Der große Tag rückt immer näher – wir haben uns mit zwei Schweizer Sportpsychologen über das #finalezohus, die Psyche der Spieler und positiven Druck unterhalten.
Die Pressekonferenz liegt hinter uns, öffentliche Trainingseinheiten gibt es vor dem Wochenende auch keine mehr – der 1. FC Köln befindet sich in der Endphase der Vorbereitung auf das Spiel gegen Mainz. Welche besonderen psychologischen Aspekte im Vorfeld eines solchen Spieles zu beachten sind, erklären uns Simon Ursprung und Alexander Scherz. Sie arbeiten in der Schweiz für “Kopfsache Sport” mit dem “Ziel, gemeinsam den Menschen im Sportler weiterzuentwickeln und dadurch Topleistungen zu ermöglichen.” Beide sind studierte Sportpsychologen, die selbst ambitioniert im Ausdauersport (Scherz) und im Handball (Ursprung) unterwegs waren. Sie geben uns auch Tipps, wie man als Fan mit dieser spannenden Situation umgehen kann…
Alexander Scherz (Mitte) und Simon Ursprung (rechts)
Foto: kopfsachesport.ch
Der Ausgang einer gesamten Saison hängt an diesem einen Spiel gegen Mainz: Wie baut man im Vorfeld als Coach eine Woche auf, die zum wichtigsten Spiel in der jüngeren Vereinsgeschichte hinführt?
Simon Ursprung: Der 1. FC Köln war in den letzten 20 Jahren nie so gut platziert wie diese Saison. Das Trainerteam und die Mannschaft haben dementsprechend schon sehr viel richtig gemacht. Daher sollte man als Coach die Vorbereitung auf dieses wichtige Spiel ähnlich gestalten wie in der Vergangenheit. Es sollten die gleichen Automatismen und Rituale durchgeführt werden, die in der Vergangenheit schon erfolgreich waren und der Trainer sollte die Mannschaft auf das Spiel einschwören.
Es sollten die gleichen Automatismen und Rituale durchgeführt werden, die in der Vergangenheit schon erfolgreich waren und der Trainer sollte die Mannschaft auf das Spiel einschwören.
Hierzu kann der Trainer Bilder und Erfolgsvisualisierungen verwenden, mit denen sich alle Spieler der Mannschaft identifizieren können. Wichtig ist es zudem, allen Spielern klar zu machen, dass die Mannschaft nur gemeinsam gewinnen kann. Alle ziehen an einem Strang und auch wenn ein Spieler einen Fehler macht, ist dies nicht so schlimm, denn gemeinsam bügelt man diesen Fehler wieder aus. Gerade in Drucksituationen bei Mannschaftssportarten wie zum Beispiel im Elfmeterschießen bei Weltmeisterschaften konnten Sportpsychologen zeigen, dass diejenigen Mannschaften erfolgreicher sind, die eine positivere Fehlerkultur haben.
“Selbstvertrauen fördern, sich auf die Stärken fokussieren”
Doch was versteht man unter positiver Fehlerkultur? Die Spieler wissen, dass Fehler zu einem Spiel dazugehören und zeigen in dieser Situation nicht mit dem Zeigefinger auf den „Schuldigen“, sondern unterstützen den Teamkollegen im Moment des Misserfolgs. Eine solche Teamkultur nimmt Druck von jedem einzelnen Spieler und daher haben die Spieler weniger Misserfolgsangst und können in dieser Drucksituation ihre bestmögliche Leistung einfacher abrufen.
Welche Arbeit muss das Trainerteam dabei genau leisten? Reichen normale Abläufe aus oder muss man gezielte, besondere Reize setzen?
Simon Ursprung: Um ein solches Match zu gewinnen, braucht es neben den normalen Abläufen auch spezifische Reize. Die Spieler sollten mit Selbstvertrauen, Konzentration und Entschlossenheit in diese Partie gehen. Der Wille zum Sieg sollte bei einer solch wichtigen Partie bei allen Spielern gegeben sein und falls dies bei einem Spieler nicht der Fall ist, müsste man ernsthaft über seine Berufung zum Profi-Fussballer diskutieren.
Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images
Das Trainerteam kann das Selbstvertrauen der Spieler und der Mannschaft fördern, indem sie auf die Stärken fokussieren. In dieser kurzen Zeit bringt es wenig, an den Schwächen und Potenzialen herumzunörgeln. Die Team- und Spielerstärken sollen betont und das Training so ausgestaltet werden, dass das Trainerteam neben der Vorbereitung auf den Gegner auch Spielsituationen trainiert, in denen die einzelnen Spieler Erfolgserlebnisse erfahren können.
“Ruhe und Konzentration bewahren”
Zudem kann sich das Trainerteam gemeinsam die möglichen Spielszenarien vorstellen und sich Strategien für die kritischen Spielmomente überlegen. Gerade in Spielsituationen, in denen eine Mannschaft in Rückstand gerät, ist es wichtig einen ruhigen Kopf zu bewahren und sein Spiel zu spielen. Hier können Handlungspläne vom Staff herausgearbeitet und den Spielern vor dem Spiel mit auf den Weg gegeben werden. So dass sie zum Beispiel bei einem Rückstand wissen, was sie tun sollen und sich auf das Spiel konzentrieren können. In diesen Situationen die Ruhe und die Konzentration zu bewahren und sich nicht von negativen Gedanken und Gefühlen ablenken zulassen ist der Schlüssel zum Sieg.
Auf der nächsten Seite: Stöger als Psychologe, positiver Druck und die Mainzer Rettung.
Ist Peter Stöger nunmehr eher als Psychologe gefordert oder reicht es, sich nur um taktische Dinge zu kümmern?
Simon Ursprung: Jeder Trainer hat ein eigenes Gespür für die Spieler und weiß, wie er auf diese individuell eingehen kann. Dementsprechend wendet jeder Trainer und sicherlich auch Peter Stöger Psychologie an. Die richtige Taktik ist natürlich wichtig. Um ein entscheidendes Spiel zu gewinnen, braucht es beides. Die Anwendung von Psychologie und Fingerspitzengefühl, so dass die Spieler das Vertrauen des Trainers spüren und überzeugt sind den Match zu gewinnen, sind sehr zentral.
“Under Construction” – der @fckoeln arbeitet an der Qualifikation für den internationalen Wettbewerb. Auch online: https://t.co/xeRqmxbDo9 pic.twitter.com/UDJk8NcSz3
— Sport (@DLF_Sport) May 15, 2017
Die Mannschaft des 1. FC Köln verspürt momentan das, was man im normalen Sprachgebrauch als “positiven Druck” bezeichnen kann, da sie ja nicht gewinnen muss, um nicht abzusteigen, sondern gewinnen kann, um sich für Europa zu qualifizieren. Gibt es so etwas wie positiven Druck überhaupt?
Simon Ursprung: Druck- oder Stresssituationen beinhalten laut Hans Eberspächer, einem bekannten Sportpsychologen, fünf Komponenten: Höchste Anforderungen an die Spieler, ungewisser Ausgang, bedrohliche oder schädigende Konsequenzen bei Misserfolg, keine Wiederholungschance und zeitliche Beschränkung. Diese Faktoren sind beim Schlussspiel des 1. FC Köln gegeben und dementsprechend kann man von hohem Druck sprechen.
“Anspannung hat einen positiven Einfluss auf die Leistung”
Ob die Mannschaft und der Trainer dies in positiven Druck umsetzen können oder dieser Druck dann für das Team negativ wird, liegt in den Händen der Akteure. Druck oder Anspannung hat bis zu einem gewissen Punkt grundsätzlich einen positiven Einfluss auf die Leistung. Ab dem Moment, wo die Spieler übererregt sind und sich nicht mehr auf das Spiel konzentrieren können, wird der Druck negativ. Dies wird in der Sportpsychologie auch als Yerkes-Dodson-Gesetz oder umgekehrte U-Kurve bezeichnet. Der Druck mit dem entsprechenden Stresslevel ist sozusagen bis zum Scheitelpunkt positiv und ab dem Moment, wo die Leistungsfähigkeit sinkt, könnte man von negativem Druck sprechen.
Ist die Mainzer Rettung ein Vorteil oder ein Nachteil für den effzeh?
Der Gegner aus Mainz ist bereits gerettet, verfolgt also kein konkretes Saisonziel mehr, kann befreit aufspielen – ist das gut oder schlecht für den 1. FC Köln?
Simon Ursprung: Mainz hat erst letzten Samstag die Rettung geschafft. Jetzt stellt sich die Frage, wie lange und ausgiebig die Spieler feiern waren und wie ernsthaft sich diese noch auf das Spiel gegen den 1. FC Köln vorbereiten? Dies ist eigentlich ein Vorteil für den 1. FC Köln. Im Spiel an sich hat aber Mainz keinen Druck und kann befreit aufspielen. Dementsprechend könnte dies durchaus auch schlecht sein, wenn bei Köln gleichzeitig der positive Druck in negativen Druck kippt.
Der Wille zum Sieg sollte bei einer solch wichtigen Partie bei allen Spielern gegeben sein und falls dies bei einem Spieler nicht der Fall ist, müsste man ernsthaft über seine Berufung zum Profifussballspieler diskutieren.
Welche Gedanken umtreiben einen Spieler in einer solchen “do or die”-Situation?
Alex Scherz: Zur Erbringung von sportlichen Leistungen braucht es eine optimale psychische und physische Erregung oder Spannung. Obwohl die optimale Erregungshöhe von Spieler zu Spieler und von Sportart zu Sportart unterschiedlich ist, scheint klar, dass mit zunehmender Anspannung auch die Leistung ansteigt. Wenn die optimale Erregungshöhe jedoch überschritten wird, fällt die Leistung mit weiter ansteigender Spannung wieder ab.
Auf der nächsten Seite: Die Psyche der Spieler, Zwischenergebnisse und Heimvorteil.
Wie kann ein Spieler seine Psyche regulieren?
Ein sehr hohes Erregungsniveau muss sich nicht zwingend negativ auf die sportliche Leistung auswirken. Entscheidend sind auch die dabei mitschwingenden Gedanken und empfundenen Gefühle. Werden zum Beispiel die Erregung als Nervosität interpretiert und das bevorstehende Spiel als außerordentliches, einzigartiges Ereignis wahrgenommen, kann die Anspannung dazu führen, dass im Spiel Angst vor dem Versagen entsteht. Das Auftreten von hoher Erregung und Angst kann bewirken, dass der Spieler komplett versagt und die Leistung katastrophal schlecht ausfällt. Deshalb ist es ganz wichtig, dass ein Spieler fähig ist, seine Psyche zu regulieren. Dafür hat er grundsätzlich drei Möglichkeiten:
- Er versucht, die Situation zu verändern und zu kontrollieren. Dies funktioniert nur, wenn er tatsächlich die Möglichkeit hat, sie zu verändern.
- Er versucht, seine Wahrnehmung der Situation zu verändern. Dazu nimmt er eine andere Perspektive ein. Dies ist oft möglich, indem er seine Selbstgespräche verändert. Er könnte beispielsweise das Glas Wasser, welches zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist, halbvoll und nicht halbleer wahrnehmen.
- Der Spieler hat die Möglichkeit, seine Erregung zu verändern, indem er eine Entspannungstechnik, beispielsweise eine Atementspannung durchführt.
Die Kunst liegt darin, dass der Spieler trotz hohem Willenseinsatz und großer Motivation körperlich entspannt und locker bleibt, um ein “Verkrampft sein” zu verhindern.
Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images
Trotz der Zwischenergebnisse: Auf das Wesentliche konzentrieren
Bekanntlich hat es der 1. FC Köln nicht in der eigenen Hand, sich für die Europa League zu qualifizieren. Ist es dann hilfreich, am Samstag im Stadion die Zwischenergebnisse aus den anderen Stadien einzublenden?
Alex Scherz: Ich möchte hier mit einem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe anfügen: “Nicht die Umstände bestimmen uns, sondern wir unsere Umstände!” Warum habe ich dieses Zitat ausgewählt? Grundsätzlich sollte die Aufmerksamkeit auf diejenigen Faktoren gelenkt werden, die man aktiv beeinflussen kann. Was in anderen Stadien passiert liegt nicht im Handlungsspielraum der Spieler. Die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Zwischenergebnisse aus anderen Stadien nützt einem Spieler wenig, wenn er gerade einen Elfmeter verwandeln soll.
Eine konsequente Aufmerksamkeitskontrolle soll ihm demgegenüber helfen, sich voll und ganz auf die entscheidenden Aspekte der Situation zu konzentrieren. Für den Elfmeterschützen können das zum Beispiel die Länge des Anlaufs und eine Masche im Netz sein, wohin er den Ball treffen will. Die Regulation der Aufmerksamkeit unterstützt so die Konzentration und verhilft zu größerer Bewegungssicherheit.
Die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Zwischenergebnisse aus anderen Stadien nützt einem Spieler wenig, wenn er gerade einen Elfmeter verwandeln soll.
Was hat Selbstwirksamkeitserwartung mit dem Heimvorteil zu tun?
Inwiefern kann in einem solchen Spiel die Unterstützung der Zuschauer den Unterschied machen? Manchmal sind Spieler in einem solchen Spiel ja wie blockiert, da kann eine große Unterstützung von den Rängen vielleicht helfen…
Alex Scherz: Allen schönen Sprechgesängen zum Trotz: Die langjährigen Studien können keinen signifikanten Effekt von ihnen auf den Heimvorteil nachweisen. Was den Heimvorteil sportpsychologisch gesehen ausmacht, ist ein bestens bekannter Faktor: die Selbstwirksamkeitserwartung. Sind die Spieler überzeugt, “zu Hause sind wir eine Macht”, können Sie auch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit als Ansporn nutzen. Oder anders ausgedrückt: Den Heimvorteil gibt es, weil man daran glaubt!
Wird der Druck hingegen grösser als das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, kann das Heimspiel sogar zum Bumerang werden: Studien bei US-amerikanischen Basketballspielen haben gezeigt, dass in den Anfangsspielen der Playoff-Serien die Heimteams zu 70 Prozent gewinnen. Das letzte Spiel der Serie geht aber zu 55 Prozent an die Auswärtsmannschaft. Damit der FC vom Heimvorteil profitiert, sollte sich die Selbstwirksamkeitserwartung der Mannschaft und die Erwartung des Publikums die Waage halten.
Auf der nächsten Seite: Motivationsreden und Ratschläge für aufgeregte Fans.
“Ein Trainer muss authentisch und glaubwürdig sein”
Wie hilfreich sind in einer solchen sportlichen Extremsituation Motivationsreden wie die von Bielefelds Co-Trainer (siehe Video)? Brauchen Profi-Sportler so etwas überhaupt?
Alex Scherz: Das Verhalten des Trainers beeinflusst die Freude, die Motivation und andere psychologische Leistungsfaktoren von Sportlerinnen und Sportlern ganz entscheidend. Gerade der Trainer kann durch seinen Führungsstil und die Art, wie er kommuniziert, einen großen Einfluss auf die Entwicklung psychischer Fertigkeiten wie Konzentration, Umgang mit Druck oder die Stärkung des Willens ausüben. Der Trainer zeigt das gewünschte Verhalten stets als Vorbild (wenn er Kampfgeist und vollen Einsatz verlangt, zeigt er diese Eigenschaften auch selbst). Wichtig hierbei ist, dass sein Verhalten auch glaubwürdig und authentisch ist. Eine aufgesetzte, nicht ehrlich gemeinte Motivationsrede wird von den Spieler schnell als Täuschung enttarnt.
Foto: Mika Volkmann/Bongarts/Getty Images
Eine Fußballmannschaft, bestehend aus Profi-Spielern, ist noch nicht automatisch erfolgreich: In Mannschaftssportarten spielt neben der Kooperation noch ein weiteres Element eine entscheidende Rolle. Erst wenn die Teammitglieder optimal miteinander interagieren und kommunizieren, werden positive Synergieeffekte als Basis von Teamerfolgen möglich. Deshalb kann eine ehrlich gemeinte Motivationsrede das Team dabei unterstützen, den Teamgeist zu stärken und die Gruppenkohäsion zu verbessern. Der Teamspirit wirkt auch auf die Zuschauer ansteckend und fördert die kollektive Selbstwirksamkeitsüberzeugung: den Heimvorteil.
Tipps für das aufgeregte Kölner Publikum
Welche Ratschläge können Sie den Kölner Fans geben, um die Zeit bis Samstag einigermaßen zu überstehen? Wie kann man dann notfalls mit einer Enttäuschung umgehen?
Alex Scherz: Als Fan kann man sich auf das konzentrieren, was man am besten kann: Sich auf das Spiel freuen, ins Stadion gehen und seine Mannschaft aus vollem Herzen unterstützen. Unter Stress und Druck sind folgende Schritte zur Bewältigung zu empfehlen:
- Ruhig und gleichmäßig atmen
- Situation und eigene Erregung ohne zu bewerten wahrnehmen
- Erregung und Emotionen akzeptieren
Sollte es mit der Europa League nicht klappen, ist das kein Beinbruch: Wichtig ist, dass man aus der Niederlage lernen kann, und Strategien entwickelt, um es das nächste Mal besser zu machen. Das eine oder andere “Kölsch” hilft evtl. auch dabei negative Selbstgespräche (falls überhaupt vorhanden) zu analysieren und in unterstützende umzuformulieren.
Foto: kopfsachesport.ch