausreichenden Raum für individuelle Lösungen, die auf den jeweiligen Club zugeschnitten sind.“
Stadionbesuch in Köln “ist und war immer sicher”
Der Stadionbesuch beim 1. FC Köln „ist und war immer sicher“, heißt es weiter. „Wir sehen daher kein drängendes Problem mit Gewalt im Stadion; das ist aber auch nicht Anlass der Kooperationsvereinbarung gewesen. Allen Clubs wäre es am liebsten, sich überhaupt nicht mit Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen auseinanderzusetzen zu müssen. Aber von diesem Ideal sind wir, und das zeigen leider die Erfahrungen aus der Vergangenheit, noch ein gutes Stück entfernt.“